13. Dezember 2011
Sicherung von Tariftreue und Sozialstandards sowie fairen Wettbewerb bei der Vergabe öffentlicher Aufträge
Bankrecht & Bankaufsichtsrecht

EuGH: Den Bürgen darfst Du würgen! Oder doch nicht?

Schon seit Jahren wurde gestritten – nun hat der Europäische Gerichtshof zwar sein lange erwartetes Urteil im Verfahren Residex (Rs. C-275/10 – Entscheidung vom 8. Dezember 2011) verkündet, die Unsicherheiten sind damit aber noch nicht beseitigt: Gewährt die öffentliche Hand eine Staatsbürgschaft zu vergünstigten Konditionen, ohne zuvor eine erforderliche Genehmigung der EU-Kommission einzuholen, so bleibt es fürs Erste dem jeweiligen nationalen Richter überlassen, welche Auswirkungen dieses staatliche Fehlverhalten auf die Wirksamkeit des Bürgschaftsvertrags hat.

Rechtlicher Hintergrund

Hintergrund der Streitigkeiten war, dass in der Gewährung vergünstigter Bürgschaften eine Beihilfe nach Art. 107 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) zu sehen ist. Wird eine Beihilfe ohne vorherige Genehmigung der EU-Kommission gewährt, so verstößt die Gewährung gegen das Durchführungsverbot des Art. 108 Abs. 3 S. 3 AEUV. In Deutschland droht als Folge nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die Nichtigkeit der gewährenden Verträge. Verspricht die öffentliche Hand dem Kreditnehmer nun die Übernahme einer Bürgschaft, ohne dafür eine marktgerechte Avalprovision zu verlangen, so liegt das Beihilfenelement regelmäßig in diesem Versprechen. Umstritten war bislang, ob die Nichtigkeit auch auf den Bürgschaftsvertrag zwischen öffentlicher Hand und Kreditgeber „durchschlägt″, wenn dieses Vertragsverhältnis selbst keine Beihilfe beinhaltet.

Sachverhalt

Dem Rechtsstreit im Fall Residex lag folgender (vereinfachter) Sachverhalt zugrunde: Ein Unternehmen hatte einem anderen ein Darlehen gewährt, das die Hafenbehörde der Stadt Rotterdam durch eine Bürgschaft absicherte. Dabei konnte nicht ausgeschlossen werden, dass die Bürgschaft für eine schon bestehende Forderung übernommen wurde, und zwar im Rahmen einer Umschuldung. Die Bürgschaft wurde nicht bei der Europäischen Kommission notifiziert. Als die Hafenbehörde aus der Bürgschaft in Anspruch genommen werden sollte, verweigerte diese die Zahlung. Die hiergegen gerichtete Klage blieb in den Vorinstanzen in den Niederlanden erfolglos. Man argumentierte, dass die Bürgschaft Beihilfenelemente enthalte. Da die Bürgschaft nicht notifiziert worden sei, verstoße sie gegen das Durchführungsverbot und sei damit nichtig. Der Hohe Rat der Niederlande (Hoge Raad der Nederlanden) legte dann die Frage nach der Nichtigkeit des Bürgschaftsvertrags dem Europäischen Gerichtshof vor.

GA Kokott: Keine Nichtigkeit!

Die deutsche Generalanwältin Kokott war – wie im Blog berichtet – in ihren Schlussanträgen vom 26. Mai 2011 zu dem Ergebnis gekommen, dass eine Nichtigkeit des Bürgschaftsvertrags nach Unionsrecht ausgeschlossen sei. So könne die Nichtigkeit dazu führen, dass das gesamte Darlehen zurückgefordert würde, obgleich die Beihilfe nur in einer zu geringen Avalzahlung bestünde. Hierdurch würde man über das Ziel hinausschießen. Zudem könne die öffentliche Hand dazu animiert werden, allzu leichtfertig Bürgschaften auszukehren, da sich das wirtschaftliche Risiko auf die involvierten Banken verlagere. Schließlich könne sich die Risikoverlagerung ungünstig auf die Versorgung von Unternehmen mit Kapital auswirken. Eine Ausnahme ließ sie nur dann gelten, wenn der Kreditgeber selbst Begünstigter der beihilfebelasteten Bürgschaft war. Dann sollte sich die Nichtigkeit unmittelbar aus EU-Recht herleiten lassen.

EuGH:  Es kommt grundsätzlich auf das nationale Recht an!

Der Europäische Gerichtshof hat nun entschieden, dass aus Sicht des EU-Rechts bei Bürgschaften, die unter Verstoß gegen das Durchführungsverbot gewährt wurden, keine Pflicht zur Feststellung einer Nichtigkeit des Bürgschaftsvertrags besteht. Im Gegensatz zu den Anträgen der Generalanwältin unterscheidet der Gerichtshof diesbezüglich auch nicht nach dem Empfänger der Beihilfe. Allerdings macht der Gerichtshof klar, dass die nationalen Gerichte alle sich aus dem nationalen Recht ergebenden Folgerungen ziehen müssen, wenn ein Verstoß gegen das Durchführungsverbot vorliegt, um die Rückzahlung der Beihilfe zu gewährleisten. Es sei somit nicht ausgeschlossen, dass sich die Nichtigkeit auch auf die Rechtshandlungen zur Durchführung des Bürgschaftsversprechens, und damit auf den Bürgschaftsvertrag, erstrecke. Auch hierbei weicht der Gerichtshof von den Anträgen der Generalanwältin ab, die einen Rückgriff auf das nationale Recht ausschließen wollte, da sie andernfalls angesichts unterschiedlicher nationaler Rechtsordnungen die Gefahr von Wettbewerbsverzerrungen sah.

Eine Einschränkung nimmt der Gerichtshof dann womöglich aber doch noch vor: So „können“ die nationalen Gerichte insbesondere dann eine Nichtigkeit des Bürgschaftsvertrags ins Auge fassen, wenn diese zur Wiederherstellung des Wettbewerbs vor Gewährung der Beihilfe geeignet ist und zudem keine weniger einschneidenden Maßnahmen zur Verfügung stehen. Mit dieser Aussage zielt der Europäische Gerichtshof mutmaßlich darauf ab, dass in den Fällen, in denen bereits durch Nachzahlung einer marktgerechten Avalprovision der Wettbewerb wiederhergestellt werden kann, ein Rückgriff auf nationale Nichtigkeitssanktionen gerade nicht erforderlich sein wird. Ausdrücklich sagt der Gerichtshof dieses jedoch nicht.

Fazit

Letztlich bestehen daher gewisse Unsicherheiten für die Darlehensgeber – meist Banken – fort. Es ist zu bedauern, dass der Europäische Gerichtshof die Gelegenheit zur abschließenden Klärung nicht genutzt hat. Der Ball liegt nunmehr zunächst wieder im Feld der nationalen Gerichte. Deren Entscheidungen werden aber stets unter dem Vorbehalt weiterer Klarstellungen durch den Europäischen Gerichtshof stehen.

Tags: Avalprovision Beihilfe Bürgschaft Durchführungsverbot Nichtigkeit