24. Februar 2025
Kartellbußgeld Geschäftsführer
Kartellrecht

Geschäftsführerhaftung für Kartellbußgelder gegen das Unternehmen?  – Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie den BGH… oder doch den EuGH?

Die Frage zum Bußgeldregress gegenüber Organmitgliedern bleibt weiter umstritten. Der BGH hat dazu ein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH gerichtet. 

Die Frage, ob und inwieweit Unternehmen, gegen die ein Kartellbußgeld verhängt worden ist, einen Regressanspruch gegen ihre Leitungsorgane haben, beschäftigt Rechtsprechung und Literatur seit geraumer Zeit. Der BGH hat im Zuge der Klärung dieser höchst umstrittenen Frage nunmehr den EuGH um Vorabentscheidung ersucht. Bis zur Entscheidung aus Luxemburg bleibt also unklar, ob Geschäftsführer und Vorstandsmitglieder persönlich für Kartellbußgelder, die vom Bundeskartellamt nicht gegen die Leitungsorgane selbst, sondern gegen das Unternehmen festgesetzt wurden, haften.

Ein Organ begeht durch einen Kartellrechtsverstoß auch gegenüber der Gesellschaft eine Pflichtverletzung

Ausgehend von gesellschaftsrechtlichen Vorgaben haben Geschäftsführer und Vorstandsmitglieder bei ihrer Geschäftsführung die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters anzuwenden, §§ 43 Abs. 1 GmbHG, 93 Abs. 1 S. 1 AktG. Im Falle schuldhafter Pflichtverletzungen sind Geschäftsführer und Vorstandsmitglieder ihrer jeweiligen Gesellschaft zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet, §§ 43 Abs. 2 GmbHG, 93 Abs. 2 S. 1 AktG

Zu den Kardinalpflichten eines Leitungsorgans gehört, sich bei der Amtsführung gesetzestreu zu verhalten, die sogenannte Legalitätspflicht. Vereinfacht gesagt ist jedes Leitungsorgan gehalten, die im GmbH- oder Aktiengesetz, im Gesellschaftsvertrag oder in der Satzung und in einer etwaig bestehenden Geschäftsordnung niedergelegten Pflichten zu erfüllen und die das Unternehmen betreffenden Rechtsvorschriften des allgemeinen Zivil-, Straf- und Ordnungswidrigkeitenrechts sowie des öffentlichen Rechts zu beachten.

Dass ein Leitungsorgan durch einen Kartellverstoß auch gegenüber der Gesellschaft eine Verletzung seiner Legalitätspflicht begeht, ist heute unbestritten. Die Diskussion um die Möglichkeit des Kartellbußgeldregresses betrifft weniger die Tatbestands-, sondern vielmehr die Rechtsfolgenebene. 

Ob ein Kartellbußgeld im Rahmen eines Innenregresses zu erstatten ist, ist umstritten

Nach teilweise vertretener Auffassung wird die Schadensersatzpflicht von Leitungsorganen angenommen, wenn gegen ein Unternehmen ein Kartellbußgeld verhängt wurde und ein vom Leitungsorgan verschuldeter Kartellrechtsverstoß für die Verhängung ursächlich war. Dabei wendet diese Ansicht die schadensrechtliche Differenzhypothese konsequent an. Das Vermögen der Gesellschaft wäre ohne den Kartellrechtsverstoß um den Betrag der verhängten Unternehmensgeldbuße höher (hypothetischer Zustand) im Vergleich zum tatsächlich vorhandenen Vermögen nach verhängter Unternehmensgeldbuße (realer Zustand). Unternehmensgeldbußen führen nach dieser Auffassung zu einer Vermögensminderung bei der Gesellschaft und begründen damit einen Schaden, der von den Leitungsorganen im Rahmen des Innenregresses zu ersetzen ist.

Aus Sicht der Gegenmeinung überlagern kartellrechtliche Implikationen den gesellschaftsrechtlich möglichen Innenregress. 

