Können Gebrauchsgegenstände wie Möbel urheberrechtlichen Schutz genießen? Grundsätzlich ja! Die Einzelheiten beschäftigen aktuell wieder EuGH und BGH.
Wo fängt urheberrechtlicher Schutz an? Bei potenziellen Werken der angewandten Kunst wie z.B. Möbeln oder Bekleidungsmodellen stellt sich die Frage nach der urheberrechtlichen Schutzfähigkeit besonders häufig. Dabei dürfte mittlerweile feststehen, dass an sie keine höheren Anforderungen zu stellen sind als an andere Werkarten. Trotzdem kommt es in der Praxis häufig zum Streit. Der folgende Beitrag gibt einen Überblick zur Rechtslage und den Hintergründen.
Werke der angewandten Kunst sind gem. §§ 2 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 UrhG urheberrechtlich schutzfähig
Das deutsche und europäische Urheberrecht schützt nicht nur Werke, die klassischen Kunstformen zuzuordnen sind. Vielmehr sind neben Werken der Malerei, Fotografie oder Literatur auch Werke der angewandten Kunst gem. § 2 Abs. 1 Nr. 4 UrhG vom urheberrechtlichen Schutz umfasst. Werke der angewandten Kunst zeichnen sich dadurch aus, dass sie einen Gebrauchszweck aufweisen wie z.B. Möbel, Vasen oder Karosserieteile eines Kfz.
Voraussetzung für den urheberrechtlichen Schutz ist, dass der betreffende Gegenstand als Werk i.S.d. § 2 Abs. 2 UrhG zu qualifizieren ist und die von der Rechtsprechung des EuGH aufgestellten Kriterien des Werkbegriffs erfüllt.
Danach setzt die Schutzfähigkeit als Werk zwei Merkmale voraus:
Zum einen muss es sich um ein Original handeln, das eine eigene geistige Schöpfung seines Urhebers ist. Dies ist gegeben, wenn der Gegenstand die Persönlichkeit seines Urhebers widerspiegelt, indem er dessen freie kreative Entscheidungen zum Ausdruck bringt (EuGH, Urteil v. 11. Juni 2020 – C-833/18 Rn. 22f. – Brompton m.w.N.).
Zum anderen muss eine solche Schöpfung zum Ausdruck gebracht werden. Dies erfordert nach der Rechtsprechung des EuGH einen mit hinreichender Genauigkeit und Objektivität identifizierbaren Gegenstand (EuGH, Urteil v. 11. Juni 2020 – C-833/18 Rn. 22, 25 – Brompton m.w.N.).
Werke der angewandten Kunst unterliegen denselben Schutzerfordernissen wie andere Werkarten
Dabei misst die Rechtsprechung des EuGH bei jeder Werkkategorie mit demselben Maß und nimmt – entgegen der lange vorherrschenden Auffassung in der deutschen Rechtsprechung – keine Unterscheidung zwischen Werken der zweckfreien bildenden und der angewandten Kunst vor.
Seit der Geburtstagszugentscheidung des BGH im Jahr 2014 (BGH, Urteil v. 13. November 2013 – I ZR 143/12 – Geburtstagszug) sind auch nach der deutschen Rechtsprechung an den Urheberrechtsschutz von Werken der angewandten Kunst keine anderen Anforderungen zu stellen als an den Urheberrechtsschutz von Werken der zweckfreien bildenden Kunst. Zuvor forderte die deutsche Rechtsprechung lange ein „deutliches Überragen der Durchschnittsgestaltung″ für die Annahme der urheberrechtlichen Schutzfähigkeit von Werken der angewandten Kunst (BGH, Urteil v. 22. Juni 1995 – I ZR 119/93 – Silberdistel). In der Vergangenheit waren die Anforderungen an einen urheberrechtlichen Schutz von Werken der angewandten Kunst somit strenger als die Anforderungen an die Schutzfähigkeit anderer Werkarten.
Soll ein Gegenstand als Werk urheberrechtlichen Schutz genießen, darf die Gestaltung nicht allein durch technische Erwägungen, Regeln oder andere Zwänge bestimmt sein
Damit eine eigene geistige Schöpfung vorliegt, die freie kreative Entscheidungen zum Ausdruck bringt, darf die Schöpfung nicht vollständig durch technische Erwägungen, Regeln oder andere Zwänge vorbestimmt sein. Vielmehr muss Raum für die Ausübung künstlerischer Freiheit übrigbleiben, der ausgenutzt wurde (EuGH, Urteil v. 11. Juni 2020 – C-833/18 Rn 24 – Brompton m.w.N.). Da sich Werke der angewandten Kunst gerade dadurch auszeichnen, dass sie einen Gebrauchszweck erfüllen, spielt dieser Aspekt bei der Beurteilung ihrer Schutzfähigkeit eine besondere Rolle.
