12. Juli 2018
Kartellrecht Antitrust
Kartellrecht

Bring on the Antitrust Hipsters?

Werden Milliardenbußgelder verhängt oder Megafusionen untersagt, kann die Arbeit der Kartellbehörden im Einzelfall im Vordergrund stehen. Nun aber eine Debatte um die wettbewerbspolitischen Grundlagen des Kartellrechts: Sind die Googles und Facebooks noch kontrollierbar und was soll Kartellrecht eigentlich schützen?

Hipster machen die Großstädte weltweit nun schon seit einiger Zeit unsicher. Klischees über sie, ihren betont individualistischen Lebensstil und ihren Hang zur Retro-Nostalgie sind dabei so zahlreich wie sie selbst. Eines davon: Der Hipster ernährt sich bevorzugt von Avocado Toast. Genau dieser Avocado Toast taucht nun in einer der spannendsten wirtschaftspolitischen Debatten unserer Zeit auf, nämlich der, ob das Kartellrecht mit den Herausforderungen der digitalen Welt noch fertig wird. Aber der Reihe nach.

Kartellrecht: Schutz des Wettbewerbs

Kartellrecht dient dem Schutz des Wettbewerbs. Seine berühmte unsichtbare Hand lenkt die Märkte in freien Marktwirtschaften und führt dazu, dass Produzenten- und Konsumentenrente maximiert werden, also sowohl Anbieter als auch Nachfrager von Waren und Dienstleistungen profitieren.

Wird der freie Wettbewerb beschränkt, greifen die Kartellbehörden ein, und zwar teilweise spektakulär: Bereits gefeierte Merger werden untersagt oder mittels Auflagen zusammengestutzt, die Geldstrafen gegen Unternehmen, die Preisabstrafen treffen oder ihre Marktmacht missbrauchen, gehen in die Milliarden und im Beihilfenrecht fällt die EU konsequent Staaten in den Arm, die Großkonzernen Vorzugsbehandlungen zukommen lassen. Die obersten Kartellwächter wie die EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager oder der Präsident des Bundeskartellamts Andreas Mundt schaffen es regelmäßig auf die Titelseiten.

Allgemein gilt das Kartellrecht als Erfolgsstory. Oder galt es bis vor kurzem. Seitdem nämlich bei Vielen die Freude über die tollen Services und Produkte, die die Internet-Revolution gebracht hat, einem mehr oder weniger stark ausgeprägten Unbehagen über die Macht von Amazon, Facebook, Google und Microsoft gewichen ist, muss sich auch das Kartellrecht die Frage gefallen lassen, ob es in der Lage ist, die Tech-Giganten wettbewerblich im Zaum zu halten.

Nein sagen die Kritiker. Ihr Vorwurf: Die Kartellwächter lassen sich von den schnellen (scheinbaren) Vorteilen blenden, die die Megaunternehmen austeilen. Ignoriert würde sowohl, dass unkontrollierbare Machtgefüge entstehen, als auch die Kollateralschäden bei Wettbewerbern, Verbrauchern und Arbeitnehmern. Im Kern bezweifeln immer mehr Stimmen, ob das Kartellrecht noch die richtigen Ziele im Blick hat.

Im Zentrum der Diskussion: Die Konsumentenwohlfahrt

Und damit kommen wir zur Konsumentenwohlfahrt (consumer welfare). Diese gilt heute als der „Gold standard″ der Wettbewerbspolitik. In den Vereinigten Staaten, wo der Standard in den Siebziger Jahren entwickelt wurde, und vielen weiteren Ländern ausdrücklich; andere Staaten und auch die Europäische Union orientieren sich zumindest in der Praxis stark an diesem Leitbild.

