28. Februar 2025
wechselseitige Ausschließlichkeitsverträge
Kartellrecht

OLG Celle prüft Kartellrecht im Zusammenhang mit wechselseitigen Ausschließlichkeitsverträgen 

Wenn vertriebskartellrechtliche Argumente vor Gericht scheitern: Das Oberlandesgericht Celle prüft und urteilt nach Schulbuch.

Das OLG Celle hat mit Urteil vom 14. November 2024 (13 U 13/24) den Einwand der Beklagten, die streitgegenständlichen Alleinbelieferungs- und Alleinbezugspflichten seien kartellrechtlich unwirksam, ebenso zurückgewiesen wie den kartellrechtlichen Belieferungsanspruch der Klägerin.

Das Urteil enthält schulbuchmäßige Prüfungsmuster unter Einbeziehung der Darlegungs- und Beweislast für die Marktdefinition, die Spürbarkeit und Freistellungsfähigkeit von Wettbewerbsbeschränkungen sowie Ausführungen zur Bedeutung der relativen Marktmacht für Ansprüche auf fortgesetzte Belieferung.

Gericht soll Bindungswirkung der wechselseitigen Ausschließlichkeitsverträge überprüfen

Die Beklagte betrieb ein Maschinenbauunternehmen für Pulverbeschichtungs- und Schneideanlagen. Die Klägerin vertrieb diese Anlagen. Die Parteien schlossen in den Jahren 1996 und 2001 einen Vertrag über die Herstellung einer Mustermaschine und einen Vertrag über die Herstellung einer konkret beschriebenen Schneideanlage. Einer der Verträge war ausdrücklich als Kooperationsvertrag bezeichnet. Die Verträge verpflichteten die Beklagte zur ausschließlichen Fertigung für die Klägerin und die Klägerin zum ausschließlichen Bezug bei der Beklagten.

Im Jahr 2016 teilte die Beklagte auf Anfrage der Klägerin mit, dass sie nicht beabsichtige, in den nächsten fünf Jahren Änderungen im Rahmen der langjährigen Zusammenarbeit vorzunehmen oder die Preise für die Montageleistungen zu erhöhen. Mitte 2018 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass sie ab 2019 die selbst hergestellten Produkte nur noch selbst vertreiben wolle.

Das Gericht musste über die Bindungswirkung der Vereinbarungen entscheiden. Es war zu klären, ob die Beklagte das Lieferverhältnis mit einer Frist von sechs Monaten wirksam kündigen konnte oder dem wegen der Erklärungen der Beklagten aus dem Jahr 2016 ein Kündigungsverzicht für fünf Jahre entgegenstand. Ebenso war fraglich, ob aufgrund einer Abhängigkeit der Klägerin ein kartellrechtlicher Belieferungsanspruch bestehen würde. Kartellrechtlich ging es zunächst um die Verteidigung der Beklagten, dass die Vereinbarungen den Wettbewerb beschränkten und schon dies einer fortgesetzten Belieferung entgegenstehen würde. 

Das Landgericht hat die Klage als unbegründet (und teilweise unzulässig) abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat dieses Urteil bestätigt.

Kartellrechtliche Prüfung: Wettbewerbsbeschränkung, Marktmachtmissbrauch

Das OLG Celle hat den Einwand der Beklagten, es liege eine Wettbewerbsbeschränkung nach Art. 101 AEUV, § 1 GWB vor, ausführlich geprüft und sich dabei auf die aktuelle Rechtsprechung des EuGH zu bezweckten oder bewirkten Wettbewerbsbeschränkungen bezogen. Die Rechtsfolge eines Verstoßes gegen Art. 101 AEUV, § 1 GWB wäre ggf. die Nichtigkeit der Vereinbarungen nach Art. 101 Abs. 2 AEUV, § 134 BGB. Darlegungs- und beweisbelastet war in diesem Fall die Beklagte, die sich auf die Rechtsfolge berufen wollte.

Keine bezweckte Wettbewerbsbeschränkung

Eine bezweckte Wettbewerbsbeschränkung ist nach der vom OLG Celle in Bezug genommen Rechtsprechung des EuGH eine Vereinbarung, die aus sich heraus eine hinreichende Beeinträchtigung des Wettbewerbs erkennen lässt. Als Prüfungsmaßstab sind zumindest folgende Aspekte zu berücksichtigen: Inhalt, Ziele, wirtschaftlicher und rechtlicher Zusammenhang, Art der betroffenen Waren und Dienstleistungen, tatsächliche Gegebenheiten und Marktstruktur. Dabei sind vertikale Vereinbarungen ihrer Natur nach häufig weniger schädlich als horizontale Vereinbarungen. Die Alleinbelieferungs- und Alleinbezugspflichten zwischen der Klägerin und der Beklagten sind vertikale Vereinbarungen: Die Beklagte durfte ausschließlich die Klägerin mit der Vertragsware beliefern und die Klägerin durfte diese nur bei der Beklagten beziehen. Die Absatzgarantie für die Beklagte und die Bezugsgarantie für die Klägerin seien laut Gericht für beide Parteien vorteilhaft. Es handele sich deshalb nicht um Verträge, die typischerweise eine spürbare Beschränkung bezwecken. Hierbei ist festzuhalten, dass es auf die Prüfung der Spürbarkeit nur bei bewirkten Wettbewerbsbeschränkungen ankommt; bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen sind ihrer Natur nach stets spürbar wettbewerbsbeschränkend.

