7. Dezember 2010
Das M konnte Sondermann gut sehen, das A schien verschwunden
Patentrecht & Gebrauchsmusterrecht

Das EU-Patent spricht kein Esperanto

Seit Jahren wird um die Schaffung eines Europäischen Patents gerungen. Nun zeichnet sich ab, dass die Verhandlungen über einen EU-weite Rechtsrahmen für Patentanmeldungen vorerst gescheitert sind. Das Problem dabei: Es geht nicht um Inhalte, sondern darum, in welchen Sprachen ein Patent veröffentlicht werden soll. Da auch Esperanto keine Option sein dürfte, steht das EU-Patent insgesamt auf dem Spiel.

Einige Mitgliedstaaten haben als Ausweg deshalb jetzt die nach dem Vertrag von Lissabon mögliche „verstärkte Zusammenarbeit“ ins Spiel gebracht. Die belgische Ratspräsidentschaft wird das Thema auf die Tagesordnung des Wettbewerbsfähigkeits-Rates am kommenden Freitag setzen. Falls bis dahin mindestens neun Mitgliedstaaten einen Antrag auf die verstärkte Zusammenarbeit an die Kommission gestellt haben, könnte ein solches Verfahren noch im Dezember 2010 eingeleitet werden.

Seit Jahren verfolgt die EU-Kommission das Ziel, durch ein einheitliches Gemeinschaftspatent den Patentschutz in Europa zu verbessern und die gemeinschaftsweite Anmeldung von Patenten zu erleichtern. Schon im Jahr 2000 regte die Kommission die Schaffung einer Verordnung über ein einheitliches EU-Patent an. Sämtliche Initiativen für ein Gemeinschaftspatent sind jedoch bislang gescheitert.

Über den Verordnungsvorschlag von 2000 zum EU-Patent konnte schließlich im Dezember 2009 Einigkeit erzielt werden. Weil der Vertrag von Lissabon für die Sprachenregelung jetzt Einstimmigkeit verlangt (Art. 118 Abs. 2 AEUV), wurde dieses Thema aus der Verordnung ausgeklammert. Und es wurde beschlossen, dass die Verordnung über das europäische Patent zusammen mit der Verabschiedung des Verordnungsvorschlags zur Übersetzungsregelung für das EU-Patent in Kraft treten soll. Darüber hinaus einigte sich der Rat auf die wichtigsten Schritte zur Schaffung einer einheitlichen europäischen Patentgerichtsbarkeit.

Inzwischen ist die baldige Schaffung eines EU-Patents auszuschließen. Im Hinblick auf das Patentgerichtssystem hatte der Rat im Juni 2009 beim EuGH ein Gutachten zur Vereinbarkeit des Entwurfs für das Patentübereinkommens mit den EU-Verträgen beantragt, das in den nächsten Wochen erwartet wird. Es gibt Anzeichen dafür, dass der EuGH diesen Entwurf womöglich unvereinbar mit den EU-Verträgen erklären wird, u.a. weil nach dem Entwurf Verhandlungen künftig nur noch auf Deutsch, Englisch und Französisch geführt werden können.

In Bezug auf die für das ganze Vorhaben zentralen Übersetzungsregelung konnte wegen der ablehnenden Haltung Spaniens und Italiens keine Einigung erzielt  werden. Der Vorschlag der Kommission vom 30. Juni 2010 sieht vor dass das im Europäischen Patentübereinkommen geregelte Drei-Sprachen-Regime (Deutsch, Englisch, Französisch) auch für das neue EU-Patent gelten soll. In den übrigen Amtssprachen sollen nur automatisierte und nicht rechtsverbindliche Maschinenübersetzungen verfügbar sein, die nur zu Informationszwecken dienen.

Auf der Tagung des informellen Wettbewerbsfähigkeitsrates am 10. November 2010 hat die belgische Ratspräsidentschaft Kompromissvorschläge vorgestellt, die dem Vernehmen nach eine breite Unterstützung fanden, jedoch nicht die erforderliche Einstimmigkeit erreicht haben. Nach diesen Vorschlägen müssten Antragssteller für eine Übergangszeit stets eine englische Übersetzung vorlegen, solange automatisierte Übersetzungen noch nicht in der erforderlichen Qualität gewährleistet werden können. Spanien, Italien und Polen hatten auch die Kompromissvorschläge abgelehnt und die manuelle Übersetzung ins Englische und deren Rechtsverbindlichkeit als dauerhaftes Erfordernis verlangt. Es sieht nun so aus, als seien Verhandlungen im November  an einer Einigung über die Dauer der Übergangszeiten für die englische Übersetzung gescheitert. Insbesondere Spanien ist wohl bei seiner ablehnenden Haltung geblieben.

