Sind kartellrechtliche Schadensersatzansprüche verjährt, kann eine Klage dennoch begründet sein: Wenn dem Kläger ein Restschadensersatzanspruch nach § 852 BGB zusteht.
In Rechtsstreitigkeiten über kartellrechtliche Schadensersatzansprüche geht es nicht selten um die Verjährung. Selbst wenn der Beklagte dem kartellrechtlichen Schadensersatzanspruch die Einrede der Verjährung entgegenhalten kann, bedeutet das nicht automatisch, dass das Gericht die Klage abweist.
Dem Kläger könnte noch der Restschadensersatzanspruch aus § 852 BGB zustehen. Dieser Restschadensersatzanspruch sieht vor, dass der Ersatzpflichtige (vorliegend der Kartellbeteiligte), soweit er durch die unerlaubte Handlung (vorliegend den Kartellrechtsverstoß) auf Kosten des Geschädigten etwas erlangt hat, auch nach Eintritt der Verjährung des Anspruchs auf kartellrechtlichen Schadensersatz verpflichtet ist, das Erlangte nach den Vorschriften über die ungerechtfertigte Bereicherung herauszugeben.
Was zum Restschadensersatz bisher geklärt ist
In der kartellschadensersatzrechtlichen Rechtsprechung ist geklärt, dass der Restschadensersatzanspruch aus § 852 BGB auf einen verjährten kartellrechtlichen Schadensersatzanspruch anwendbar ist. Die Rechtsprechung hat auch geklärt, dass dieser Restschadensersatzanspruch in 10 Jahren von seiner Entstehung an verjährt.
Der Inhalt des Restschadensersatzanspruchs scheint unklar
In der Rechtsprechung der Instanzgerichten scheinen gewisse Schwierigkeiten bei der Bestimmung des Inhalts des Restschadensersatzanspruchs zu bestehen. Um diesen Inhalt zu bestimmen, soll hier zunächst der Unterschied zwischen dem kartellrechtlichen Schadensersatzanspruch und dem Restschadensersatzanspruch betrachtet werden.
- Der kartellrechtliche Schadensersatzanspruch wird bestimmt von dem Restitutionsgedanken: Der Geschädigte soll so gestellt werden, als ob der Kartellrechtsverstoß nie begangen worden wäre. Dabei steht es dem Geschädigten frei, den erlittenen Schaden von jedem einzelnen Kartellbeteiligten in voller Höhe ersetzt zu verlangen. Bei einem etwaigen Verstoß gegen das sog. Kartellverbot handeln immer mindestens zwei Unternehmen gemeinschaftlich, sodass sie aufgrund der §§ 830, 840 BGB als Mittäter und damit als Gesamtschuldner haften. Das bedeutet, der Geschädigte kann sich aussuchen, ob er einen Kartellbeteiligten oder mehrere Kartellbeteiligte in Anspruch nimmt und welchen Schaden er von welchem Kartellbeteiligten verlangt. Dabei spielt es keine Rolle, ob der Geschädigte von dem ausgewählten Kartellbeteiligten überhaupt Produkte bezogen hat. Jeder Kartellbeteiligte haftet als Gesamtschuldner für jeden eingetretenen Schaden des Geschädigten, ohne dass der Kartellbeteiligte überhaupt einen Vertrag mit dem Geschädigten abgeschlossen haben muss. Jedoch darf der Geschädigte den erlittenen Schaden nur einmal ersetzt bekommen. Im Ergebnis muss der Kartellbeteiligte für die Erfüllung dieses Schadens auf sein sonstiges Vermögen zugreifen und kann diesen Schaden nicht allein durch die bei ihm verbliebene Bereicherung ausgleichen, welche aus dem Kartellrechtsverstoß resultierte.