Keine bewirkte Wettbewerbsbeschränkung, Markdefinition, Marktanteile

Im Rahmen der Prüfung der bewirkten Beschränkung hat das Gericht zunächst festgestellt, dass tatsächlich nur der Zugang zu den jeweils durch Exklusivvereinbarungen miteinander verbundenen Parteien beschränkt wurde. Die notwendige Spürbarkeit sei gegeben, wenn die Vereinbarungen geeignet seien, neuen in- und ausländischen Wettbewerbern den Marktzutritt oder die Erhöhung ihres Marktanteils spürbar zu erschweren. Die für die Bestimmung des Marktzutritts erforderliche Marktabgrenzung habe in sachlicher und räumlicher Hinsicht zu erfolgen. Das OLG Celle hat auf der Grundlage des Bedarfsmarktkonzepts den Markt nicht auf Puderbestäuber und Schneideanlagen beschränkt, sondern alle Maschinen, die für die gleiche Aufgabe geeignet sind, einbezogen. Für die anderen Hersteller auf dem relevanten Markt sei die Vereinbarung nicht spürbar wettbewerbsbeschränkend; die Klägerin hätte bei ihnen alternative Maschinen bestellen können. Obwohl die Klägerin aufgrund langjähriger Marktpräsenz näher zu ihren technischen Optionen hätte vortragen können, hat sie dies vermutlich deshalb nicht getan, weil sie nicht darlegungs- und beweisbelastet war und die weiterreichende Marktdefinition von Vorteil zur Aufrechterhaltung der Verträge war. Auch die Marktanteilsschwelle von 15 %, die das Bundeskartellamt grundsätzlich für die Spürbarkeit ansetzt, wurde auf Grundlage des Parteivortrags nicht überschritten. Zuvorderst hat sich das OLG hierbei am Weltmarkt orientiert und nachrangig auf den deutschlandweiten Markt abgestellt.

Freistellung

Das OLG Celle hat festgestellt, dass die Tatbestände der Kernbeschränkungen nach Art. 4 Vertikal-GVO bzw. Art. 5 Vertikal-GVO nicht erfüllt sind und damit eine Freistellung vorliegt. Insbesondere beinhalte das Alleinbezugsrecht der Abnehmerin weder eine Beschränkung im Vertrieb noch einen Mindestbezug und die Alleinbelieferungspflicht des Anbieters stelle schon kein Wettbewerbsverbot im Sinne der Legaldefinition des Art. 1 Abs. 1 d) Vertikal-GVO a.F. (aktuell Art. 1 Abs. 1 f) Vertikal-GVO) dar. Die Prüfung der Freistellung diente der umfassenden Beurteilung und hätte auch vor die Prüfung der (nicht vorliegenden) Beschränkung gezogen werden können. 

Kein Marktmachtmissbrauch

Da zwar die kartellrechtlichen Einwände der Beklagten fehl gingen, die Klägerin aber ihr Belieferungsverlangen nicht auf vertragliche Ansprüche stützen konnte, hat das OLG Celle geprüft, ob die Beklagte mit der Lieferverweigerung eine marktbeherrschende oder marktmächtige Stellung gegenüber der Klägerin missbraucht hat (§ 19 GWB). Insbesondere sei fraglich, ob die Beklagte gegenüber der Klägerin über eine relative Marktmacht i.S.v. § 20 GWB verfügte, da diese 70-80 % ihres Umsatzes mit den Produkten der Beklagten erzielte. Dagegen spreche jedoch, dass die Ausrichtung der Klägerin auf die Beklagte als Lieferantin eine autonome Entscheidung gewesen sei, eine Umstellung auf andere Hersteller mit einer Umstellungsfrist von 6 Monaten zumutbar erscheine und die Klägerin aufgrund ihres Alleinbezugsrechts selbst über eine gewichtige Gegenmacht verfüge. Ein wirtschaftlicher Nachteil aufgrund der Umstellung des Geschäftsbetriebs bleibe jedenfalls unberücksichtigt.

Keine Kartellrechtsverstöße

Der Fall zeigt anschaulich, wie Parteien in zivilrechtlichen Auseinandersetzungen das Kartellrecht instrumentalisieren können und welche Hürden dabei zu überwinden sind.

Vertragsrechtliche Prüfung: Rahmen-Liefervertrag wurde wirksam gekündigt

Bei kartellrechtlichen Auseinandersetzungen um eine fortgesetzte Belieferung geht es regelmäßig um die vertragsrechtliche Ausgangslage. So hat sich auch das OLG Celle vor Prüfung des kartellrechtlichen Belieferungsanspruchs zunächst mit den von den Parteien getroffenen Verabredungen befasst.

Das Gericht hat festgestellt, dass die Parteien durch den Abschluss der Vereinbarungen in den Jahren 1996 und 2001 (wohl) keinen Kooperationsvertrag, sondern einen Rahmen-Liefervertrag geschlossen haben, der in entsprechender Anwendung von § 627 BGB („Fristlose Kündigung bei Vertrauensstellung“) mit einer Frist von (nur) sechs Monaten kündbar sei. Nach Auffassung des Gerichts setzt ein Kooperationsvertrag eine gewisse Regelungstiefe voraus, unter anderem zur Laufzeit, den Kündigungsmöglichkeiten sowie den kooperativen Elementen. Auch ein konkludenter Kündigungsverzicht könne den Erklärungen der Beklagten aus dem Jahr 2016 nicht entnommen werden, da es sich insoweit um reine Absichtserklärungen handele, deren Unverbindlichkeit sich wirtschaftlich versierten Parteien aufdrängen müsse. Die Kündigung der Beklagten war damit wirksam und ein gegenläufiger kartellrechtlicher Belieferungsanspruch der Klägerin bestand – wie schon ausgeführt – nicht.

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