Die Bundesregierung will mit einem Gesetzesentwurf zur Modernisierung des Schiedsverfahrensrechts den Schiedsstandort Deutschland stärken.
Die Bundesregierung hat Ende Juni 2024 den Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Schiedsverfahrensrechts beschlossen.
Nachdem wir bereits über einen Teil der geplanten Gesetzesänderungen berichtet haben, werden wir im Folgenden die weiteren wesentlichen Neuerungen erläutern:
Weitere Rechtsbehelfe gegen Entscheidungen des Schiedsgerichts
Wie bereits im Eckpunktepapier angekündigt, soll zukünftig eine negative Zuständigkeitsentscheidung des Schiedsgerichts gerichtlich überprüft werden können.
Hält ein Schiedsgericht sich zu Unrecht für unzuständig, kann der darauffolgende (Prozess‑)Schiedsspruch nach geltender Rechtslage mangels eines Aufhebungsgrundes (§ 1059 Abs. 2 ZPO) nicht mehr beseitigt werden. Das Schiedsverfahren wird undurchführbar (§ 1032 Abs. 1 ZPO) und der Weg zu den staatlichen Gerichten wiedereröffnet.
Künftig soll auch ein Schiedsspruch, mit dem sich das Schiedsgericht zu Unrecht für unzuständig erklärt hat, aus diesem Grund aufhebbar sein. Nach der Aufhebung stünde der Weg zurück zu einem oder sogar demselben Schiedsgericht wieder offen. Ob das den Parteien entgegenkommt oder zu einem umständlichen Hin und Her zwischen staatlichem und Schiedsgericht führt, bleibt abzuwarten.
Daneben soll zur Stärkung der Integrität von Schiedsverfahren, wie bereits im Eckpunktepapier angekündigt, ein Restitutionsantrag ermöglicht werden. Diesen Rechtsbehelf gibt es bereits gegen staatliche Urteile (§ 580 ZPO). Er würde Schiedssprüche betreffen, die an besonders gravierenden Mängeln leiden, also solche, die zum Beispiel auf einer gefälschten Urkunde oder einem bestochenen Schiedsgericht beruhen.
Schon nach geltendem Recht kann die Aufhebung eines Schiedsspruchs bei derartigen Verstößen gegen denordre public (§ 1059 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. b ZPO) innerhalb von drei Monaten ab Empfang des Schiedsspruchs beantragt werden (§ 1059 Abs. 2 ZPO). Auch danach kann die benachteiligte Partei nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung Gründe, die einer vorsätzlichen, sittenwidrigen Schädigung (§ 826 BGB) gleichstehen, der Vollstreckbarerklärung des Schiedsspruchs entgegenhalten (BGH, Beschluss v. 2. November 2000 – III ZB 55/99).
Die Gesetzesänderung wäre dennoch mehr als eine bloße Klarstellung. Denn die vorgeschlagenen Restitutionsgründe sind einerseits enger und andererseits weiter als die von der Rechtsprechung entwickelten Fallgruppen der vorsätzlichen, sittenwidrigen Schädigung. Wird ein Schiedsspruch zum Beispiel durch eine Straftat erschlichen, muss für eine Restitution grundsätzlich eine rechtskräftige Verurteilung wegen der Straftat ergangen sein (§ 1059a Abs. 2 ZPO-E). Fehlt es daran, wird der Geschädigte – wie auch bei staatlichen Urteilen – weiterhin auf die Konstruktion der vorsätzlichen, sittenwidrigen Schädigung zurückgreifen müssen, für die keine entsprechende Voraussetzung existiert. Andererseits reicht es für einen Restitutionsantrag bereits aus, wenn eine der Parteien nach Erlass des Schiedsspruchs eine Urkunde auffindet, die eine günstigere Entscheidung herbeigeführt hätte (§ 1059a Abs. 1 Nr. 7 ZPO-E). In derartigen Fällen wirkt eine Aufhebung des Schiedsspruchs überzogen. Es ist zweifelhaft, ob eine derartige Regelung den Schiedsstandort Deutschland stärken würde.
Staatliche Verfahren sollen auf Englisch geführt und Dokumente in englischer Sprache vorgelegt werden können
Wie bereits im Eckpunktepapier angekündigt, sollen die Verfahren vor den Oberlandesgerichten, die ein Schiedsverfahren betreffen (§ 1062 Abs. 1 ZPO), künftig auch in englischer Sprache vor einem Commercial Court geführt werden können. Voraussetzung dafür ist, dass an dem Oberlandesgericht überhaupt ein Commercial Court eingerichtet ist. Die Bundesregierung prognostiziert, dass fünf Bundesländer – Bayern, Baden-Württemberg, Hamburg, Hessen und Nordrhein-Westfalen – je einen Commercial Court einrichten werden. Die Bundesländer können die Zuständigkeit auch einem ihrer Oberlandesgerichte, an dem ein Commercial Court eingerichtet ist, oder einem gemeinsamen Commercial Court, der für mehrere Bundesländer zuständig ist, übertragen.
