Insolvenzgeld – ein wichtiges Instrument zur Sanierung von Unternehmen und Erhalt der Mitarbeitermotivation. Wie ist der rechtliche Rahmen?
Ist ein Arbeitgeber* zahlungsunfähig und/oder überschuldet, und haben die Arbeitnehmer deshalb ihr Gehalt nur teilweise oder gar nicht mehr erhalten, zahlt die Agentur für Arbeit die ausstehenden Entgeltansprüche. Diese werden allerdings nur unter bestimmten Voraussetzungen für einen Zeitraum von höchstens drei Monaten an die betroffenen Arbeitnehmer in Form von Insolvenzgeld gezahlt. In der Praxis stellen sich hier zahlreiche Fragen zum Insolvenzgeld, insbesondere im Hinblick auf dessen Berechnung und einer frühzeitigen Auszahlung.
Entlastung des insolventen Arbeitgebers und Schutz der Arbeitnehmer
Durch die Zahlung von Insolvenzgeld wird der insolvente Arbeitgeber für eine gewisse Zeit entlastet. Der Liquiditätsvorteil kann und soll aus Sicht des Gesetzgebers nach Möglichkeit für die Sanierung des Unternehmens genutzt werden. Daneben werden die Arbeitnehmer als nach Vorstellung des Gesetzgebers in der Regel „schwächstes Glied″ aller an der Insolvenz wirtschaftlich Beteiligten vor Lohnausfall geschützt, weshalb das Insolvenzgeld auch Teil der öffentlichen sozialen Fürsorge ist. Ferner soll ermöglicht werden, dass das Unternehmen nicht unmittelbar den Betrieb stilllegen muss, weil dessen Arbeitnehmer wegen Lohnausfall und einer unsicheren Zukunft kündigen.
Finanziert wird das Insolvenzgeld nach § 358 SGB III durch eine rein arbeitgeberfinanzierte monatliche Umlage, deren Höhe sich nach einem Prozentsatz des Arbeitsentgelts (Umlagesatz), gedeckelt durch die Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung, berechnet. Der aktuelle Umlagesatz im Jahr 2024 liegt bei 0,06 % und wird zusammen mit dem Gesamtsozialversicherungsbeitrag von der zuständigen Einzugsstelle eingezogen. Anschließend wird es arbeitstäglich an die Bundesagentur für Arbeit weitergeleitet. Eine unzulässige Subvention zahlungsunfähiger Marktkonkurrenten auf Kosten von solventen Unternehmen ist in der Finanzierung und Zahlung von Insolvenzgeld nicht zu sehen (BVerfG, Urteil v. 2. Februar 2009 – 1 BvR 2553/08).
Aber: Keine Zahlung von Insolvenzgeld im vorläufigen Insolvenzverfahren
In der Praxis stellt sich jedoch zunächst das Problem, dass Insolvenzgeld bei nicht beendeten Arbeitsverhältnissen erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens gezahlt wird. Während des vorläufigen Insolvenzverfahrens gibt es demnach kein Insolvenzgeld. Auch eine Vorschussgewährung durch die Agentur für Arbeit ist nach § 168 SGB III nur für beendete Arbeitsverhältnisse vorgesehen. Das Abwarten der Insolvenzeröffnung wäre aber nicht nur für die Arbeitnehmer unzumutbar. Auch für das Unternehmen als Arbeitgeber besteht das hohe Risiko, dass Leistungs- und Know-How-Träger das Unternehmen unmittelbar verlassen und verbliebene Arbeitnehmer ihre Motivation verlieren. Hierdurch wären die Betriebsfortführung und die damit verbundenen Chancen auf eine Sanierung oder einen Verkauf des Unternehmens unmittelbar gefährdet.
