2. August 2017
grenzüberschreitenden Verschmelzung Arbeitsrecht
Corporate / M&A Arbeitsrecht

Arbeitsrechtliche Aspekte der grenzüberschreitenden Verschmelzung

Grenzüberschreitende Verschmelzungen haben auch arbeitsrechtliche Konsequenzen. Was in arbeitsrechtlicher Hinsicht zu beachten gilt, erfahren Sie hier.

Im Rahmen dieser Serie haben wir grenzüberschreitende Verschmelzungen (die „Königsklasse des (internationalen) Umwandlungsrechts″) bereits aus gesellschaftsrechtlicher Sicht beleuchtet. Aber auch in arbeitsrechtlicher Hinsicht gibt es bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen einiges zu beachten, um das Projekt zum Erfolg zu führen. So sind bereits bei rein nationalen Sachverhalten, also der Verschmelzung von deutschen Unternehmen, arbeitsrechtliche Aspekte zu berücksichtigen. Bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen kommen noch weitere arbeitsrechtliche Aspekte hinzu.

Für grenzüberschreitende Verschmelzungen innerhalb der Europäischen Union (EU) bzw. dem Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) bestehen besondere Vorgaben, die wir Ihnen im Folgenden näher bringen wollen. Neben der Erfüllung umwandlungsrechtlicher Pflichten, wie den arbeitsrechtlichen Angaben in Verschmelzungsplan und Verschmelzungsbericht und der Information von Betriebsräten, gibt es weitere wichtige Aspekte. ob ein formelles Arbeitnehmerbeteiligungsverfahren vor Vollzug der grenzüberschreitenden Verschmelzung durchzuführen ist.

Sicherung der Mitbestimmung der Arbeitnehmer im Rahmen einer grenzüberschreitenden Verschmelzung

Ohne besondere Vorschriften könnte eine grenzüberschreitende Verschmelzung wegen der unterschiedlichen Ausgestaltung der Arbeitnehmermitbestimmung in den verschiedenen Staaten zu einem Verlust bestehender Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmer führen. Die Frage, ob in einem Unternehmen Arbeitnehmermitbestimmung besteht, also etwa Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat sitzen, ist grundsätzlich nach dem jeweils anwendbaren nationalen Recht zu beantworten.

Um den Umfang bestehender Arbeitnehmermitbestimmung zu sichern, gibt es für grenzüberschreitende Verschmelzungen von Unternehmen, deren Sitz in einem Mitgliedstaat der EU oder des EWR liegt, besondere europarechtliche Vorgaben. Ansonsten würde bspw. bei einer Verschmelzung einer mitbestimmten deutschen GmbH auf eine englische Limited ohne Arbeitnehmermitbestimmung die Mitbestimmung entfallen. Denn nach Vollzug der Verschmelzung fände grundsätzlich das englische Recht Anwendung, wonach keine Arbeitnehmermitbestimmung vorgesehen ist.

Grundidee der europarechtlichen Schutzvorschriften ist das bereits aus der Richtlinie über die Beteiligung der Arbeitnehmer in der europäischen Aktiengesellschaft (SE-Richtlinie, RL 2001/86/EG) bekannte „Vorher-Nachher-Prinzip″. Nach einer grenzüberschreitenden Verschmelzung soll grundsätzlich der zuvor bestehende Umfang der Arbeitnehmermitbestimmung erhalten bleiben. Dabei geht es nur um die Mitbestimmung auf Unternehmensebene (insb. im Aufsichtsrat), nicht aber um die betriebliche Mitbestimmung. Die europarechtlichen Vorgaben befanden sich bislang in der „Verschmelzungsrichtlinie″ (RL 2005/56/EG) und sind nunmehr in der Richtlinie über bestimmte Aspekte des Gesellschaftsrechts niedergelegt (RL 2017/1132/EG, dort Art. 133, seit dem 20. Juli 2017). Die Vorgaben wurden vom deutschen Gesetzgeber durch das Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei einer grenzüberschreitenden Verschmelzung (MgVG) umgesetzt.

