5. Dezember 2019
Verbandsstraftat
RefE Verbandssanktionengesetz Compliance

Haftung für Mitarbeiter: Voraussetzungen für das Vorliegen einer Verbandsstraftat

Nach dem Verbandssanktionengesetz sollen beim Vorliegen einer Verbandsstraftat Sanktionen gegen Unternehmen verhängt werden können. Wir geben einen Überblick.

Bislang konnte gegen Unternehmen bei Straftaten von Leitungspersonen nur eine Geldbuße im Rahmen des Ordnungswidrigkeitenrechts nach § 30 OWiG festgesetzt werden. Dies soll sich im Zuge des Verbandssanktionengesetzes (VerSanG) ändern. Hiernach drohen Unternehmen nunmehr beim Vorliegen einer sog. Verbandsstraftat an Kriminalstrafen angelehnte Verbandssanktionen in Form einer Verbandsgeldsanktion, einem Verbandsgeldsanktionenvorbehalt oder einer Verbandsauflösung. Entscheidend für die Verhängung einer solchen Verbandssanktion ist, dass die Verbandsstraftat dem Unternehmen zugerechnet werden kann.

Vorliegen einer Verbandsstraftat nach dem VerSanG

Grundlage der Verantwortlichkeit eines Unternehmens nach dem VerSanG ist zunächst das Vorliegen einer Verbandsstraftat. Die Verhängung der neu geschaffenen Verbandssanktionen, namentlich die Verbandsgeldsanktion, die Verwarnung mit Verbandsgeldsanktionsvorbehalt und die Verbandsauflösung, knüpfen an diese an.

Eine Verbandsstraftat ist eine Straftat, durch die Pflichten, die den Verband treffen, verletzt wurden oder durch die der Verband bereichert wurde oder werden sollte. Als Bezugsstraftat kommen dabei alle Straftaten in Betracht, unabhängig davon, ob sie einen Vermögensbezug aufweisen oder nicht. Neben den typischen unternehmensbezogenen Wirtschaftsstraftaten (wie z.B. Untreue, Betrug, Geldwäsche oder Korruption) kommen insoweit z.B. auch Steuer- und Umweltdelikte oder durch fahrlässiges Verhalten verursachte Betriebsunfälle in Betracht. Für die Sanktionierung des Unternehmens reicht es aus, dass die Verwirklichung einer vorwerfbaren Verbandsstraftat im Betrieb festgestellt wird. Der konkrete Täter der Verbandsstraftat muss nicht bekannt sein. Dies bedeutet, dass eine Verbandssanktion gegen das Unternehmen auch dann verhängt werden kann, wenn z.B. mehrere Personen als Täter der unternehmensbezogenen Straftat in Betracht kommen und unklar ist, welche der verdächtigen Personen die Tat tatsächlich begangen hat (dies entspricht der auch bereits nach jetziger Rechtslage im Rahmen von § 30 OWiG praktizierten sog. anonymen Verbandsgeldbuße).

Stellt die vorwerfbare Handlung keine Straftat, sondern nur eine Ordnungswidrigkeit dar, verbleibt es bei einer Verfolgbarkeit im Rahmen des Bußgeldverfahrens nach § 30 OWiG.

Liegt eine Verbandsstraftat vor, ist eine Sanktion gegen das Unternehmen zu verhängen (sog. Legalitätsprinzip). Dies stellt eine Abkehr vom bislang im Rahmen des Ordnungswidrigkeitenrechts geltenden Opportunitätsprinzip dar. Hierdurch wird die Einleitung von Verfahren gegen Unternehmen bei einem Anfangsverdacht einer unternehmensbezogenen Straftat zur Pflicht und liegt nicht mehr im Ermessen der Behörde.

Verantwortlichkeit des Unternehmens für Verbandsstraftaten von Leitungspersonen

Einem Unternehmen können Verbandsstraftaten von Leitungspersonen sowie von sonstigen Personen, die diese in Wahrnehmung der Angelegenheiten des Verbands begehen, zugerechnet werden (§ 3 Abs. 1 VerSanG).