Maßgeblich für den urheberrechtlichen Schutz ist der Gestaltungsspielraum
Möchte man feststellen, ob ein Gebrauchsgegenstand aufgrund seiner besonderen Gestaltung urheberrechtlichen Schutz genießt, ist daher zu fragen, welche Gestaltungselemente des Gegenstands bereits durch technische Erwägungen oder andere Sachzwänge vorbestimmt waren. Diese können zur Begründung eines urheberrechtlichen Schutzes nicht herangezogen werden. Alle anderen Gestaltungselemente können hingegen in die Beurteilung der Urheberrechtsfähigkeit einfließen.
Aber: Das Bestehen eines Gestaltungsspielraums allein führt nicht zu Urheberrechtsschutz
Jedoch führt die Tatsache, dass bei der Schöpfung ein Gestaltungsspielraum bestand, nicht automatisch dazu, dass der betroffene Gegenstand urheberrechtlich geschützt ist. Für die Annahme der Werkeigenschaft bedarf es mehr als der bloßen Ausübung einer Wahlmöglichkeit bei der Gestaltung. Vielmehr sind die bereits dargelegten Voraussetzungen des EuGH zu erfüllen, nach denen insbesondere freie kreative Entscheidungen getroffen werden müssen, die die Persönlichkeit des Urhebers in der Schöpfung widerspiegeln. Die Ausnutzung des Gestaltungsspielraums muss also von einer gewissen Kreativität zeugen.
Darüber hinaus fordert insbesondere die deutsche Rechtsprechung eine „künstlerische Leistung″ (BGH, Urteil v. 07. April 2022 – I ZR 222/20 – Porsche 911). Dabei ist fraglich, ob sich diese Voraussetzung vor dem Hintergrund der unionsrechtlichen Harmonisierung des Werkbegriffs zukünftig wird halten können.
Die Abgrenzung zwischen urheberrechtlichem Schutz und einem Schutz nach dem Design-/Geschmacksmusterrecht hat praktische Konsequenzen
Grundsätzlich kann derselbe Gegenstand sowohl als Werk nach dem Urheberrecht als auch als Muster oder Modell nach dem Designrecht Schutz genießen. Allerdings kommt diese Kumulierung nur in bestimmten Fällen in Betracht (EuGH, Urteil v. 12. September 2019 – C-683/17 – Cofemel/G-Star). Dabei reicht es für den urheberrechtlichen Schutz nicht aus, dass der Gegenstand einen eigenen, ästhetisch markanten visuellen Effekt hervorruft, vielmehr ist die bereits dargestellte Originalität erforderlich (EuGH, Urteil v. 12. September 2019 – C-683/17 – Cofemel/G-Star).
Praktisch relevant ist die Abgrenzung zwischen Design- und Urheberrechtsschutz insbesondere deshalb, weil das Urheberrecht gegenüber dem Designrecht eine deutlich längere Schutzdauer aufweist. Während ein Design gem. § 27 Abs. 2 DesignG bereits nach 25 Jahren von Dritten frei genutzt werden darf, besteht der urheberrechtliche Schutz bis 70 Jahre nach dem Tod des Urhebers („post mortem auctoris″).
Zudem setzt ein Schutz nach dem Designrecht eine Eintragung des Designs im Register des Deutschen Patent- und Markenamts (DPMA) (s. §§ 2 Abs. 1, 11, 27 Abs. 1 DesignG) oder als Gemeinschaftsgeschmacksmuster beim Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO) voraus. Ein Schutz auch außerhalb der EU kann mit einer Eintragung als Geschmacksmuster bei der Weltorganisation für geistiges Eigentum (WIPO) erreicht werden. Der urheberrechtliche Schutz entsteht hingegen – unabhängig von einem formalen Akt wie einer Eintragung – sobald das Werk geschaffen wurde.
Beispiele aus der Rechtsprechung zeigen, dass der urheberrechtliche Schutz nicht von der Art, sondern der konkreten Gestaltung des Gebrauchsgegenstands abhängt
Von der Rechtsprechung als Werk der angewandten Kunst und damit als urheberrechtlich schutzfähig erachtet wurden z.B. die sog. „Wagenfeld-Leuchte″ (BGH, Urteil v. 5. November 2015 – I ZR 76/11 – Wagenfeld-Leuchte II), die Sandale „Madrid″ von Birkenstock (OLG Hamburg, Beschluss v. 14. Oktober 2021 – 5 W 40/21), die Karosserie des „Porsche 356″ (BGH, Urteil v. 7. April 2022 – I ZR 222/20 – Porsche 911) und eine Vitrinenleuchte (BGH, Urteil v. 15. Dezember 2022 – I ZR 173/21 – Vitrinenleuchte).