Dass vor den Commercial Courts auf Englisch verhandelt werden kann, ist uneingeschränkt zu begrüßen. Allerdings sollte dabei die schiedsverfahrensrechtliche Kompetenz der bisher zuständigen Senate nicht verloren gehen. Denn auf die Kompetenz der Commercial Courts in komplexen Wirtschaftsstreitigkeiten, auf welche der Regierungsentwurf hinweist, kommt es bei den gerichtlichen Verfahren, denen ein Schiedsverfahren zugrunde liegt, in der Regel nicht an. Das staatliche Gericht soll den Schiedsspruch gerade nicht im Sinne einer révision au fond sachlich nachprüfen.
Wie im Eckpunktepapier angekündigt, soll künftig klargestellt werden, dass auch außerhalb der Commercial Courts in gerichtlichen Verfahren, die ein Schiedsverfahren betreffen (§ 1062 Abs. 1 und 4 ZPO), Dokumente in englischer Sprache vorgelegt werden können. Das Gericht soll eine Übersetzung nur dann anordnen (§ 142 Abs. 3 ZPO) oder von Amts wegen einholen, wenn dafür im Einzelfall ein Bedürfnis besteht. Das Einholen einer Übersetzung soll also zur Ausnahme werden. Nicht ausdrücklich umfasst sind Schriftsätze, die in dem gerichtlichen Verfahren eingereicht werden, da die Gerichtssprache weiterhin Deutsch bleibt (§ 184 S. 1 GVG).
Weitere Regelungen
Entscheidet ein staatliches Gericht bis zur Bildung des Schiedsgerichts über die Zulässigkeit des Schiedsverfahrens (§ 1032 Abs. 2 ZPO), so soll es aus Gründen der Prozessökonomie künftig immer auch rechtskräftig über das Bestehen oder die Gültigkeit der Schiedsvereinbarung entscheiden. Bisher ist das nur der Fall, wenn das Gericht die Zulässigkeit bejaht, was denklogisch eine wirksame Schiedsvereinbarung voraussetzt. In allen anderen Fällen muss ein (Zwischen‑)Feststellungantrag gestellt werden (§ 256 ZPO).
Das deutsche Schiedsverfahrensrecht soll eine eigene Reglung zur Bestellung von Schiedsrichtern in Mehrparteienverfahren erhalten, also für die Fälle, in denen mehrere Parteien auf einer Seite beteiligt sind. Der Umgang mit dieser Konstellation ist bisher umstritten. Künftig müssten sich die auf einer Seite stehenden Parteien auf einen Schiedsrichter einigen. Andernfalls nimmt das staatliche Gericht die Bestellung vor und kann dabei auch den Schiedsrichter der Gegenseite (neu) bestellen. Für institutionelle Schiedsverfahren ergeben sich dadurch keine Neuerungen, denn die Schiedsordnungen der gängigen Schiedsgerichtsorganisationen sehen bereits entsprechende Regeln vor (zum Beispiel Art. 20 DIS-SchO und Art. 12 Abs. 6-8 ICC-SchO).
Dass Videoverhandlungen zulässig sind, soll klargestellt werden. Neu hinzu kommt, dass sich das Schiedsgericht auch über den Widerspruch einer Partei hinwegsetzen kann. Die Parteien haben also kein Recht auf Durchführung einer Präsenzverhandlung. Das entbindet das Schiedsgericht jedoch nicht von der Pflicht, sorgfältig zu prüfen, ob nicht doch gute Gründe für die Durchführung einer Präsenzverhandlung sprechen.
Die Befugnis des oder der Vorsitzenden, ohne vorherige Anhörung des Gegners die Zwangsvollstreckung aus dem Schiedsspruch oder die Vollziehung einer einstweiligen Maßnahme vorläufig zuzulassen (§ 1063 Abs. 3 ZPO), soll auf dringende Fälle beschränkt werden. Zur näheren Bestimmung dieses Begriffs kann auf das bekannte Zwangsvollstreckungsrecht (§§ 937 Abs. 2, 944 ZPO) zurückgegriffen werden. Die Entscheidung soll künftig nur noch auch auf Antrag ergehen, was bisher nicht klar aus dem Gesetz hervorging.