Der Begriff der Leitungsperson entspricht im Wesentlichen demjenigen in § 30 Abs. 1 OWiG. Taugliche Täter einer Verbandsstraftat sind folglich u.a. Mitglieder vertretungsberechtigter Organe einer juristischen Person (z.B. Vorstand einer Aktiengesellschaft, Geschäftsführer einer GmbH), vertretungsberechtigte Gesellschafter einer rechtsfähigen Personengesellschaft (z.B. Geschäftsführer einer Komplementär-GmbH bei einer GmbH & Co. KG, Komplementär einer Kommanditgesellschaft oder Gesellschafter einer offenen Handelsgesellschaft), in leitender Stellung befindliche Prokuristen und Handlungsbevollmächtigte sowie sonstige Personen mit Leitungs-, Überwachungs- und Kontrollbefugnissen (z.B. Compliance- oder Geldwäschebeauftragte sowie Mitglieder eines Aufsichtsrates), vgl. § 2 Abs. 1 Nr. 2 VerSanG.

Erhebliche Verschärfung der Rechtslage bei Aufsichtspflichtverletzungen

Darüber hinaus sind Unternehmen auch für Verbandsstraftaten verantwortlich, die sonstige (Nichtleitungs-)Personen in Wahrnehmung von Unternehmensangelegenheiten begehen, wenn eine Leitungsperson diese durch eine ordnungsgemäße Organisation, Auswahl und Aufsicht hätte verhindern oder wesentlich erschweren können. Sonstige Personen können auch betriebsfremde Personen sein, die mit Aufgaben der Wahrnehmung von Angelegenheiten des Unternehmens betraut sind und dem Direktions- und Weisungsrecht des Unternehmens unterliegen (z.B. externe Berater). Dies stellt eine deutliche Verschärfung im Vergleich zur bisherigen Rechtslage dar, da derartige Aufsichtspflichtverletzungen von Leitungspersonen bislang nur nach § 130 OWiG geahndet werden konnten. Gab z.B. ein Sachbearbeiter der Steuerabteilung im Rahmen der Steuererklärung bedingt vorsätzlich steuerlich erhebliche Tatsachen unrichtig an, so konnte in Anknüpfung an die hierdurch verwirklichte Steuerhinterziehung eine Verbandsgeldbuße von bis zu EUR 1 Millionen gegen das Unternehmen verhängt werden, wenn der Leiter der Steuerabteilung in diesem Zusammenhang seine Aufsichtspflichten im Sinne des § 130 OWiG verletzt hatte. Nunmehr wird ein derartiger Aufsichtspflichtverstoß der Verbandsstraftat einer Leitungsperson gleichgestellt, was dazu führt, dass auch in diesen Fällen eine Verbandsgeldsanktion von bis zu EUR 10 Millionen bzw. bei Unternehmen, die einen Umsatz von mehr als EUR 100 Millionen haben, eine Verbandsgeldsanktion in Höhe von 10 Prozent des durchschnittlichen Jahresumsatzes verhängt werden kann.

Das Unternehmen kann seinen Organisations-, Überwachungs- und Kontrollpflichten insbesondere durch die Einführung eines Compliance-Systems nachkommen. Der Umfang der „angemessenen“ Präventionsmaßnahmen richtet sich grundsätzlich nach den individuellen Gegebenheiten des Unternehmens, wie z.B. Art, Größe und Organisation des Unternehmens sowie der Anzahl der Mitarbeiter. So kann es bei kleineren Unternehmen bereits ausreichen, ein internes Richtlinien- und Regelwerk zu schaffen und Mitarbeiter sowie sonstige Personen diesbezüglich regelmäßig zu schulen. Bei größeren Unternehmen wird der Vorwurf einer Aufsichtspflichtverletzung in der Regel nur durch die Einführung eines Compliance-Systems zu vermeiden sein. In jedem Falle lohnt sich der Aufwand, da Compliance-Maßnahmen – auch wenn sie nicht zur Ablehnung einer Aufsichtspflichtverletzung oder Verantwortlichkeit des Unternehmens führen – dennoch bei der Auswahl von Art und Höhe der gegen das Unternehmen zu verhängenden Sanktion (nunmehr ausdrücklich) Berücksichtigung finden können.