- Der Restschadensersatzanspruch aus § 852 BGB wird hingegen bestimmt vom Abschöpfungsgedanken: Der Schuldner eines deliktsrechtlichen Anspruchs (z.B. eines kartellrechtlichen Schadensersatzanspruchs) muss die ihm aus dem deliktischen Verhalten resultierenden Vermögensvorteile auch nach Eintritt der Verjährung des Schadensersatzanspruchs an den Geschädigten herausgeben. Das bedeutet, der Schuldner des Restschadensersatzanspruchs haftet dem Geschädigten gegenüber nur mit dem aus dem Delikt resultierenden Vermögensvorteil, den er (wenn auch nur mittelbar) von dem Geschädigten erhalten hat. Dabei muss die Vermögenseinbuße des Geschädigten dem Vermögensvorteil des Schädigers entsprechen. Der Kartellbeteiligte als Schädiger im Sinne des § 852 BGB haftet dem Geschädigten also nur dann auf den Restschadensersatz, wenn er durch eine Vermögenseinbuße des konkret Geschädigten einen Vermögensvorteil erhalten hat. Das bedeutet, wenn der Kartellbeteiligte keinen Vermögensvorteil von dem Geschädigten erhalten hat, z.B. weil er mit dem Geschädigten keinen Vertrag abgeschlossen hat, so hat der Geschädigte gegen diesen Kartellbeteiligten keinen Restschadensersatzanspruch.
Folgerungen dieser Grundsätze auf den Inhalt des Restschadensersatzanspruchs
Aus diesem Unterschied folgt für den Inhalt des Restschadensersatzanspruchs:
- Der von dem Geschädigten erlittene Schaden ist der Höhe nach die Grenze des Restschadensersatzanspruch. Der Schaden des Geschädigten ist die Vermögenseinbuße, die für den Restschadensersatzanspruch Grundlage des Vermögensvorteils des Kartellbeteiligten sein kann.
- Der Geschädigte hat einen Restschadensersatzanspruch gegen den Kartellbeteiligten, 1.) wenn der Kartellbeteiligte und der Geschädigte in einem Austauschverhältnis standen (also ein unmittelbares Vertragsverhältnis zwischen dem Geschädigten und dem Kartellbeteiligten bestand) oder 2.) wenn der Geschädigte mit einem unmittelbaren oder mittelbaren Abnehmer des Kartellbeteiligten in einem Austauschverhältnis stand (mithin ein mittelbares Austauschverhältnis zwischen dem Kartellbeteiligten und dem Geschädigtem bestand, sodass der Geschädigte und der Kartellbeteiligte durch eine Lieferkette miteinander verbunden sind). Nur in diesen Fällen kann der Vermögensvorteil des Kartellbeteiligten auf der Vermögenseinbuße des Geschädigten beruhen. Ohne eine zumindest mittelbare Geschäftsbeziehung zwischen Geschädigtem und Kartellbeteiligten kann es keinen Restschadensersatzanspruch geben.
- Ein dem Geschädigten entgangener Gewinn kann nicht Gegenstand des Restschadensersatzanspruchs gegen einen Kartellbeteiligten sein. Ein solcher entgangener Gewinn ist zwar eine Vermögenseinbuße des Geschädigten; jedoch vergrößert der dem Geschädigten entgangene Gewinn nicht das Vermögen eines Kartellbeteiligten. Ohne einen Vermögensvorteil des Kartellbeteiligten besteht kein Restschadensersatzanspruch aus § 852 BGB, weil keine Bereicherung des Kartellbeteiligten vorliegt, die abgeschöpft werden könnte.
Drei unterschiedliche Konstellationen bei dem Kartellschadensersatz möglich
Folglich können bei dem Kartellschadensersatz folgende Konstellationen auftreten, wenn der kartellrechtliche Schadensersatzanspruch verjährt ist:
Es besteht kein Restschadensersatzanspruch: Wenn zwischen dem Geschädigten und dem Kartellbeteiligten kein unmittelbares oder mittelbares Austauschverhältnis bestand und der Kartellbeteiligte nur als Gesamtschuldner des verjährten kartellrechtlichen Schadensersatzanspruchs auf den Schaden des Geschädigten haftete, so hat der Geschädigte gegen diesen Kartellbeteiligten keinen Restschadensersatzanspruch aus § 852 BGB. Zwar hat der Geschädigte durch die Schädigung aufgrund des Kartellrechtsverstoßes eine Vermögenseinbuße erlitten. Die Vermögensvorteile aus dieser Vermögenseinbuße hat nicht der Beklagte, sondern andere Kartellbeteiligte gezogen. Der in Anspruch genommene Kartellbeteiligte (= Beklagter) hat keinen Vermögensvorteil von dem Geschädigten erhalten, der Grundlage eines Restschadensersatzanspruchs sein könnte.
