28. November 2024
Wachstumsinitiative Zeitarbeit Drittstaatsangehörige
Arbeitsrecht

„Wachstumsinitiative“ der Bundesregierung: Öffnung der Zeitarbeit für Drittstaatsangehörige?

Zur Bekämpfung des Fachkräftemangels beabsichtigte die Ampel-Koalition zuletzt, die Einwanderung Drittstaatsangehöriger* in die Zeitarbeit zumindest teilweise zu ermöglichen.

Wegen des Fachkräftemangels sehen sich Arbeitgeber in Deutschland zunehmend veranlasst, ausländische Mitarbeitende auch direkt aus dem Ausland zu rekrutieren. Soweit es sich um sog. „Drittstaatsangehörige“ handelt, bestehen hohe aufenthaltsrechtliche Hürden. Dies gilt insbesondere für die Zeitarbeit. Im Zuge der „Wachstumsinitiative“ der Bundesregierung sollten die Anforderungen nun gesenkt werden. Wir ordnen diese ein.

Eingeschränkte Tauglichkeit des geltenden deutschen Aufenthaltsrechts zur Bekämpfung des Fachkräftemangels

Dass es sich bei dem Fachkräftemangel bereits seit einigen Jahren um eines der drängendsten Probleme und größten Wachstumshemmnisse der deutschen Volkswirtschaft handelt, ist hinlänglich bekannt. Laut einer Studie des „Instituts der deutschen Wirtschaft“ aus dem Mai 2024 konnten in der Bundesrepublik im Jahr 2023 branchenübergreifend ungefähr 573.000 offene Stellen nicht mit hinreichend qualifizierten Arbeitskräften besetzt werden. Die Ursachen hierfür liegen insbesondere in der demografischen Entwicklung. Aufgrund des Ausscheidens der sog. „Baby-Boomer“ aus dem Erwerbsleben ist von einer weiteren Verschärfung der Entwicklung in den kommenden Jahren auszugehen. Die finanziellen Schäden sind beträchtlich. So könnten deutsche Unternehmen der Studie zufolge im Jahr 2024 ohne Fachkräftemangel EUR 49 Milliarden mehr erwirtschaften. Eine der bedeutsamsten Stellschrauben zur Verringerung des Problems sei – neben einer Erhöhung der Lebensarbeitszeit und der Erwerbsquote von Frauen – mehr qualifizierte Zuwanderung.

Allerdings stoßen deutsche Arbeitgeber bei dem Versuch der Rekrutierung ausländischer Fachkräfte schnell an ihre Grenzen. Diese bestehen nicht allein in überlasteten Ausländerbehörden und langen aufenthaltsrechtlichen Verfahren, sondern sind auch materieller Natur: Während Staatsangehörige anderer EU-Staaten, Islands, Liechtensteins, Norwegens und der Schweiz im Rahmen europäischer Freizügigkeit ohne Weiteres in Deutschland tätig werden dürfen, benötigen alle sonstigen Staatsangehörigen (sog. „Drittstaatsangehörige“) einen die jeweilige Beschäftigung erlaubenden Aufenthaltstitel. Die Hürden hierfür sind ungeachtet jüngerer Reformbemühungen im Zuge des Gesetzes und der Verordnung zur weiteren Entwicklung der Fachkräfteeinwanderung nach wie vor hoch, da die meisten Aufenthaltstitel weiterhin eine formelle inländische oder anerkannte bzw. gleichwertige ausländische Qualifikation voraussetzen. Auch die seit März dieses Jahres bestehende Möglichkeit, die Qualifikation stattdessen durch Berufserfahrung nachzuweisen, ist außerhalb des IT-Bereiches nur dann eröffnet, wenn zumindest ein ausländischer Abschluss vorliegt.

Besonders restriktive Beschränkungen bestehen für den Bereich der Zeitarbeit. So schreibt das Aufenthaltsgesetz vor, dass die für die Ausübung einer Beschäftigung grundsätzlich erforderliche Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit zwingend zu versagen ist, wenn ein Drittstaatsangehöriger in Deutschland als Leiharbeitnehmer tätig werden will (vgl. § 40 Abs. 1 Ziff. 2 AufenthG). Eine Einwanderung Drittstaatsangehöriger in die Zeitarbeit ist daher nach geltendem Recht nur möglich, wenn eine Zustimmung der Agentur für Arbeit nicht erforderlich ist. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn der Aufenthaltstitel aus einem anderen Grund als zur Beschäftigung erteilt wird, etwa wegen des Familiennachzugs oder weil es sich um einen ukrainischen Staatsangehörigen handelt, dem der Aufenthalt gemäß § 24 AufenthG zum vorübergehenden Schutz gewährt wird. Dasselbe gilt, wenn dem Drittstaatsangehörigen eine sog. „Blaue Karte EU“ für einen Regelberuf gemäß § 18g AufenthG erteilt wird. Letztere erfordert u.a. das Vorliegen eines deutschen oder anerkannten bzw. vergleichbaren ausländischen Hochschulabschlusses sowie das Erreichen einer Mindestgehaltsschwelle von 50 Prozent der jährlichen Beitragsbemessungsgrenze in der allgemeinen Rentenversicherung.