Konsumentwohlfahrt ist die Differenz zwischen dem, was Konsumenten für ein bestimmtes Gut zu zahlen bereit gewesen wären, und dem was sie tatsächlich zahlen müssen (Also: Meine Zahlungsbereitschaft für ein erfrischendes Feierabendbier ist € 2,50, der Wirt verkauft es mir aber schon für € 2 – mein Wohlfahrtsgewinn beträgt € 0,50). Wenn ein Verhalten von Unternehmen dazu führt, dass die Konsumentenwohlfahrt steigt, ist es erwünscht und wird vom Kartellrecht akzeptiert. Beispiel: Eine Fusion oder Kooperation zwischen Unternehmen führt zu Effizienzgewinnen, die auch an die Verbraucher weitergegeben werden. Der Konsumentenwohlfahrtansatz ist damit stark ergebnisorientiert – und bevorzugt den Spatz niedriger Preise in der Hand des Verbrauchers gegenüber der Taube abstrakter Wettbewerbsziele auf dem Dach.

Genau hier setzt nun die Kritik einer Gruppe von – teils prominenten – Juristen, Ökonomen und Politikern an. Sie halten den Ansatz für zu kurzsichtig und bezweifeln, dass es dem Kartellrecht nur um die kurzfristige Optimierung von Effizienzen gehen sollte, unter Inkaufnahme von möglichen (mittelfristigen) Nachteilen für den Wettbewerb oder andere Stake Holder. Ihre Fragen: Eine kleine Gruppe von Unternehmen dominiert die Wirtschaft –sind das nicht wieder „The Bosses of the Senat“, auch wenn sie diesmal nicht Standard Oil oder Steel Beam sondern Facebook und Google heißen? Brauchen wir nicht mehr und stärkere regulatorische Eingriffe und müssen und nicht vielleicht sogar wieder die Trust Buster des frühen amerikanischen Kartellrechts ausrücken?

Innerhalb des Reformers-Lagers gibt es die verschiedensten Forderungen und Vorschläge. Gemäßigte Stimmen wünschen sich eine Überarbeitung des Konsumentenwohlfahrtansatzes, andere sehen das Post-Konsumentenwohlfahrt-Zeitalter gekommen und wollen zukünftig (wieder) nur den Wettbewerb selbst schützen, was sie in Richtung des Ordo-Liberalismus führt (der das deutsche Kartellrecht und – zunächst – auch das EU-Kartellrecht geprägt hat), wieder andere finden dass das Kartellrecht alternative oder zusätzliche Ziele berücksichtigen sollte. Einig sind die Reformer sich darin, dass sich das (US-amerikanische) Kartellrecht massiv in die falsche Richtung bewegt und dass dies an „einer extremen Auslegung und Fehlauslegung klassischer ökonomischer Theorie“ liege, die das Kartellrecht mittlerweile dominiere.

Brandeis und die Hipster

Da jedes Kind einen Namen auch braucht und sich Teile der Progressiven auf Louis Brandeis, Richter am Supreme Court der USA von 1916 – 1939 und entschlossenen Kämpfer gegen die Monopole, berufen, wird bei der Reformbewegung insgesamt häufig schon von der New Brandeis School oder zumindest einem New Brandeis Movement gesprochen. (Detail am Rande: Louis Brandeis gilt auch als Vater des „Right to Privacy“ im US-Recht. Und auch mit dem Datenschutz hat das Kartellrecht ja immer mehr Berührungspunkte).

Dieser Brandeis-Bewegung bläst allerdings kalter Wind entgegen. Und das fängt schon damit an, wie ihre Anhänger regelmäßig – despektierlich – vom konservativen Lager bezeichnet werden, nämlich als Antitrust-Hipster. Begründung: Die selbsterklärten Reformer verklären die Vergangenheit und kramen in der Mottenkiste der Kartellrechtsgeschichte Konzepte heraus, die in den siebziger Jahren völlig zu Recht verworfen wurden. Hipster eben.

