Die erste Hauptsacheentscheidung des Gerichts erster Instanz klärt wichtige Fragen und wird als Meilenstein zum weiteren Erfolg des UPC beitragen.
In der ersten Hauptsacheentscheidung hat sich die Lokalkammer Düsseldorf des Gerichts erster Instanz des Einheitlichen Patentgerichts (Unified Patent Court, UPC) u.a. zum Vorbenutzungsrecht geäußert und ein europäisches Vorbenutzungsrecht abgelehnt.
Das UPC hat Wort gehalten: Das Gericht hatte in Ziff. 7 Satz 1 der Präambel der Verfahrensordnung(VerfO) anvisiert, dass die letzte mündliche Verhandlung zur Verletzung und zur Rechtsgültigkeit in der ersten Instanz innerhalb eines Jahres nach Klageeinreichung stattfinden soll. Im vorliegenden Fall wurde die Verletzungsklage am 1. Juni 2023 eingereicht und die mündliche Verhandlung fand am 16. Mai 2024 statt. Ob dieser Zeitplan auch bei weiter steigenden Fallzahlen durchzuhalten ist, wird sich zeigen müssen. Personell hat das UPC zuletzt jedenfalls deutlich zugelegt und etwa bei der Lokalkammer in München einen zweiten Spruchkörper eröffnet sowie Zuwachs von Richtern deutscher Landes- und Oberlandesgerichte erhalten.
Die Entscheidung der Lokalkammer Düsseldorf vom 3. Juli 2024 – Verfahrensgegenstand und Anträge
Die allererste Hauptsacheentscheidung des UPC setzt sich gleich mit mehreren materiell-rechtlichen und prozessualen Fragestellungen auseinander. Gegenstand des Verfahrens ist eine Verletzungsklage i.S.d. Art. 32 Abs. 1 lit. a) des Übereinkommens über ein Einheitliches Patentgericht (EPGÜ) und eine Nichtigkeitswiderklage i.S.d. Art. 32 Abs. 1 lit. e) EPGÜ. Die Klägerin, eine deutsche Anbieterin hochwertiger Badobjekte aus Stahl-Email, hatte sich mit ihrer Verletzungsklage vom 1. Juni 2023 gegen das Anbieten und den Vertrieb von Duschwannen durch die deutsche Beklagte in Belgien, Dänemark, Frankreich, Italien, Luxemburg, den Niederlanden und Österreich gewandt. Die Beklagte greift mit ihrer Nichtigkeitswiderklage den Rechtsbestand des Klagepatents – Europäisches Patent (EP) 3 375 337 B1 (Titel: „Sanitärwanneneinrichtung“) – an. Außergerichtlich hatte die Klägerin der Beklagten eine Berechtigungsanfrage zukommen lassen. In ihrer Antwort war die Beklagte dem Verletzungsvorwurf nicht entgegengetreten, sondern hatte auf das von ihr gehaltene deutsche Patent DE 10 2017 105 180 verwiesen, das die Beklagte drei Tage vor der Prioritätsanmeldung des Klagepatents angemeldet hatte. Im weiteren Verlauf hatte die Klägerin die Beklagte erfolglos abgemahnt.
Die Klägerin greift zwei Ausführungsformen an, die von der Beklagten in den vorgenannten Ländern angeboten bzw. vertrieben werden. Die Klägerin stützt ihre Verletzungsklage vor allem auf eine unmittelbare Verletzung des Anspruchs 1 des Klagepatents durch die erste angegriffene Ausführungsform sowie auf eine mittelbare Verletzung des Anspruchs 1 des Klagepatents durch die zweite angegriffene Ausführungsform. Die Klägerin begehrt u.a. Unterlassung, Auskunft, Rückruf, die endgültige Entfernung aus den Vertriebswegen, die Festsetzung von Zwangsgeld und die Zahlung von (vorläufigem) Schadensersatz.
