2. Dezember 2016
Informationsinteresse Umweltrecht
Öffentliches Wirtschaftsrecht

Vorrang des Informationsinteresses vor Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen

Der EuGH schränkt den Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen ein und stärkt erneut den Schutz von Informationsinteressierten im Umweltrecht.  

Interessierte Bürger, Umweltverbände und grundsätzlich auch Wettbewerber können – ohne ein besonderes rechtliches Interesse geltend machen zu müssen – freien Zugang zu Umweltinformationen verlangen. Der Informationsanspruch gerät dabei nicht selten in Konflikt mit den Geheimhaltungsinteressen betroffener Unternehmen.

In zwei Fällen vor dem EuGH ging es um die Frage, ob ein Umweltverband Zugang zu den Genehmigungsunterlagen für das Inverkehrbringen von Produkten – hier von pestizidhaltigen Pflanzenschutzmitteln – erhalten soll, in denen u.a. Testberichte und die genaue chemische Zusammensetzung des Produkts enthalten sind (EuGH, Urteil vom 23.11.2016 – C-442/14; EuGH, Urteil vom 23.11.2016 – C-673/13).

Die jeweiligen Gerichte müssen die Rechtsprechung des EuGH zwar nochmals in Bezug auf den betreffenden Fall konkretisieren. Der EuGH entschied aber wichtige Weichenstellungen zugunsten der Informationssuchenden, hier jeweils eines Umweltverbandes, und gegen die Interessen der betroffenen Unternehmen.

Rechtlicher Hintergrund: Freier Zugang zu Informationen über Emissionen

Nach der in Deutschland insbesondere durch das Umweltinformationsgesetz (UIG) umgesetzten Umweltinformationsrichtlinie sowie nach Art. 4 Århus-Konvention hat grundsätzlich jedermann Anspruch auf Zugang zu Informationen, die z.B. den Zustand der Umwelt bzw. ihrer Bestandteile sowie Faktoren mit möglichen Umweltauswirkungen betreffen.

Die zuständige Behörde kann einen Umweltinformationsanspruch wegen zu schützender Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse ablehnen, sofern nicht das öffentliche Interesse an einer Verbreitung der Information das (private) Geheimhaltungsinteresse überwiegt. Der Informationszugang darf jedoch nicht wegen entgegenstehender Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse versagt werden, wenn die erfragten Informationen Emissionen betreffen (sog. Emissionsklausel). An Behörden gerichtete Anträge auf „Informationen über Emissionen in die Umwelt″ müssen also im Ergebnis erfüllt werden; eine Abwägung mit den Geheimhaltungsinteressen der betroffenen Unternehmen findet dann grundsätzlich nicht statt.

In den vom EuGH entschiedenen Fällen ging es um die Reichweite der sog. Emissionsklausel. Es kam die Frage auf, ob auch die angeforderten Studien zu erst langfristig möglichen Auswirkungen und die genaue Stoffzusammensetzung, die Teil der Genehmigungsunterlagen für das Inverkehrbringen eines Pflanzenschutzmittels waren, „Informationen über Emissionen in die Umwelt″ darstellen. Die Folge wäre, dass die Offenlegung der Informationen nicht mit dem Hinweis versagt werden dürfte, die Informationen beträfen geheimhaltungsbedürftige Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse des betroffenen Unternehmens.

Auch Freisetzungen und Ableitungen sind Emissionen im Sinne der Umweltinformationsrichtlinie

Der EuGH stellt zunächst klar, dass es keinen feststehenden, für alle Regelungsbereiche geltenden Begriff der Emission gibt. Dieser sei vielmehr nach der jeweils einschlägigen Rechtsgrundlage auszulegen. Insbesondere könne nicht – wie die betroffenen Unternehmen, die EU-Kommission und auch die Bundesrepublik Deutschland argumentiert hatten – auf den in Art. 3 Nr. 4 IED-Richtlinie 2010/75/EU (vormals Art. 2 Nr. 5 IVU-Richtlinie 96/61/EG) definierten Begriff der Emission abgestellt werden. Nach der Umweltinformationsrichtlinie seien nicht nur anlagebezogene Emissionen, sondern auch Freisetzungen und Ableitungen von Stoffen aus anderen Quellen grundsätzlich offenlegbare Informationen.

