3. Juni 2016
Open-House-Modell Vergaberecht
Vergaberecht

Open-House-Modell zur Vergabe von Arzneimittelrabattverträgen unterliegt nicht dem Vergaberecht

Der EuGH stellt klar, unter welchen Voraussetzungen die Durchführung eines Open-House-Modells vergaberechtlich zulässig ist.

Der EuGH hat am 02. Juni 2016 das seit längerem erwartete Urteil zur vergaberechtlichen Einordnung eines sogenannten Open-House-Modells zur Vergabe von Arzneimittelrabattverträgen veröffentlicht (Rechtssache C‑410/14, siehe hier).

Kernaussage ist die Feststellung, dass das Vergaberecht für Open-House-Modelle grundsätzlich nicht gilt; bei einem eindeutigen grenzüberschreitenden Interesse sind allerdings allgemeine vergaberechtliche Grundsätze nach dem Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) zu beachten.

„Zulassungsverfahren″ ohne Auswahlentscheidung

In dem konkreten Fall hatte die Krankenkasse DAK-Gesundheit ein „Zulassungsverfahren″ zum Abschluss von Rabattverträgen nach § 130a Abs. 8 SGB V für Arzneimittel mit dem Wirkstoff Mesalazin im Amtsblatt der EU bekanntgemacht.

Der ausgeschriebene Vertragsentwurf sah vor, dass der Rabatt 15 % auf den Herstellerabgabepreis betragen sollte und keine abweichenden Rabattpreise angeboten werden durften. Außerdem sollten alle die Zulassungskriterien erfüllenden Unternehmen zum Verfahren zugelassen und mit jedem von ihnen eine übereinstimmende Vereinbarung zu den im Voraus festgelegten und nicht verhandelbaren Vertragsbedingungen abgeschlossen werden.

Unternehmen, die die Kriterien erfüllten, konnten dem System der Rabattverträge zu jedem Zeitpunkt während der Vertragslaufzeit zu identischen Bedingungen beitreten. In der Bekanntmachung wurde zudem darauf hingewiesen, dass das Vergaberecht keine Anwendung finde.

Entscheidungen der VK Bund und des OLG Düsseldorf

Nachdem der Vertrag mit dem einzigen interessierten Unternehmen geschlossen wurde, stellte ein anderes Unternehmen einen Nachprüfungsantrag zur zuständigen Vergabekammer des Bundes. Der Antrag war gerichtet auf Feststellung der Unvereinbarkeit des Zulassungsverfahrens mit dem Vergaberecht.

Während die Vergabekammer des Bundes der Antragstellerin rechtgegeben und das Vergaberecht für anwendbar gehalten hatte, hatte das OLG Düsseldorf im anschließenden Beschwerdeverfahren Zweifel an der Richtigkeit dieser Entscheidung.

Das OLG Düsseldorf legte dem EuGH u.a. die Frage zur Vorabentscheidung vor, ob das Vorliegen eines öffentlichen Auftrags im Sinne des Vergaberechts und die dadurch bedingte Anwendbarkeit des Vergaberechts eine Auswahl eines oder mehrerer Wirtschaftsteilnehmer zwingend voraussetze.

Hintergrund der Frage war der Umstand, dass im Rahmen des Zulassungsverfahrens der DAK eine solche Auswahl nicht getroffen wurde, sondern jeder Bieter jederzeit während der Vertragslaufzeit zum Verfahren zugelassen werden konnte.

EuGH: Auswahlentscheidung zwingender Bestandteil eines öffentlichen Auftrags

Der EuGH hat die Zweifel des OLG Düsseldorf bestätigt. Eine Auswahlentscheidung stelle einen zwingenden Bestandteil eines öffentlichen Auftrags dar. Dies gelte sowohl im Sinne der (alten) inzwischen außer Kraft getretenen Vergabekoordinierungsrichtlinie (Richtlinie 2004/18/EG) als auch nach der neuen, seit 18. April 2016 in deutsches Recht umgesetzten Vergaberichtlinie (Richtlinie 2014/24/EU).

Zur Begründung führt der EuGH aus, dass der Zweck der EU-Vergaberichtlinien und somit des Vergaberechts im Oberschwellenbereich darin bestehe, die Gefahr einer Bevorzugung einheimischer Bieter oder Bewerber bei der Auftragsvergabe durch öffentliche Auftraggeber auszuschließen. Diese Gefahr sei eng mit der Auswahlentscheidung unter den zulässigen Angeboten sowie der Ausschließlichkeit verbunden, die sich für den oder die betreffenden Wirtschaftsteilnehmer aus der Zuschlagserteilung ergibt.