Durchführung eines Arbeitnehmerbeteiligungsverfahrens nach dem MgVG nur bei Hereinverschmelzungen

Die erste wichtige „Weichenstellung″ ist, ob es sich um eine „Hereinverschmelzung″ (d. h. die übernehmende Gesellschaft hat ihren Sitz in Deutschland) oder um eine „Herausverschmelzung″ (d. h. die übernehmende Gesellschaft hat ihren Sitz im EU/EWR-Ausland) handelt. Denn das MgVG gilt grundsätzlich nur für Hereinverschmelzungen (mit Ausnahme weniger Vorschriften). Für Herausverschmelzungen innerhalb der EU oder des EWR gilt das jeweilige Umsetzungsgesetz am Sitz der ausländischen übernehmenden Gesellschaft.

Drei Anwendungsfälle des MgVG

Nicht bei jeder Hereinverschmelzung ist ein Arbeitnehmerbeteiligungsverfahren nach dem MgVG durchzuführen. Erforderlich ist, dass ein Anwendungsfall nach § 5 Nr. 1 bis Nr. 3 MgVG gegeben ist. Nach wohl herrschender Meinung stehen diese Fälle alternativ zueinander, sodass ein Arbeitnehmerbeteiligungsverfahren durchzuführen ist, sobald einer der Tatbestände gegeben ist.

  • Erstens ist dies der Fall, wenn zumindest eine der beteiligten Gesellschaften in den sechs Monaten vor Veröffentlichung des Verschmelzungsplans mindestens 500 Arbeitnehmer beschäftigt und dort ein System der Arbeitnehmermitbestimmung besteht (insb. Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat, § 5 Nr. 1 MgVG).
  • Zweitens ist das MgVG anzuwenden, wenn das für eine deutsche übernehmende Gesellschaft maßgebliche deutsche Recht nicht mindestens den gleichen Mitbestimmungsumfang für die Arbeitnehmer aufweist, wie er jeweils vor der grenzüberschreitenden Verschmelzung in den beteiligten Gesellschaften bestand (§ 5 Nr. 2 MgVG). Dies wäre beispielsweise der Fall, wenn eine mitbestimmte österreichische Aktiengesellschaft mit weniger als 500 Arbeitnehmern auf eine nicht mitbestimmte deutsche GmbH verschmolzen wird.
  • Drittens ist das MgVG anzuwenden, wenn das deutsche Recht für Arbeitnehmer der deutschen übernehmenden Gesellschaft in ausländischen Betrieben nicht die gleichen Mitbestimmungsrechte vorsieht, wie sie zugunsten der in Betrieben in Deutschland beschäftigten Arbeitnehmer bestehen (§ 5 Nr. 3 MgVG). Dies ist beispielsweise der Fall, wenn eine mitbestimmte österreichische Gesellschaft mit mehr als 500 Arbeitnehmer auf eine dem Drittelbeteiligungsgesetz (DrittelbG) unterliegende deutsche GmbH verschmolzen wird. Da das DrittelbG nur in Deutschland tätigen Arbeitnehmern das aktive und passive Wahlrecht einräumt (dies wurde vom EuGH kürzlich bestätigt), würden die in Österreich tätigen Arbeitnehmer ihre Mitbestimmungsrechte verlieren.

Bildung eines besonderen Verhandlungsgremiums bei der grenzüberschreitenden Verschmelzung

Ist das MgVG anzuwenden, sind die Leitungen – insbesondere Geschäftsführung und Vorstand – der an der Verschmelzung beteiligten Gesellschaften verpflichtet, die Arbeitnehmer oder ihre Vertretungen zu informieren. Zudem sind sie zur Bildung eines besonderen Verhandlungsgremiums (BVG) aufzufordern (§ 6 MgVG). Das BVG soll dann mit den Leitungen eine Vereinbarung über die Arbeitnehmermitbestimmung für die übernehmende Gesellschaft vereinbaren.

Das BVG setzt sich aus Vertretern jedes Mitgliedsstaats zusammen, in dem die beteiligten Gesellschaften oder deren Tochtergesellschaften Arbeitnehmer beschäftigen. Jedem Mitgliedstaat ist zumindest ein Sitz zugewiesen. Die Anzahl der Sitze im BVG für einen Mitgliedstaat erhöht sich für jeden Beschäftigtenanteil, der 10 % der Gesamtzahl der in allen Mitgliedstaaten beschäftigten Arbeitnehmer übersteigt. Werden bei einer grenzüberschreitenden Verschmelzung zum Beispiel 34,8 % der Arbeitnehmer der an der Verschmelzung beteiligten Gesellschaften und Tochtergesellschaften in Deutschland beschäftigt, bestehen in dem BVG 4 Sitze für deutsche Vertreter. Mindestens besteht das BVG aus elf Mitgliedern.