Der EuGH weist aber darauf hin, dass dies nur für solche Emissionen gilt, die unter realistischen Bedingungen und bei normaler Anwendung des Produkts entstehen. Dem Informationsanspruch unterfielen daher nicht nur die tatsächlich nachgewiesenen Emissionen. Wird das Produkt bzw. werden seine Inhaltsstoffe – wie bei Pflanzenschutzmitteln – nach ihrer bestimmungsgemäßen Funktion unter normaler Anwendung in die Umwelt freigesetzt, handele es sich um Emissionen im Sinne der Umweltinformationsrichtlinie.

Der EuGH stellt zugleich klar, dass lediglich hypothetische Emissionen daher nicht unter den Begriff der grundsätzlich offenzulegenden Emission fallen.

Offenlegung auch von Informationen über mögliche (Langfrist-)Auswirkungen und Rückstände

Aus Unternehmenssicht besonders einschneidend sind die Ausführungen des EuGH zum Umfang des Informationsanspruchs: War bisher schon hinreichend geklärt, dass Emissionen im Umweltinformationsrecht nicht als Betriebs- und Geschäftsgeheimnis gelten und daher dem Informationsanspruch unterliegen (sog. Emissionsklausel), erweitert der EuGH den Anwendungsbereich nun auch auf bloße Auswirkungen der Emissionen bzw. der Abbau- und Reaktionsprodukte einzelner Inhaltsstoffe sowie auf Rückstände der hier untersuchten Pflanzenschutzmittel oder seiner Bestandteile.

Er bestätigt damit die Argumentation der Generalanwältin, dass gerade Informationen über alle möglichen Aus- und Wechselwirkungen auf die Umwelt oder den Menschen von allgemeinem Interesse seien. Denn die Umweltinformationsrichtlinie ziele darauf, durch die öffentliche Informationsmöglichkeit und Kontrolle die Durchsetzung umweltrechtlicher Vorgaben sicherzustellen und die Öffentlichkeit in die Lage zu versetzen, Auswirkungen umweltrelevanten Verhaltens auf die Umwelt und den Menschen abschätzen und verstehen zu können.

Mit dieser Begründung erkennt der EuGH ein Informationsrecht grundsätzlich sogar in Bezug auf Labor- und Feldstudien an, die im Rahmen der Produktentwicklung erstellt wurden. Der EuGH argumentiert, dass die Untersuchungsberichte Informationen über Emissionen darstellten, weil sie dazu dienten, die

Toxizität, die Auswirkungen und andere Gesichtspunkte eines Produkts oder Stoffes unter den ungünstigsten realistischen Bedingungen, die vernünftigerweise erwartet werden können,

zu untersuchen. Der EuGH fasst daher unter den Begriff der „Informationen über Emissionen in die Umwelt″ auch alle

Angaben über Art, Zusammensetzung, Menge, Zeitpunkt und Ort der „Emissionen in die Umwelt“, jedenfalls in Bezug auf Pflanzenschutzmittel und Biozid-Produkte und der in diesen Produkten enthaltenen Stoffe sowie die Daten über die mehr oder weniger langfristigen Auswirkungen dieser Emissionen auf die Umwelt, insbesondere Informationen über die Rückstände in der Umwelt nach der Anwendung des betreffenden Produkts

sowie die Messungen zur Verbreitung etwaiger Schadstoffe (EuGH, Urteil vom 23.11.2016 – C-442/14, Rdnr. 91).

Keine abschließende Auseinandersetzung mit dem Urheberrechtsschutz nach Fachrecht

Noch nicht abschließend geklärt ist aber das Verhältnis des Umweltinformationsanspruchs zu den Geheimhaltungsregelungen anderer Verordnungen und Richtlinien bzw. Fachgesetze. Insbesondere nicht geklärt ist das Verhältnis zu Art. 63 Abs. 2 der Pestizidverordnung über als vertraulich zu behandelnde Informationen, z.B. über das Herstellungsverfahren oder die vollständige Zusammensetzung eines Pflanzenschutzmittels. Diese Informationen stellen regelmäßig Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse dar, betreffen sie doch häufig die Grundlage für den wirtschaftlichen Erfolg eines Unternehmens.

