20. Juni 2016
Brexit Europe
Brexit Corporate / M&A International

Ein Überblick zur Brexit-Debatte

Großbritannien debattiert über den Brexit. Wir zeigen auf, wie ein Austritt aussehen kann, was er bedeuten würde und welche Auswirkungen wahrscheinlich sind.

In einigen Tagen werden wir wissen, ob die Briten in der EU bleiben oder sich dazu entschieden haben, „die Kontrolle zurückzuerobern″, den Anker zu lichten und in Richtung Mittelatlantik fortzusegeln. Ob die Briten dort Reichtum und Zufriedenheit finden werden oder ob ihre Wirtschaft von den vier Reitern der Apokalypse verwüstet wird, wie von der jeweils anderen Seite der jetzigen Debatte prognostiziert, wird die Zeit zeigen.

Aufgrund von Meinungsumfragen, die in der letzten Woche durchweg eine klare Mehrheit für einen Austritt aus der EU prognostiziert haben, ist jedoch jetzt die Zeit gekommen, die rechtlichen Konsequenzen einer Brexit-Abstimmung näher zu beleuchten.

Wie lange würde der Brexit dauern?

Gemäß Artikel 50 des Vertrags von Lissabon müssen die Verhandlungen über einen Austritt innerhalb von zwei Jahren abgeschlossen werden. Andernfalls finden die Verträge auf den betroffenen Staat keine Anwendung mehr. Eine Verlängerung ist nur möglich wenn der Europäische Rat im Einvernehmen mit dem betroffenen Mitgliedstaat einstimmig beschließt, diese Frist zu verlängern.

Die Zweijahresfrist läuft aber erst, nachdem Großbritannien dem Europäischen Rat seine Absicht aus der Union auszutreten mitgeteilt hat. Einige Politiker der Kampagne „Vote Leave″, der auch Boris Johnson und Michael Gove angehören, haben vorgeschlagen, diese Mitteilung nicht sofort abzugeben.

Die Frage ist nicht nur, wann Großbritannien seine Absicht aus der Union auszutreten dem Europäischen Rat mitteilt, sondern ob überhaupt eine solche Mitteilung gemäß Artikel 50 erfolgt. Die Befürworter eines Austritts schlagen vor, dass Großbritannien vorab in einem informellen Prozess die Hauptbedingungen und Zeitspanne für einen Austritt mit der EU verhandelt. Diese Verhandlungen sollen außerhalb des geplanten Austrittsprozesses stattfinden. Auch die Formalisierung eines GB/EU-Abkommens könnte außerhalb der rechtlichen Rahmenbedingungen von Artikel 50 stattfinden.

Ein Vorschlag ist, vorab über eine zeitliche Verlängerung zu verhandeln. Die Brexit-Anhänger wollen sicherstellen, dass die Verträge nicht nach Ablauf von zwei Jahren keine Anwendung mehr finden, bevor die Verhandlungen über ein neues Abkommen abgeschlossen sind.

Ein Austritt wird sicherlich kompliziert werden: Dies zeigt sich am Beispiel von Grönland, dem einzigen Staat, der bisher aus der EU (damals noch EG) ausgetreten ist. Obwohl Grönland nur ungefähr 60.000 Einwohner und nur einen einzigen Industriezweig hat, nämlich die Fischerei, haben die Austrittsverhandlungen drei Jahre in Anspruch genommen und dies zu einem Zeitpunkt, als die EU noch nicht so weit entwickelt war wie heute.

Wie würde der Austritt aussehen?

Erstaunlicherweise gibt es keine klare Position auf der Seite der Befürworter eines Austritts, wie man sich das Verhältnis zwischen Großbritannien und dem Rest der EU vorstellt.

Die Entscheidung, wie ein Austritt gestaltet wird, wäre dann von einer neuen britischen Regierung unter der möglichen Führung von Boris Johnson, mit Michael Gove in einer führenden Position, zu treffen.

Bleibt Großbritannien im EU-Binnenmarkt?

Auf diese Frage gibt es keine klare Antwort, da alles von dem Gesamtergebnis der Verhandlungen zwischen Großbritannien und der EU abhängen wird. Großbritannien will weiterhin Zugriff auf den EU-Binnenmarkt haben und, wenn möglich, zu ähnlichen Bedingungen wie Norwegen oder die Schweiz. Hinzu kommen die beiden Hauptthemen dieser Abstimmungsdebatte, nämlich Kontrolle über Migration und Großbritanniens EU-Beitrag.

Ersteres ist das Thema, das in den letzten Tagen die Meinungsumfragen erheblich beeinflusst hat. Eine Abstimmung für den Brexit wäre eine Abstimmung für die Wiedereinführung von Arbeitserlaubnissen für alle nicht britischen Staatsbürger und ein Ende des freien Personenverkehrs zwischen Großbritannien und der EU. Allen EU-Bürgern, die bereits in Großbritannien arbeiten und wohnen, wird ein uneingeschränktes Recht auf Verbleib eingeräumt. Alle EU-Bürger, die nach der Abstimmung ins Land kommen, werden allerdings ein Arbeitsvisum und eine Arbeitserlaubnis benötigen, genauso wie alle Amerikaner und Angehörige anderer Nationalitäten.

Wann genau diese Regelung eingeführt wird, ist völlig offen. Es muss die Frage gestellt werden, wie lange die konservative Regierung bereit sein wird, den freien Personenverkehr beizubehalten, wenn die britischen Wähler sich explizit für ein Ende dieser Freizügigkeit ausgesprochen haben. Ein zentrales Thema der Wahlkampagne „Vote Leave″ ist, dass Großbritannien jedes Jahr einen Nettozufluss von über 200.000 Personen aus der EU verzeichnet, diese Tendenz steigend sei und Großbritannien den Nettomigrationszufluss insgesamt auf unter 100.000 Personen beschränken müsse.

Was sind die Auswirkungen auf das EU-Recht, im Fall eines Austritts?

Es gibt zwei Arten von EU-Recht: Verordnungen, die unmittelbar Anwendung in jedem EU-Mitgliedsstaat finden, und Richtlinien, die in lokales Recht umgesetzt werden müssen und grundsätzlich keine unmittelbare Anwendung finden.

Insoweit Richtlinien in englisches Recht umgesetzt wurden, bleiben diese selbstverständlich auch nach einem Brexit in Kraft. Sie müssen allerdings angepasst werden, da Großbritannien in bestimmten EU-Institutionen nicht mehr Mitglied ist. Verordnungen werden aber keine Anwendung mehr finden, was zu gewissen Änderungen im englischen Recht führen kann. Zum Beispiel werden die EU-Verordnungen (EG) Nr. 593/2008 (die sogenannte Rom I-Verordnung) und (EG) Nr. 864/2007 (die sogenannte Rom II-Verordnung) nicht mehr den Bereich des auf vertragliche und außervertragliche Schuldverhältnisse anwendbaren Rechts abdecken. Ein Vorschlag auf der britischen Seite ist, eine Übergangsregelung einzuführen, nach der alle Verordnungen ihre Gültigkeit behalten, bis sie explizit geändert oder außer Kraft gesetzt werden. Eines ist aber klar: Viele gesetzliche Änderungen wären nötig, die komplex und zeitintensiv sein werden.

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