29. November 2024
Selbstbestimmungsgesetz
Arbeitsrecht

Das neue Selbstbestimmungsgesetz und die Arbeitswelt

Auswirkungen des neuen Selbstbestimmungsgesetzes auf die Arbeitswelt auf und was Arbeitgeber jetzt tun müssen.

Am 12. April 2024 beschloss der Deutsche Bundestag das „Gesetz über die Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechtseintrag“ (SBGG). Mit Inkrafttreten am 1. November 2024 löste dieses das Transsexuellengesetz (TSG) von 1980 ab, das von vielen Betroffenen als entwürdigend empfunden wurde. Nunmehr ist es für transgeschlechtliche, intergeschlechtliche und nicht-binäre Personen wesentlich einfacher, ihren Geschlechtseintrag und Vornamen im Personenstandsregister zu ändern.

Bedeutung des Selbstbestimmungsgesetzes für die Arbeitswelt

Nach dem alten Transsexuellengesetz war die Änderung des Geschlechtseintrags sowohl langwierig als auch kostspielig. Das ändert sich nun: Statt eines jahrelangen Verfahrens und der Begutachtung durch zwei Sachverständige genügt nach dem neuen Selbstbestimmungsgesetz eine Erklärung gegenüber dem Standesamt (§ 2 Abs. 1 SBGG).

Was für viele Unternehmen und Arbeitgeber zunächst als öffentlich-rechtliche Sondermaterie anmutet, hat praktische Relevanz für die Arbeitswelt. Denn die Einträge im Personenstandregister definieren die Stellung einer Person innerhalb der Rechtsordnung (§ 1 Abs. 1 Satz 1 PStG), also auch innerhalb des Arbeitsverhältnisses.

Was das konkret bedeutet, zeigt ein aktueller Fall des Arbeitsgerichts Berlin: Dort verklagt eine trans* Frau ihren Arbeitgeber, und verlangt (laut Medien-Berichten) Schmerzensgeld, weil ihr der Zugang zum Damen-Umkleideraum verwehrt wurde. Eine andere Mitarbeiterin habe sich davon gestört gefühlt, dass die trans* Frau sich trotz männlicher Geschlechtsteile im Damen-Umkleideraum umzog. Der Arbeitgeber hatte dies zwar zunächst gebilligt, auf die Beschwerde hin die trans*Mitarbeiterin aber angewiesen, künftig einen gesonderten „Umkleideraum“ zu nutzen, wohl eine Abstellkammer.

Obwohl bislang wenige Details des Falls bekannt sind, ist dieser doch geeignet, Signalwirkung zu entfalten. Das neue Selbstbestimmungsgesetz vereinfacht die Änderung des Geschlechtseintrags deutlich. Daher werden voraussichtlich mehr Unternehmen als zuvor mit Änderungen des Namens- und/oder Geschlechtseintrags konfrontiert, sei es bei der Erstellung von Arbeitszeugnissen, dienstlichen E-Mail-Adressen, der Formulierung von Personalschreiben etc. – oder bei der Nutzung von Umkleidekabinen und Sanitäreinrichtungen.

Zugangsrecht zu geschlechtsspezifischen Sanitäreinrichtungen

Mit der Änderung des Geschlechtseintrags im Personenstandsregister steht das Geschlecht im Rechtssinne (weiterhin) fest. Jedenfalls nach der Änderung muss trans* Personen somit der Zugang zu den jeweils geschlechtsspezifischen Einrichtungen wie Umkleideräumen oder Sanitäreinrichtungen gewährt werden. Anderenfalls würde die trans* Person wegen ihres –nunmehr im Personenstandsregister geänderten– Geschlechts benachteiligt (§§ 71 AGG), was einen verschuldensunabhängigen  Entschädigungsanspruch begründen kann (§ 15 Abs. 2 AGG).

Das gilt grundsätzlich auch dann, wenn sich andere Mitarbeiter oder Mitarbeiterinnen davon gestört fühlen, in einer geschlechtsbezogenen Einrichtung auf eine trans* Person zu treffen, die gegebenenfalls deutlich ausgeprägte biologische Merkmale eines anderen Geschlechts aufweist. Für trans* Personen streitet das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG), das auch die geschlechtliche Identität schützt (BVerfG, Urteil v. 10. Oktober 2017 – 1 BvR 2019/16). Dieses wird nicht allein aufgrund subjektiver Empfindungen anderer Mitarbeiter oder Mitarbeiterinnen wirksam eingeschränkt.

Zugangsrecht ohne Personenstandsänderung fraglich

Ob ein Zugangsanspruch von trans* Personen auch ohne Änderung des Geschlechtseintrags angenommen werden kann, ist bislang von der Rechtsprechung nicht geklärt.