Und hier kommt nun der Toast ins Spiel: Selbst Protagonisten, die den Reformgedanken anfänglich eher offen gegenüber standen, geht das Hipster Antitrust zu weit. Senator Orrin Hatch etwa, der „Original Antitrust Hipster“ erklärte im US-Senat zu einer möglichen Reform des Kartellrechts, dass er nichts dagegen habe, einmal Avocado-Toast zu probieren. Wenn es aber um das Mittagessen gehe, bliebe er bei Fleisch und Kartoffeln.

Hauptargument der Konservativen: Es mag Probleme bei der Anwendung des Kartellrechts und des Konsumentenwohlfahrt-Ansatzes geben und möglicherweise wird letzterer auch missbraucht – ein breiterer gefasster Standard mit größeren Eingriffsmöglichkeiten löst diese Probleme aber nicht. Hipster Antitrust sei nur planloser Aktionismus. Löse man sich von einem klar gefassten ökonomischen Standard und gebe stattdessen Behörden und Richtern eine Vielzahl von Kriterien in die Hand, die sie im Einzelfall anwenden mögen, führe dies zu Rechtsunsicherheit und begünstige die Befriedigung von Partikularinteressen („rent seeking“). Ein stumpfer „big is bad“ Ansatz dagegen wäre der Holzhammer mit dem auch wettbewerblich gewünschtes Verhalten unterbunden würde, zu, Schaden des Wettbewerbs und der Verbraucher. Hipster Antitrust ist hier ein Kampfbegriff.

Die Debatte zwischen beiden Lagern wird heftig geführt, nicht nur auf Konferenzen und in Fachveröffentlichungen sondern auch – ganz im neuen US-Stil – auf Twitter. Wer mitmachen oder zuschauen will: Mit dem Schlagwort „Hipster Antitrust“ taucht man bei dem Kurznachrichtendienst sofort in den Schlagabtausch ein.

EU: Bewährte Standards gründlich und zügig umsetzen

Und wie ausgeprägt ist der Appetit auf Avocado Toast in Europa? Nun, zunächst kommt den EU-Kartellrechtlern zugute, dass sich das europäische Wettbewerbsrecht nie ausdrücklich zum (reinen) Konsumentenwohlfahrtstandard bekannt hat (im deutschen Recht sieht man sich ohnehin in anderer Tradition). Auch wenn die Konsumentenwohlfahrt in der Praxis insbesondere der Europäischen Kommission eine wichtige Rolle spielt, kann man deshalb relativ entspannt über den großen Teich blicken und zuschauen, wie dort die Fetzen fliegen.

Als zu sehr auf Effizienzen fokussiert sieht sich das EU Kartellrecht nicht. Probleme bei der wettbewerblichen Kontrolle der neuen Giganten auf den digitalen Märkten und in der zunehmenden Konzentration erkennt man aber sehr wohl. Die Lösung für diese Probleme sehen die EU Wettbewerbshüter aber eher nicht in einer Änderung der Standards, sondern darin, die bewährten Standards „gründlich und zügig“ umzusetzen, auch wenn auf der anderen Seite ein Unternehmen mit großen Muskeln sitzt. In Verfahren gegen die Googles und Facebooks könnte die EU also personell aufrüsten, um auf Augenhöhe mit den Heerscharen von Anwälten und Ökonomen zu bleiben die die Tech-Giants aufbieten können. Darüber hinaus arbeiten der Chefökonom und sein Team an einem Fine Tuning der wettbewerblichen Prüfung von Fusion und werfen z.B. die Frage auf, ob die Betrachtung von Margen hier eine stärkere Rolle spielen sollte.

Ob mit oder ohne Hipster-Bart, ob Avocado Toast oder Fleisch und Kartoffeln, ob USA oder EU: Die Debatte hat gerade erst begonnen. Es bleibt spannend.

Sehen Sie auch das Video aus der Edge Reihe zum Thema „Big = Bad? Kann das Kartellrecht noch mit Tech Giants mithalten?„.

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Tags: Antitrust Kartellrecht Konsumentenwohlfahrt