Immer wieder verwenden Parteien Musikwerke zu Wahlkampfzwecken. Doch was ist erlaubt? Und wie können sich betroffene Künstler zur Wehr setzen?
Die Ampel ist gescheitert und der Wahlkampf für die anstehende Bundestagswahl ist im vollen Gange. Die Parteien buhlen um die Stimmen der Wählerinnen und Wähler. Ein seit jeher beliebtes Mittel, um den Wahlauftritt zu untermalen und die gewünschten Emotionen hervorzurufen, ist der Einsatz von Musik. Das gefällt zwar den Politikern*, in manchen Fällen aber nicht den Musikern, deren Werke zum Einsatz kommen. Zuletzt hat sich beispielsweise Herbert Grönemeyer gegen die Nutzung seines Songs „Zeit, dass sich was dreht“ durch die Junge Union und Robert Habeck gewehrt.
Der Beitrag beleuchtet die Rahmenbedingungen, unter denen Musik im Wahlkampf eingesetzt werden kann, und zeigt auf, wie sich Musiker gegen eine Entstellung ihrer Werke wehren können.
Die Verwertungsrechte an Musikwerken verwaltet die GEMA
Songs sind in aller Regel als persönliche geistige Schöpfungen nach § 2 Abs. 2 UrhG einzustufen und daher als Werke der Musik urheberrechtlich geschützt. Das bedeutet, dass jede urheberrechtliche Nutzungshandlung im Sinne des § 15 UrhG oder Bearbeitung des Werkes nach § 23 UrhG die Einwilligung des Rechteinhabers erfordert. Um den Urhebern die Lizenzierung ihrer Werke und die Durchsetzung ihrer Rechte zu erleichtern, haben sich Verwertungsgesellschaften für die verschiedensten Bereiche entwickelt. Die bekannteste Verwertungsgesellschaft ist die GEMA, die im Bereich der Musik die Nutzungsrechte von über 95.000 Komponisten, Textdichtern und Verlegern in Deutschland kollektiv verwaltet. Die so erzielten Nutzungsrechte verteilt sie unter den Mitgliedern.
Zu den von der GEMA verwalteten Urheberrechten an Musikwerken zählen beispielsweise das Aufführungsrecht, das Senderecht für Hörfunk und Fernsehen oder das das Recht der öffentlichen Wiedergabe durch Ton- und Bildtonträger.
Die Nutzung von Musikwerken im Rahmen von Wahlkampfveranstaltungen erfordert also die Einholung einer entsprechenden kostenpflichtigen Lizenz bei der GEMA.
Die Urheberpersönlichkeitsrechte verbleiben beim Künstler
Doch die Einholung der Verwertungsrechte bei der GEMA genügt unter Umständen nicht, um ein Musikstück im Rahmen des Wahlkampfs zu verwenden. Neben den Verwertungsrechten stehen jedem Urheber auch die sogenannten Urheberpersönlichkeitsrechte zu. Grundlage dieser Rechte ist die gesetzgeberische Annahme, dass jedes Werk durch die ihm innewohnende Kreativität auch eine Ausprägung der Persönlichkeit des Urhebers ist. Um diesen persönlichkeitsrechtlichen Aspekt jedes Werkes zu schützen, stehen dem Urheber die Urheberpersönlichkeitsrechte zu, die unveräußerlich und – abgesehen von wenigen Ausnahmen – auch unverzichtbar sind. Unabhängig von einer Übertragung der Verwertungsrechte an die GEMA verbleiben die Urheberpersönlichkeitsrechte immer bei dem Urheber oder den Miturhebern selbst.
Die wesentlichen Urheberpersönlichkeitsrechte sind das Recht auf Anerkennung der Urheberschaft nach § 13 UrhG und das Recht, eine Entstellung des Werkes zu untersagen nach § 14 UrhG. Letzteres wird im Rahmen der Nutzung von Musikwerken im Wahlkampf relevant. Danach hat der Urheber das Recht
eine Entstellung oder eine andere Beeinträchtigung seines Werkes zu verbieten, die geeignet ist, seine berechtigten geistigen oder persönlichen Interessen am Werk zu gefährden.
Ob ein Werk entstellt oder anderweitig beeinträchtigt wird, ist anhand objektiver Kriterien zu beurteilen. Die Meinung des Künstlers, sein Werk werde entstellt oder sonst beeinträchtigt, genügt allein nicht. Dabei kommt es maßgeblich auf die Umstände des jeweiligen Einzelfalls an.
