Der neue Bundes-Klinik-Atlas schafft Transparenz. Doch wie können Kliniken falsche oder wettbewerbsverzerrende Informationen richtigstellen lassen?
Gegen die bisher im Bundes-Klinik-Atlas veröffentlichten Informationen kann ein Klinikbetreiber bei Unrichtigkeit Klage vor dem Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen erheben und dies ggf. mit einem sozialgerichtlichen Eilverfahren verbinden, wenn er glaubhaft machen kann, dass ein Abwarten der Hauptsacheentscheidung aufgrund der wirtschaftlichen Einbußen unzumutbar wäre.
Diese Möglichkeit wird mutmaßlich zunehmend an Relevanz gewinnen, da im Lauf der Zeit weitere Kategorien von Informationen über die Krankenhäuser im Bundesgebiet im Bundes-Klinik-Atlas ergänzt werden sollen und sich dadurch wettbewerbsverzerrende Effekte weiter verstärken könnten.
Neuer Bundes-Klinik-Atlas soll Transparenz schaffen
Durch das Krankenhaustransparenzgesetz vom 22. März 2024 hat der Gesetzgeber mit § 135d SGB V eine Rechtsgrundlage für ein Transparenzverzeichnis, den sog. Bundes-Klinik-Atlas, geschaffen. Durch den Bundes-Klinik-Atlas sollen Patienten verständlich und transparent über den Umfang und die Qualität der Versorgung sowie die Personalausstattung in den Krankenhäusern im Bundesgebiet informiert werden.
Der Bundes-Klinik-Atlas bietet auch eine Funktion an, mit der mehrere Kliniken ausgewählt und in einer Gegenüberstellung miteinander verglichen werden können. Die Qualität für die Kategorien „Behandlungsfälle“ und „Pflegepersonalquotient“ wird stark vereinfacht durch eine Art „Tachoanzeige“ bildlich dargestellt.
Das Transparenzverzeichnis wird vom Bundesministerium für Gesundheit betrieben, fortlaufend aktualisiert und ist kostenlos über das Internet zugänglich. Zudem sollen im Lauf der Zeit weitere Informationen hinzugefügt werden, die einen Bezug zur Behandlungsqualität aufweisen. Dies werden beispielsweise „aussagekräftige“ Zertifikate und Qualitätssiegel über die stationäre Versorgung sein (vgl. § 135d Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 SGB V). Zudem ist geplant, auch die Patientenperspektive zu berücksichtigen, indem Ergebnisse aus Patientenbefragungen als zusätzliche Erkenntnisgrundlage bei der Darstellung der Versorgungsqualität ergänzt werden (vgl. BT-Drs. 20/8904, Seite 29 f.).
Die im Bundes-Klinik-Atlas vorzufindenden Daten über die Krankenhäuser werden von dem Institut für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen (IQTIG) gesammelt, aufbereitet und in den Bundes-Klinik-Atlas eingepflegt, dessen Trägerin nach § 137a SGB V eine Stiftung des öffentlichen Rechts ist, die vom Gemeinsamen Bundesausschuss gegründet wird und in dessen Auftrag handelt. Die vom IQTIG verwendeten Daten sind solche, die öffentlich zugänglich sind oder nach § 299 Abs. 7 SGB V erhoben wurden. Überdies verarbeitet das IQTIG weitere Daten, u.a. solche, die ihm von dem Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus (InEK GmbH) zugeliefert werden. Gesellschafter der InEK GmbH sind die Deutsche Krankenhausgesellschaft e.V., der GKV-Spitzenverband und der Verband der Privaten Krankenversicherungen e.V. Das IQTIG arbeitet auf Basis von wissenschaftlichen Standards, die als „Methodische Grundlagen“ bezeichnet werden und derzeit in der Version 2.0 vom 27. April 2022 vorliegen.