Die Generalanwältin wollte diesen Konflikt über eine Rückausnahme von der Emissionsklausel lösen mit der Folge, dass dann wieder der Regelfall des Art. 4 Abs. 2 Umweltinformationsrichtlinie anwendbar wäre. Dies führte zu einer behördlichen Abwägung zwischen Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit und wirtschaftlich begründeten Geheimhaltungsinteressen der betroffenen Unternehmen. Sie befürchtete zu Recht, dass die urheberrechtlichen Geheimhaltungsvorschriften in den hier relevanten Fällen keine praktische Wirksamkeit mehr hätten.

Der EuGH hingegen differenziert anhand des Kriteriums der normalen und bestimmungsgemäßen Verwendung des Produkts. Wenn die im Rahmen von Studien verwendeten Dosen des Produkts bzw. einzelner Inhaltsstoffe über die tatsächlich genehmigte bzw. beantragte Produktverwendung hinausgingen und auch eine vergleichbare Verwendung höherer Dosen nicht vorhersehbar sei, handele es sich insoweit um hypothetische Emissionen, hinsichtlich derer kein Informationsanspruch bestehe. Der EuGH hat sich in den konkreten Fällen aber nicht festgelegt, ob die angeforderten Studien und Unterlagen nur hypothetische Emissionen betreffen. Er deutete vielmehr an, dass der Umstand, dass die Unterlagen Teil der Genehmigungsunterlagen sind, eher dafür spreche, dass sie auch die Auswirkungen des konkreten, zu genehmigenden Produkts betreffen. Im Einzelfall müsse daher untersucht werden, welche Informationen nur hypothetische Emissionen betreffen und welche – bei gleichzeitiger Schwärzung der hypothetischen Emissionen – offenzulegen sind.

Es ist nun Sache der zuständigen Gerichte zu prüfen, ob die hier in Rede stehenden Informationen die bei bestimmungsgemäßer Anwendung des Produkts – auch unter Berücksichtigung möglicher, wenn auch unwahrscheinlicher Entwicklungen – zu erwartenden Emissionen, Freisetzungen, Rückstände oder sonstige Auswirkungen des Produkts oder nur hypothetische Emissionen betreffen.

Fazit und Ausblick: Informationszugang auch für Wettbewerber erleichtert

Der EuGH hat entsprechend dem Transparenzziel der Århus-Konvention und der Umweltinformationsrichtlinie die Informationsrechte erneut ausgeweitet, damit aber den Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen sogar auch in Bezug auf die Details der Zusammensetzung eines Produkts oder das konkrete Herstellungsverfahren eingeschränkt.

Dies birgt für Unternehmen ein erhebliches Risiko, weil der Informationszugang kein besonderes Interesse oder Recht des Informationssuchenden voraussetzt, also z.B. auch Wettbewerber die Informationen erhalten könnten. Zwar lässt das Umweltinformationsrecht den fachgesetzlichen Urheberrechtsschutz oder den Schutz vor unzulässiger Verbreitung oder falscher Darstellung von Informationen in der Öffentlichkeit an sich unberührt. Die Offenlegung von Informationen aus Entwicklungsstudien oder über konkrete Herstellungsverfahren dürfte für die betroffenen Unternehmen aber dennoch wirtschaftlich negative Folgen haben können.

Immerhin haben betroffene Unternehmen in einem Punkt Rückendeckung vom EuGH erhalten: Dieser hat festgestellt, dass die öffentliche Stelle, die über einen Antrag auf Informationszugang zu entscheiden hat, von Amts wegen prüfen muss, ob der Informationserteilung Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse entgegenstehen (EuGH, Urteil vom 23.11.2016 – C‑442/14, Rdnr. 49). Auf eine Kennzeichnung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen bzw. einen entsprechenden Antrag auf Geheimhaltung durch das betroffene Unternehmen komme es nicht an.

Erfahrungsgemäß ist es aber dennoch zu empfehlen, auf geheimhaltungsbedürftige Informationen in Genehmigungsunterlagen oder im Rahmen sonstiger Korrespondenz mit Behörden ausdrücklich hinzuweisen. Zudem sollten Unternehmen sorgfältig überprüfen, ob z.B. für den realistischen Anwendungsfall von Produkten nicht im Einzelnen relevante Laborstudien zwingend Teil der Genehmigungsunterlagen sein müssen. Es empfiehlt sich auch mit Blick auf das Umweltinformationsrecht, den Umfang der einzureichenden Unterlagen mit der Genehmigungsbehörde im Vorfeld abzustimmen.

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