Ein Beispiel hierfür ist: ein Geschädigter verklagt mehrere Kartellbeteiligte. Ein gerichtlich in Anspruch genommener Kartellbeteiligter hat mit dem klagenden Geschädigten keinen Austauschvertrag abgeschlossen. Wäre der kartellrechtliche Schadensersatzanspruch des Geschädigten verjährt, besteht gegen diesen Kartellbeteiligten kein Restschadensersatzanspruch, da dem Kartellbeteiligten kein Vermögensvorteil zugeflossen ist.
Restschadensersatzanspruch ist niedriger als der verjährte kartellrechtliche Schadensersatzanspruch: Wenn zwischen dem Geschädigten und dem Kartellbeteiligten ein unmittelbares oder mittelbares Austauschverhältnis bestand und wenn der Kartellbeteiligte nur als Gesamtschuldner auf den gesamten Schaden des Geschädigten haftete – der Schaden aus den (zumindest mittelbaren) Austauschverhältnis zwischen Geschädigten und Kartellbeteiligten war niedriger als der Gesamtschaden –, so reduziert sich der Restschadensersatzanspruch im Vergleich zum kartellrechtlichen Schadensersatzanspruch. Der Restschadensersatzanspruch enthält dann nur den Schaden, der allein aus dem (zumindest mittelbaren) Austauschverhältnis zwischen dem Kartellbeteiligten und dem Geschädigten resultierte. Nur in Höhe dieses Schadens (= der Vermögenseinbuße des Geschädigten aufgrund des kartellbedingten Preisaufschlags) hat der Kartellbeteiligte einen Vermögensvorteil erhalten, den er an den Geschädigten auskehren muss. Den über diesen Vermögensvorteil des Kartellbeteiligten hinausgehenden Schaden hat der Kartellbeteiligte aufgrund des Restschadensersatzanspruchs nicht zu ersetzen.
Ein Beispiel hierfür ist: ein Geschädigter nimmt mehrere Kartellbeteiligte gerichtlich in Anspruch. Jeder Kartellbeteiligte hat in dem streitgegenständlichen Zeitraum mit dem Geschädigten Verträge abgeschlossen, deren Preise kartellbedingt überhöht waren. Der Geschädigte begehrt die Summe dieser kartellbedingt überhöhten Preise als Schadensersatz. Einen Restschadensersatzanspruch hat der Geschädigte zwar gegen jeden einzelnen Kartellbeteiligten. Jedoch reduziert sich der Inhalt des Restschadensersatzanspruchs gegen jeden Kartellbeteiligten auf die Höhe, die dem Vermögenszufluss eines jeden Kartellbeteiligten entspricht.
Restschadensersatzanspruch ist identisch zum verjährtem kartellrechtlichen Schadensersatzanspruch: Wenn zwischen dem Geschädigten und dem Kartellbeteiligten ein unmittelbares oder mittelbares Austauschverhältnis bestand und wenn der Geschädigte mit der Klage den Ersatz nur der Schäden begehrt, die aus dem Austauschverhältnis zwischen dem Geschädigten und diesem Kartellbeteiligten resultierten, so ist der Restschadensersatzanspruch der Höhe nach identisch zu dem kartellrechtlichen Schadensersatzanspruch. Die Vermögenseinbuße des Geschädigten aufgrund des kartellbedingten Preisaufschlags entspricht dem Vermögensvorteil des Kartellbeteiligten.
Ein Beispiel hierfür ist: ein Geschädigter nimmt einen Kartellbeteiligten gerichtlich in Anspruch. Dabei begehrt der Geschädigte Ersatz für die kartellbedingten Preisaufschläge, die aus Verträgen mit den gerichtlich in Anspruch genommenen Kartellbeteiligten resultieren. Resultieren die kartellbedingten Preisaufschläge allein aus Verträgen mit dem gerichtliche in Anspruch genommenen Kartellbeteiligten, fließen diesem Kartellbeteiligten alle Vermögensvorteile aus dem Kartellrechtsverstoß zu. Der Restschadensersatzanspruch ist folglich genauso hoch wie der kartellrechtliche Schadensersatzanspruch.
