Die Lokalkammer Lissabon hat in einer kürzlich veröffentlichen Anordnung die Anforderungen an den Erlass einstweiliger Maßnahmen weiter fortgebildet.
Wir haben in diesem Blog bereits verschiedentlich über einstweilige Maßnahmen vor dem Einheitlichen Patentgericht (Unified Patent Court, UPC) berichtet (siehe etwa hier). Auch das Berufungsgericht des UPC hat sich bereits zu den Voraussetzungen für den Erlass einstweiliger Maßnahmen geäußert. Dies hält die verschiedenen Lokalkammern des Gerichts erster Instanz aber nicht davon ab, insbesondere zu Einzelfragen der Voraussetzungen für den Erlass einstweiliger Maßnahmen zu entscheiden und damit für mehr Rechtssicherheit zu sorgen.
So hat es auch die Lokalkammer Lissabon in ihrer Anordnung vom 15. Oktober 2024 getan (UPC_CFI_317/2024, ORD_52116/2024). Die Klage auf Erlass einstweiliger Maßnahmen nach Art. 32 Abs. 1 lit. c) Übereinkommen über ein Einheitliches Patentgericht (EPGÜ) hatte die Telefonaktiebolaget LM Ericsson (Ericsson) eingereicht, die auch Inhaberin des Verfügungspatents EP 2 819 131 B1 (Titel: „Induktor-Layout für Kopplung mit reduzierter VCO-Kopplung“) ist. Die Lokalkammer Lissabon hat die Klage wegen fehlender Dringlichkeit abgewiesen.
Verfahrensablauf und Parteivortrag
Die Klage auf Erlass einstweiliger Maßnahmen wurde von Ericsson am 14. Juni 2024 eingereicht. Sie stützt sich auf eine Verletzung des Verfügungspatents durch den Verkauf von Notebooks, in denen zwei bestimmte WiFi-Module verbaut sind. Die WiFi-Module sind in den Notebooks seit 2019 bzw. 2021 verbaut. Die Klägerin führte am 5. Mai 2024, am 10. Juni 2024 und am 22. Juli 2024 jeweils Testkäufe von verschiedenen Notebooks in Portugal durch. Bereits am 12. Oktober 2023 hatte die Klägerin ein Verfahren in den USA bzgl. derselben WiFi-Module initiiert.
Die Beklagte zu 1) ist die Holding-Gesellschaft der ASUS-Gruppe und als solche Inhaberin der Domains, über die ASUS-Produkte in den EPGÜ-Vertragsmitgliedsstaaten, darunter auch Portugal, bezogen werden können. Die Beklagte zu 2) ist der Logistikpartner der Beklagten zu 1) für die EU. Die Beklagte zu 3) ist autorisierter Vertriebspartner für Produkte der Beklagten zu 1), jedenfalls in Irland und den Niederlanden. Die Beklagten, von denen eine ihren Sitz in Irland hat, erhielten Gelegenheit zur Stellungnahme zur Klage von Ericsson und reichten diese am 31. Juli 2024 ein. Hierin rügten sie die fehlende (örtliche) Zuständigkeit der Lokalkammer Lissabon. Zudem führten sie aus, dass keine Verletzung des Verfügungspatents vorliege und dass das Verfügungspatent nicht rechtsbeständig sei. Schließlich fehle die für den Erlass von einstweiligen Maßnahmen erforderliche Dringlichkeit. Replik und Duplik wurden von den Parteien ausgetauscht. Zudem wurde auf Antrag der Beklagten ein technisch qualifizierter Richter hinzugezogen. Am 12. September 2024 fand eine mündliche Verhandlung in Lissabon bei der Lokalkammer mit den drei rechtlich qualifizierten Richtern Lopes, Granata und Rinkinen sowie dem technisch qualifizierten Richter Pascasio statt.
Die Anordnung der Lokalkammer – (internationale) Zuständigkeit
Zunächst setzt sich die Lokalkammer mit der Frage auseinander, ob sie bzw. das UPC als solches international und auch sachlich bzw. örtlich zuständig ist.
Die internationale Zuständigkeit des UPC richtet sich nach Art. 31 EPGÜ, der insoweit auf die EU-Verordnung Nr. 1215/2012 (Brüssel-Ia-Verordnung) und auf das Lugano-Übereinkommen verweist. Die Parteien haben die internationale Zuständigkeit des UPC nicht in Abrede gestellt. Auch die Lokalkammer sieht die internationale Zuständigkeit des UPC als gegeben an und verweist zur Begründung der internationalen Zuständigkeit auf Art. 4 Abs. 1, 7 Abs. 2, 71, 71a und 71b Brüssel-Ia-Verordnung sowie auf Art. 32 Abs. 1 lit. c) und 83 Abs. 2 EPGÜ.
