24. April 2017
Arbeitsrecht

Zeitarbeitnehmer zählen, aber nicht bei Massenentlassungen…

LAG Düsseldorf: Zeitarbeitnehmer sind bei den Schwellenwerten nach § 17 KSchG nicht mitzuzählen.

Bekanntermaßen hat das BAG in den letzten Jahren seine Rechtsprechung aufgeweicht, nach der Zeitarbeitnehmer zwar passiv bei den Wahlen zum in dem Kundenbetrieb zu bildenden Betriebsrat wahlberechtigt sind, aber bei den betriebsverfassungsrechtlichen Schwellenwerten (z.B. zur Bestimmung der Größe des Betriebsrates) nicht mitzählen sollen. Das BAGist in diesem Zusammenhang von der strengen Anwendung der sog. „Zweikomponenten-Lehre″ abgewichen (vgl. nur: BAG v. 13.03.2013 – 7 ABR 69/11).

Der Gesetzgeber hat (auch) diese Rechtsprechungsänderung zum Anlass genommen, im Rahmen der zum 1. April 2017 in Kraft tretenden AÜG-Reform vorzusehen, dass Zeitarbeitnehmer bei sämtlichen betriebsverfassungsrechtlichen Schwellenwerten (Ausnahme: § 112a BetrVG) mitzählen (§ 14 Abs. 2 S. 4 AÜG n.F.). Gleichermaßen unklar wie ungeregelt bleibt die Frage, wie sich diese Entwicklung auf andere arbeitsrechtliche Schwellenwerte auswirkt, insbesondere nach § 17 KSchG bei Massenentlassungen.

Nach dieser Vorschrift ist mit dem Betriebsrat insbesondere vor dem Ausspruch von Kündigungen ein Konsultationsverfahren durchzuführen. Dabei spielen die Betriebsgröße (nach Anzahl der dort beschäftigten Arbeitnehmer) sowie die Zahl der zu entlassenden Mitarbeiter eine entscheidende Rolle.

Unklar war bislang, ob im Kundenbetrieb tätige Zeitarbeitnehmer bei diesen Schwellenwerten (außerhalb der Betriebsverfassung) nach dem Kündigungsschutzgesetz ebenfalls zu berücksichtigen sind.

LAG Düsseldorf: Zeitarbeitnehmer sind bei Schwellenwerten einer Massenentlassung nicht mitzuzählen

Dies hat jüngst das LAG Düsseldorf mit einer überzeugenden Begründung im Sinne der herrschenden Meinung verneint (Urt. v. 08.09.2016 – 11 Sa 705/15).

Die Entscheidung des LAG Düsseldorf ist im Ergebnis richtig; der Begründung ist nichts mehr hinzuzufügen. Die 11. Kammer setzt sich differenziert mit den Erwägungen des BAG auseinander, die letztlich dazu geführt haben, dass die Zeitarbeitnehmer bei den genannten betriebsverfassungsrechtlichen Schwellenwerten nicht mitzuzählen sind.

Dabei sieht das LAG Düsseldorf, wie auch das BAG, dass es grundsätzlich einer am Sinn und Zweck der jeweiligen Norm ausgerichteten Auslegung bedarf. Nur so könne entschieden werden, ob es geboten ist Zeitarbeitnehmer bei dem entscheidungserheblichen Schwellenwert mitzuzählen. Eine undifferenzierte Betrachtung, nach der die Zeitarbeitnehmer immer mit zu berücksichtigen sind, verbietet sich. Dies hat das BAG immer wieder deutlich herausgestellt.

Schutzaspekte rechtfertigen das Mitzählen von Zeitarbeitnehmern nicht

Insbesondere unter Schutzaspekten ist es nicht erforderlich, Zeitarbeitnehmer im Rahmen der Schwellenwerte bei Massenentlassungen nach § 17 KSchG mitzuzählen. Diese stehen ausschließlich in einem Arbeitsverhältnis mit dem Personaldienstleister und sind von einer im Einsatzbetrieb durchgeführten Massenentlassung – zumindest unmittelbar – nicht betroffen.

Der Kunde verfügt schlichtweg nicht über die Berechtigung, das zwischen dem Zeitarbeitsunternehmen und dem Zeitarbeitnehmer bestehende Arbeitsverhältnis (betriebsbedingt) zu kündigen oder einen wirksamen Aufhebungsvertrag zu schließen.

Richtig ist zwar, dass gerade bei Massenentlassungen im Kundenbetrieb Zeitarbeitnehmer aus allgemeinen kündigungsschutzrechtlichen Erwägungen abgemeldet werden müssen, um die entsprechenden Arbeitsplätze für etwaig zu kündigende Stammbeschäftigte freizumachen (vgl. BAG v. 15.12.2011 – 2 AZR 42/10), es sei denn, die Zeitarbeitnehmer werden lediglich dazu eingesetzt, ein schwankendes, nicht ständig vorhandenes Arbeitsvolumen abzudecken.

Dies hat aber keine unmittelbaren Auswirkungen auf das weiterhin mit dem Personaldienstleister fortbestehende Arbeitsverhältnis. Dieser kann – sofern entsprechende Aufträge vorhanden sind – den Zeitarbeitnehmer bei einem anderen Kunden einsetzen. Sollte dies nicht möglich sein, kann das Zeitarbeitsunternehmen das Arbeitsverhältnis mit dem Zeitarbeitnehmer ebenfalls betriebsbedingt kündigen.