Die Wahl oder die Bestellung der BVG-Mitglieder erfolgt in jedem Land nach den nationalen Vorschriften. Deutsche BVG-Mitglieder werden von einem Wahlgremium gewählt, das sich grundsätzlich aus Mitgliedern der Arbeitnehmervertretung zusammensetzt, die am nächsten an der Leitung in Deutschland „dran″ sind. Dementsprechend bildet bei Existenz eines Konzernbetriebsrats dieser das Wahlgremium, ansonsten der Gesamtbetriebsrat oder die (örtlichen) Betriebsräte (vgl. § 10 MgVG).

Die Vorschriften über das Wahlverfahren gelten für die Wahl der deutschen BVG-Mitglieder auch bei Herausverschmelzungen. Die gesamte Wahl bzw. Bestellung der BVG-Mitglieder soll innerhalb von zehn Wochen nach der Information durch die Leitungen erfolgen. Da diese Zehn-Wochen-Frist nicht abgekürzt werden kann, ist sie bereits bei der Erstellung der zeitlichen Planung für eine grenzüberschreitende Verschmelzung zu berücksichtigen.

Verhandlungen mit dem BVG über die künftige Mitbestimmung der Arbeitnehmer im Unternehmen nach der grenzüberschreitenden Verschmelzung

Nach der Wahl oder Bestellung der BVG-Mitglieder sind zwischen dem BVG und den Leitungen der Unternehmen Verhandlungen über die Ausgestaltung der Mitbestimmung der Arbeitnehmer in der übernehmenden Gesellschaft zu führen. Für diese Verhandlungen ist gesetzlich eine Maximaldauer von sechs Monaten vorgesehen. Diese kann wiederum von den Leitungen der Unternehmen und dem BVG einvernehmlich auf ein Jahr verlängert werden (§ 21 MgVG).

Abschluss der Verhandlungen mit verschiedenen Ergebnissen möglich

Die Verhandlungen können mit folgenden Ergebnissen enden:

  • Abschluss einer Beteiligungsvereinbarung: In diesem Fall richtet sich die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in der übernehmenden Gesellschaft künftig nach dieser Vereinbarung (§ 22 MgVG).
  • Ablauf der Verhandlungsfrist ohne Einigung: In diesem Fall greift die sogenannte „Auffanglösung″ ein. Der Anteil der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat der übernehmenden Gesellschaft richtet sich grundsätzlich nach dem (zahlenmäßig) höchsten Anteil in den an der Verschmelzung beteiligten Gesellschaften (§ 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 MgVG).
  • Beschluss des BVG, keine Verhandlung aufzunehmen oder bereits begonnene Verhandlungen abzurechen: Dann gelten die hinsichtlich der Mitbestimmung der Arbeitnehmer die Vorschriften des Landes, in dem die übernehmende Gesellschaft ihren Sitz hat (§ 18 MgVG). Ist die übernehmende Gesellschaft zum Beispiel eine GmbH mit Sitz in Deutschland und beschäftigt mehr als 2.000 Arbeitnehmer greift das Mitbestimmungsgesetz.
  • Absehen von Verhandlungen durch die Leitungen: Dann gilt grundsätzlich die gesetzliche Auffanglösung (§ 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 MgVG).

Bereits bei der Planung eines solchen Projekts ist zu berücksichtigen, ob ein Arbeitnehmerbeteiligungsverfahren nach dem MgVG (oder bei Herausverschmelzungen nach dem entsprechenden Gesetz eines anderen EU/EWR-Staates) durchzuführen ist. Ein solches Verfahren kann – wenn keine Seite die Verhandlungen abbricht – rund 9 Monate dauern; 10 Wochen für Wahl des BVG plus die 6 Monate gesetzliche Verhandlungsdauer.

Bei Hereinverschmelzungen prüft das Registergericht vor der Eintragung der grenzüberschreitenden Verschmelzung, ob eine Vereinbarung über die Beteiligung der Arbeitnehmer abgeschlossen wurde und ob das Verfahren nach dem MgVG – sofern ein solches erforderlich war – durchgeführt wurde.