Tatsächliche und rechtliche Streitpunkte
Schlagwortartig zusammengefasst sind insbesondere folgende tatsächliche und rechtliche Aspekte zwischen den Parteien streitig:
- Zulässigkeit des Antrags auf Offenlegung der Bücher bereits in einem Verletzungsverfahren;
- Fortsetzung des Vertriebs der angegriffenen Produkte durch die Beklagte an Online-Händler;
- Vorbenutzungsrecht zugunsten der Beklagten und dessen sachlicher sowie territorialer Umfang;
- Neuheit und erfinderische Tätigkeit bzgl. des Gegenstands des Klagepatents.
Entscheidungsgründe der Lokalkammer Düsseldorf
Nach der Lokalkammer Düsseldorf ist die zulässige Klage begründet und die zulässige Widerklage teilweise begründet.
Mit Anordnung vom 1. Dezember 2023 hatte die Lokalkammer nach Art. 33 Abs. 3 lit. a) EPGÜ beschlossen, die Verletzungsklage und die Nichtigkeitswiderklage gemeinsam zu verhandeln.
Zu Beginn der Entscheidungsgründe schließt sich die Lokalkammer ausdrücklich der Rechtsprechung des Berufungsgerichts an, nach der die Grundsätze zur Auslegung eines Anspruchs eines EP nach Art. 69 des Europäischen Patentübereinkommens (EPÜ) i.V.m. mit dem Protokoll über die Auslegung des Art. 69 EPÜ gleichermaßen für die Beurteilung der Verletzung und des Rechtsbestands eines EP gelten.
Im weiteren Verlauf der Entscheidungsgründe stellt die Lokalkammer nach umfassenden Ausführungen zur Auslegung einzelner Merkmale des Hauptanspruchs des Klagepatents fest, dass der erteilte Hauptanspruch des Klagepatents nicht rechtsbeständig sei. Das Klagepatent sei allerdings in der Fassung des Hilfsantrags rechtsbeständig.
Nach der Prüfung des Rechtsbestands führt die Lokalkammer aus, dass die Verletzungsklage auch in der Sache begründet sei, da die Beklagte das Klagepatent mittelbar und unmittelbar verletze und sich nicht auf ein Vorbenutzungsrecht berufen könne.
Zur Frage der Patentverletzung führt die Lokalkammer nur knapp aus und stellt fest, dass diese hinsichtlich beider Ausführungsformen unstreitig sei.
Es folgen Ausführungen zum von der Beklagten geltend gemachten Vorbenutzungsrecht, dessen Bestehen die Lokalkammer jedenfalls in Bezug auf die streitgegenständlichen Vertragsmitgliedsstaaten als nicht gegeben ansieht. Das Vorbenutzungsrecht ist in Art. 28 EPGÜ geregelt. Dieser lautet:
„Wer in einem Vertragsmitgliedstaat ein Vorbenutzungsrecht oder ein persönliches Besitzrecht an einer Erfindung erworben hätte, wenn ein nationales Patent für diese Erfindung erteilt worden wäre, hat in diesem Vertragsmitgliedstaat die gleichen Rechte auch in Bezug auf ein Patent, das diese Erfindung zum Gegenstand hat.“
Die Lokalkammer hält wegen des engen Wortlauts der Vorschrift fest, dass der Nutzer der erfindungsgemäßen Technologie sich nur auf die Rechte berufen könne, die ihm die jeweiligen nationalen Regelungen der jeweiligen Vertragsmitgliedstaaten zubilligen. Das Bestehen eines Vorbenutzungsrechts müsse für jeden der geschützten Vertragsmitgliedstaaten unter dessen Bedingungen vorgetragen werden. Die Norm sehe gerade kein europäisches Vorbenutzungsrecht vor, sondern es handele sich um eine gleitende Verweisung auf das jeweilige nationale Recht. Für diese Auslegung der Norm spreche, dass ein unionsweites Vorbenutzungsrecht den effektiven europäischen Patentschutz über Gebühr einschränken könnte. Nach der Ansicht der Lokalkammer habe die Beklagte nur zum Erfindungsbesitz und dessen Betätigung innerhalb Deutschlands vorgetragen, nicht jedoch zu den im vorliegenden Verfahren streitgegenständlichen Vertragsmitgliedsstaaten.