Aufgrund von Kritik u.a. an der Komplexität des Bundes-Klinik-Atlasses für Patienten wurde dieser bereits drei Monate nach Inkrafttreten des Gesetzes überarbeitet. Ausweislich von Presseberichten wurden von Krankenhäusern zudem fehlerhafte Daten im Transparenzverzeichnis beanstandet. Der Kritik von Krankenhausvereinigungen wird vom Bundesministerium für Gesundheit entgegengehalten, diese würden die neue Transparenz und den Wettbewerb mit anderen Häusern fürchten. Allerdings hat beispielsweise jüngst auch die schleswig-holsteinische Gesundheitsministerin Professorin Kerstin von der Decken Kritik am Bundes-Klinik-Atlas wegen fehlerhafter Informationen geübt mit dem Appell
Die Gesundheit von Menschen darf nicht aufgrund falscher staatlicher Information gefährdet werden (…). Wenn der Bund die Fehler nicht umgehend beheben kann, muss er den Atlas vom Netz nehmen, bis er sie behoben hat.
Grundlagen staatlichen Informationshandelns
Durch staatliches Informationshandeln können Eingriffe in die Grundrechte der von den Informationen Betroffenen verursacht werden. Im Hinblick auf die Tätigkeit von privaten Krankenhäusern ist dies insbesondere die Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 3 GG.
Das Bundesverfassungsgericht verlangt für einen Eingriff in die Berufsfreiheit durch staatliches Informationshandeln, dass die amtliche Information direkt auf die Marktbedingungen konkret individualisierter Unternehmen zielt, indem sie die Grundlagen der Entscheidungen am Markt zweckgerichtet beeinflusst und so die Markt- und Wettbewerbssituation zum wirtschaftlichen Nachteil der betroffenen Unternehmen verändert (BVerfG, Beschluss v. 21. März 2018 – 1 BvF 1/13). Vor diesem Hintergrund kann ein Eingriff in die Berufsfreiheit eines Krankenhauses durch Informationen im Bundes-Klinik-Atlas angenommen werden, wenn diese dazu führen, dass sich ein potenzieller Patient aufgrund bestimmter Informationen für ein konkurrierendes Krankenhaus entscheidet.
Grundrechtseingriffe sind rechtfertigungsbedürftig. Sie bedürfen einer gesetzlichen Grundlage und müssen verhältnismäßig sein. Im Rahmen des staatlichen Informationshandelns ist im Hinblick auf die Verhältnismäßigkeit insbesondere das Gebot von Sachlichkeit und Richtigkeit des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Beschluss v. 26. Juni 2002 – 1 BvR 558/91) zu beachten. Dabei kann sich die Rechtswidrigkeit des staatlichen Informationshandelns bereits auf der ersten Stufe der Verhältnismäßigkeitsprüfung, der Geeignetheit, ergeben, weil nur die Verbreitung richtiger Information zur Erreichung des Informationszwecks geeignet ist (vgl. BVerfG, Beschluss v. 21. März 2018 – 1 BvF 1/13).
In der Entscheidung vom 26. Juni 2002 (1 BvR 558/91) verlangt das Bundesverfassungsgericht zudem, dass der Sachverhalt vor seiner Verbreitung im Rahmen des Möglichen sorgsam und unter Nutzung verfügbarer Informationsquellen, gegebenenfalls auch unter Anhörung Betroffener, aufgeklärt worden ist. Wird hiergegen verstoßen, könnte auch darauf ggf. ein Unterlassungs- oder Berichtigungsanspruch gestützt werden.
Prozessuale Überlegungen zum Vorgehen gegen falsche oder wettbewerbsverzerrende Informationen
Nach § 135d Abs. 5 SGB V ist gegen die Veröffentlichung im Bundes-Klinik-Atlas der sozialgerichtliche Rechtsweg eröffnet. Gemäß § 29 Abs. 3 Nr. 5 SGG liegt die ausschließliche örtliche Zuständigkeit für solche Klagen beim Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen in Essen. Der Klagegegner wäre die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch das Bundesministerium für Gesundheit als Betreiber des Bundes-Klinik-Atlasses.
Da sich die Veröffentlichung von Informationen im Bundes-Klinik-Atlas als Realakt darstellt, wäre voraussichtlich eine allgemeine Leistungsklage in Form einer Unterlassungsklage, gerichtet auf die Entfernung der fehlerhaften oder irreführenden Information, die statthafte Klageart. Gleiches gilt für die gerichtliche Erlangung einer Berichtigung fehlerhafter oder irreführender Informationen. Eine Feststellungsklage wäre zu der allgemeinen Leistungsklage wohl subsidiär und würde überdies Nachteile im Rahmen einer Vollstreckung aufweisen.