Zur Bekräftigung seiner Entscheidung zitiert der EuGH Art. 43 Abs. 1 e) Vergabekoordinierungsrichtlinie, wonach die Auftraggeber über jeden vergebenen Auftrag und jede vergebene Rahmenvereinbarung einen Vergabevermerk anfertigen, der den Namen des erfolgreichen Bieters und die Gründe für die Auswahl seines Angebots umfasst. Auch die neue Vergaberichtlinie sehe in Art. 1 Abs. 2 vor, dass der Begriff der Auftragsvergabe eine Auswahl der Wirtschaftsteilnehmer voraussetzt.

Eine solche Auswahl werde im Zulassungsverfahren nach dem Open-House-Modell nicht getroffen, da Unternehmen nicht nur zu Beginn des Verfahrens innerhalb der Teilnahme- oder Angebotsfrist (wie bei einem Vergabeverfahren unter Anwendung des Vergaberechts), sondern jederzeit während der gesamten Vertragslaufzeit beitreten können.

Geltung des EU-Primärrechts bei eindeutigem grenzüberschreitenden Interesse

Nach Auffassung des EuGH seien Open-House-Modelle allerdings nicht von jeglichen Vergaberegeln befreit. Bei Vorliegen eines grenzüberschreitenden Interesses seien vielmehr die Grundregeln des AEUV zu beachten, insbesondere die Grundsätze der Nichtdiskriminierung und Gleichbehandlung sowie das sich daraus ergebende Transparenzgebot.

Das Transparenzgebot verlange dabei eine europaweite Bekanntmachung, die es den potentiell interessierten Wirtschafsteilnehmern ermöglicht, vom Ablauf und von den wesentlichen Merkmalen des Zulassungsverfahrens Kenntnis zu nehmen.

Bedeutung der Entscheidung für die Vergabe von Arzneimittelrabattverträgen

Nach der Entscheidung des EuGH haben die gesetzlichen Krankenkassen bei der Vergabe von Arzneimittelrabattverträgen zukünftig zwei Möglichkeiten:

  • Durchführung eines wettbewerblichen Verfahrens unter Anwendung des Vergaberechts (in der Regel offenes Verfahren oder nicht offenes Verfahren), wobei die Bieter mit ihren Preisangeboten konkurrieren.
  • Open-House-Modell unter unveränderlicher Vorgabe des Rabattpreises durch die Krankenkasse, so dass kein Wettbewerb unter den Bietern stattfindet, sondern letztlich der Arzt oder Patient entscheidet, welches Präparat von den beteiligten Unternehmen zur Anwendung kommen soll.

Die Durchführung eines Open-House-Modells ist nach der Entscheidung des EuGH bei grenzüberschreitendem Interesse aber nur dann zulässig, wenn

  • vor Beginn des Verfahrens eine europaweite Bekanntmachung veröffentlicht wird,
  • für alle Unternehmen dieselben Eintrittsbedingungen festgelegt werden,
  • ein jederzeitiges Beitrittsrecht während der gesamten Vertragslaufzeit besteht, so dass eine Alleinstellung eines oder mehrerer Marktteilnehmer ausgeschlossen ist, und
  • der Rabattpreis von vornherein unveränderbar von der Krankenkasse bestimmt wird.

Bedeutung der Entscheidung für das Vergaberecht im Allgemeinen

Die Entscheidung hat über die Vergabe von Arzneimittelrabattverträgen hinaus Bedeutung für das Vergaberecht. Mit dem Erfordernis der Auswahlentscheidung hat der EuGH eine wichtige Klarstellung für die Auslegung des Begriffs des öffentlichen Auftrags vorgenommen, der auch für das neue, seit 18. April 2016 in Deutschland geltende Vergaberecht im Oberschwellenbereich wesentlich ist.

Erfreulich ist dabei, dass der EuGH keinen Unterschied zwischen der alten und der neuen Vergaberichtlinie macht. Der EuGH versteht den Begriff des öffentlichen Auftrags sowohl für Vergabeverfahren, die vor dem 18. April 2016 eingeleitet wurden und deshalb dem alten Recht unterliegen, als auch für neue seit 18. April 2016 eingeleitete und dem neuen Recht unterliegende Verfahren einheitlich.

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