10. November 2016
autonome maschinen, TMC, Industrie 4.0
Industrie 4.0 IT-Recht

Autonome Systeme als eigene Rechtssubjekte

Maschinen in unserer Umgebung werden von Tag zu Tag autonomer. Doch wer haftet für diese Maschinen? Haften sie am Ende gar für sich selbst?

Die digitale Revolution, auch Industrie 4.0 genannt, nimmt allmählich Einzug in unseren Alltag: Wir leben in einem vernetzten Zuhause, der intelligente Kühlschrank bestellt Milch, wenn sie verbraucht ist, der smarte Haushaltsroboter putzt und das Auto fährt uns (bald) völlig autonom in die Arbeit.

Zivilrechtliche Haftung für Handeln der autonomen Maschinen

Die zivilrechtliche Verantwortung für diese Maschinen liegt neben dem Hersteller (Produkthaftung) zuvorderst bei den Nutzern. Sie müssen für die Handlung der Maschinen einstehen, denn sie ziehen aus ihnen auch einen Nutzen.

War dies vor wenigen Jahren noch der automatische Agent, der bei Online-Auktionshäusern im Namen der Nutzer mitbot und dessen höchstes Gebot für den Nutzer bindend war, so ist es heute die Handlung von vernetzten und autonomen Maschinen. Wer die Geräte in Betrieb nimmt und für den Betrieb verantwortlich ist, haftet für deren Handlungen. Dies gilt im vertraglichen Sinne beim Abschluss eines Vertrages oder im deliktischen Sinne bei der Verursachung von Schäden.

Bestellt der intelligente Kühlschrank völlig autonom Milch, obwohl doch eigentlich der Saft zur Neige geht, so muss der Nutzer auch die Milch abnehmen und bezahlen; etwaige Anfechtungsrechte auf Grund von Fehlern in der Software einmal außen vor gelassen. Gleiches gilt im Deliktsrecht: Verletzt der autonom handelnde Haushaltsroboter andere Menschen, so stellt sich die Frage, ob der Nutzer alle Sorgfaltsanforderungen eingehalten hat. Ist der Schadenseintritt dem Nutzer vorwerfbar, hat er damit für das Verhalten „seiner″ Maschine einzustehen.

Sorgfaltsanforderungen des Nutzers autonomer Systeme

Zu Science-Fiction wird der Sachverhalt dann, wenn sich der Nutzer damit verteidigt, nicht schuldhaft gehandelt zu haben.

Da mit steigendem Grad der Automatisierung die Sorgfaltsanforderungen an den Nutzer der autonomen Maschinen in der Summe häufig sinken, fällt diese Exkulpation meist auch nicht schwer: So könnte sich der Nutzer etwa damit verteidigen, ein handelsübliches Produkt nach dem Stand der Technik gekauft (Auswahl) und alle Sicherheitshinweise beachtet zu haben (Überwachung). Was hätte er auch sonst noch machen sollen? Er vertraute schließlich darauf, dass die autonom handelnde Maschine funktioniert. Mangels Verschulden haftet der Nutzer in solchen Fällen dann nicht. Ist das Produkthaftungsrecht nicht anwendbar, etwa im gewerblichen Bereich oder wenn der Fehler nicht hatte erkannt werden können, so bleibt der Geschädigte auf seinem Schaden sitzen. Eine Haftungslücke?

Die elektronische Person – eigene „Haftung“ autonomer Systeme

Je höher der Automatisierungsgrad von Maschinen steigt, desto eher wird sich der Geschädigte fragen, weshalb nicht die Maschine selbst haften kann – schließlich hat diese doch „gehandelt″. Diese Frage stellt sich spätestens dann, wenn sich die autonom handelnde Maschine eigenständig durch die Welt bewegt und die dahinter stehende Person gar nicht mehr ausgemacht werden kann – vergleichbar zu einem wilden Tier.

In der wissenschaftlichen Diskussion rückt daher mehr und mehr die Frage in den Mittelpunkt: Braucht das Zivilrecht neben der natürlichen Person (§§ 1 ff. BGB) und der juristischen Person (§§ 21 ff. BGB) noch eine elektronische Person?

Der Gedanke ist nicht fernliegend: Die fortschreitende Technik führt zu selbst denkenden Maschinen, die ein Mindestmaß an Einsichts- und Urteilsfähigkeit mit sich bringen (und sich damit vom wilden Tier unterscheiden). Ist eine Maschine zur eigenen Willensbildung fähig? Weiß sie um sich selbst und kann sie sozial handeln? Wie ist die Rechts- und Geschäftsfähigkeit eines Menschen mit einem (in der Cloud vernetzten) „Hirnschrittmacher″ einzuordnen? Wo ist die Grenze zum Menschsein?

Mag man diese Fragen heute belächeln, so ahnen wir doch, dass sie sich in naher Zukunft auch in der Praxis stellen werden. Rechtlich gesehen ist der Ruf nach einer elektronischen Person auch nicht fernliegend: Das BGB kennt auch die juristische Person, ein Haftungssubjekt, das in der Geschichte zunächst auch fremd war, deren Notwendigkeit sich aber als zwingend erwiesen hat. Die juristische Person haftet selbst, ein Rückgriff auf natürliche Personen als Anteilseigner ist meist ausgeschlossen (GmbH, AG etc.).

Konsequent ist dann aber auch die Frage, wann eine Maschine den Status einer elektronischen Person erreicht hat. Eine konstitutive Registereintragung würde verkennen, dass die Maschine auch schon ohne diese handlungsfähig wäre. Die Rechtsfrage kann aber auch nicht davon abhängen, ob ein Gutachter im Prozess einen gewissen Grad an „Intelligenz″ festgestellt hat. Vielleicht wird der Bereich auch streng reguliert werden (müssen) mit der Folge, dass die Existenz- und damit Rechtsfähigkeit durch hoheitlichen Verwaltungsakt verliehen wird.

Fazit: Zukunftsmusik, die schon jetzt leise zu hören ist

Noch sind diese Überlegungen Zukunftsmusik. Das BGB und das ProdHaftG liefern heute ausreichende Werkzeuge, um die Handlung von Maschinen natürlichen oder juristischen Personen zuzurechnen.

Wo es Haftungslücken gibt, obliegt es dem Gesetzgeber zu klären, ob diese zu schließen sind, etwa durch die (behutsame) Schaffung einer verschuldensunabhängigen Haftung, evtl. verbunden mit einer Versicherungspflicht – wie im Straßenverkehr oder anderen Bereichen mit besonders hohem Gefährdungspotential für Leib und Leben. Der zunehmende Grad der Automatisierung bis hin zur Autonomie erfordert es dennoch, jetzt die Diskussion um die Haftung solcher Systeme aufzugreifen. Nur so können die Weichen für die Zukunft richtig gestellt und Entwicklungen nicht behindert werden.

Tags: autonome maschinen Industrie 4.0 TMC