Andere umwandlungsrechtliche Pflichten bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen

Aus dem Umwandlungsrecht ergeben sich bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen etwas andere arbeitsrechtliche Aspekte als bei rein nationalen Sachverhalten. Im Verschmelzungsplan sind nach dem Gesetz Angaben zu den voraussichtlichen Auswirkungen der Verschmelzung auf die Beschäftigung zu machen (§ 122c Abs. 2 Nr. 4 UmwG). Zusätzlich sind auch Angaben zum Verfahren zur Festlegung der Arbeitnehmermitbestimmung zu machen (§ 122c Abs. 2 Nr. 10 UmwG). Der Verschmelzungsplan ist – anders bei rein nationalen Sachverhalten – bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen nicht dem Betriebsrat zuzuleiten.

Im Verschmelzungsbericht sind die Auswirkungen der grenzüberschreitenden Verschmelzung auf die Arbeitnehmer der an der Verschmelzung beteiligten Gesellschaften zu erläutern (§ 122e S. 1 UmwG). Der Verschmelzungsbericht ist dem zuständigen Betriebsrat (oder den Arbeitnehmern, wenn kein Betriebsrat besteht) der beteiligten deutschen Gesellschaft zugänglich zu machen. Dazu reicht es aus, dass dieser in den Geschäftsräumen ausgelegt wird. Die Auslegung muss allerdings spätestens einen Monat vor der Versammlung der Anteilsinhaber, die über die Zustimmung zum Verschmelzungsplan beschließen soll, erfolgen. Der Betriebsrat kann auf die Einhaltung dieser Monatsfrist verzichten.

Weitere arbeitsrechtliche Aspekte bei der grenzüberschreitenden Verschmelzung

Wie bei rein nationalen Sachverhalten können sich auch anlässlich von grenzüberschreitenden Verschmelzungen weitere arbeitsrechtliche Aspekte ergeben. Kommt es im Zuge der grenzüberschreitenden Verschmelzung in Deutschland zu einer Betriebsänderung, sind die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats nach §§ 111 ff. BetrVG zu beachten (Interessenausgleich und Sozialplan). Es können auch Informationsrechte des Wirtschaftsausschusses bestehen, sofern im Unternehmen ein solches Gremium existiert, § 106 BetrVG.

Kommt es beispielsweise bei der Herausverschmelzung zu einem Betriebsübergang in Deutschland, sind die betroffenen Arbeitnehmer über den Übergang ihrer Arbeitsverhältnisse mit allen Rechten und Pflichten auf die übernehmende Gesellschaft zu informieren (§ 613a BGB). Findet ein Betriebsübergang im Ausland statt (etwa bei einer Hereinverschmelzung auf eine deutsche Gesellschaft), ist gegebenenfalls eine ausländische Umsetzungsvorschrift der Betriebsübergangsrichtlinie anzuwenden.

Rechtzeitige Planung wichtig

Bereits bei der Planung einer grenzüberschreitenden Verschmelzung sollten arbeitsrechtliche Aspekte berücksichtigt werden. Insbesondere wenn ein Arbeitnehmerbeteiligungsverfahren nach dem MgVG oder einer entsprechenden ausländischen Vorschrift durchzuführen sein sollte, hat dies erhebliche Auswirkungen auf den Zeitplan. Daher ist von Anfang an ein enger Austausch zwischen gesellschaftsrechtlichen und arbeitsrechtlichen Projektbeteiligten erforderlich.

Unsere Beitragsreihe stellt wichtige Aspekte rund um das Umwandlungsrecht nach dem UmwG vor. Hier zeigen wir die Möglichkeiten einer Unternehmensumstrukturierung auf, stellen einzelne Aspekte heraus, schildern Herausforderungen und skizzieren die ein oder andere Lösungsidee. Bisher erschienen ist ein Überblick über die umwandlungsrechtliche Verschmelzung, ein Beitrag zum Verschmelzungsvertrag sowie zum Formwechsel. Weiter haben wir die Möglichkeiten im Rahmen einer Unternehmensspaltung, die partielle Gesamtrechtsnachfolge sowie den Ablauf einer Spaltung erläutert. Zuletzt sind wir auf die Schlussbilanz, die Besteuerung von Umwandlungen und die arbeitsrechtlichen Besonderheiten bei Umwandlungen sowie die grenzüberschreitende Verschmelzung aus gesellschaftsrechtlicher Sicht eingegangen.

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