8. Januar 2025
TT-GVO
Kartellrecht

TT-GVO

Auf dem Weg zu einer neuen Technologietransfer-Gruppenfreistellungsverordnung: Was sind die wichtigsten offenen Themen?

Da die aktuelle Verordnung (EU) Nr. 316/2014 der Europäischen Kommission vom 21. März 2014 über die Anwendung von Artikel 101 Absatz 3 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union auf Gruppen von Technologietransfer-Vereinbarungen (TT-GVO) Ende April 2026 ausläuft, hat die Europäische Kommission ein Evaluierungs- und Konsultationsverfahren eingeleitet, um Erkenntnisse über den praktischen Nutzen der TT-GVO und der von der Europäischen Kommission hierzu erlassenen Leitlinien (TT-Leitlinien) zu sammeln. Vor kurzem hat sie zu den Erkenntnissen aus der Evaluierung berichtet.

Freistellung vom Kartellverbot nach der TT-GVO

Die TT-GVO ist eine Gruppenfreistellung der Europäischen Kommission, mit der sie wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen über den Technologietransfer unter bestimmten Voraussetzungen von dem Verbot wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen nach Art. 101 Abs. 1 AEUV ausnimmt.

Hintergrund der TT-GVO ist, dass Technologietransfer-Vereinbarungen den Wettbewerb regelmäßig fördern und dies auch dann, wenn sie selbst wettbewerbsbeschränkende Wirkungen haben oder Klauseln mit wettbewerbsbeschränkender Wirkung enthalten. 

Typische Anwendungsfälle von Technologietransfervereinbarungen sind Patentlizenzverträge, mit denen Patentinhaber bzw. Lizenzgeber den Lizenznehmern die Herstellung eines patentierten Produktes oder die Anwendung eines patentierten Verfahrens ermöglichen. Eine typische Beschränkung mit möglicherweise wettbewerbsbeschränkender Auswirkung wäre in diesem Beispiel eine Beschränkung des Gebiets, in dem der Lizenznehmer die patentierten Produkte verkaufen darf. Neben Patenten können auch Know-how oder andere geistige Eigentumsrechte (z.B. Gebrauchsmuster, Geschmacksmuster, Sortenschutzrechte, Software-Urheberrechte, etc.) Gegenstand eines Technologietransfervertrages sein. 

Die Regelungen der TT-GVO weisen einen hohen Abstraktionsgrad auf, um vielfältige Ausgestaltungen von Technologietransferverträgen zu erfassen. Als Hilfe für den Rechtsanwender hat die Europäische Kommission die TT-Leitlinien mit näheren Erläuterungen zu der kartellrechtlichen Prüfung von Technologietransferverträgen erlassen.

Was sind die offenen Themen?

In der Evaluierung wurde von den interessierten Kreisen eine Reihe von Themen angesprochen. Einige der etwas Komplexeren sollen im Folgenden betrachtet werden:

Sollen Datenrechte in die TT-GVO aufgenommen werden?

Einer der Punkte, in denen sich in der Evaluierung möglicher Änderungsbedarf ergeben hat, betrifft die Frage, ob der Anwendungsbereich einer neuen TT-GVO auch auf Datenrechte erstreckt werden soll. Hintergrund ist, dass in einer zunehmend datengetriebenen Wirtschaft die Überlassung von Daten immer mehr an Bedeutung gewinnt, denn diese stellen heute eine wertvolle Ressource dar. In der Evaluierung befragte Unternehmen haben daher gefordert, die TT-GVO auch auf Datenrechte zu erstrecken.

Allerdings stellen sich in diesem Punkt schwierige Vorfragen nicht kartellrechtlicher Art, ob und welche Rechte an Daten die Rechtsordnung vorsieht und anerkennt. Als Beispiel hierfür seien Unternehmen genannt, die durch Kundeninteraktionen große Mengen an Daten sammeln. Es stellt sich dann insbesondere die Frage, ob die Unternehmen exklusive Rechte an den Daten haben oder ob die Daten weiterhin den Nutzern gehören. Als weiteres Beispiel seien Rechte an Datenbanken genannt. Insoweit könnte an dem urheberrechtlich anerkannten Schutz von Sammelwerken und Datenbankwerken und am Schutz von Datenbankherstellern angeknüpft werden.