In der Folge setzt sich die Lokalkammer noch mit den einzelnen Verletzungshandlungen der unmittelbaren Patentverletzung i.S.d. Art. 25 lit. a) EPGÜ sowie denjenigen der mittelbaren Patentverletzung i.S.d. Art. 26 Abs. 1 EPGÜ auseinander. Für eine unmittelbare Patentverletzung i.S.d. Art. 25 lit. a) EPGÜ genüge ein Inverkehrbringen über Zwischenhändler, sofern die Beklagte als Lieferantin konkrete Anhaltspunkte für eine Weiterlieferung hat, wovon im vorliegenden Fall mangels anderweitigen Vortrags der Beklagten auszugehen sei. Da die Beklagte die angegriffenen Produkte anbietet und in Verkehr bringt, bestehe eine widerlegbare Vermutung dafür, dass sie die angegriffenen Produkte ebenfalls gebraucht bzw. zu den Zwecken des Anbietens, Inverkehrbringens oder Gebrauchens einführt oder besitzt.
Bei der mittelbaren Patentverletzung i.S.d. Art. 26 Abs. 1 EPGÜ sei ein doppelter Hoheitsgebietsbezug zu verlangen. Das bedeute, dass Angebot und/oder Lieferung zum einen im Hoheitsgebiet erfolgen und zum anderen auch zur Benutzung der Erfindung im Hoheitsgebiet dienen müssen. Fraglich ist, ob es für die Erfüllung des doppelten Hoheitsgebietsbezugs bei einem europäischen (Bündel-)Patent, also einem „klassischen“ EP, ausreicht, dass das Anbieten bzw. Liefern in einem der streitgegenständlichen Vertragsmitgliedsstaaten erfolgt und zur unmittelbaren Benutzung der Erfindung in den anderen geschützten Vertragsmitgliedsstaaten gedacht ist oder ob bei einem „klassischen“ EP zu verlangen ist, dass die unerlaubte Handlung auf denselben Vertragsmitgliedsstaat zielen muss, in dem durch die Lieferung die unmittelbare Patentverletzung verwirklicht wird. Die Frage musste von der Lokalkammer im konkreten Fall nicht entschieden werden, da die Beklagte auch nach der engeren, letztgenannten Auffassung den objektiven Tatbestand der mittelbaren Patentverletzung erfüllt. Auch der subjektive Tatbestand der mittelbaren Patentverletzung sei gegeben.
Auf der Rechtsfolgenseite hat die Lokalkammer bzgl. der unmittelbaren Patentverletzung das Recht zur Untersagung einer Fortsetzung der Verletzung nach Art. 63 Abs. 1 EPGÜ ausgesprochen. Ferner stehe der Klägerin ein Recht auf Auskunft nach Art. 67 EPGÜ zu. Den Antrag auf Offenlegung der Bücher nach Art. 68 Abs. 1 EPGÜ hatte die Klägerin nach einem Hinweis der Lokalkammer zurückgenommen. Einen solchen hätte die Lokalkammer auch nicht zugesprochen, da er dem Verfahren zur Festsetzung der Höhe des Schadensersatzes vorbehalten ist. Der Klägerin steht nach der Lokalkammer allerdings ein Recht auf Übermittlung von Informationen, die die Klägerin zum Zwecke ihrer Rechtsverfolgung vernünftigerweise benötigt, gem. Art. 68 Abs. 3 EPGÜ zu. Zudem hat die Lokalkammer ein Zwangsgeld nach Art. 63 Abs. 2 EPGÜ für den Fall eines Verstoßes gegen das Unterlassungsgebot angedroht. Die Androhung für die Maßnahmen der Auskunft, Information, Rückruf und Entfernung aus den Vertriebswegen finden in Art. 82 Abs. 1, Abs. 4 EPGÜ i.V.m. Regel 354.3 VerfO ihre Grundlage. Zudem hat die Lokalkammer der Klägerin das Recht auf vorläufigen Schadensersatz nach Art. 68 Abs. 1 EPGÜ zugesprochen und festgestellt, dass Schadensersatz dem Grunde nach zu leisten ist. Die Rechtsfolgen bzgl. der mittelbaren Patentverletzung entsprechen im Wesentlichen den soeben dargelegten Rechtsfolgen, die sich aus der unmittelbaren Patentverletzung ergeben.