Dabei wird insbesondere die gesetzgeberische Konzeption des Kartellbußgeldrechts in den Vordergrund gestellt, wonach neben der Verhängung eines Bußgelds gegen das Unternehmen auch eine Individualgeldbuße gegen die Leitungsorgane des Unternehmens verhängt werden kann. Während für die Unternehmensgeldbuße ein Bußgeldrahmen von bis zu zehn Prozent des Umsatzes der gesamten Unternehmensgruppe in dem der Behördenentscheidung vorangegangenen Geschäftsjahr gilt, ist für die Individualgeldbuße ein deutlich niedrigerer Rahmen von bis zu EUR 1 Mio. vorgesehen. In Zusammenhang mit der Orientierung der Bußgeldbemessung am sog. tatbezogenen Umsatz des Unternehmens ergebe sich, dass der Gesetzgeber in erster Linie das Unternehmen sanktionieren wolle. Der Sanktionszweck der Unternehmensgeldbuße, namentlich die Abschreckung des Unternehmens und anderer Wirtschaftsteilnehmer vor künftigen Verstößen gegen das Kartellrecht, würde unterlaufen, wenn sich ein Unternehmen durch einen Regress beim eigenen Leitungsorgan schadlos halten könnte. 

Eine GmbH verlangt von ihrem ehemaligen Geschäftsführer Erstattung einer Unternehmensgeldbuße

In dem dem Beschluss des BGH zugrunde liegenden Sachverhalt ging es um die Inanspruchnahme eines ehemaligen Geschäftsführers der klagenden GmbH, der zeitgleich auch Vorstandsmitglied, zuletzt Vorstandsvorsitzender, der klagenden Konzernmutter, einer deutschen Aktiengesellschaft, war. Die Unternehmensgruppe ist im Bereich der Edelstahlproduktion tätig und bezog im maßgeblichen Zeitraum Stahl von verschiedenen Stahlherstellern. 

Von 2002 bis 2015 war der Beklagte persönlich an wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarungen und abgestimmten Verhaltensweisen beteiligt. Die beteiligten Unternehmen haben dabei Preisbestandteile für Edelstahlprodukte abgesprochen und durch einen weitrechenden Austausch wettbewerblich sensibler Informationen den Preiswettbewerb erheblich beeinträchtigt. Wegen dieser wettbewerbswidrigen Absprachen erließ das Bundeskartellamt 2018 einen Bußgeldbescheid und verhängte sowohl gegen den Beklagten als auch gegen die klagende GmbH ein Bußgeld in Höhe von EUR 126.000 bzw. EUR 4,1 Mio. Beide Bußgelder wurden von der klagenden GmbH bezahlt. 

Vorinstanzlich bestätigten sowohl das Landgericht Düsseldorf als auch das Oberlandesgericht Düsseldorf, dass die klagende GmbH gegenüber dem ehemaligen Geschäftsführer einen Anspruch auf Schadensersatz dem Grunde nach gemäß § 43 Abs. 2 GmbH habe. Das OLG Düsseldorf bejahte sogar eine vorsätzliche Verletzung seiner Legalitätspflicht. Die Haftung des Beklagten wurde jedoch gleichwohl verneint, indem das Oberlandesgericht Düsseldorf von einer den Regress ausschließenden teleologischen Reduktion von § 43 Abs. 2 GmbH für vom Bundeskartellamt verhängte Bußgelder gegen Unternehmen ausging. 

Das Oberlandesgericht Düsseldorf begründet diese teleologische Reduktion im Kern mit folgenden Erwägungen: 

  • Besonderheiten der Unternehmensgeldbuße. Die Unternehmensgeldbuße bedürfe nach § 30 Abs. 1 OWiG einer Pflichtverletzung einer für das Unternehmen handelnden natürlichen Person. Der Gesetzgeber habe somit für die Unternehmensgeldbuße von vornherein solche Fälle im Blick gehabt, in denen die Leitungsperson im Innenverhältnis eine Legalitätspflichtverletzung begehe. Dies spreche dagegen, die Zuschreibung der Sanktionierung des Unternehmens durch die allgemein gehaltene zivilrechtliche Haftungsdogmatik wegen der Legalitätspflichtverletzung unmittelbar wieder auf die Leitungsperson umzulenken.
  • Berücksichtigung des kartellrechtlichen Sanktionssystems. An den im GWB vorgesehenen unterschiedlichen Bußgeldrahmen und Bußgeldbemessungsgesichtspunkten zeige sich, dass der Gesetzgeber mit der Sanktionierung gerade das Unternehmen, nicht aber die natürliche Person nachhaltig belasten wolle. Für die Zumessung der Geldbuße für das Unternehmen komme dem tatbezogenen Umsatz, also einem unternehmensbezogenen Faktor, eine besondere Bedeutung zu. Darauf hätten Leitungsorgane nahezu keinen Einfluss. Dies zeige, dass Sinn und Zweck der Unternehmensgeldbuße insbesondere darin bestehen, das rechtlich verselbständigte Vermögen des Unternehmens nachhaltig zu treffen.
  • Sanktionswirkung der Unternehmensgeldbuße. Der Regress würde im vorliegenden Fall dazu führen, dass die D&O-Versicherung des Geschäftsführers die Geldbuße vollständig übernehme. Im Ergebnis bekomme daher das Unternehmen die Geldbuße vollständig von der Versicherung erstattet, womit die Sanktionswirkung der Unternehmensgeldbuße unterlaufen würde.