Insolvenzgeldvorfinanzierung zur Sicherung der Betriebsfortführung
Der vorläufige Insolvenzverwalter und die Gläubiger werden daher häufig eine sog. Insolvenzgeldvorfinanzierung anstoßen, um die Betriebsfortführung gewährleisten zu können. Hierbei treten die Arbeitnehmer sicherheitshalber ihre zukünftigen Insolvenzgeldansprüche gegenüber der Agentur für Arbeit an die das Insolvenzgeld vorfinanzierende Bank ab. Die vorfinanzierende Bank stellt im Gegenzug dem Arbeitgeber Liquidität zur Auszahlung der Gehälter bereit, wobei die anfallenden Zinsen und Bearbeitungsgebühren der Bank in der Regel vom Arbeitgeber bzw. von der Insolvenzmasse getragen werden. Die Abrechnung des Darlehensvertrags erfolgt sodann nach Insolvenzeröffnung auf der Grundlage der Auszahlung des Insolvenzgelds durch die Agentur für Arbeit. Somit richtet sich die Dauer des vorläufigen Insolvenzverfahrens in der Regel nach dem Zeitraum der bestehenden Gehaltsrückstände zum Zeitpunkt der Eröffnungsantragstellung. Sofern keine Gehaltsrückstände vorhanden sind, entspricht der Zeitraum des vorläufigen Insolvenzverfahrens bei guten Sanierungsaussichten daher in der Regel drei Monate (dies entspricht auch dem Zeitraum, für den maximal das Insolvenzgeld gezahlt wird).
Eine Insolvenzgeldvorfinanzierung ist dabei nach § 170 Abs. 4 SGB III von der Zustimmung der jeweiligen Agentur für Arbeit abhängig, weshalb diese unbedingt von Anfang an in den Prozess einzubinden ist. Die Agentur für Arbeit wird ihre Zustimmung nur erteilen, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass ein erheblicher Teil der Arbeitsstellen erhalten bleibt. Hierfür hat der Arbeitgeber mit den Sanierungsaussichten konkret darzulegen, dass Arbeitsplätze im Mindestumfang einer sozialplanpflichtigen Personalanpassungsmaßnahme im Sinne von § 112a Abs. 1 BetrVG gesichert werden.
Insolvenzgeld und dessen Vorfinanzierung auch im Schutzschirmverfahren
Die Bundesagentur für Arbeit hatte bereits frühzeitig klargestellt, dass auch im Schutzschirmverfahren nach § 270d InsO die Gewährung von Insolvenzgeld bzw. dessen Vorfinanzierung möglich ist, sobald das Gericht eine entsprechende Anordnung nach § 270d Abs. 1 InsO getroffen hat. Die Gewährung von Insolvenzgeld hängt jedoch auch in diesem Fall vom Eintritt des Insolvenzereignisses ab. Das bedeutet, Insolvenzgeld wird letztlich nur dann gewährt, wenn das Gericht später die Eröffnung des Insolvenzverfahrens anordnet oder den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse ablehnt. Kommt es hingegen zu einer Sanierung des Unternehmens, wird kein Insolvenzgeld gewährt.
Formale Voraussetzung für den Anspruch auf Insolvenzgeld: Fristgebundener Antrag des Arbeitnehmers notwendig
Ein Anspruch auf Zahlung von Insolvenzgeld besteht nach Maßgabe des § 165 Abs. 1 SGB III nur für inländisch beschäftigte Arbeitnehmer – auch sofern deren Arbeitsvertrag erst während des vorläufigen Insolvenzverfahrens begründet wurde (LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil v. 22. November 2016 – L 7 AL 2/15) – im Falle eines Insolvenzereignisses für die davor liegenden letzten drei Monate (Insolvenzgeldzeitraum), sofern diese gegenüber dem zahlungsunfähigen Arbeitgeber für den Insolvenzgeldzeitraum offene Entgeltansprüche haben (ggf. geltende kurze tarifvertragliche Ausschlussfristen sind zu beachten).
Zur Beanspruchung von Insolvenzgeld ist die Stellung eines entsprechenden Antrags des Arbeitnehmers bei der örtlich zuständigen Agentur für Arbeit erforderlich. Dieser Antrag ist innerhalb einer Ausschlussfrist von zwei Monaten nach dem Insolvenzereignis (Insolvenzeröffnung) bzw. zwei Monate nach Wegfall eines nicht selbst zu vertretenden Hinderungsgrundes (§ 324 Abs. 3 SGB III)zu stellen. Eine besondere Form ist für die Antragstellung nicht vorgesehen. Dennoch gilt es auch hier Fehler zu vermeiden. So ist die Übermittlung der Insolvenzgeldbescheinigung durch den Insolvenzverwalter für eine Antragstellung noch nicht ausreichend (BSG, Urteil v. 4. April 2017 – B 11 AL 93/16 B.Um hier Fehler zu vermeiden, werden die Arbeitnehmer bei der Antragstellung in der Praxis in der Regel von ihrem Arbeitgeber oder dem Insolvenzverwalter unterstützt.