Ferner hat die Lokalkammer eine Kostengrundentscheidung nach Art. 69 Abs. 2 EPGÜ i.V.m. Regel 118.5 VerfO getroffen, wobei sie aufgrund des teilweisen Obsiegens und Unterliegens der Parteien die Kosten nach Billigkeit verteilt hat. Eine Sicherheitsleistung i.S.d. Art. 82 Abs. 2 EPGÜ i.V.m. Regel 118.8 S. 2 VerfO hat die Lokalkammer nicht festgesetzt, da kein erhebliches Schadensrisiko erkennbar sei, dessen Absicherung es bedurft hätte.
Fazit: Darlegungslast für das Vorbenutzungsrecht, getrennter Höheprozess und weitere Erkenntnisse
Die erste Entscheidung in der Hauptsache des UPC war mit Spannung erwartet worden, u.a. auch deshalb, weil die Art. 56 ff. EPGÜ (Kapitel IV des EPGÜ, Überschrift: „Befugnisse des Gerichts“) die Rechtsfolgen in das Ermessen des UPC stellen und sich damit vom deutschen Leitbild des Anspruchs und des damit verbundenen quasi-automatischen Unterlassungsanspruchs (vgl. § 139 Abs. 1 PatG ) unterscheiden. Wie die Entscheidung der Lokalkammer Düsseldorf gezeigt hat, dürften die Unterschiede in der Praxis indes regelmäßig gering ausfallen bzw. faktisch nicht vorhanden sein, insbesondere wenn die Beklagtenseite nicht zur vermeintlichen Unverhältnismäßigkeit der Rechtsfolgen vorträgt.
Berufen sich Beklagte auf ein Vorbenutzungsrecht, müssen sie zum Bestehen der Tatbestandsvoraussetzungen eines solchen Vorbenutzungsrechts für jeden der geschützten Vertragsmitgliedsstaaten vortragen, was angesichts unterschiedlicher nationaler Regelungen des Vorbenutzungsrechts entsprechende Anforderungen an das Anwaltsteam stellt.
Eine Verpflichtung zur Offenlegung der Bücher im Verletzungsverfahren scheidet aus, da ein solcher Antrag Teil des Verfahrens zur Festsetzung der Höhe des angeordneten Schadensersatzes ist. Der Antrag auf Offenlegung der Bücher geht ggf. dem bezifferten Schadensersatzanspruch voraus.
Bereits im Verletzungsverfahren können hingegen solche Informationen verlangt werden, die die Klägerseite benötigt, um von der Beklagtenseite erteilte Auskünfte auf Stichhaltigkeit überprüfen zu können und Anhaltspunkte für ihre Schadensberechnung zu erlangen (etwa Kostenfaktoren, die von der Beklagtenseite dem Verletzergewinn entgegengehalten werden). Daneben kann die Klägerseite Belege für die Auskünfte verlangen, namentlich Rechnungen oder hilfsweise Lieferscheine.
Die endgültige Entfernung aus den Vertriebswegen ist eine eigenständige, vom Rückruf zu trennende Maßnahme. Eine solche Entfernung kommt nur in Betracht, wenn der Verletzer hierzu die tatsächlichen und rechtlichen Möglichkeiten hat.