„Die Atzen“, „Die Höhner“ und Herbert Grönemeyer
Ein Fall, der mediale Aufmerksamkeit erhielt, war die Verfremdung des Musikstücks „Das geht ab!“ der Band „Die Atzen“ durch den brandenburgischen Landesverband der sogenannten Alternative für Deutschland. Der Landesverband hatte eine rassistisch veränderte Version des Songs verwendet und gab nach Medienberichten eine strafbewehrte Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung ab. Hier lag – ohne dass dies gerichtlich bestätigt worden wäre – eine Entstellung des Werkes und mithin eine Verletzung der Urheberpersönlichkeitsrechte vor.
Eine derartige Veränderung des Musikwerks selbst ist dabei nicht zwingend erforderlich. Auch mittelbare Beeinträchtigungen können ausreichen. Das Urheberpersönlichkeitsrecht kann beispielsweise auch dadurch verletzt werden, dass das Musikwerk in einen völlig anderen – beispielsweise gewaltverherrlichenden, pornografischen oder eben politischen – Kontext gesetzt wird.
In der Vergangenheit gab es bereits Fälle, in denen Gerichte die Nutzung von Musikwerken zu Wahlkampfzwecken als Entstellung werteten und unter Berufung auf das Urheberpersönlichkeitsrecht untersagten. Die prominenteste Entscheidung dieser Art stammt vom BGH (I ZR 147/16) und datiert auf das Jahr 2017. Die Kläger, Mitglieder der Kölner Musikgruppe „Die Höhner“, hatten gegen den Landesverband Thüringen der NPD geklagt, weil dieser ihre Musikstücke „Wenn nicht jetzt, wann dann“ und „Jetzt geht’s los“ während des Landtagswahlkampfes 2014 unverändert verwendet hatte. Obwohl die Beklagte GEMA-Gebühren entrichtet und somit die notwendigen Verwertungsrechte erworben hatte, nahmen alle Instanzen bis hin zum BGH richtigerweise eine Verletzung der Urheberpersönlichkeitsrechte der Musiker an und untersagten die Nutzung. Entscheidend war hier, dass die Musikstücke in die Dramaturgie der Wahlkampfveranstaltung integriert und somit in einen politischen Kontext gestellt wurden. Der BGH betonte, dass die Verwendung von Musikwerken im Wahlkampf einer politischen Partei, und sei es nur durch einen Transfer der von den Werken ausgehenden Stimmung, besonders geeignet sei, die Interessen der Urheber zu beeinträchtigen. Das gelte insbesondere, wenn, wie im damals vorliegenden Fall, Unterhaltungsmusik durch eine verfassungsfeindliche Partei vereinnahmt wird.
Auf Grundlage des Urheberpersönlichkeitsrechts versuchte wohl auch Herbert Grönemeyer, die Nutzung durch die Junge Union und Robert Habeck zu untersagen. Zu einer gerichtlichen Durchsetzung der Ansprüche kam es (soweit bekannt) allerdings nicht. Ob er damit erfolgreich gewesen wäre, ist auch offen. Denn das Urheberpersönlichkeitsrecht nach § 14 UrhG gewährt dem Urheber nicht das Recht, gegen jede Nutzung des Musikwerks im politischen Kontext vorzugehen.
Zusätzlich zur Entstellung des Werkes erfordert § 14 UrhG, dass diese geeignet ist, die berechtigten geistigen oder persönlichen Interessen des Urhebers am Werk zu gefährden. Hiernach sind im Einzelfall die Interessen des Musikers gegen die Interessen des Nutzers des Musikwerks abzuwägen. Als Kriterien dieser Interessenabwägung können beispielsweise der Grad der Öffentlichkeit der Nutzung, der konkrete Gebrauchszweck und die Intensität des Eingriffs berücksichtigt werden. Von einem Überwiegen der Interessen des Urhebers kann nach der Rechtsprechung jedenfalls ausgegangen werden, wenn für den unbefangenen Betrachter der Eindruck entstehen kann, der Urheber wirke am Wahlkampf der Partei zumindest duldend mit oder teile auch nur die jeweiligen politischen Überzeugungen. Das muss im Einzelfall genau untersucht werden (vgl. OLG Thüringen, Urteil v. 18. März 2015 – 2 U 674/14).
