29. April 2011
Buntes Rechengerät
Öffentliches Wirtschaftsrecht

Wer zu früh kommt, den bestraft der Richter – Bürgerbeteiligung „auf Vorrat″ ist unzulässig

Über einen Fall vorauseilender Bürgerbeteiligung hatte jüngst der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg (VGH BW) zu entscheiden. Er hat die Initiatoren eines recht zügig eingereichten Bürgerbegehrens zurückgepfiffen (Beschluss vom 08.04.2011 – 1 S 303/11).

Was war passiert?

Der Gemeinderat einer baden-württembergischen Stadt hatte im Jahre 2009 die Ausschreibung für Planung, Neubau und Betrieb eines „Bäderparadieses″ beschlossen und im April 2010 die Stadtverwaltung damit beauftragt, die Verträge mit dem erstplatzierten Bieter zu verhandeln. Mit Beschluss vom 28.09.2010 genehmigte er dann den Abschluss der Verträge. Erst mit diesem Beschluss war die Entscheidung über die finanzielle Beteiligung der Stadt an dem Projekt verbindlich gefallen.

Gegen das Vorhaben hatte sich zu Beginn des Jahres 2010 eine Bürgerinitiative gebildet. Diese sammelte seit dem 07.07.2010 „vorsorglich für den Fall eines eventuellen Gemeinderatsbeschlusses“ Unterschriften für ein Bürgerbegehren mit dem Ziel, gegebenenfalls einen Bürgerentscheid über die finanzielle Beteiligung der Stadt an einem „Bäderparadies″ durchzuführen. Am 29.09.2010 – also schon am Tag nach dem Gemeinderatsbeschluss – reichte die Bürgerinitiative das Bürgerbegehren mit der erforderlichen Zahl an Unterschriften bei der Stadt ein. Die Stadt lehnte den Antrag auf Durchführung eines Bürgerentscheids als unzulässig ab. Gegen diese Ablehnung begehrte eine Mitunterzeichnerin des Bürgerbegehrens nun einstweiligen Rechtsschutz: ohne Erfolg.

Im Kern der Entscheidung des VGH BW stand u. a. die Frage, ob im Hinblick auf das erforderliche Quorum von 2.500 Stimmen auch diejenigen Unterschriften gelten, die zeitlich vor dem in der Sache mit dem Bürgerbegehren angegriffenen Gemeinderatsbeschluss geleistet worden waren.

Hierzu heißt es in § 21 Abs. 3 der Gemeindeordnung für Baden-Württemberg (GemO BW):

„(…) Das Bürgerbegehren muss schriftlich eingereicht werden (…); richtet es sich gegen einen Beschluss des Gemeinderats, muss es innerhalb von sechs Wochen nach der Bekanntgabe des Beschlusses eingereicht sein. (…) Es muss von mindestens 10 vom Hundert der Bürger unterzeichnet sein, höchstens jedoch in Gemeinden mit nicht mehr als 50.000 Einwohnern von 2.500 Bürgern (…).″

Nach Auffassung des VGH BW ist diese Regelung dahingehend zu verstehen, dass die Unterschriften für ein Bürgerbegehren, welches sich gegen einen Gemeinderatsbeschluss richtet, zwingend innerhalb der Frist von sechs Wochen nach Bekanntgabe des Beschlusses von den Bürgern eingeholt werden müssen.

Diese Voraussetzung sah der VGH BW hier nicht als erfüllt an, er bewertete das Bürgerbegehren daher als unzulässig. Der weit überwiegende, wenn nicht sogar der gesamte Anteil der Unterschriften sei nicht nach dem Gemeinderatsbeschluss geleistet worden, sondern bereits in den Wochen davor.

Eine solche Unterschriftensammlung „auf Vorrat″ sei mit den gesetzlichen Regelungen des § 21 Abs. 3 GemO BW nicht vereinbar. Aus dem Regelungszusammenhang und dem Sinn und Zweck eines Bürgerbegehrens folgert der VGH BW, dass die Bürger vor ihrer Unterschriftsleistung Gelegenheit gehabt haben müssen, den angegriffenen Gemeinderatsbeschluss zur Kenntnis zu nehmen. Der Sach- und Informationsstand der Bürgerschaft über ein Vorhaben könne sich aufgrund in öffentlicher Gemeinderatssitzung ausgetauschter Argumente ändern und den einen oder anderen Bürger dazu bewegen, sich entgegen seiner früheren Absicht nicht mehr mit seiner Unterschrift für die Durchführung eines Bürgerentscheids einzusetzen oder auch umgekehrt.

Nicht entscheiden musste der VGH BW im konkreten Fall über eine – durchaus berechtigte – Befürchtung der Antragstellerin für den Fall eines nicht gegen einen Gemeinderatsbeschluss gerichteten initiierenden Bürgerbegehrens. Wenn etwa der Gemeinderat seinerseits durch vorauseilenden Beschluss einem von den Bürgern initiierten Vorhaben eine Absage erteilt, könnte er möglicherweise durch eine solche „geschickte Beschlussfassung″ den für ein geplantes Bürgerbegehren bereits gesammelten Unterschriften „ihre Wirksamkeit nehmen“. Sollte die dargestellte Auffassung des VGH BW hier ebenfalls gelten, müsste auch in einem solchen Fall nach dem Gemeinderatsbeschluss mit der Unterschriftensammlung wieder von Neuem begonnen werden.

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