Die sachliche Zuständigkeit des UPC für Klagen auf Erlass einstweiliger Maßnahmen folgt aus Art. 32 Abs. 1 lit. c) EPGÜ.
Die örtliche Zuständigkeit der Lokalkammer wurde von den Beklagten bestritten. Indes nimmt die Lokalkammer ihre örtliche Zuständigkeit nach Art. 33 Abs. 1 lit. a) EPGÜ an. Danach ist diejenige Lokalkammer in dem Vertragsmitgliedsstaat des EPGÜ örtlich zuständig, in dessen Gebiet die tatsächliche oder drohende Verletzung erfolgt ist oder möglicherweise erfolgen wird. Die Beklagten führen gegen die örtliche Zuständigkeit der Lokalkammer Lissabon an, dass die vermeintlich patentverletzenden Produkte nicht von allen Merkmalen der Ansprüche des Verfügungspatents Gebrauch machten und sich Art. 33 Abs. 1 lit. a) EPGÜ nicht auf Mittelspersonen beziehe. Nach der Lokalkammer sei der Einwand mangelnder Patentverletzung für die Frage der (örtlichen) Zuständigkeit allerdings irrelevant, da es sich um einen Einwand gegen die Begründetheit der Klage handele. Zudem sei Art. 33 Abs. 1 lit. a) EPGÜ auch auf Mittelspersonen anwendbar. Da die Klägerin eine Patentverletzung u.a. in Portugal angegriffen habe, sei die Lokalkammer entsprechend örtlich zuständig.
Voraussetzungen für den Erlass einstweiliger Maßnahmen
Zu Beginn der Prüfung der Begründetheit der Klage fasst die Lokalkammer die Voraussetzungen zusammen, die für den Erlass von einstweiligen Maßnahmen erforderlich sind: Der Kläger muss nach Art. 47 EPGÜ berechtigt sein, das UPC anzurufen (nach Art. 47 Abs. 1 EPGÜ ist dies z.B. beim Patentinhaber der Fall), das Verfügungspatent muss rechtsbeständig sein und es muss eine Patentverletzung erfolgt sein oder drohen. Das UPC kann dem Kläger auferlegen, alle vernünftigerweise verfügbaren Beweise vorzulegen, um sich mit ausreichender Sicherheit davon überzeugen zu können, dass die vorgenannten Voraussetzungen vorliegen, vgl. Regel 211.2 der Verfahrensordnung (VerfO). Zudem ist für den Erlass von einstweiligen Maßnahmen Dringlichkeit und die Durchführung einer Interessenabwägung erforderlich, vgl. Regeln 209.1 lit. b), 211.2 und 211.3 VerfO. Diese Voraussetzungen müssen kumulativ vorliegen; ist eine nicht erfüllt, ist die Klage abzuweisen.
Ferner schließt sich die Lokalkammer der Auffassung des Berufungsgerichts an, nach der es für den erforderlichen Überzeugungsgrad des Gerichts für den Erlass einstweiliger Maßnahmen genügt, wenn das Gericht die Klagebefugnis und die Rechtsbeständigkeit sowie die Verletzung des Verfügungspatents für überwiegend wahrscheinlich erachtet. Grds. ist der Kläger darlegungs- und beweisbelastet für das Vorliegen der o.g. Voraussetzungen. In inter-partes-Verfügungsverfahren (schriftliche und/oder mündliche Anhörung des Beklagten) – wie hier – liegt die Darlegungs- und Beweislast für die (fehlende) Rechtsbeständigkeit des Verfügungspatents beim Beklagten.
Ferner stellt die Lokalkammer klar, dass es nicht erforderlich sei, zu allen Voraussetzungen Stellung zu nehmen, sofern eine (erkennbar) nicht erfüllt ist, die Kammern allerdings auch nicht gehindert seien, zu den (weiteren) nicht vorliegenden Voraussetzungen Stellung zu beziehen.
Dringlichkeit
Auch hier beginnt die Lokalkammer mit einigen allgemeinen Ausführungen und der Herleitung des Dringlichkeitserfordernisses, das sich nicht ausdrücklich im EPGÜ finde. Das Erfordernis der Dringlichkeit ergebe sich aus dem Ausnahmecharakter des Verfügungsverfahrens, der u.a. ein verkürztes Verfahren umfasse und daher von einer summarischen Prüfung und Schnelligkeit geprägt sei (vgl. für die Verfahrensabschnitte im Hauptsacheverfahren Regel 10 VerfO und im Verfügungsverfahren Regel 205 VerfO).