Die Beeinträchtigung der Band „Die Höhner“ durch die Nutzung der verfassungsfeindlichen NPD war derart hoch, dass die Interessenabwägung offensichtlich zu Gunsten der Musiker ausfiel. Im Fall der Nutzung „Zeit, dass sich was dreht“ durch Robert Habeck ist im Rahmen der Interessenabwägung zu Lasten von Herbert Grönemeyer zu berücksichtigen, dass dieser sich wiederholt öffentlich für eine grünere Klimapolitik ausgesprochen hat und sein Werk damit zumindest nicht in eine politische Ecke gerückt worden ist, die den Werten des Musikers erkennbar widerspricht.
Auch ausübende Künstler sind geschützt
Neben den Urhebern eines Musikwerkes, also den Schöpfern der Melodie oder des Textes, sind auch ausübende Künstler vor Entstellungen ihrer Performance geschützt. Ein ausübender Künstler ist nach § 73 UrhG derjenige, der
ein Werk oder eine Ausdrucksform der Volkskunst aufführt, singt, spielt oder auf eine andere Weise darbietet oder an einer solchen Darbietung künstlerisch mitwirkt.
Diese sind also nicht an der Schöpfung des Musikwerks beteiligt, sondern führen dieses lediglich auf. In der Praxis kommen hier insbesondere Sänger und andere Musiker in Betracht. Auch ausübende Künstler sind nach § 75 UrhG berechtigt, eine Entstellung oder eine andere Beeinträchtigung ihrer Darbietung zu verbieten, die geeignet ist, ihr Ansehen oder ihren Ruf als ausübender Künstler zu gefährden. Die Anforderungen sind die gleichen wie bei Urhebern.
Auf Grundlage dieses Künstlerpersönlichkeitsrechts wandte sich beispielsweise Helene Fischer gegen die Verwendung Ihres Liedes „Atemlos“ auf einer Wahlkampfveranstaltung der NPD. Das Oberlandesgericht Thüringen untersagte der Partei die Nutzung des Liedes, weil auch hier nicht ausgeschlossen werden könne, dass ein unvoreingenommener Durchschnittsbeobachter aufgrund der Wiedergabe des Liedes bei der Veranstaltung annehme, dass Helene Fischer im Wahlkampf der NPD (zumindest duldend) mitwirke oder aber auch nur ihren politischen Überzeugungen nahestehe (vgl. OLG Thüringen, Urteil v. 18. März 2015 – 2 U 674/14). Hierin liege eine mittelbare Verletzung des Künstlerpersönlichkeitsrechts.
Bei Verletzungen hilft ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung
Sofern nach diesen Grundsätzen eine Entstellung oder Beeinträchtigung des Musikwerks angenommen werden kann und die Interessenabwägung zugunsten des Urhebers ausfällt, stehen diesem insbesondere die Ansprüche nach § 97 UrhG auf Unterlassung der Rechtsverletzung und Schadensersatz zu. Dabei ist zu beachten, dass im Fall der Miturheberschaft, die gerade bei Musikwerken häufig vorliegt, jeder Urheber einzeln berechtigt ist, die Ansprüche geltend zu machen.
Um eine andauernde Verletzung des Urheberpersönlichkeitsrecht möglichst effektiv und zeitnah zu unterbinden, empfiehlt sich zunächst eine schnelle Abmahnung. Sollte diese nicht zum Erfolg führen, bleibt ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung – das sogenannte gerichtliche Eilverfahren. Hier kann binnen weniger Wochen ein vorläufiges gerichtliches Verbot erwirkt werden. In diesem Zusammenhang ist allerdings zu beachten, dass eine einstweilige Verfügung nur bei besonders dringenden Fällen erlassen wird. Das ist in der Praxis des Medienrechts zwar regelmäßig der Fall – wer aber zu lange abwartet, bevor er die einstweilige Verfügung beantragt, widerlegt die ursprünglich vermutete Dringlichkeit. Die Gerichte wenden hier starre Fristen an. Je nach zuständigem Landgericht beträgt diese sogenannte Dringlichkeitsfrist zwischen vier und acht Wochen ab Kenntnis der Rechtsverletzung. Im Anschluss daran bleibt nur das langwierige Hauptsacheverfahren, bei dem es oft über ein Jahr dauert, bis ein erstinstanzliches Urteil erwirkt werden kann. Betroffene Musiker sollten also nicht zu lange zögern und die mögliche Durchsetzung urheberrechtlicher Ansprüche alsbald nach Kenntnis der Entstellung ihres Werks prüfen lassen.
*Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Um der leichteren Lesbarkeit willen wird im Beitrag die grammatikalisch männliche Form verwendet.