25. Oktober 2016
§ 476 BGB Beweislastumkehr
Commercial

Beweislastumkehr des § 476 BGB zu Gunsten der Verbraucher auszulegen

Die Beweislastumkehr nach EuGH und BGH kurz erklärt: Was jetzt beim Warenhandel an Verbraucher in den ersten 6 Monaten anders ist.

Der BGH hat kürzlich Vorgaben des EuGH im Hinblick auf die Beweislastvermutung des § 476 BGB umgesetzt (Urteil v. 12.10.2016 – VIII ZR 103/15). Dies hat Auswirkungen für Unternehmer und Verbraucher bei fast jedem Kauf.

Beide Urteile sind nicht ganz leicht zu verstehen. Was die Rechtsprechungsänderung in der Praxis bedeutet, erklären wir daher noch einmal mit einfachen Worten und Beispielen.

Hintergrund: Die Vermutung des § 476 BGB

Mit der Schuldrechtsreform im Jahre 2002 wurde mit § 476 BGB eine für den Verkauf von Waren an den Verbraucher sehr relevante Bestimmung zur Beweislast eingeführt.

Die Bestimmung unterstellt in einer bestimmten Weise für die ersten 6 Monate der Gewährleistung, dass ein Mangel von Anfang an vorlag. Dies ist deshalb wichtig, weil der Verbraucher nur dann Gewährleistungsrechte wie zum Beispiel die Lieferung von Ersatzware geltend machen kann, wenn der Mangel schon bei Gefahrübergang vorgelegen hat. Der Gefahrübergang ist dabei oft die Übergabe der Sache vom Verkäufer an den Käufer.

Nun ist mit der Sache zum Zeitpunkt der Übergabe aber für beide Seiten meist alles (scheinbar) in Ordnung: ein gekaufter Fernseher läuft zum Beispiel erst einmal einwandfrei. Erst später kommt es dann zu unerklärlichen Aussetzern beim Bild. Gäbe es die besagte Bestimmung nicht, müsste selbst der sorgfältigste Käufer auch wenige Wochen nach dem Kauf ohne Ausnahmen darlegen und ggf. beweisen, dass der Fernseher schon bei der Übergabe eine Art Veranlagung bzw. einen „Grundmangel″ dafür hatte, dass er später einen deutlichen Mangel gezeigt hat.

Alte Auslegung: Grundmangel war ggf. zu beweisen

Bis zu dem Urteil des EuGH hat der BGH die europarechtlich geprägte Vorschrift juristisch kompliziert so ausgelegt, dass der Käufer darlegen und ggf. beweisen muss, dass es eine tiefer liegende Veranlagung bzw. einen „Grundmangel″ gibt. Das Gericht hat dann, wenn dieser Nachweis vom Käufer erbracht war, in den ersten 6 Monaten (lediglich) vermutet, dass dieser Grundmangel schon von Anfang an existierte.

Dies war für den Verbraucher in der Regel ein kompliziertes Unterfangen und ohne Hilfe von Sachverständigen, die im Vergleich zu Alltagswaren oft viel Geld kosten, für ihn oft kaum zu bewältigen.

Neue Auslegung: Grundmangel darf nur nicht ausgeschlossen sein

Der EuGH hatte sich am 04. Juni 2015 (Rs. C‑497/13) zum ersten Mal mit der Frage zu beschäftigen, worauf sich die Vermutung genau bezieht.

Für den EuGH kommt es nicht darauf an, ob es eine Veranlagung bzw. einen „Grundmangel″ gab oder gibt. Dem EuGH genügt vielmehr, dass die Sache zum jetzigen Zeitpunkt mangelhaft ist und der Gefahrübergang weniger als 6 Monate zurückliegt. In diesem Fall sei zugunsten des Verbrauchers erst einmal grundsätzlich zu vermuten, dass die Ware schon bei Gefahrübergang mangelhaft war.

Das EuGH hat damit eine andere Auslegung zugrunde gelegt, die letztlich viel verbraucherfreundlicher ist, als die des BGH. Diese hat der BGH übernehmen müssen.

Eine Ausnahme kennt aber auch der EuGH, denn diese steht explizit in der Richtlinie: Die Vermutung greift nicht ein, wenn sie „mit der Art der Sache oder des Mangels unvereinbar″ ist.

Verkäufer muss unsachgemäße Nutzung beweisen

Für die veränderte Auslegung liefert das Urteil des BGH ein anschauliches Beispiel, wenn man den Sachverhalt etwas vereinfacht. Dort hatte das Gericht darüber zu befinden, ob der Kauf eines gebrauchten BMW rückabzuwickeln war.

Der BMW fuhr zunächst einwandfrei, nach wenigen Monaten schaltete die eingebaute Automatikschaltung in der Einstellung „D″ jedoch nicht mehr selbständig in den Leerlauf. Die Ursache war unklar. Möglich war, dass im Getriebe ein kleiner Vorschaden bestand, der sich intensiviert hatte, bis der Fehler auftrat. Denkbar war aber auch, dass der Käufer den Wagen unsachgemäß behandelt hatte.

Der Käufer musste in dem Verfahren nun nicht mehr wie früher eine Vorveranlagung bzw. einen Grundmangel beweisen, sondern der Verkäufer wäre entsprechend der neuen Auslegung des § 476 BGB in der Pflicht gewesen, eine unsachgemäße Handhabung zu beweisen. Da die wahre Sachlage im Prozess unklar blieb, kam es zu einer Entscheidung zu Lasten des Verkäufers.

Im Zweifel für den Verbraucher

Abstrakt und verkürzt bedeutet dies: Kann der Mangel nach seiner Art sowohl auf einer Vorveranlagung beruhen als auch durch unsachgemäße Benutzung zustande gekommen sein, so ist der Verkäufer jetzt grundsätzlich anstelle des Käufers in der Beweispflicht.

Auch heute ist in manchen Fällen jedoch anders zu entscheiden, nämlich dann, wenn die besagte Ausnahme eingreift: Ein Smartphone wird sich beispielsweise auch jetzt nicht ohne Aufwand für den Käufer in den ersten 6 Monaten umtauschen lassen, wenn das enorm belastbare Frontglas in einer Weise zersprungen ist, die für Sturzschäden typisch ist. Hier ist es mit der Art des Mangels in aller Regel unvereinbar, dass dieser auf einer irgendwie gearteten Vorveranlagung beruht und nicht durch einen Sturz nach Kauf zustande gekommen ist.

Tags: Beweislastumkehr § 476 BGB