Sollten in diesem Zusammenhang die Arbeitsverhältnisse mit Zeitarbeitnehmern (betriebsbedingt) beendet und die Schwellenwerte des § 17 KSchG bei Massenentlassungen überschritten werden, ist das Konsultationsverfahren mit dem bei dem Personaldienstleister etwaig bestehenden Betriebsrat durchzuführen. Gerade auf diese Weise ist der Zeitarbeitnehmer hinreichend geschützt, so dass es der Berücksichtigung im Rahmen der Bestimmung der Schwellenwerte bei dem Kunden nicht mehr bedarf.

Mitzählen von Zeitarbeitnehmern bei Massenentlassungen kann zu Nachteilen für Stammmitarbeiter führen

Das gilt auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass ein Mitzählen von Zeitarbeitnehmern bei der Betriebsgröße des Kunden gegebenenfalls zu nachteiligen Folgen für die dort beschäftigten Stammbeschäftigten führen kann. Je größer die im betroffenen Betrieb beschäftigte Belegschaft, desto höher muss auch die Anzahl der von den Entlassungen erfassten Arbeitnehmer sein. Nur so können die Schwellenwerte und damit die Einbindung des dort gebildeten Betriebsrats in das gesetzlich vorgesehene Konsultationsverfahren erreicht werden.

Die Berücksichtigung von Zeitarbeitnehmern bei Massenentlassungen kann also dazu führen, dass die im Kundenbetrieb beschäftigten und von den Entlassungen betroffenen Stammbeschäftigten schutzlos gestellt werden. Denn das Verhältnis von Betriebsgröße (unter Berücksichtigung der Zeitarbeitnehmer) und der Anzahl der vom Kunden vorgesehenen Entlassungen wird dergestalt verschoben, dass ein Konsultationsverfahren in diesem Fall ggf. nicht mehr durchzuführen wäre.

Keine Änderung durch die Reform am 1. April 2017

Zeitarbeitnehmer sind bei den Schwellenwerten des § 17 KSchG im Rahmen von Massenentlassungen folglich nicht mitzuzählen. Dies gilt auch nach dem 1. April 2017. Denn § 11 Abs. 4 S. 2 AÜG n.F. bezieht sich ausdrücklich nur auf betriebsverfassungs-, nicht hingegen auf kündigungsschutzrechtliche Schwellenwerte.

Insoweit bleibt es bei den vom BAG inzwischen in ständiger Rechtsprechung vorgegebenen Kriterien der Auslegung, um bestimmen zu können, ob Zeitarbeitnehmer entsprechend mitzuzählen. Dass dies zumindest in Zusammenhang mit § 17 KSchG nicht geboten ist, hat das LAG Düsseldorf überzeugend begründet.

Dies gilt im Übrigen auch mit Blick auf die Auslegung von § 111 S. 3 BetrVG. Das BAG zieht zur Bestimmung, ob eine interessenausgleichs- und sozialplanpflichtige Betriebsänderung vorliegt, die Schwellenwerte des § 17 KSchG heran. Nach § 111 S. 3 Nr. 1 BetrVG gelten als Betriebsänderung im Sinne des § 111 S. 1 BetrVG die Einschränkung und Stilllegung des ganzen Betriebs oder wesentlicher Betriebsteile.

Auch ein bloßer Personalabbau ohne Verringerung der sächlichen Betriebsmittel kann eine Betriebseinschränkung sein, wenn eine größere Anzahl von Arbeitnehmern betroffen ist. Richtschnur dafür, wann erhebliche Teile der Belegschaft betroffen sind, sind die Zahlen und Prozentangaben in § 17 Abs. 1 KSchG (vgl. BAG v. 19.07.2012 – 2 AZR 352/11). Auch in diesem Zusammenhang ist insoweit kein betriebsverfassungsrechtlicher Schwellenwert betroffen. § 11 Abs. 4 S. 2 AÜG n.F. ist insoweit nicht einschlägig.

Unter Berücksichtigung von Schutzerwägungen im Übrigen ist ein Mitzählen von Zeitarbeitnehmern auch nicht geboten, da sich dies – wie bei der Anwendung von § 17 KSchG in „Reinform″ – zu Lasten der Stammbeschäftigten auswirken kann, wenn die Zahl der im Betrieb beschäftigten Mitarbeiter mit den Zeitarbeitnehmern dergestalt steigt, dass die Anzahl der geplanten Entlassungen nicht mehr ausreicht, um eine „Wesentlichkeit″ der Maßnahme zu begründen, die Voraussetzung für eine interessenausgleichs- und sozialplanpflichtige Betriebsänderung ist.

Rechtsunsicherheit bleibt bestehen

Das LAG Düsseldorf hat mit Blick auf die grundsätzliche Bedeutung der Frage, ob Zeitarbeitnehmer bei der regelmäßigen Beschäftigtenzahl des § 17 Abs. 1 S. 1 KSchG mitzuzählen sind, die Revision zugelassen (inzwischen eingelegt unter dem Az. 2 AZR 90/17). Da eine höchstrichterliche Klärung noch aussteht, besteht nach wie vor eine gewisse Rechtsunsicherheit, ob die Entscheidung des LAG Düsseldorf tatsächlich trägt.

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