Abgelehnt wurde die Werkeigenschaft hingegen für die Gestaltung des „Ur-Käfers″ (OLG Braunschweig, Urteil v. 10. März 2022 – 2 U 47/19) und die Schuhmodelle „Arizona″ und „Gizeh″ von Birkenstock (OLG Köln, Urteil v. 26. Januar 2024 – 6 U 89/23 – Fußgymnastiksandalen – nicht rechtskräftig. Die Revision ist beim BGH anhängig: Az. I ZR 18/24; s. auch OLG Köln, Urteil v. 26. Januar 2024 – 6 U 85/23 und OLG Köln, Urteil v. 26. Januar 2024 – 6 U 85/23 – beide Urteile sind ebenfalls nicht rechtskräftig und unter den Az. I ZR 16/24 und I ZR 17/24 beim BGH anhängig) sowie für bestimmte Jeans-, T-Shirt- und Sweatshirt-Modelle (EuGH, Urteil v. 12. September 2019 – C-683/17 – Cofemel).
Die Rechtsprechung unterstreicht, dass die urheberrechtliche Schutzfähigkeit nicht von der Art des Gebrauchsgegenstands, sondern seiner individuellen Gestaltung abhängt.
Der aktuelle Fall „USM Haller″ wird zu weiterer Rechtssicherheit bei der Beurteilung der Schutzfähigkeit von Werken der angewandten Kunst führen
Besondere Aufmerksamkeit haben die Fragestellungen rund um die Schutzfähigkeit von Werken der angewandten Kunst erneut durch den Vorlagebeschluss des BGH in der Sache USM Haller erlangt (BGH, Vorlagebeschluss vom 21. Dezember 2023 – I ZR 96/22 – USM Haller). Das Verfahren hat die Schutzfähigkeit des gleichnamigen bekannten Regalsystems zum Gegenstand. Im Rahmen dessen legt der BGH dem EuGH insbesondere die Frage vor, ob bei Werken der angewandten Kunst höhere Anforderungen an die Originalität zu stellen sind als bei anderen Werkarten. Dies wird der EuGH aller Voraussicht nach verneinen. Denn insbesondere aus der Cofemel-Entscheidung, die die Schutzfähigkeit bestimmter Bekleidungsmodelle betraf, ergibt sich – wie bereits eingangs dargestellt –, dass der unionsrechtliche Werkbegriff werkartübergreifend gilt und an Werke der angewandten Kunst daher keine strengeren Anforderungen zu stellen sind als andere Werkarten (EuGH, Urteil v. 12. September 2019 – C-683/17 – Cofemel). Dies hatte auch der BGH in einer jüngeren Entscheidung bereits so ausgelegt (BGH, Urteil v. 15. Dezember 2022 – I ZR 173/21 – Vitrinenleuchte). Daher ist im Rahmen der Entscheidung des EuGH in dem Fall USM Haller (Rs. C-795/23) insoweit nicht mit einer Rechtsprechungsänderung, aber mit weiterer Rechtssicherheit zu rechnen.
Auch die zu erwartenden Entscheidungen des BGH zur urheberrechtlichen Schutzfähigkeit von unterschiedlichen Modellen der Birkenstocksandalen, werden zu mehr Rechtssicherheit beitragen (Verhandlungstermin am 9. Januar 2025 in Sachen I ZR 16/24, I ZR 17/24, I ZR 18/24).
Abschließend ist festzuhalten, dass ein urheberrechtlicher Schutz auch von Gegenständen mit Gebrauchszweck als Werke der angewandten Kunst gem. § 2 Abs. 1 Nr. 4 UrhG nicht selten möglich ist. Allerdings ist bei ihnen im besonderen Maße zu prüfen, welche kreativen Entscheidungen tatsächlich getroffen wurden und ob neben einem möglichen Schutz nach dem Designrecht auch ein urheberrechtlicher Schutz in Betracht kommt. Dies setzt eine besondere kreative Leistung voraus. Ob diese tatsächlich vorliegt, ist nicht immer einfach zu beurteilen. Es ist zu erwarten, dass die Rechtsprechung des EuGH und BGH in abzusehender Zeit zu weiterer Rechtssicherheit beitragen wird.