13. Januar 2014
Arbeitsrecht

HIV-Infektion als Kündigungshindernis

Chronische Erkrankungen von Mitarbeitern können zu einer Behinderung führen. Die Kündigung eines chronisch erkrankten Arbeitnehmers kann dementsprechend eine Diskriminierung wegen dieser Behinderung darstellen.

 

In einem aktuellen Fall hatte das BAG über die Kündigung eines symptomlos HIV-positiven Mitarbeiters in den ersten sechs Monaten des Arbeitsverhältnisses zu entscheiden. Der Mann wurde von einem Pharmaunternehmen, das intravenös verabreichte Arzneimittel zur Krebsbehandlung herstellt, als Chemisch-Technischer Assistent für eine Tätigkeit im sogenannten „Reinraum″ eingestellt.

Kündigungsgrund HIV-Infektion

Als der Assistent bei der Einstellungsuntersuchung, die wenige Tage nach dem Beginn des Arbeitsverhältnisses stattfand, mitteilte, dass er HIV-positiv sei, wurden Bedenken gegen seine Tätigkeit laut. Noch am selben Tag kündigte das Pharmaunternehmen das Arbeitsverhältnis ordentlich. Wegen seiner ansteckenden Krankheit könne es den Mitarbeiter nach dem internen Regelwerk nicht einsetzen.

Der Chemisch-Technische Assistent hingegen machte geltend, er sei behindert und die Kündigung dementsprechend unwirksam, weil sie ihn wegen seiner Behinderung diskriminiere. Darüber hinaus machte er eine Entschädigung in Höhe von drei Monatsgehältern geltend.

Da der allgemeine Kündigungsschutz des § 1 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) erst eingreift, wenn das Arbeitsverhältnis sechs Monate besteht (so genannte „Wartezeit″), kann ein Mitarbeiter während der ersten sechs Monate seines Arbeitsverhältnisses grundsätzlich ohne Probleme gekündigt werden. Es bedarf keiner personen-, verhaltens- oder betriebsbedingter Kündigungsgründe. Dies gilt unabhängig davon, ob eine Probezeit vereinbart wurde oder nicht.

Der Arbeitgeber darf die Kündigung in diesem Zeitraum auf ein reines Werturteil stützen und muss dieses nicht substantiieren oder begründen. Allerdings kann eine Kündigung wegen Verstoßes gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) auch in diesem Zeitraum unwirksam sein, wenn sie den Mitarbeiter zum Beispiel wegen einer Behinderung diskriminiert.

Das AGG untersagt Diskriminierungen unter anderem wegen einer Behinderung. Eine Behinderung liegt vor, wenn die körperliche Funktion, die geistige Fähigkeit oder die seelische Gesundheit eines Menschen langfristig eingeschränkt ist und dadurch eine Teilhabe an der Gesellschaft beziehungsweise am Berufsleben beeinträchtigt ist.

BAG: „wegen Behinderung diskriminiert″

Ein Arbeitnehmer, der eine symptomlose HIV-Infektion hat, ist nach Auffassung des BAG in diesem Sinn behindert. Die gesellschaftliche Teilhabe von HIV-Infizierten sei typischerweise durch Stigmatisierung und soziales Vermeidungsverhalten beeinträchtigt. Dies sei vor allem auf die Furcht vor einer Infektion zurückzuführen.

Kündige der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis eines solchen Arbeitnehmers in der gesetzlichen sechsmonatigen Wartezeit gerade wegen der HIV-Infektion, sei die Kündigung im Regelfall diskriminierend und damit unwirksam, wenn der Arbeitgeber durch angemessene Vorkehrungen den Einsatz des Arbeitnehmers trotz seiner Behinderung hätte ermöglichen können.

Im Ergebnis urteilten die Richter dementsprechend, dass die Kündigung den Assistenten unmittelbar wegen seiner Behinderung diskriminiere. Unklar sei allerdings, ob sie gleichwohl gerechtfertigt sei. Insofern müsse die Vorinstanz, das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, noch aufklären, inwieweit das Pharmaunternehmen durch angemessene Vorkehrungen den Einsatz des Mitarbeiters im Reinraum hätte ermöglichen können. Auch der Anspruch auf Entschädigung hänge davon ab, ob die Kündigung nach diesem Maßstab wirksam sei.

Krankheitsbedingte Kündigungen AGG-fest?

In einer ähnlich gelagerten Entscheidung hatte bereits der Europäische Gerichtshof am 11. April 2013 (Aktenzeichen C-335/11 und 337/11) entschieden, dass langandauernde Krankheiten unter Umständen einer Behinderung gleichzusetzen seien. Nachdem nun auch das BAG diese Linie verfolgt, muss zukünftig bei Kündigungen wegen lang andauernder Krankheit neben den kündigungsschutzrechtlichen Aspekten unbedingt auch die AGG-Festigkeit der Kündigung geprüft werden.

Auswirkungen auf das Fragerecht des Arbeitgebers

Die Entscheidung des BAG hat auch Auswirkungen auf das Fragerecht des Arbeitgebers. Im Vorstellungsgespräch darf er nur dann nach einer HIV-Infektion fragen, wenn klar ist, dass der Bewerber auf dem für ihn vorgesehenen Arbeitsplatz wegen einer erhöhten Ansteckungsgefahr für Kollegen oder Dritte nicht eingesetzt werden kann. Dies kann beispielsweise bei bestimmten Berufen im Gesundheitswesen, bei Küchenpersonal oder bei der Herstellung von Lebensmitteln der Fall sein. (BAG vom 19. Dezember 2013 – 6 AZR 190/12)

Tags: 6 AZR 190/12 AGG Behinderung Bundesarbeitsgericht chronische Krankheit Diskriminierung Fragerecht des Arbeitgebers HIV-Infektion Rechtsprechung