Erweiterung der Sanktionierungsmöglichkeiten auf Auslandsstraftaten

Das VerSanG ermöglicht eine Sanktionierung von Unternehmen auch dann, wenn eine betriebsbezogene Straftat im Ausland begangen wurde. Erforderlich ist einzig, dass das Unternehmen einen Satzungs- oder Verwaltungssitz in Deutschland hat, die Tat nach deutschem Recht eine Straftat ist und am Tatort mit Strafe bedroht ist. Nicht notwendig ist dagegen, dass ein deutscher Mitarbeiter an ihr beteiligt war. Da die typischen unternehmensbezogenen Straftaten in den meisten Ländern strafrechtlich sanktioniert sind, besteht insofern für deutsche Unternehmen das Risiko einer „weltweiten Verantwortlichkeit“ für Straftaten ihrer Leitungspersonen.

Verschärftes Sanktionsrisiko bei umsatzstarken Konzernen und Auswirkungen auf M&A-Transaktionen

Insbesondere wirtschaftsstarke Konzerne sind einem verschärften Sanktionsrisiko ausgesetzt, da sich die neue Verbandsgeldsanktion – ähnlich wie die an die Bestrafung von natürlichen Personen anknüpfende Geldstrafe – an der Wirtschaftskraft des jeweiligen Unternehmens orientiert. So kann bei einem Unternehmen mit mehr als EUR 100 Millionen Umsatz eine Verbandsgeldsanktion in Höhe von 10 Prozent des durchschnittlichen Jahresumsatzes verhängt werden (5 Prozent bei einer nur fahrlässig begangenen Verbandsstraftat). Bei der für Ahndungszwecke erfolgenden Umsatzbestimmung soll eine Zurechnung der Umsätze sämtlicher Rechtsträger möglich, die mit dem betroffenen Unternehmen als wirtschaftliche Einheit operieren. Würde also in einem Konzernverbund ein Fehlverhalten bei einer Tochtergesellschaft festgestellt, so könnte bei der Bemessung der Geldbuße der weltweite Gesamtumsatz des Konzerns miteinbezogen werden. Demnach könnten dem Gesamtkonzern auch bei Verfehlungen von Tochtergesellschaften mit geringerem Umsatz empfindliche Geldbußen drohen. Bislang konnte eine Konzernmutter in solchen Fällen in der Regel lediglich über § 130 OWiG und damit mit einer Maximalgeldbuße in Höhe von EUR 1 Millionen belegt werden.

Die Betrachtung des Gesamtkonzernumsatzes für die Bestimmung einer Verbandssanktion hat auch erhebliche Auswirkungen auf M&A-Transaktionen. Entscheidend für die Bemessung einer Verbandsgeldsanktion soll nämlich nicht der Zeitpunkt des strafrechtlichen Verstoßes, sondern der Zeitpunkt der späteren Sanktionierung sein. Kauft folglich ein Konzern eine (Tochter)Gesellschaft hinzu und wird bei dieser später eine Verbandsstraftat festgestellt, so könnte bei der Bemessung des Sanktionsrahmens der weltweite Gesamtumsatz des Konzerns miteinbezogen werden. Ein Unternehmen kann sich demnach auch durch den Erwerb eines wirtschaftlich betrachtet „kleinen“ Unternehmens große wirtschaftliche Probleme „einkaufen“. In zukünftig im Rahmen von M&A-Transaktionen durchgeführten Due-Diligence Prüfungen müssen etwaige strafrechtliche Risiken demnach genauer als bislang geprüft werden.

Nach dem Auftakt zu unserer Serie zum Referentenentwurf zum Verbandssanktionengesetz  folgten Informationen zu Änderungen bei Internal Investigations, zum faktischen Kooperationszwang und der Aushöhlung von Verteidigungsrechten, zu den Verbandsgeldsanktionen sowie zu Compliance-Systemen.

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