18. April 2012
Ärztebewertungen im Internet
Datenschutzrecht

Untersuchmich! – Ärztebewertungen im Internet passieren die zweite Instanz

Die Transparenzwelle rollt scheinbar unaufhaltsam durch die Welt, und was der „Stern″ noch vor vier Jahren einigermaßen staunend beäugte und zunächst auf nicht unerheblichen Gegenwind von Standesorganisationen stieß, ist heute ein gängiges Angebot: Internet-Bewertungsportal für Ärzte. Während die Ärztevertreter ihren anfänglichen Widerstand rasch aufgaben und durchaus sinnhafte Qualitätskriterien entwickelten,  waren einige der Bewerteten weniger entspannt. Eine niedergelassene Ärztin beschritt den Rechtsweg und verlangte die Löschung der über sie gespeicherten Daten sowie die Unterlassung der weiteren Veröffentlichung. Ohne Erfolg, wie jetzt das OLG Frankfurt in zweiter Instanz urteilte. Die Erfolgsaussichten der zulässigen Revision zum BGH dürften überschaubar sein – datenschutzrechtlich ist der Weg seit dem „spickmich″-Urteil des BGH in Sachen Lehrerbewertung weitgehend vorgezeichnet.

Die klagende Ärztin hatte die Abweisung ihrer Anträge durch das Landgericht insbesondere wegen einer fehlerhaften Interessenabwägung angegriffen. Nach § 29 Abs. 1 BDSG ist das geschäftsmäßige Erheben, Verarbeiten und Nutzen personenbezogener Daten zum Zwecke der Übermittlung u.a. zulässig, wenn kein Grund zu der Annahme besteht, dass der Betroffene ein schutzwürdiges Interesse am Ausschluss dieses Umgangs mit seinen personenbezogenen Daten hat. Die Klägerin hatte argumentiert, dass die Maßstäbe des BGH aus der „spickmich″-Entscheidung auf das von der Beklagten betriebene Portal nicht anwendbar seien, da dieses – anders als spickmich.de – kein geschlossenes Portal sei. Sie hatte sich weiter auf einen „latenten Verdacht der Manipulation″ berufen, aufgrund dessen die Einträge auf dem Portal der Beklagten unglaubwürdig seien; zudem bezog sie sich auf das standesrechtliche Verbot einer Ärztewerbung aufgrund ungeprüfter Selbsteinschätzung. Schließlich machte sie geltend, dass die auf dem Portal veröffentlichten Bewertungen mangels Objektivität und Kompetenz der beurteilenden Laien für die Nutzer des Portals bei der Arztwahl keine werthaltigen Informationen; anonyme Meinungsäußerungen aus der Masse heraus seien auch nicht schutzwürdig.

Das OLG Frankfurt folgte indes der Auffassung des beklagten Internetportals und fand sehr deutliche Worte zum Einfluss der verfassungsrechtlich garantierten Kommunikationsfreiheit bei (auch datenschutzrechtlichen) Interessenabwägungen.

Der zunächst durchaus nachvollziehbaren Unterscheidung zwischen der registrierungspflichtigen Plattform „spickmich″ und dem frei zugänglichen Arztbewertungsportal begegnete das OLG mit einem Verweis auf die unterschiedliche Öffentlichkeitsrelevanz lehrender und ärztlicher Tätigkeit:

„Allerdings arbeitet die Klägerin – im Gegensatz zu Lehrern – nicht in einem geschlossenen, abgrenzbaren Raum, sondern als niedergelassene Ärztin. Das Landgericht weist deshalb zu Recht darauf hin, dass sich die Klägerin insbesondere vor dem Hintergrund des Rechts auf freie Arztwahl dem auch zwischen Ärzten bestehenden Wettbewerb stellen muss und insoweit den Marktmechanismen ausgesetzt ist, zu denen heute – wie in vielen anderen Lebensbereichen – auch Bewertungsmöglichkeiten in öffentlich zugänglichen Quellen (zu denen auch das Internet zählt) gehören. Da die Meinungsfreiheit auch das Recht des Äußernden umfasst, die Modalitäten einer Äußerung und damit das Verbreitungsmedium frei zu bestimmen, muss es die Klägerin grundsätzlich hinnehmen, wenn die Möglichkeit besteht, sie in einem öffentlich zugänglichen Portal zu bewerten, und diese Möglichkeit genutzt wird.″