Zwei weitere Klarstellungen sind angesichts der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu diesen Fragen klarstellender Natur: Zum einen soll die Frist für den Antrag auf Aufhebung des Schiedsspruchs (§ 1059 Abs. 3 ZPO) nicht vor Abschluss eines gerichtlichen Verfahrens über die Zulässigkeit des Schiedsverfahrens (§ 1032 Abs. 2 ZPO) oder die Zuständigkeit des Schiedsgerichts (§ 1040 Ab. 3 S. 2 ZPO) zu laufen beginnen (BGH, Urteil v. 11. Mai 2017 – I ZB 75/16; BGH, Urteil v. 9. August 2016 – I ZB 1/15). Zum anderen soll, wenn das staatliche Gericht den Schiedsspruch in einem Verfahren zur Vollstreckbarerklärung aufhebt (§ 1060 Abs. 2 ZPO), die Schiedsvereinbarung im Zweifel wieder aufleben und das Gericht die Sache an das Schiedsgericht zurückverweisen können (§ 1059 Abs. 4, 5 ZPO; BGH, Beschluss v. 7. Juni 2018 – I ZB 70/17)
Nicht alle Reformvorschläge werden mit dem Gesetzesentwurf zur Modernisierung des Schiedsverfahrensrechts umgesetzt
Das Eckpunktepapier führte als weiteren möglichen Reformgegenstand auf, den Eilschiedsrichter im deutschen Schiedsverfahrensrecht zu verankern. Davon ist aber im Referenten- und im Regierungsentwurf keine Rede mehr.
Nicht wieder aufgegriffen wird auch die Idee, die Zuständigkeit für die Unterstützung bei der Beweisaufnahme und sonstige richterliche Handlungen (§ 1050 ZPO) auf die Oberlandesgerichte zu übertragen.
Nicht alle Forderungen wurden aufgegriffen
Oft gefordert, aber bisher noch nicht aufgegriffen wurde die Möglichkeit für Unternehmer, das deutsche AGB-Recht im Schiedsverfahren auszuschließen. Das ließe sich durch eine Klarstellung bewirken, dass die Rechtswahl der Parteien (§ 1051 Abs. 1 ZPO) insoweit keinen Beschränkungen unterliegt. Auch ohne diese Klarstellung dürfte die Abwahl des deutschen AGB-Rechts in Schiedsverfahren möglich sein und jedenfalls keinen Grund für eine spätere Aufhebung eines auf dieser Grundlage erlassenen Schiedsspruchs bilden
Teilweise wird eine Regelung gefordert, die klarstellt, welches Recht auf die Schiedsvereinbarung anwendbar ist. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung ist das in Anlehnung an die New York Convention (Art. V Abs. 1 Buchst. a) vorrangig das von den Parteien gewählte Recht und nachrangig das Recht am Schiedsort (BGH, Urteil v. 26. November 2020 – I ZR 245/19). Wenn es an einer Rechtwahl fehlt und der Schiedsort noch nicht bestimm ist, liegt eine Anwendung des Rechts nahe, zu dem die Schiedsvereinbarung die engste Verbindung hat (entsprechend Art. 4 Abs. 4 Rom I-VO, der auf Schiedsvereinbarungen allerdings nicht anwendbar ist). Ob eine ausdrückliche Rechtswahl im Hauptvertrag zugleich eine konkludente Wahl des auf die Schiedsvereinbarung anwendbaren Rechts beinhaltet, ist fraglich. Der Bundesgerichtshof scheint davon im Zweifel auszugehen.
Teilweise wird vorgeschlagen, die Verfahren zur Aufhebung- und Vollstreckbarerklärung von Schiedssprüchen beim Bundesgerichtshof zu konzentrieren. Das ist bereits in Österreich und der Schweiz der Fall. Dagegen spricht allerdings, dass die deutschen Oberlandesgerichte mit erheblich mehr Verfahren konfrontiert sind als der österreichische Oberste Gerichtshof oder das schweizerische Bundesgericht.
Teilweise wird mit Blick auf die fortschreitenden Entwicklungen im Bereich der Künstlichen Intelligenz vorgeschlagen, Regelungen für diesen Bereich zu schaffen. Das geschieht allerdings einerseits bereits auf europäischer Ebene (insbesondere ErwGr. 61 und Anhang III, Nr. 8 Buchst. a AI Act). Andererseits berührt der Einsatz von Künstlicher Intelligenz verfahrensrechtliche Grundsätze, die nicht nur das Schieds-, sondern auch das staatliche Verfahren betreffen. Entsprechende Regelungen sollten daher jedenfalls nicht beiläufig miteingeführt werden, sondern bedürfen eines eigenen, sorgfältig erstellten Reformvorschlags.
Kein großer Wurf, aber eine begrüßenswerte Neuerung
Wird der Schiedsstandort Deutschland also attraktiver? Ein großer Wurf in diese Richtung ist die geplante kleine Reform des Schiedsverfahrensrechts nicht und kann sie auch gar nicht sein. Der Regierungsentwurf ist dennoch zu begrüßen, denn er wird das deutsche Schiedsverfahrensrecht an einigen Stellen präzisieren und modernisieren. Mindestens genauso wichtig wird jedoch sein, im Anschluss daran die schon jetzt bestehenden Vorzüge des Schiedsstandorts Deutschland deutlicher herauszustellen und zu vermarkten: ein modernes Schiedsverfahrensrecht, das im Wesentlichen dem internationalen UNCITRAL-Standard entspricht, eine kompetente und effiziente Schiedsinstitution, die DIS, und eine insgesamt schiedsfreundliche Rechtsprechung.