12. Dezember 2012
Arbeitsrecht
Arbeitsrecht

Bumerangeffekt in der Zeitarbeit: Gewerkschaften der DGB-Tarifgemeinschaft (ebenfalls) nicht tariffähig?

Nachdem das Bundesarbeitsgericht (BAG) inzwischen festgestellt hat, dass die CGZP endgültig nicht tariffähig ist, und zahlreiche kleinere christliche Einzelgewerkschaften – zumindest erstinstanzlich – „angeschossen“ wurden (medsonet, BIGD und ALEB), steigt die Wahrscheinlichkeit, dass nunmehr auch die Tariffähigkeit/-zuständigkeit der Gewerkschaften der DGB-Tarifgemeinschaft Zeitarbeit einer gerichtlichen Prüfung zugeführt wird – im „worst case″ verbunden mit erheblichen finanziellen Belastungen für die gesamte Branche.

Dies ergibt sich aus einem erst jetzt veröffentlichten Beschluss des Landesarbeitsgerichts (LAG) Baden-Württemberg vom 20.03.2012 (Az. 22 Sa 71/11):

Der beklagte Personaldienstleister ist Mitglied des BZA. Im Arbeitsvertrag wird auf die zwischen dem BZA und der DGB-Tarifgemeinschaft Zeitarbeit abgeschlossenen Tarifverträge in der jeweils gültigen Fassung verwiesen. Der Zeitarbeitnehmer klagt nunmehr auf equal pay für die Jahre 2007 bis 2009 und verweist u.a. darauf, es sich um „Scheintarifverträge handelt, die auf das Diktat der Arbeitgeberseite zustande gekommen seien“. Die Gewerkschaften seien für die Zeitarbeitsbranche auch nicht tarifzuständig.

Das ArbG Freiburg hat die Klage noch abgewiesen, da die geltend gemachten Ansprüche bereits nicht schlüssig dargelegt worden seien (Urt. v. 02.11.2011 – 5 Ca 457/11). Diese Entscheidung wurde vom LAG Baden-Württemberg „kassiert“: Die 22. Kammer hat das Verfahren gem. § 97 Abs. 5 ArbGG bis zur rechtskräftigen Klärung der Frage der Tariffähigkeit/-zuständigkeit aller der DGB-Tarifgemeinschaft Zeitarbeit angehörenden Gewerkschaften ausgesetzt. Dies sei vorliegend zweifelhaft, da aus dem prozessualen Verhalten der Beklagten zu folgern sei, dass diese von einer Verbindlichkeit der arbeitsvertraglich in Bezug genommenen Tarifregelung und damit von der Tariffähigkeit der tarifschließenden Parteien zum Zeitpunkt des Abschlusses der für den streitgegenständlichen Zeitraum maßgeblichen Entgelttarifverträge ausgehe. Das habe der Kläger mit Substanz bestritten, so dass der Rechtsstreit ohne Antrag der Parteien von Amts wegen auszusetzen sei.

Die Frage der Tariffähigkeit/-zuständigkeit sei entscheidungserheblich; die Klage sei nicht bereits aus anderen Gründen abzuweisen. Insbesondere sei die verwendete Verweisungsklausel nicht intransparent: die zum Zeitpunkt der jeweiligen Anwendung geltenden, in Bezug genommenen Regelungen seien bestimmbar. Eine Sittenwidrigkeit der Tarifverträge sei ausgeschlossen; ein Scheintarifvertrag liege nicht vor. Der Kläger verkenne in diesem Zusammenhang, dass der Gesetzgeber in § 3 a AÜG – gerade im Hinblick auf die derzeit bestehenden Mindestlohntarifverträge, wie z.B. den hier streitgegenständlichen Tarifvertrag – zum Ausdruck gebracht habe, dass Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände, die zumindest auch für ihre jeweiligen in der Arbeitnehmerüberlassung tätigen Mitglieder zuständig seien, Lohnuntergrenzen für den gesamten Bereich der Zeitarbeit bundesweit tarifvertraglich vereinbaren und den BMAS zum Erlass einer entsprechenden Rechtsverordnung vorschlagen könnten (vgl. BT-Drucksache 17/5238, S. 14).

Das BAG muss sich nunmehr mit der Frage befassen, ob das Verfahren zu Recht ausgesetzt wurde. Eine entsprechende Rechtsbeschwerde ist bei 1. Senat anhängig (Az. 1 AZB 72/12). Sollte Erfurt die Notwendigkeit einer Aussetzung bestätigen, kann im Rahmen eines gesonderten Beschlussverfahrens nach § 97 Abs. 1 ArbGG über die Tariffähigkeit/-zuständigkeit der einzelnen an der DGB-Tarifgemeinschaft beteiligten Gewerkschaften für die Zeitarbeitsbranche entschieden werden. Sollte sich in diesem Zusammenhang herausstellen, dass entweder die Tariffähigkeit oder die Tarifzuständigkeit zu verneinen ist, können auch die von den Gewerkschaften abgeschlossenen Tarifverträge – vorbehaltlich natürlich eines Vertrauensschutzes – unwirksam sein. Der DGB und die dort organisierten Gewerkschaften wären sodann am Ziel: die Zeitarbeitnehmer könnten im besten Fall – unterstellt, dass insbesondere keine arbeitsvertraglichen Ausschlussfristen eingreifen – equal pay vom ersten Tag des Einsatzes geltend machen. Insoweit bleibt zunächst die weitere Entwicklung abzuwarten. Die Entscheidung das LAG Baden-Württemberg ist aber für die gesamte Branche zunächst beunruhigend. Es müssen nicht mehr nur diejenigen Personaldienstleister fürchten, auf equal pay in Anspruch genommen zu werden, die die Tarifverträge der CGZP und der ungeliebten christlichen Gewerkschaften anwendeten. Vielmehr können nun auch solche Zeitarbeitsunternehmen betroffen sein, die bislang die „seriösen“ Tarifwerke in Bezug genommen haben; auch solche Personaldienstleister, die inzwischen von den CGZP-Tarifverträgen umgestellt haben, könnten wieder betroffen sein – ein ggf. teurer Bumerang.

Interessant sind zudem die Ausführungen des Gerichts zur Wirksamkeit der Bezugnahmeklausel auf die (mehrgliedrigen) Tarifverträge der DGB-Tarifgemeinschaft Zeitarbeit. Wenn diese nicht intransparent ist, muss dies analog ebenfalls für eine arbeitsvertragliche Verweisung auf die von den CGB-Gewerkschaften abgeschlossenen Tarifverträge gelten – eine Ansicht, der sich aber zahlreiche Landesarbeitsgerichte in der jüngeren Vergangenheit gerade nicht angeschlossen haben (vgl. nur: LAG Schleswig-Holstein, Beschl. v. 04.10.2012 – 5 Sa 402/11).

Tags: ALEB Aussetzung BIGD BZA CGZP DGB-Tarifgemeinschaft equal pay medsonet Scheintarifvertrag Tariffähigkeit Tarifzuständigkeit Zeitarbeit