Es spricht wohl einiges dafür, dass der Gesetzgeber diese nicht kartellrechtlichen Vorfragen vorab klärt, bevor in eine neuen TT-GVO näher spezifizierte „Datenrechte″ als erfasste Technologierechte aufgenommen werden können.

Müssen die Regeln für Technologiepools angepasst werden?

Diskutiert wird außerdem die Erweiterung der TT-GVO auf sogenannte Technologiepools. Mit Technologiepools ist gemeint, dass Inhaber von Technologierechten wie z.B. Patenten gemeinsam Lizenzen erteilen. Hierzu wurde vorgebracht, dass dies insbesondere kleineren Unternehmen bei dem Zugang zu innovativen Technologien helfe. Zudem wurde angeführt, dass Technologiepools vor allem die Transaktionskosten aller Beteiligten reduzieren können. 

Die aktuell geltende TT-GVO erfasst Verträge zwischen Lizenzgebern eines Technologiepools und Lizenznehmern nicht, da es sich um mehrseitige Verträge und nicht um nur bilaterale Verträge handelt. Die Europäische Kommission hatte aber schon bisher Hinweise zur kartellrechtlichen Prüfung von Technologiepools in den TT-Leitlinien (Gliederungspunkt 4.4) gegeben. Dies schließt die Definition eines sog. weichen sicheren Hafens ein. Mit sicherem Hafen ist gemeint, dass die Beteiligten von der kartellrechtlichen Zulässigkeit ihres Pools ausgehen dürfen, wenn die Voraussetzungen für den sicheren Hafen eingehalten sind. Mit „weich″ ist in diesem Zusammenhang gemeint, dass der sichere Hafen nicht durch quantitative Anforderungen wie insbesondere Marktanteilsschwellen bestimmt ist, sondern durch qualitative Anforderungen. 

In der Evaluierung wurde durch einige Vertreter von Technologieanwendern, also Lizenznehmern, darauf hingewiesen, dass die Bedingungen für die Verwaltung von Technologiepools und die Lizenzvergabe durch die Mitglieder des Technologiepools in Zukunft in der TT-GVO selbst geregelt werden sollten. Die gegenwärtigen TT-Leitlinien würden, so wurde vorgebracht, nicht sicherstellen, dass nur wettbewerblich erwünschte Pools in den durch die TT-Leitlinien definierten sicheren Hafen für solche Pools fallen. Eine Lücke wird hier bei fehlenden Vorgaben für die Lizenzgebühren, bei der Wahrung der Transparenz und in der Frage gesehen, ob der in den sicheren Hafen fallende Pool wirklich nur essenzielle Technologien enthält. 

Es bleibt abzuwarten, wie sich die Europäische Kommission in diesem Punkt einen besseren Überblick über die Tatsachenlage verschaffen kann und welche Schlüsse für eine Anpassung des sicheren Hafens sie daraus ziehen wird. Jedenfalls erscheint es naheliegender und einfacher, die in den TT-Leitlinien gegebene „Guidance″ anzupassen und ggf. die Nachweisanforderungen an Technologiepools, die sich in dem sicheren Hafen sehen wollen, zu erhöhen, als den Themenkomplex einer Regelung in einer neuen TT-GVO zuzuführen.   

Sind gesonderte Regelungen zu Lizenzverhandlungsgruppen (LNG) notwendig?

Betont wurde in der Evaluierung insbesondere von Seiten der Lizenznehmer die Notwendigkeit, Regelungen zu Lizenzverhandlungsgruppen in die TT-GVO aufzunehmen.

Lizenzverhandlungsgruppen („Licensing negotiation groups“ = LNG) bieten Unternehmen, die Möglichkeit, gemeinsam mit anderen Lizenznehmern die Bedingungen für die Nutzung von Technologien zu verhandeln. Durch die Bündelung können LNG, so die Befürworter, den Zugang zu wichtigen Technologien erleichtern. In der Sache dürfte es um die Stärkung der Verhandlungsmacht der Teilnehmer gehen. Dies soll eine effizientere Lizenzvergabe ermöglichen, insbesondere im Bereich standardessenzieller Patente (SEP).

Ein aktuelles Beispiel für eine LNG ist die Automotive Licensing Negotiation Group (ALNG), eine LNG für standardessenzielle Patente für Mobilfunktechnologien. Diese LNG wurde im Juni 2024 vom Bundeskartellamt geprüft und toleriert. 