Geplante Änderungen im Zuge der „Wachstumsinitiative“ der Bundesregierung

Kurz vor dem Scheitern der Ampel-Koalition und der Entlassung der FDP-Minister durch den Bundespräsidenten Anfang November 2024 hatte sich die Bundesregierung auf eine sog. „Wachstumsinitiative“ verständigt, um neue Impulse für die sich in einer tiefen Krise befindende deutsche Volkswirtschaft zu setzen. Die Initiative umfasste 49 Maßnahmen zur Stärkung des Wirtschaftsstandortes Deutschland und seiner Wettbewerbsfähigkeit, darunter Anreize für Investitionen sowie mehr Arbeit, Bürokratieabbau und Steuererleichterungen. Die arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen betrafen überwiegend das Bürgergeld. Allerdings sollte auch eine Einwanderung ausländischer Fachkräfte in die Zeitarbeit zum Zwecke der Reduktion von Fachkräfteengpässen ermöglicht werden.

Nachdem das Bundeskabinett Anfang Oktober 2024 eine sog. „Formulierungshilfe“ zur Umsetzung der arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen der „Wachstumsinitiative“ beschlossen hatte, wurde ersichtlich, was mit der beabsichtigen (weitergehenden) „Ermöglichung“ einer Einwanderung drittstaatsangehöriger Fachkräfte in die Zeitarbeit beabsichtigt war. Allerdings machte sich insoweit nach der Lektüre der Formulierungshilfe schnell Ernüchterung breit.

So sah die geplante Regelung vor, dass die für die Ausübung einer Beschäftigung in Deutschland erforderliche Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit im Falle von Zeitarbeit künftig allein dann nicht mehr zu versagen ist, wenn:

  1. der Drittstaatsangehörige einen Aufenthaltstitel für eine sog. „Kleine Blaue Klarte EU“, d.h. eine Blaue Karte EU für einen Engpassberuf, einen Berufsanfänger in den ersten drei Jahren oder einen IT-Spezialisten mit Berufserfahrung, oder einen Aufenthaltstitel für eine Fachkraft mit inländischer qualifizierter Berufsausbildung oder eine Fachkraft mit deutschem Hochschulabschluss beantragt oder besitzt,
  2. der Arbeitsvertrag eine Beschäftigungsdauer von mindestens zwölf Monaten sowie für den Verleiher den Verzicht auf eine ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses innerhalb der ersten zwölf Monate vorsieht, und
  3. der Verleiher dem Leiharbeitnehmer für die Zeit der Überlassung an den Entleiher mindestens das im Betrieb für einen vergleichbaren Arbeitnehmer des Entleihers geltende Arbeitsentgelt gewährt.

Eine Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit sollte zudem voraussetzen, dass diese ein am Bedarf an Beschäftigungsverhältnissen orientiertes Kontingent für Zustimmungen zur Tätigkeit als Leiharbeitnehmer festgelegt hat und das Kontingent noch nicht ausgeschöpft ist. Die Bundesagentur sollte die Zustimmung versagen können, wenn sie für einzelne Berufsgruppen oder Wirtschaftszweige festgestellt hat, dass sich aus der Besetzung offener Stellen in der Leiharbeit mit drittstaatsangehörigen Bewerbern nachteilige Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt, insbesondere hinsichtlich der Beschäftigungsstruktur, der Region oder eines Wirtschaftszweiges, ergeben.

Nach der Einholung von Stellungnahmen der betroffenen Verbände nahm das Bundeskabinett dem Vernehmen nach noch zwei Änderungen an den beabsichtigten Regelungen vor. Demnach wurden die Anforderungen an die berufliche Qualifikation insoweit gesenkt, dass neben einer „Kleinen Blauen Karte EU“, einer inländischen qualifizierten Berufsausbildung und einem deutschen Hochschulabschluss auch eine mit einer inländischen qualifizierten Berufsausbildung gleichwertige ausländische Berufsqualifikation sowie ein anerkannter ausländischer oder ein mit einem deutschen Hochschulabschluss vergleichbarer ausländischer Hochschulabschluss genügen sollte. Zudem wurde das beabsichtigte Kontingenterfordernis der Bundesagentur für Arbeit gestrichen. Allerdings wurde die entsprechend überarbeitete Formulierungshilfe angesichts des Scheiterns der Ampel-Koalition dann nicht mehr öffentlich verteilt.