Insolvenzgeldfähige Gehaltsbestandteile
Nach den europarechtlichen Vorgaben muss das Insolvenzgeld den notwendigen Lebensunterhalt des Arbeitnehmers sichern (EuGH, Urteil v. 4. März 2004 – C-19, 50, 84/01 „Castellani″). Die Mitgliedstaaten sind jedoch berechtigt, Höchstgrenzen für Insolvenzgeldzahlungen festzusetzen. Entsprechend wird in Deutschland Insolvenzgeld in Höhe des in dem Insolvenzgeldzeitraum ausgefallenen Nettoarbeitsentgelts gewährt. Grundlage für die Ermittlung der Höhe des Insolvenzgeldes ist der in der Insolvenzgeldbescheinigung angegebene Bruttolohnausfall, begrenzt auf die monatliche Beitragsbemessungsgrenze in der Arbeitslosenversicherung, der um die gesetzlichen Abzüge vermindert wird, § 167 Abs. 1 SGB III. Dabei ist nach Ansicht des BSG der Begrenzungsbeitrag jeden Monat individuell zu errechnen (BSG, Urteil v. 11. März 2014 – B 11 AL 21/12 R.
Insolvenzgeldfähig können auch angefallene Aufwendungen und Einmalzahlungen sein
Insolvenzgeldfähig sind neben dem Bruttogrundgehalt auch im Insolvenzgeldzeitraum angefallene Aufwendungen, wie etwa Reisekosten. Bei Einmalzahlungen ist hingegen zu differenzieren. Handelt es sich um sogenanntes aufgestautes Arbeitsentgelt, d. h. eine Vergütung für (auch) in der Vergangenheit erbrachte Arbeitsleistung, ist dieses in Höhe des auf den Insolvenzgeldzeitraum fallenden Anteils (also in der Regel 3/12 des Jahresbetrags) berücksichtigungsfähig (BSG, Urteil v. 11. März 2014 – B 11 AL 21/12 R; BSG, Urteil v. 9. Dezember 1997 – 10 RAr 5/97). Handelt es sich hingegen um Einmalzahlungen mit reiner Stichtagsregelung (z. B. Betriebstreuezahlungen), so sind diese – ggf. vollständig – berücksichtigungsfähig, wenn der Stichtag bei noch bestehendem Arbeitsverhältnis auch in den Insolvenzgeldzeitraum fällt (BSG, Urteil v. 18. März 2004 – B 11 AL 57/03 R ).
Daneben sind auch erfolgsabhängige Entgeltansprüche, wie etwa Provisionszahlungen, insolvenzgeldfähig, sofern der Arbeitnehmer sämtliche Anspruchsvoraussetzungen erfüllt hat und die Erteilung des provisionspflichtigen Auftrags in den Insolvenzgeldzeitraum fällt. Für Arbeitnehmer in Altersteilzeit gilt, dass diese einen Anspruch auf Insolvenzgeld in Höhe des Nettoteilzeitentgelts inkl. des mit dem Arbeitgeber vereinbarten Aufstockungsbetrags haben. Welches Altersteilzeitmodell gewählt wurde, spielt hierbei keine Rolle. Im Altersteilzeitblockmodell kann daher sowohl in der Arbeits- als auch in der Freistellungsphase Insolvenzgeld nur für das Arbeitsentgelt beansprucht werden, das der Arbeitgeber für die Teilzeitarbeit schuldet. Bestehen im Unternehmen Arbeitszeitkonten, ist im Falle der Verstetigung der monatlichen Entgeltzahlung Insolvenzgeld ohne Rücksicht auf die Zahl der im jeweiligen Monat geleisteten Arbeitsstunden in Höhe des Arbeitsentgelts zu zahlen, das der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer arbeitsrechtlich schuldet. Hintergrund ist, dass es sich bei angespartem Arbeitszeitguthaben nicht um Überstunden handelt, sondern um Ansparstunden im Rahmen einer Arbeitszeitflexibilisierung.