Nach der Lokalkammer fehlt die Dringlichkeit, wenn das Gericht aus objektiver Sicht zu dem Schluss gelange, dass der Kläger nicht wirklich daran interessiert war, seine Rechte umgehend durchzusetzen. Dies sei vorliegend der Fall. Die Lokalkammer folgt der Argumentation der Beklagten, nach der der Klägerin die angegriffenen WiFi-Module bereits (lange) vor dem (ersten) Testkauf am 5. Mai 2024 bekannt gewesen sein mussten. Dies folge zum einen aus der Produkteinführung bereits im Jahre 2019 bzw. 2021 und zum anderen aus der Einleitung des Verfahrens in den USA betreffend dieselben Module bereits im Oktober 2023. Daraus sei abzuleiten, dass die Klägerin die relevanten Märkte aktiv beobachtet habe, weshalb sie von der Produkteinführung im Jahre 2019 bzw. 2021 Kenntnis genommen haben müsse. Die Klägerin habe zudem nichts dazu vorgetragen, wann genau sie Kenntnis von den vermeintlich patentverletzenden Modulen erlangt habe, sondern insoweit nur auf das Datum des (ersten) Testkaufs verwiesen. Die Klägervertreter seien am 15. April 2024 mit der Untersuchung u.a. der streitgegenständlichen WiFi-Module beauftragt worden. Die Lokalkammer stellt folglich fest, dass es aufgrund des fehlenden Vortrags zu einem konkreten Datum der erstmaligen Kenntnisnahme von der vermeintlichen Patentverletzung keine andere Möglichkeit habe als die Markteinführung der Module (2019 bzw. 2021) als den für die Beurteilung der Dringlichkeit relevanten Zeitpunkt anzusehen. Ab diesem Zeitpunkt gerechnet fehle die Dringlichkeit und die Klage sei deshalb abzuweisen.
Patentverletzung und Rechtsbeständigkeit des Verfügungspatents
Ungeachtet der fehlenden Dringlichkeit führt die Lokalkammer in der Folge noch zur Patentverletzung und zur Rechtsbeständigkeit des Verfügungspatents aus.
Zunächst widmet sich die Lokalkammer der Rechtsbeständigkeit des Verfügungspatents und kommt zu dem Schluss, dass es überwiegend wahrscheinlich sei, dass sich das Verfügungspatent in einem (gedachten) Hauptsacheverfahren als rechtsbeständig erweise. Dabei setzt sie sich im Einzelnen mit den Einwänden der Beklagten gegen die Rechtsbeständigkeit auseinander (unzulässige Erweiterung; fehlende Neuheit und fehlende erfinderische Tätigkeit), erachtet diese jedoch jeweils für unbegründet.
Nachfolgend stellt die Lokalkammer fest, dass eine Verletzung des Verfügungspatents überwiegend wahrscheinlich sei. Interessant und verallgemeinerungsfähig sind die Ausführungen der Lokalkammer zu den einzelnen Verletzungshandlungen: Domaininhaber sind demnach ebenfalls Patentverletzer, soweit unter den Domains patentverletzende Produkte angeboten und/oder verkauft werden. Auch Mittelspersonen, die einer Patentverletzung dienende Aufgaben erfüllen – hier: Lagerung der Notebooks, die die angegriffenen Module enthalten – sind als Patentverletzer anzusehen, vgl. dazu auch Art. 63 Abs. 1 S. 2 EPGÜ.
Praktische Konsequenzen der Anordnung
Antragsteller bzw. Kläger sind in Verfügungsverfahren im eigenen Interesse gehalten, dem UPC mitzuteilen, zu welchem Zeitpunkt sie erstmals Kenntnis von der vermeintlichen Patentverletzung erlangt haben. Denn dieser Zeitpunkt bzw. dieses Datum ist der Ausgangspunkt der Beurteilung der Dringlichkeit. Wird dieser Zeitpunkt nicht angegeben, kann das UPC den Erlass einstweiliger Maßnahmen allein auf dieser Grundlage zurückweisen, sofern etwa die Markteinführung des vermeintlich patentverletzenden Produkts schon länger zurückliegt.
Antragsgegner bzw. Beklagten tun im eigenen Interesse gut daran, sämtliche Einwände vorzubringen, die gegen den Erlass der einstweiligen Maßnahmen sprechen, selbst wenn eine Voraussetzung für den Erlass (vermeintlich) eindeutig nicht erfüllt ist.