Die nach Art. 118 Abs. 2 AEUV für die Sprachenregelung notwendige Einstimmigkeit zum EU-Patent wird innerhalb  eines vertretbaren Zeitraums angesichts dieser festgefahrenen Situation kaum mehr zu erreichen sei. Ein Ausweg aus dieser Sackgasse könnte jetzt das Verfahren der „verstärkten Zusammenarbeit“ nach Art. 20 EUV sein. Die verstärkte Zusammenarbeit erlaubt als ultima ratio einen Prozess der abgestuften Integration auf europäischer Ebene, wenn die angestrebten Ziele in den allgemeinen Verfahren nicht oder nicht in vertretbarer Zeit erreicht werden können. Es gibt wohl Anhaltspunkte dafür, dass die Kommission diesen Weg hier für grundsätzlich zulässig hält.

Für eine verstärkte Zusammenarbeit müssen  gem. Art. 20 EUV mindestens neun Mitgliedstaaten einen Antrag stellen. Die breite Einigkeit bei den letzten Verhandlungen und die große Zustimmung zu den Kompromissvorschlägen der belgischen Ratspräsidentschaft sprechen dafür, dass das erforderliche Quorum von neun Mitgliedstaaten zustande kommt. Jetzt dürfte es vor allem  darum gehen, wie Frankreich und Deutschland sich positionieren. Insbesondere die kleineren Mitgliedstaaten werden womöglich zögern, hier den ersten Schritt zu gehen. Im Lichte der bisherigen Position Deutschlands in der Debatte um das EU-Patent ist zu erwarten, dass Deutschland einer Fortsetzung der Bemühungen über das Verfahren einer verstärkten Zusammenarbeit unterstützen wird. Italien, Polen und Spanien lehnen derzeit auch den Weg über die verstärkte Zusammenarbeit ab.

Wenn die EU-Kommission aufgrund eines Antrag über eine verstärkte Zusammenarbeit einen neuen Vorschlag vorlegt, muss der Rat mit qualifizierter Mehrheit die Ermächtigung zur verstärkten Zusammenarbeit erteilen (Art. 329 AEUV); außerdem ist die Zustimmung des Europäischen Parlaments erforderlich. Da das Europäische Parlament sich in der Vergangenheit stets für ein europäisches Patent stark gemacht hat, dürfte diese Zustimmung sehr wahrscheinlich sein.  Es liegt nahe, dass die Kommission sich bei ihrem neuen Vorschlag an den bisherigen Kompromisslinien orientieren würde und insbesondere die vorliegenden Kompromissvorschläge über die zwingende, aber nicht rechtsverbindliche Übersetzung in englischer Sprache aufgreift. Wenn die Verordnung auf diesem Wege zustande kommt, würde sie nur die teilnehmenden Mitgliedstaaten binden (Art. 20 Abs. 4 EUV).

Die Zeit drängt. Nach Belgien werden Ungarn und Polen die Ratspräsidentschaft übernehmen. Beide Länder stehen dem EU-Patent kritisch bis ablehnend gegenüber. Es ist aus heutiger Sicht deshalb unwahrscheinlich, dass diese Länder hier ein besonderes Engagement entfalten werden.

UPDATE 10.12.2010:

Inzwischen ist bekannt geworden, dass der Weg der „verstärkten Zusammenarbeit″ nun tatsächlich eingeschlagen werden soll. Deutschland als größtes Patentland Europas will zusammen mit zehn anderen Mitgliedstaaten voranschreiten und hat bei der EU-Kommission inzwischen beantragt, eine verstärkte Zusammenarbeit einzuleiten. Die Länder, die diesen Weg jetzt gehen, hoffen, dass sich weitere Staaten ihrer Initiative für das gemeinsame EU-Patent anschließen.

Neben Deutschland sind Großbritannien, Frankreich, die Niederlande, Luxemburg, Schweden, Finnland, Dänemark, Litauen, Estland und Slowenien in der Gruppe, die ab Beginn des kommenden Jahres über das EU-Patent und dessen Sprachenregime abschließend verhandeln wird.

Die Bundesjustizministerin, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, hat begrüßt, dass über den Weg der verstärkten Zusammenarbeit jetzt erstmals eine echte Chance für die zeitnahe Realisierung des Gemeinschaftspatents besteht – wenn auch nicht in allen Mitgliedstaaten. Mit der Initiative zur verstärkten Zusammenarbeit sei, so die Ministerin, ein erster Schritt auf dem Wege zu einem gemeinsamen und wirksamen Patentschutzsystem in Europa getan – diesem müssten jetzt allerdings noch weitere wichtige Schritte – etwa die Einführung einer europäischen Patentgerichtsbarkeit – folgen.

 

Tags: EU-Patent Gemeinschaftspatent Sprachenregelung verstärkte Zusammenarbeit Vertrag von Lissabon