Fraglich ist nunmehr, ob eine gesonderte Regelung für LNG in die TT-GVO aufgenommen werden sollte. Daran kann man Zweifel haben. Letztlich dürften LNG eine Spielart der Einkaufskooperation darstellen, für deren kartellrechtlichen Zulässigkeit die Europäische Kommission in ihren Horizontal-Leitlinien Hinweise gibt und einen sicheren Hafen definiert (Marktanteilsschwelle von 15 %). Eine ausdrückliche Regelung gerade in der TT-GVO erscheint dann auf den ersten Blick nicht zwingend.

Bestehen Widersprüche zwischen der TT-GVO und den geplanten Regelungen für standardessenzielle Patente (SEP)?

In der Evaluierung ist auch die Frage aufgekommen, ob sich die Regelungen der TT-GVO und der geplanten Verordnung zu standardessenziellen Patenten widersprechen.

Standardessenzielle Patente (SEP) sind Patente, die für die Einhaltung anerkannter technischer Standards unerlässlich sind. Solche Patente sind besonders wichtig in Branchen wie der Telekommunikation, Automobilindustrie und dem „Internet of Things“ (IoT), da sie die Interoperabilität zwischen Produkten und Systemen verschiedener Anbieter sicherstellen. Das Europäische Parlament hat Ende Februar 2024 dem Vorschlag der EU Kommission für eine solche SEP-Verordnung zugestimmt. Dieser liegt im Rahmen des EU-Gesetzgebungsverfahren nun beim Rat der Europäischen Union.

Auf den ersten Blick habe die beiden Themen – Freistellung von Technologietransfervereinbarungen von dem Kartellverbot durch die TT-GVO und SEP – nicht zwingend viel miteinander zu tun. Bei Lizenzverträgen über SEP wird die Marktanteilsschwelle der TT-GVO oft überschritten sein. Einen Berührungspunkt gibt es aber in den TT-Leitlinien, die, wie gesagt, Hinweise für die kartellrechtliche Bewertung von Technologiepools geben und der dort vorgesehene sichere Hafen für solche Pools voraussetzt, dass die enthaltenen Technologierechte essenziell sind. Ein weiterer formaler Berührungspunkt ist, dass die TT-Leitlinien gerade auch den Fall behandeln, dass die Marktanteilschwelle überschritten ist, was, wie gesagt, bei SEP naheliegt. 

Die Europäische Kommission selbst geht davon aus, dass beide Regelwerke – TT-GVO und künftige SEP-Verordnung – komplementär sind und will keine Widersprüche festgestellt haben. Bleibt es dabei, ist in diesem Punkt nicht mit Anpassungen der TT-GVO zu rechnen. 

Nächste Schritte

Die Evaluierung der TT-GVO durch die Europäische Kommission hat ergeben, dass die TT-GVO – und die dazugehörigen TT-Leitlinien – ihre Ziele recht gut erreicht haben. Insbesondere tragen sie zur Erhöhung der Rechtssicherheit bei, da sie Unternehmen ermöglichen, Kartellrechtsverstöße zu vermeiden. Unternehmen mit Marktanteilen, die mit ausreichender Sicherheit die 20 bzw. 30 %-Schwelle nicht übersteigen, profitieren bei ihren Technologietransfervereinbarungen von der TT-GVO. 

In einem nächsten Schritt findet nun eine Folgenabschätzung statt, in dem die Europäische Kommission einen Vorschlag für eine neue TT-GVO vorlegen, zur Diskussion stellen und auf seine mutmaßlichen Auswirkungen prüfen wird. Danach wird sie – daran bestehen wenig Zweifel – eine neue TT-GVO erlassen. Dies muss rechtzeitig vor dem Auslaufen der bisherigen am 30. April 2026 geschehen. 

Es steht zu erwarten, dass die neue TT-GVO der bisherigen sehr ähnlich sehen wird. Wohl wird die Europäische Kommission die Reihenfolge der Vorschriften nach dem Vorbild der horizontalen Gruppenfreistellungsverordnungen von 2023 neu sortieren. Inhaltlich ist nicht mit revolutionären Änderungen zu rechnen. Abzuwarten bleibt, ob und wie die Europäische Kommission die oben behandelten offenen Themen eine Regelung zu führen wird.

Tags: Kartellrecht Technologietransfer-Vereinbarungen TT-GVO