28. Juni 2012
Kanzleialltag

Deutschlands Arbeitsgerichte (12) – Karlsruhe

Mitten im Zentrum, genau zwischen dem Bundesverfassungsgericht und dem Bundesgerichtshof liegt in Karlsruhe das Arbeitsgericht in der Ritterstraße 12. Wer am Hauptbahnhof eine Straßenbahn zum Marktplatz nimmt und hinter der Pyramide der Zehringer Straße folgt, stößt genau auf das Hauptgebäude des Arbeitsgerichts. Von  Karlsruhe sollte man wissen, dass es sich um eine der letzten großen europäischen Stadtgründungen handelt, die auf dem Reißbrett entworfen wurde. Karlsruhe wurde im Jahr 1715 von Markgraf Karl Wilhelm von Baden entworfen und entwickelte sich von dessen Schloss aus fächerförmig nach Süden. Das in der der westlichen Innenstadt liegende Arbeitsgerichtsgebäude – die Ritterstraße geht in eine Shoppingmeile über – steht in direktem Zusammenhang mit dem Karlsruher Ständehaus, dem ersten Parlamentsneubau in Deutschland, das von 1822 bis 1933 den Badischen Landtag beherbergte. Das Arbeitsgerichtsgebäude ist ein Verwaltungsbau, der dem Ständehaus angeschlossen war. Es ist auf zeitgenössischen Abbildungen noch nicht zu sehen, wird also erst nach 1822 errichtet worden sein. Während das Parlamentsgebäude im Krieg zerstört wurde und an dessen Stelle ein Neubau die Stadtbibliothek beherbergt, wurde der erhalten gebliebene Anbau vor nicht allzu langer Zeit renoviert.*

Der Bau verfügt über eine symmetrisch gestaltete Fassade, deren Erdgeschoss durch Stuckwerk abgegrenzt wird. Die Ränder und die Mittelachse des Gebäudes werden durch Pilaster abgesetzt. Die Mitte des Gebäudes wird durch drei vertikale Gesimse betont. Im ersten Stock befinden sich nicht nur die Verhandlungssäle, sondern auch die höheren Sprossenfenster, was die Bedeutung der Etage betont. Der Übergang zum Satteldach wird dagegen durch ein gerastertes Stuckgesims hervorgehoben.

Auf der gegenüberliegenden Straßenseite liegt noch die Außenstelle des Gerichts, die aber nur Büros beherbergt.

Widmen wir uns wieder dem Hauptgebäude. Dessen Eingang liegt ebenerdig - man betritt das Gebäude durch eine doppelflügelige Tür und gelangt in das restaurierte und modernisierte Vestibül.  Der mit einer wunderschönen farbigen Stuckdecke versehene Raum wird mit unauffälligen Wandlampen beleuchtet, die Handläufe rechts und links der Treppe sind so dezent, dass sie ebenfalls nicht auffallen. Gleiches gilt für die Glastüren, durch die man in das Treppenhaus gelangt.

Unmittelbar gegenüber dem Eingang liegt das Treppenhaus zu den Obergeschossen. Während unter den Stufen zum ersten Obergeschoss der Weg zum Hinterausgang liegt, ist der Aufgang zum zweiten Stock frei schwebend und auch auf der Unterseite mit Ornamenten verziert. Die Treppe verfügt über ein schmiedeeisernes Geländer, dass mit seinen weiß lackierten Blumenranken und Streben mit goldfarbenen Akzenten von einem dunklen Handlauf gekrönt wird.

Im Erdgeschoss werden die Türen von dunkel gestrichenen Portalen gekrönt, ferner haben die Säulen graue Kapitäle dorischer Form. Im Gegensatz dazu sind im ersten Obergeschoss die Kapitäle jonisch geschwungen.

 Im zweiten Obergeschoss sind die Türen dagegen teilweise mit aufwendigen Holzrahmen in Säulenform verziert. Das Mobiliar auf den Fluren ist aus Stahl und Holz, ein wenig zu modern.

Die drei Verhandlungssäle befinden sich im ersten Stockwerk. Wer sie betritt, betritt eine andere Zeit. Bis zur Decke getäfelte Wände, ein durch eine durchgehende Theke abgetrenntes und erhöhtes Richterpodest sowie eine durchgehend beleuchtete Fächerdecke. Es versteht sich von selbst, dass die Räume nicht wie die Flure mit Steinfliesen, sondern grauem Linoleum belegt sind. Und hätte man nicht mit modernem „Office-Gestühl“ die ursprüngliche Bestuhlung ersetzt, würde das ganze echten Charme der sechziger Jahre versprühen. Zur Zeit wird bei Gericht diskutiert, wie die Räume dem restauriertem Ganzen angeglichen werden können. Dann werden wohl weitere Spuren der sechziger Jahre verschwinden.

Für den kleinen Saal, in dem Güteverhandlungen an einem großen Tisch geführt werden, kann eine Überarbeitung dagegen nicht schaden. Einzig die großformatigen Bilder und Wandteppiche geben diesem „Verlegenheitsraum“ seine besondere Note.

Mit diesem Gegensatz von restauriertem Altem und auf Modernisierung wartendem ist das Innere zur Zeit noch eine Mischung zahlreicher Epochen. Die überzeugend gelungene Restaurierung der erhalten gebliebenen Ursprungssubstanz macht Lust auf mehr. Man darf also gespannt sein, wie sich das Gerichtsgebäude im Innern entwickeln wird. Hier noch weitere ausgewählte Einsichten:

Wie genial sich klassischer Bau und modernste Technik ergänzen können, zeigt die behindertengerechte Zugangsmöglichkeit über die Gebäuderückseite. So betritt man das Gebäude durch den Hof durch eine elektrisch öffnende Tür – nichts Aufregendes. Für den Weg zum Hochparterre aber hat man sich eine Treppen-Rampenlösung einfallen lassen. Egal, ob sich die Rampe in der unteren oder der oberen Position befindet, für Fußgänger lassen sich die Stufen jederzeit erklimmen. Der Rollstuhlfahrer dagegen kann sich barrierefrei auf das Mittelteil begeben und damit hoch oder runter fahren lassen, während sich die Stufen vor ihm ein und die Stufen hinter ihm ausklappen.

Das Arbeitsgericht Karlsruhe ist äußerst gelungene Modernisierung eines Hauses mit alter Tradition, es verbindet traditionelle Architektur mit moderner Technik. Und es lässt mit Spannung erwarten, wie man seine Sitzungssäle dem folgen lassen will. Wir kommen gerne wieder!

* Zugegebenermaßen handelt es sich bei den „sommerlichen″ Aufnahmen nicht um die wenigen Sonnentage des Jahres 2012 – sondern um echte Eindrücke aus dem vergangenen Herbst. Leider hat dieser Beitrag so lange gebraucht, was wir zu entschuldigen bitten!

Die Serie widmet sich Deutschlands Arbeitsgerichten – den Gebäuden, ihrer Architektur und der Umgebung.

Hier geht es zu Teil 11, Darmstadt. Die vorhergehenden Teile finden Sie hier: Duisburg, Ulm, Stuttgart, Berlin, Ravensburg, München, Saarbrücken, Köln, Siegburg, Frankfurt.

Tags: 76133 Karlsruhe Arbeitsgericht Karlsruhe Architektur Ritterstraße 12 Serie