Weil sich Informationen im Internet erfahrungsgemäß schnell verbreiten, wäre zu überlegen, eine in der Hauptsache zu erhebende allgemeine Leistungsklage mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 86b Abs. 2 SGG zu flankieren. Voraussetzung dafür wäre eine überwiegende Wahrscheinlichkeit des Bestehens eines Unterlassungs- oder Berichtigungsanspruchs und das Vorliegen einer besonderen Dringlichkeit für die Erlangung von Eilrechtsschutz. Letzteres bereitet in der prozessualen Praxis oftmals größere Schwierigkeiten und bedarf einer hinreichenden Glaubhaftmachung im Hinblick auf die wirtschaftlichen Nachteile, die die Information nach sich zieht.
Wettbewerbsrechtliche Ansprüche gegen den Betrieb des Bundes-Klinik-Atlasses?
In Betracht käme auch ein Unterlassungsanspruch im Zusammenhang mit dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG). Allerdings hat das Oberlandesgericht Köln in einem Beschluss vom 7. Februar 2024 (6 U 109/23) zu einer Unterlassungsklage nach dem UWG gegen die Bundesrepublik Deutschland wegen Betreibens des Nationalen Gesundheitsportals gemäß § 395 SGB V entschieden, dass das UWG nicht anwendbar sei. Das Oberlandesgericht Köln begründet dies damit, dass wegen § 395 SGB V kein Gleichordnungsverhältnis zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den privaten Betreibern von Gesundheitsportalen vorliege und die Bundesrepublik Deutschland das Nationale Gesundheitsportal gratis und ohne Werbung betreibe. Die Bundesrepublik Deutschland sei daher kein Mitbewerber im Sinne von § 2 Nr. 3 UWG.
Es ist zu vermuten, dass ein wettbewerbsrechtlicher Unterlassungsanspruch gegen den Betrieb des Bundes-Klinik-Atlasses aus den gleichen Gründen scheitern würde und ggf. bis zum Bundesgerichtshof getragen werden müsste, um hinreichende Aussicht auf Erfolg zu haben.
Bei wettbewerbsverzerrenden Effekten kann vor dem Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen geklagt werden
Gegen die bisher im Bundes-Klinik-Atlas veröffentlichten Informationen kann ein Klinikbetreiber bei Unrichtigkeit Klage vor dem Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen erheben und dies ggf. mit einem sozialgerichtlichen Eilverfahren verbinden, wenn er glaubhaft machen kann, dass ein Abwarten der Hauptsacheentscheidung aufgrund der wirtschaftlichen Einbußen unzumutbar wäre.
Diese Möglichkeit wird mutmaßlich zunehmend an Relevanz gewinnen, da im Lauf der Zeit weitere Kategorien von Informationen über die Krankenhäuser im Bundesgebiet im Bundes-Klinik-Atlas ergänzt werden sollen und sich dadurch wettbewerbsverzerrende Effekte weiter verstärken könnten.
Überdies stellt sich beispielsweise die Frage, inwieweit die Darstellung der Behandlungsqualität einzelner Krankenhäuser in Gestalt eines „Tachos“ gegen den allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG verstoßen könnte, weil möglicherweise wesentlich Ungleiches gleich behandelt wird, wenn bei einem Vergleich zweier Kliniken beide in der Kategorie „Behandlungsfälle“ zwar die höchste Stufe (grün, „sehr viele“) erreichen, aber eine der Kliniken deutlich mehr Fälle vorweisen kann als die andere Klinik. Zudem wirft die gesetzgeberische Konzeption des Bundes-Klinik-Atlasses mit dem Zusammenspiel zwischen Bundesgesundheitsministerium, IQTIG und InEK GmbH Fragen im Hinblick auf die lediglich eingeschränkte Zulässigkeit ministerialfreier Räume aus dem Staatsorganisationsrecht auf.