Zum Transsexuellengesetz wurde vertreten, dieses setze für eine Änderung des Geschlechtseintrags impliziert voraus, dass die trans* Person zuvor bereits einige Zeit „in der Rolle des anderen Geschlechts“ gelebt habe. Dies müssten Arbeitgeber ermöglichen und seien daher aufgrund ihrer Fürsorgepflicht und mit Rücksicht auf die Allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) sowie Treu und Glauben (§ 242 BGB) verpflichtet, die geschlechtliche Identität der trans* Person zu beachten und entsprechend zu handeln.

Diese Argumentation scheint angesichts des neuen Selbstbestimmungsgesetzes überholt. Denn das Gesetz ermöglicht nun eine deutlich schnellere Änderung des Geschlechtseintrags als das frühere Transsexuellengesetz. Für einen vorgelagerten Schutz wird damit kaum mehr ein Bedürfnis bestehen. Ob sich etwas anderes daraus ergibt, dass der grundgesetzliche Persönlichkeitsschutz in Bezug auf die Transgeschlechtlichkeit auch bereits ohne Änderung des Personenstandsregisters greift, ist offen.

Rechtfertigung von Benachteiligungen zum Schutz der Intimsphäre oder der persönlichen Sicherheit anderer?

Benachteiligungen wegen des Geschlechts können zwar zum Schutz der Intimsphäre oder der persönlichen Sicherheit in Ausnahmefällen gerechtfertigt sein (§ 20 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AGG). Für einen solchen Ausnahmefall genügt jedoch nicht allein das subjektive Angstempfinden anderer Personen. Denn Vorurteile, deren Abbau das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz auch dient, zeigen sich häufig gerade auch in subjektiven Ängsten. Hinsichtlich trans* Personen lassen sich diese jedoch in aller Regel nicht statistisch belegen.

Ob eine Benachteiligung wegen des Geschlechts gerechtfertigt ist, wäre vielmehr von Fall zu Fall zu entscheiden. Je nach den Umständen sollte versucht werden, eine möglichst den Interessen aller Beteiligten gerecht werdende Lösung zu finden. Gegebenenfalls kommen z.B. in Umkleideräumen zusätzlich abgetrennte Bereiche zur Einzelnutzung für jede Person in Betracht.

Berücksichtigung des Selbstbestimmungsgesetzes und des sog. Dritten Geschlechts beim Arbeitsschutz

Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz verpflichtet Arbeitgeber zur Gestaltung eines diskriminierungsfreien Arbeitsumfelds (§ 12 AGG). Im Arbeitsschutzrecht ist dies bisher nicht umfassend berücksichtigt.

So schreibt die Arbeitsstättenverordnung (ArbStättV) beispielsweise für Sanitäreinrichtungen und Umkleideräume in größeren Betrieben zwingend vor, dass diese für Männer und Frauen getrennt einzurichten sind oder eine getrennte Nutzung ermöglichen müssen (vgl. Anh. 4.1 ArbStättV). Es müssen Toilettenräume insgesamt, also Toilettenbecken und Handwaschgelegenheit, eine nach Geschlechtern getrennte Nutzung ermöglichen.

Weder das Selbstbestimmungsgesetz noch der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zum sog. Dritten Geschlecht haben direkte Auswirkungen auf die Arbeitsstättenverordnung. Deren Regelungen sind aber verfassungskonform auszulegen. Sie müssen daher das dritte Geschlecht angemessen berücksichtigen.

Die naheliegende Möglichkeit, den Geschlechtsvorbehalt für Sanitäreinrichtungen gänzlich zu streichen und diese für alle Geschlechter zu öffnen (sog. Unisex-Toilette) widerspricht dem derzeitigen Wortlaut der Verordnung und ist daher nicht ratsam. Dies gilt auch, wenn es zwar grundsätzlich beim Geschlechtsvorbehalt bleibt, die Räumlichkeiten aber zusätzlich für das dritte Geschlecht geöffnet werden („männlich/divers“ bzw. „weiblich/divers“).

Bis die Gesetzgebung die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts auch im Arbeitsschutzrecht umgesetzt hat, wird man vielmehr zusätzlich zu den geschlechtsbezogenen Sanitäreinrichtungen auch eine ausreichende Anzahl von Toilettenräumen (Toilettenbecken und Handwaschgelegenheit) ohne Geschlechtsvorbehalt zur Verfügung stellen müssen. Denn das neue Selbstbestimmungsgesetz lässt nicht nur die Änderung des Geschlechtseintrags zu, sondern auch dessen Streichung. Arbeitgeber kommen ihren Pflichten daher nicht ausreichend nach, wenn sie den Zugang zu weiterhin geschlechtsspezifischen Einrichtungen ermöglichen, eine Person aber keinen Geschlechtseintrag hat.