Das Berufungsurteil des Oberlandesgerichts Düsseldorf akzeptierte die klagende GmbH nicht und legte beim BGH Revision ein.

Der BGH legt die Frage dem EuGH zur Entscheidung vor

Der BGH hat das Verfahren am 11. Februar 2025 ausgesetzt und den EuGH um Vorabentscheidung ersucht.

Nach Auffassung des BGH ist für 

die Beantwortung dieser Frage [ist] auch erheblich, ob das Unionsrecht eine einschränkende Auslegung des § 43 Abs. 2 GmbHG und § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG gebietet. […] Nach der Rechtsprechung des EuGH haben die Mitgliedstaaten aber sicherzustellen, dass die nationalen Wettbewerbsbehörden wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Geldbußen gegen Unternehmen verhängen können, wenn diese vorsätzlich oder fahrlässig gegen Art. 101 AEUV verstoßen. Mit diesen Geldbußen sollen rechtswidrige Handlungen der betreffenden Unternehmen geahndet und sowohl diese Unternehmen als auch andere Wirtschaftsteilnehmer von künftigen Verletzungen der Wettbewerbsregeln des Unionsrechts abgeschreckt werden. Die danach gebotene Wirksamkeit von Geldbußen gegenüber Unternehmen könnte beeinträchtigt sein, wenn sich die Gesellschaft von der Bußgeldlast durch Rückgriff auf das Leitungsorgan vollständig oder teilweise entlasten könnte. […]. 

Daher stellt sich auch die Frage, ob die Abwälzung der Geldbuße des Unternehmens auf den Geschäftsführer nach Maßgabe gesellschaftsrechtlicher Vorschriften den Zweck der kartellrechtlichen Geldbuße beeinträchtigt.

Daraus ist zu entnehmen, dass der BGH einen Regress von Unternehmensgeldbußen jedenfalls dem Grunde nach bejaht, kartellrechtliche Besonderheiten aus Sicht des BGH jedoch ein Abweichen von diesem Ergebnis gebieten könnten. 

Die Praxis muss sich daher noch etwas gedulden, bis die Rechtsprechung Klarheit in Bezug auf die Möglichkeit eines Innenregresses von Unternehmensgeldbußen schafft

Gegen die Verlagerung einer gegen ein Unternehmen verhängten Geldbuße im Wege des Innenregresses auf die Leitungsorgane gibt es gewichtige Argumente:

Das GWB sehe bereits die Möglichkeit der Verhängung von Geldbußen gegen Leitungsorgane des betreffenden Unternehmens vor. Bereits das Risiko einer empfindlichen Individualgeldbuße dürfte Leitungsorgane dazu anhalten, keine wettbewerbsbeschränkenden Absprachen zu treffen. 

Zudem sind die Mitgliedsstaaten im Ausgangspunkt nach Art. 4 Abs. 3 Satz 3 EUV verpflichtet, alle Maßnahmen zu unterlassen, „die die Verwirklichung der Ziele der Union gefährden könnten“. Hierzu gehöre auch die effektive Durchsetzung des Kartellrechts gemäß Art. 101, 102 AEUV. Da nach europäischem Recht Geldbußen ausschließlich gegen Unternehmen, nicht aber gegen deren Leitungsorgane verhängt werden können, würde eine Regressmöglichkeit letztlich dazu führen, dass die mit der Unternehmensgeldbuße verfolgte Absicht, nämlich das Vermögen des Unternehmens nachhaltig zu treffen, ins Leere liefe.

Bis durch die Rechtsprechung entschieden ist, ob diese Argumente durchdringen, bleibt es spannend.

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