26. September 2013
Russlands Auto-Boom: Die Herausforderungen für deutsche Hersteller
Compliance International

Russlands Auto-Boom: Die Herausforderungen für deutsche Hersteller

Der russische Automobilmarkt boomt und das von Branchenvertretern und Analysten vorhergesagte Wachstumspotential ist enorm. Immer mehr ausländische Hersteller produzieren vor Ort – und müssen sich dort mit Themen wie Regulierung, Bürokratie, Fachkräftemangel und Compliance auseinandersetzen.

Autos, wohin das Auge blickt

Nachdem der Absatz von Pkw und Fahrzeugen bis 3,5 t in Russland im Krisenjahr 2009 auf 1,5 Millionen Fahrzeuge eingebrochen war, konnte er sich 2012 mit 2,9 Millionen Fahrzeugen nahezu verdoppeln. Nach einer Studie der Boston Consulting Group wird für das Jahr 2020 ein Absatz von 4,4 Millionen Fahrzeugen prognostiziert, was einem jährlichen Wachstum von durchschnittlich 6 Prozent entspricht. Russland würde damit Deutschland überholen und zum größten Automarkt in Europa aufsteigen. Weltweit würde es nach China, USA, Indien und Brasilien den fünften Platz einnehmen.

Die nackten Zahlen werden auch durch einen Realitätscheck bestätigt. Wer heute zum Beispiel in Moskau unterwegs ist, wird von den endlosen Autokolonnen und Staus – selbst auf achtspurig ausgebauten Straßen – erschlagen. Große Limousinen und schwere SUVs sind aus dem Stadtbild nicht mehr wegzudenken. Gerade ausländische Fabrikate genießen die Gunst der Russen, nachdem russische Traditionsmarken wie Wolga und Moskwitsch ihre Produktion eingestellt haben. Nur Lada schlägt sich tapfer in Kooperation mit Renault.

Die Cluster der Automotive-Industrie

Angesichts dieser Wachstumsperspektiven steht Russland im Fokus der internationalen Automobilindustrie. Eine Vielzahl namhafter ausländischer Hersteller und bedeutender Zulieferer hat sich mittlerweile in Russland niedergelassen und leistungsfähige Produktionsstätten eröffnet. Vor allem in den Regionen um die Städte Kaluga, Kazan, Nischni Nowgorod, Togliatti, Sankt Petersburg und Moskau haben sich riesige Automotive-Cluster ausgebildet. Auch deutsche Hersteller wie BMW und Volkswagen sowie Zulieferer wie Robert Bosch, Continental, Knorr-Bremse, Leoni und Schaeffler sind dort mit eigenen Produktionen ansässig geworden.

Die erfolgreiche Ansiedlung der ausländischen Automobilindustrie ist zum Leitbild der russischen Wirtschaftspolitik geworden. Um die russische Wirtschaft unabhängiger von den Einnahmen aus dem Geschäft mit Erdöl und Erdgas zu machen, wirbt das Land offensiv für ausländische Direktinvestitionen. Technologie, Kapital und Know-how aus dem Ausland sind willkommen und sollen Russland dabei helfen, seine in weiten Teilen marode Wirtschaft moderner und wettbewerbsfähiger zu machen.

Erst kürzlich legte die russische Regierung einen Staatsfonds mit einem Kapital von 20 Milliarden Euro auf, der ausländische Investitionen fördern soll. Daneben gibt es weitere wirtschaftspolitische Lockmittel, wie staatliche Subventionen und Teilnahmeberechtigung an staatlichen Ausschreibungen. Neuerdings macht zudem eine Recyclinggebühr für im Ausland hergestellte Fahrzeuge deren Import unattraktiver – eine Maßnahme, die ganz nebenbei die im Zuge des Beitritts Russlands zur WTO entstandenen Hoffnungen auf Marktöffnung und freien Handel enttäuscht.

Komplexe Schwierigkeiten vor Ort

Die ausländische Automobilindustrie steht in Russland jedoch nicht nur vor überdurchschnittlichen Wachstumsperspektiven, sondern sie hat auch gleichzeitig große Herausforderungen zu bewältigen. Will man margenaufzehrende Importzölle auf Fahrzeuge reduzieren, müssen die teilweise recht detaillierten Vorgaben erfüllt werden, die unter dem Stichwort Lokalisierung in aller Munde sind.

Konkret bedeutet das, dass bestimmte Komponenten sowie ein hoher Anteil aller in einem Fahrzeug verbauten Teile in Russland hergestellt werden müssen (local content). Mit der russischen Zuliefererindustrie sind diese Vorgaben kaum zu erfüllen, da sie nur selten die westlichen Qualitäts- und Zuverlässigkeitsstandards erfüllt. Demzufolge begrüßen es die Autohersteller, wenn ihnen ihre vertrauten Zulieferer nach Russland folgen.

Der rasante Aufbau von Produktionsstätten hat auch dazu geführt, dass Fachkräfte rar geworden sind. In einigen Regionen herrscht (nahezu) Vollbeschäftigung. Offene Stellen können teilweise nicht oder nur mit ungenügend qualifiziertem Personal besetzt werden. Löhne und Gehälter steigen.

Die Liste der täglich zu bewältigenden Aufgaben ließe sich endlos fortsetzen. Sicherstellung einer reibungslos funktionierenden Logistik (just-in-time-Lieferung in einer globalen Lieferkette ist auch hier essentiell für die Autoproduktion und im flächenmäßig größten Land der Erde mit neun Zeitzonen und einer West-Ost-Ausdehnung von 9000 Kilometern keine so leichte Aufgabe), Bewältigung der ausufernden russischen Bürokratie sowie Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen sind weitere wichtige Erfolgsfaktoren.

Auch die Themen Compliance und Korruptionsabwehr spielen eine bedeutende Rolle im korruptionsanfälligen Russland. Nach dem Corruption Perceptions Index von Transparency International belegte Russland in 2012 den 133. Platz.

Diese und weitere spannende Themen werden auf unserem Automotive-Event Go East! Deutsche Automotive-Power ausführlich beleuchtet. Getreu dem Motto „aus der Praxis für die Praxis″ diskutiert das Who is Who des deutschen Automobilbaus in Russland Herausforderungen, Trends und Neuigkeiten.

Tags: ausländische Investitionen Automobilbranche Bürokratie Korruptionsbekämpfung Lokalisierung