Auch der klägerischen Kritik an anonymen Äußerungen teilte das Gericht eine deutliche Absage:

„Dessen ungeachtet kann die Meinungsäußerungsfreiheit nicht auf Äußerungen beschränkt werden, die einem bestimmten Individuum zugeordnet werden können. Der Bundesgerichtshof hat in der vorbenannten Entscheidung in aller Deutlichkeit und ohne Beschränkung auf den schulischen Bereich darauf hingewiesen, dass die Verpflichtung, sich namentlich zu einer bestimmten Meinung zu bekennen, die Gefahr begründet, dass der Einzelne aus Furcht vor Repressalien oder sonstigen negativen Auswirkungen eine Art Selbstzensur vornimmt und davon absieht, seine Meinung zu äußern. Dies ist aber mit dem Grundrecht auf freie Meinungsäußerung nicht vereinbar.″

Fast schon verärgert klingt die Auseinandersetzung der Richter mit den von der Klägerin vorgebrachten Zweifeln an der – in Ermangelung von Objektivität und Kompetenz von Laien – nicht „werthaltigen″ Informationen:

 ″Wie das Landgericht zutreffend darlegt, ist das Recht auf Meinungsäußerung nicht auf objektivierbare allgemein gültige Werturteile beschränkt; vielmehr ist es gerade charakteristisch für eine Meinungsäußerung, dass sie durch die Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder des Meinens und damit durch eine eigene, subjektive Einschätzung des Äußernden geprägt ist. Zudem ist mit dem Landgericht davon auszugehen, dass es dem Nutzer einer Bewertungsplattform grundsätzlich bewusst ist, dass die dort befindlichen Bewertungen naturgemäß keinen wissenschaftlichen Standard erfüllen, sondern allein die subjektiven Erfahrungen wiedergeben, die einzelne Betroffene mit den verschiedenen Ärzten gemacht haben – und diese Erfahrungen können, wie auch die Einträge bei der Klägerin zeigen, ganz unterschiedlicher Art sein.″

Nicht nur das betroffene Internetportal (das das Urteil flugs als willkommenen Publicity-Anlass nutzte) dürfte sich mit den Ausführungen des Gerichts durchaus anfreunden können. Denn jenseits der datenschutzrechtlichen Einzelfragen haben die Frankfurter Gerichte demonstriert, dass der gelegentlich beschworene digitale Graben zwischen dem rechtsprechenden Establishment und der ″Netzgemeinde″ jedenfalls in diesem Fall so tief nicht ist (hier übrigens auch…). Gleichwohl: Verbindliche Spielregeln – auch dies lässt das Gerichte erkennen – gelten in der analogen wie in der digitalen Welt. Und das ist dann ja für viele auch schon wieder verlässlich digitalreaktionär.

P.S.: Liebes Bewertungsportal, so sehr wir uns mit Euch über das Urteil freuen: Bei diesem Artikel eines, nun ja, jedenfalls über Ecken mit Euch verbundenen Unternehmens vermissen wir dann doch einen wieauchimmergearteten Hinweis auf den werblichen Charakter – auch das gehört zu den Spielregeln.

Tags: Anonymität Bewertungsportal Interessenabwägung Kommunikationsfreiheit Meinungsfreiheit Oberlandesgerichte Persönlichkeitsrecht Rechtsprechung Sozialsphäre spickmich § 29 BDSG