Ermöglichung einer Einwanderung in die Zeitarbeit „light“

Selbst nach einer solchen Überarbeitung ermöglichten die geplanten Regelungen damit jedoch allenfalls eine (weitergehende) Einwanderung drittstaatsangehöriger Fachkräfte in die Zeitarbeit „light“. Zwar ist insbesondere die beabsichtigte Ausdehnung der Zeitarbeit auf Inhaber einer Kleinen Blauen Karte EU zu begrüßen, da insoweit eine geringere Mindestgehaltsschwelle von 45,3 Prozent der jährlichen Beitragsbemessungsgrenze in der allgemeinen Rentenversicherung gilt und IT-Spezialisten mit hinreichender Berufserfahrung keine akademische Ausbildung mehr für eine entsprechende Blaue Karte EU benötigen. Allerdings bedeutet dies im Umkehrschluss auch, dass die Zeitarbeit allen anderen Drittstaatsangehörigen, die nicht entsprechend qualifiziert sind (oder einen der anderen Ausnahmetatbestände erfüllen), nach wie vor verwehrt bleibt, obwohl diese zum Teil in Berufsfeldern tätig sind, in denen in Deutschland ein großer Mangel an qualifizierten Arbeitskräften besteht (wie z.B. in der Gastronomie oder Hotellerie).

Hinzu kommt die geplante Mindestbeschäftigungsdauer mit Kündigungsverzicht, die sich gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten mit einem schwankenden Bedarf an Arbeitskräften als Hemmschuh erweisen dürfte. Zudem wird hierdurch in verfassungsrechtlich bedenklicher Art und Weise ausschließlich für jene drittstaatsangehörigen Leiharbeitnehmer ein zeitweiser Sonderkündigungsschutz geschaffen, die auf der Grundlage der beabsichtigten Regelungen tätig werden (potenzieller Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz). Gänzlich unverständlich erscheint auch die vorgesehene Gleichstellung drittstaatsangehöriger Fachkräfte mit vergleichbaren Stammarbeitnehmern im Betrieb des Entleihers beim Arbeitsentgelt. Eine tarifvertragliche Abweichung von dieser soll nämlich – anders als im Falle von § 8 Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) – zum „Schutz des inländischen Lohnniveaus und dem Schutz vor Ausbeutung drittstaatsangehöriger Fachkräfte“ unzulässig sein. Im Gegensatz zur großen Mehrzahl der sonstigen Leiharbeitnehmer ist damit – auch insoweit mit erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken (Gleichbehandlungsgrundsatz, s.o.) – von Beginn der Tätigkeit an der „Equal Pay-Grundsatz“ einzuhalten, so dass das geplante Vorhaben endgültig zum „Rohrkrepierer“ zu werden droht.

Erfordernis eines Paradigmenwechsels

Ob das Vorhaben der Bundesregierung nach dem Scheitern der Ampel noch umgesetzt wird, ist freilich ohnehin höchst fraglich. Sofern es in der neuen Legislaturperiode wieder aufgegriffen werden sollte, bleibt zu hoffen, dass der Gesetzgeber den Mut findet, Ressentiments gegen die Zeitarbeit über Bord zu werfen und eine Einwanderung von Drittstaatsangehörigen in diesem Bereich weitergehender zu ermöglichen, als zuletzt vorgesehen. Ein solcher Paradigmenwechsel wäre dringend erforderlich und könnte insbesondere durch eine vorherige Überprüfung der Arbeitsbedingungen durch die Agentur für Arbeit begleitet werden. Die vergangenen Jahre und Jahrzehnte haben gezeigt, dass sich die Zeitarbeit längst zu einem Hoffnungsträger des deutschen Arbeitsmarktes und Motor der Integration gewandelt hat. Das hiermit verbundene Potenzial sollte – insbesondere zum Wohle kleinerer und mittlerer Entleiher ohne große Personalabteilungen für eine gezielte Rekrutierung drittstaatsangehöriger Fachkräfte – endlich ausgeschöpft werden.

* Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Um der leichteren Lesbarkeit willen wird im Beitrag die grammatikalisch männliche Form verwendet.

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