Keine gesamtschuldnerische Haftung denkbar
Selbst wenn mehrere Kartellbeteiligte dem Geschädigten aufgrund des Restschadensersatzanspruchs haften, besteht für diese Restschadensersatzansprüche keine gesamtschuldnerische Haftung. Aufgrund der Ausgestaltung des Restschadensersatzanspruchs als Abschöpfungsanspruch in einem bilateralen Verhältnis gibt es keine Haftung ohne eine identifizierbare Vermögensverschiebung zwischen zwei Personen. Es ist diese Vermögensverschiebung und der daraus resultierende Vermögensvorteil des Kartellbeteiligten, die den Inhalt des Restschadensersatzanspruchs bestimmen und gleichzeitig begrenzen. Das bedeutet, sind alle kartellrechtlichen Schadensersatzansprüche des Geschädigten gegen die Kartellbeteiligten verjährt, haften die Kartellbeteiligten dem Geschädigten gegenüber nicht mehr als Gesamtschuldner.
Dies beruht auf Folgendem: Das Vermögen jedes einzelnen Kartellbeteiligten ist unabhängig von dem Vermögen jedes anderen Kartellbeteiligten. Jeder Kartellbeteiligte hat sein eigenes Vermögen. Daher muss für jeden Kartellbeteiligten einzeln geprüft werden, ob aus dem Schaden des Geschädigten (also auf dessen Kosten) ein Vermögensvorteil dieses Kartellbeteiligten resultierte. Wegen dieses Erfordernisses der konkreten Vermögensverschiebung vom Geschädigten zu dem Kartellbeteiligten im Rahmen des Restschadensersatzanspruchs kann die allgemeine Beeinträchtigung des Wettbewerbsprozesses durch den Kartellrechtsverstoß nicht als Vermögensvorteil eines der Kartellbeteiligten gewertet werden. Weder gehört der vom Kartellrecht geschützte Wettbewerb zum Vermögen eines Geschädigten; noch resultiert allein aus der kartellbedingten Beeinträchtigung des Wettbewerbs ein Vermögensvorteil des Kartellbeteiligten. Die konkrete Vermögensverschiebung erfolgt erst dann, wenn die Kartellbeteiligten nach der Beeinträchtigung des Wettbewerbs mit den Geschädigten einen Austauschvertrag abschließen, welcher den kartellbedingt überhöhten Preis enthält. Zudem ist die Bezifferung des Vermögensvorteils durch die kartellbedingte Beeinträchtigung des Wettbewerbsprozesses unmöglich.
Schließlich haftet kein Kartellbeteiligter aufgrund des Restschadensersatzanspruchs für die Vermögensvorteile eines anderen Kartellbeteiligten. Die Kartellbeteiligten sind bei dem Restschadensersatzanspruch keine Mittäter im Sinne der §§ 830, 840 BGB. Damit fehlt einer gesamtschuldnerischen Haftung die Grundlage, bei der mehrere Kartellbeteiligte eine Leistung in der Weise schulden, dass jeder die ganze Leistung zu bewirken verpflichtet, der Gläubiger aber die Leistung nur einmal zu fordern berechtigt ist (§ 421 Satz 1 BGB).
Eine hiervon zu trennende Frage ist, ob aufgrund des vormals bestehenden und verjährtem kartellrechtlichen Schadensersatzanspruchs und der dafür bestehenden Gesamtschuld Regressansprüche unter den Kartellbeteiligten bestehen können, die auch den Restschadensersatzanspruch nach § 852 BGB umfassen könnten. Diese Frage wäre wohl eine eigene Untersuchung und einen eigenen Beitrag wert.
Umsetzung des Restschadensersatzanspruchs aus § 852 BGB durch die Rechtsprechung
Die (Instanz-)Gerichte werden den Restschadensersatzanspruch aus § 852 BGB richtig anwenden müssen. Der Restschadensersatzanspruch aus § 852 BGB ist seinem Inhalt nach nicht identisch mit dem kartellrechtlichen Schadensersatzanspruch. Der Restschadensersatzanspruch erlaubt es den Gerichten nicht, die Kartellbeteiligten zu einer gesamtschuldnerischen Haftung für den gesamten Schaden zu verurteilen – so wie es der verjährte kartellrechtliche Schadensersatzanspruch ermöglichte. Vielmehr müssen die Gerichte die Austauschbeziehungen des Geschädigten mit jedem Kartellbeteiligten einzeln betrachten und sie dürfen den Restschadensersatzanspruch nur insoweit zusprechen, wie der in Anspruch genommene Kartellbeteiligte einen Vermögensvorteil aufgrund der Vermögenseinbuße des Geschädigten erhielt.