Sonstiger Handlungsbedarf

Neben dem Zugangsrecht zu verschiedenen, jeweils einzelnen Geschlechtern vorbehaltenen Einrichtungen des Arbeitgebers hat das Selbstbestimmungsgesetz auch Auswirkungen auf andere, weniger intime Aspekte des Arbeitsverhältnisses: So sind Arbeitgeber nach der Änderung des Namenseintrags auch verpflichtet, diesen neuen Namen zu verwenden. Jedenfalls auf Aufforderung sind sie also verpflichtet, die Stammdaten in der Personalakte entsprechend anzupassen, da dies dem Grundsatz der Datenrichtigkeit entspricht (Art. 16 DSGVO). Frühere Eintragungen in der Personalakte, z.B. im Rahmen von Abmahnungen, müssen hingegen nicht angepasst werden. Die Änderungen im Personenstandsregister wirken in die Zukunft, nicht jedoch für die Vergangenheit. Frühere Dokumente werden daher nicht nachträglich unrichtig.

Anders sind allerdings Dokumente zu behandeln, die zur Vorlage bei Dritten erstellt werden, wie Arbeitszeugnisse. Diese sind entsprechend zu ändern und erneut auszustellen, da anderenfalls der frühere Geschlechtseintrag rechtswidrig offenbart würde (§ 13 SBGG), was mit einem Bußgeld von bis zu EUR 10.0000 bedroht ist (§ 14 SGBB). Hierzu muss die betroffene Person die Originaldokumente vorlegen; von der Arbeitgeberseite werden diese sodann eingezogen, für ungültig erklärt und mit geänderten Daten neu ausgestellt (§ 10 Abs. 2 SBGG). Wenn die Dokumente nicht vorgelegt werden können, muss die betroffene Person an Eidesstatt versichern, dass sie diese nicht im Besitz und keine Kenntnis von ihrem Verbleib hat.

Ebenso müssen im laufenden Arbeitsverhältnis dienstliche E-Mail-Adressen, Signaturen o. ä. geändert werden, wenn sie einen Rückschluss auf das Geschlecht zulassen. Hier ist z.B. denkbar, eine Form zu wählen, die den Vornamen verbirgt und somit keine Rückschlüsse auf das Geschlecht ermöglicht.

Entgelttransparenz

Eine interessante Facette der aktuellen Rechtsentwicklung ist, dass Arbeitgeber künftig in bestimmten Fällen nach dem Geschlecht der Mitarbeitenden fragen dürfen und müssen. Bislang war dies allenfalls in Ausnahmefällen zulässig, etwa wenn das Geschlecht zwingende Voraussetzung für die Ausübung einer bestimmten Tätigkeit war. Denn Arbeitgeber müssen sich auf ein berechtigtes Interesse an der gewünschten Information stützen können.

Sobald die europäische Entgelttransparenzrichtlinie (EU/2023/970) in deutsches Recht umgesetzt wird, wird ein solches berechtigtes Frageinteresse bestehen. Denn die Richtlinie sieht umfassende Berichtspflichten für Unternehmen ab 100 Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen vor. Mindestens alle drei Jahre müssen diese Unternehmen verschiedene geschlechtsspezifische Entgeltdaten berichten. Hierzu benötigen sie Angaben über das Geschlecht der Beschäftigten.

Doch auch auf die bestehenden Regelungen des Entgelttransparenzgesetz (EntgTranspG) wirkt sich das Selbstbestimmungsgesetz aus. Der individuelle Auskunftsanspruch (§ 10 EntgTranspG) soll die Durchsetzung des Gebots der Entgeltgleichheit (§ 3 EntgTranspG) vorbereiten, also der Verpflichtung, gleiche und gleichwertige Arbeit unabhängig vom Geschlecht gleich zu bezahlen. Als Vergleichsgruppe dient daher immer das jeweils andere Geschlecht, das sich bei einer Änderung des Geschlechtseintrags ebenfalls „ändert“.

Die größere Herausforderung stellt sich jedoch, wenn der Geschlechtseintrag gestrichen wird. Denn derzeit liegt dem Entgelttransparenzgesetzes ein binärer Geschlechterbegriff zugrunde. Es zielt allein auf die Beseitigung des Einkommensgefälles zwischen Männern und Frauen (§ 1 EntgTranspG). Einer Entgeltdiskriminierung nicht-binärer Personen lässt sich mit dem Mitteln des Entgelttransparenzgesetz derzeit nicht begegnen.

Im Arbeitsverhältnis jetzt genau hinschauen

Obgleich nicht sofort offenkundig, wirkt sich das Selbstbestimmungsgesetz kleinteilig in vielen Bereichen des Arbeitsverhältnisses aus. Arbeitgeber, insbesondere Personalabteilungen, können jedoch proaktiv agieren; einige Maßnahmen, wie die geschlechtsneutrale Gestaltung von E-Mail-Adressen lassen sich leicht umsetzen und signalisieren Sensibilität für die Materie. In anderen Fällen ist mehr Aufwand nötig, um ein diskriminierungsfreies Arbeitsumfeld zu schaffen.

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