Nicht berücksichtigungsfähiges Einkommen können die Arbeitnehmer nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens als Insolvenzforderung zur Insolvenztabelle nach § 38 InsO anmelden. Diese Forderung wird, sofern eine verteilungsfähige Insolvenzmasse vorhanden ist, am Schluss des Insolvenzverfahrens vom Insolvenzverwalter quotal befriedigt.
Berechnung des Insolvenzgeldes nach dem Günstigkeitsprinzip
Da im Rahmen der Ermittlung des Bruttolohnausfalls sowohl steuer- und beitragspflichtige als auch steuer- und beitragsfreie Entgeltbestandteile nach § 167 Abs. 1 SGB III berücksichtigt werden können und eine Rangfolge der Entgeltbestandteile gesetzlich nicht geregelt ist, kann der Arbeitnehmer bestimmen, welche Leistungen vorrangig zu berücksichtigen sind (sog. Günstigkeitsprinzip). Übersteigt das Bruttomonatsgehalt etwa die monatliche Bemessungsgrenze, kann der Arbeitnehmer bestimmen, dass das Insolvenzgeld zunächst die steuer- und sozialversicherungsbeitragsfreien Gehaltsbestandteile berücksichtigt, so dass sich ein erhöhter Insolvenzgeldanspruch ergibt. Das Günstigkeitsprinzip kann aber auch die Agentur für Arbeit bereits von Amts wegen beachten.
Anspruch von Geschäftsführern auf Insolvenzgeld
Ob auch Geschäftsführer oder Gesellschafter-Geschäftsführer einen Anspruch auf Insolvenzgeld haben, ist von ihrer Arbeitnehmereigenschaft abhängig. Hierbei gilt der Grundsatz, dass Gesellschafter-Geschäftsführer, die weder über die Mehrheit der Gesellschaftsanteile noch über eine Sperrminorität verfügen, regelmäßig Arbeitnehmer sind (BSG, Urteil v. 4. Juli 2007 – B 11 a AL 5/06 R). Dies gilt erst recht für Fremdgeschäftsführer. Sofern im Einzelfall eine Arbeitnehmereigenschaft angenommen werden kann, dürfte jedoch in aller Regel die Deckelung des zu berücksichtigenden Brutto-Arbeitsentgelts auf die monatliche Beitragsbemessungsgrenze in der Arbeitslosenversicherung zum Tragen kommen.
Empfehlung: Frühzeitige Beteiligung aller notwendigen Akteure
Das Insolvenzgeld ist in der Praxis ein besonders wichtiger Baustein, um die Möglichkeit aufrecht zu erhalten, ein Unternehmen zu sanieren. Insbesondere schützt es die Arbeitnehmer vor Lohnausfall und kann somit die gerade in dieser Situation besonders wichtige Arbeitsbereitschaft und Motivation erhalten. Umso wichtiger ist es, dass sich Arbeitgeber bzw. vorläufiger Insolvenzverwalter frühzeitig mit der meist notwendigen Insolvenzgeldvorfinanzierung befassen und alle Beteiligten von Beginn an in den Prozess einbinden.
Sofern das schuldnerische Unternehmen einen Antrag auf Eigenverwaltung gemäß §§ 270f. InsO, stellt, ist es wichtig, sich mit der Agentur für Arbeit frühzeitig in Verbindung zu setzen und dort das Sanierungskonzept zu präsentieren. Auf diese Weise kann gewährleistet werden, dass die Agentur für Arbeit noch am Tag der Antragstellung, an dem in der Regel auch die Belegschaft über den Eröffnungsantrag im Rahmen einer Mitarbeiterversammlung informiert wird, ihre Zustimmung erteilt.
* Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Um der leichteren Lesbarkeit willen wird im Beitrag die grammatikalisch männliche Form verwendet.