21. Juni 2013
EuGH
Europarecht International Kartellrecht

Auch (Kartellrechts-) Irrtum schützt vor Strafe nicht

Nach einer Entscheidung des EuGH von Anfang dieser Woche kann die Europäische Kommission auch dann eine Geldbuße gegen ein Unternehmen verhängen, wenn das Unternehmen auf eine Entscheidung seiner nationalen Wettbewerbsbehörde vertraut hat, die sein Verhalten als nicht wettbewerbswidrig eingestuft hat.

Nationales versus europäisches Recht

Die Mitglieder eines österreichischen Spediteurs- und Logistikdienstleisterverbands erlebten im Jahr 2007 eine unerfreuliche Überraschung: Die Europäische Kommission gab bekannt, dass sie Grund zu der Annahme habe, die betreffenden Unternehmen hätten wettbewerbsbeschränkende Geschäftspraktiken im Sinne des Unionsrechts vorgenommen.

Dies geschah trotz der Tatsache, dass das österreichische Kartellgericht im Jahr 1996 entschieden hatte, dass der fragliche Verband ein Bagatellkartell im Sinne des österreichischen Kartellrechts und daher nicht verboten sei. Das Oberlandesgericht Wien vertrat daher die Auffassung, dass gegen die fraglichen Unternehmen kein Verschuldensvorwurf zu erheben sei. Sie hätten sich ja auf den oben genannten Beschluss des österreichischen Kartellgerichts gestützt.

Der EuGH hat nun im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens eine entgegengesetzte und für die Unternehmen sicher unliebsame Entscheidung getroffen. Er hat zunächst allgemein darauf hingewiesen, dass der Irrtum eines Unternehmens über die Rechtmäßigkeit seines Verhaltens nur in Ausnahmefällen die Auferlegung einer Geldbuße hindert. So könne sich niemand auf den Grundsatz des Vertrauensschutzes berufen, dem die zuständige Verwaltung keine präzisen Zusicherungen gegeben hat.

Aber auch dies half den betroffenen Unternehmen im vorliegenden Fall nicht weiter. Der EuGH hat nämlich weiter ausgeführt, dass die nationalen Wettbewerbsbehörden gar nicht befugt sind, eine Entscheidung über das Fehlen eines Verstoßes gegen Unionsrecht festzustellen. Daher könne bei den Unternehmen auch gar kein berechtigtes Vertrauen darauf begründet werden, dass ihr Verhalten nicht gegen die europäischen Wettbewerbsregeln verstoße. Im Übrigen hätte im vorliegenden Fall die nationale Wettbewerbsbehörde das Verhalten der Unternehmen auch allein nach nationalem Wettbewerbsrecht geprüft.

Bonus für Kronzeugen?

Einen gewissen Trost für eines der beteiligten Unternehmen, das einen Kronzeugenantrag gestellt hatte, dürfte jedoch eine weitere Klarstellung des EuGHs im Rahmen des Vorabentscheidungsverfahrens darstellen. Demnach sind die nationalen Wettbewerbsbehörden – zumindest in Ausnahmefällen – berechtigt, die Feststellung einer Zuwiderhandlung gegen die europäischen Wettbewerbsregeln auch ohne Verhängung einer Geldbuße zu treffen.

Das Unionsrecht sehe dies zwar nicht ausdrücklich vor, schließe es aber auch nicht aus. Dies sei aber auf ganz besondere Umstände beschränkt. Diese seien beispielsweise dann gegeben, wenn das betroffene Unternehmen durch seine Zusammenarbeit die Aufgabe der Kommission erleichtert habe und diese Zusammenarbeit für die Aufdeckung und wirksame Ahndung des Kartells von entscheidender Bedeutung war.

Kritik

Befürworter des Urteils haben darauf hingewiesen, dass es für die betroffenen Unternehmen hätte ersichtlich sein müssen, dass die Reichweise des Beschlusses der nationalen österreichischen Wettbewerbsbehörde auf das österreichische Kartellrecht beschränkt war und keine Aussage über die Zulässigkeit nach Unionsrecht beinhaltete.

In der Praxis wird es für Unternehmen aber wohl schwierig sein, die genaue Reichweite von Entscheidungen einer nationalen Behörde oder eines Gerichts so präzise zu beurteilen. Den Unternehmen kann hier also nur angeraten werden, besondere Vorsicht walten zu lassen und kritisch zu hinterfragen, ob sie kartellrechtlich relevante Sachverhalte auch wirklich unter allen in Frage kommenden Gesichtspunkten beleuchtet haben.

Zu diesem Fall gibt es bei Juve weitere Informationen insbesondere zu den beteiligten Unternehmen und Kanzleien.

Tags: Bagatellkartell Entscheidungskompetenz EuGH Vertrauensschutz wettbewerbsbeschränkende Geschäftspraktiken