16. Januar 2013
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Arbeitsrecht Datenschutzrecht

Beschäftigtendatenschutz – nun (erstmal?) doch nicht reloaded

So richtig überrascht sind wir nicht: Die für heute vorgesehene Innenausschuss-Beratung über den Gesetzentwurf zum Beschäftigtendatenschutz wurde abgesagt. Erst am Montag war das Thema als nachträglicher TOP 17 auf der Tagesordnung gelandet; offiziell wird nun die „verkürzte Beratungszeit″ von nur 45 Minuten als Grund angegeben; mediale Auguren vermuten die Furcht vor einem negativen Einfluss auf die Wahl in Niedersachsen als tatsächlichen Grund.

Vielleicht hat auch die gestrige Begegnung zwischen der Bundeskanzlerin und DGB-Chef Michael Sommer – in den letzten Tagen einer der heftigsten Kritiker des Entwurfs – einen Beitrag zur Neugestaltung der Tagesordnung geleistet.  Als neuer Termin für den Innenausschuss ist nach Medienberichten der 30. Januar 2013 im Gespräch, die Verabschiedung im Bundestagsplenum würde sich dann entsprechend verzögern.

Mehr als 45 Minuten sollte dem Gesetzgeber die intensive Auseinandersetzung über die Einzelheiten des Umgangs mit personenbezogenen Daten im Arbeitsverhältnis schon wert sein – so weit können wir folgen. Etwas entsetzt sind wir allerdings über die fehlende Detailtiefe der öffentlichen Diskussion, die nach längerer Pause erst in den letzten Tagen so richtig Fahrt aufnahm.

Denn wenn nun etwa von einer „Lizenz zum Spitzeln“ die Rede ist oder der Gesetzentwurf „Verachtung für die Grundrechte von Arbeitnehmern geradezu auf der Stirn tragen“ solle, so überrascht dies aus zwei Gründen. Zum einen läuft das Gesetzgebungsverfahren nun fast drei Jahre und bot hinreichenden Raum zur Äußerung von Kritik. Wichtiger noch: Die vermeintlich grenzenlosen Befugnisse von Arbeitgebern sind bei näherer Betrachtung gar nicht so umfassend wie jetzt behauptet, und der Entwurf orientiert sich vielfach an den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen für den Umgang mit personenbezogenen Daten von Beschäftigten.

So entstand in der öffentlichen Diskussion der letzten Tage bisweilen der Eindruck, dass es um ein „Videoüberwachungsgesetz“ gehe und dieses Verfahren in weit größerem Umfang als bislang zulässig sein soll. Das ist falsch: Geplant ist ein neuer Unterabschnitt im Bundesdatenschutzgesetz (BDSG), der den bisherigen § 32 BDSG durch die §§ 32 – 32m BDSG ersetzen soll und nahezu sämtliche Aspekte des Umgangs mit Beschäftigtendaten auf neue gesetzliche Grundlage stellt. Das offenbar öffentlichkeitstaugliche Thema „Videoüberwachung“ ist da nur eines unter vielen. Überdies soll die heimliche Videoüberwachung (in der Sprache des Gesetzes „Beobachtung mit optisch-elektronischen Einrichtungen ohne Kenntnis des Beschäftigten“) vollständig verboten werden. Das Bundesarbeitsgericht hatte sie als „ultima ratio“-Maßnahme zur Aufklärung konkreter Verdachtsmomente im Hinblick auf Straftaten oder anderer schwerer Verfehlungen zu Lasten des Arbeitgebers ausnahmsweise für zulässig gehalten (zuletzt BAG, Urt. v. 21.06.2012, Az. 2 AZR 153/11). Ausdrücklich zulässig soll in Zukunft hingegen die Videoüberwachung „nicht öffentlich zugänglicher Betriebsstätten“ sein. Hieran entzündete sich ein Großteil der jüngsten Kritik.

Die Kritiker übersehen dabei allerdings, dass bereits jetzt nach § 6b BDSG die Videoüberwachung öffentlich zugänglicher Räume für bestimmte Zwecke und in bestimmten Umfang zulässig war – Videokameras etwa im Ladenlokal können auf dieser Rechtsgrundlage betrieben werden. Neu geregelt werden soll jetzt nur die Überwachung von „nicht öffentlich zugänglichen Betriebsstätten“ etwa auf Lager- oder Büroräume ohne Publikumsverkehr. Dies soll wiederum nur für abschließend definierte Zwecke (Zutrittskontrolle, Wahrnehmung des Hausrechts, Schutz des Eigentums, Sicherheit von Beschäftigten und Anlagen, Gefahrenabwehr und für rechtlich verpflichtende Qualitätskontrollen – siehe auch hier) und nur dann zulässig sein, wenn die Überwachung zur Wahrung wichtiger betrieblicher Interessen erforderlich ist und keine Anhaltspunkte für entgegenstehende Interessen der Beschäftigten bestehen. Die vermeintlich uferlose Arbeitgeberbefugnis ist also in Wahrheit von mehreren weiteren Voraussetzungen abhängig (und überdies  mitbestimmungspflichtig, § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG). Auch die Videoüberwachung im internen Bereich ist dabei gerade für Arbeitgeber nicht ohne rechtliches Risiko: Geht der Arbeitgeber unzutreffend etwa von einer „Erforderlichkeit“ aus oder berücksichtigt entgegenstehende Interessen seiner Beschäftigten nicht, ist die Überwachung wegen des grundsätzlichen Verbots der Datenerhebung, -verarbeitung und –nutzung (§ 4 Abs. 1 BDSG) rechtswidrig, neben aufsichtsrechtlichen Maßnahmen (§ 38 Abs. 5 BDSG, §§ 43, 44 BDSG) droht bei schweren Verstößen auch eine persönlichkeitsrechtliche Geldentschädigung („Schmerzensgeld“). Insoweit liegt es neben der Sache, wenn behauptet wird, der Gesetzgeber sage „überhaupt nichts dazu, was passiert, wenn dieses Verbot nicht eingehalten wird″ – die Rechtsfolgen ergeben sich längst aus dem bestehenden Gesetz.

Ähnliches gilt für zahlreiche weitere Datenerhebungs- und verarbeitungsvorgänge, die der Gesetzentwurf ausdrücklich regelt: Auch hier wird die Zulässigkeit einer konkreten Maßnahme von der „Erforderlichkeit“ und einer Abwägung mit den Interessen der betroffenen Arbeitnehmer abhängig gemacht. Wenn also in der öffentlichen Diskussion darauf hingewiesen wird, dass Arbeitgeber im Bewerbungsverfahren personenbezogene Daten erheben, ärztliche Untersuchungen oder Eignungstests fordern, automatische Datenabgleiche zu Compliance-Zwecken („Screenings“) durchführen oder biometrische Verfahren und Ortungssysteme einsetzen dürfen, so ist dies grundsätzlich richtig. Das Gesetz erwähnt diese Vorgänge – vielfach erstmals – ausdrücklich. Die Befugnisse der Arbeitgeber sind aber deshalb alles andere als grenzenlos.

Wird der derzeitige Entwurf also Gesetz, macht dies – trotz sicherlich verbesserungswürdiger Punkte – den Arbeitnehmer nicht zum Freiwild und den Arbeitgeber nicht zum allmächtigen Überwacher. Überdies: Der Einsatz unzulässiger Überwachungsmaßnahmen birgt für Unternehmen neben den rechtlichen Konsequenzen stets ein nicht unerhebliches Reputationsrisiko.

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