30. Juni 2022
Widerruf Mietvertrag Fernabsatz
Real Estate

Wohnen for free: Erstattung bei widerrufenem Mietvertrag

Bei fehlender Widerrufsbelehrung kann ein Mieter den Wohnraummietvertrag widerrufen und so die Mietsache bis zu 13 Monate kostenlos nutzen.

Das Landgericht Berlin hat zu den Folgen einer fehlenden Widerrufsbelehrung bei einem im Wege des Fernabsatzes und ohne vorherige Besichtigung abgeschlossenen Wohnraummietvertrag entschieden (LG Berlin, Urteil v. 21. Oktober 2021 – 67 S 140/21). Demnach steht einem Mieter* dann ein Anspruch auf Rückzahlung von Miete und Nebenkostenvorauszahlungen zu (§§ 312 Abs. 4, Abs. 3 Nr. 7 i.V.m. §§ 312g, 355 Abs. 1, Abs. 3, 357 Abs. 8, 361 BGB), ohne dass er dem Vermieter eine Entschädigung für den Gebrauch der Mietsache schuldet. 

Abhängig vom Zeitpunkt seines Widerrufs kann ein Mieter die Mietsache so bis zu 13 Monate kostenlos nutzen. 

Widerrufsrecht nur bei Verbrauchervertrag

Nur wenn ein Wohnraummietvertrag zwischen einem Unternehmer (vgl. § 14 BGB) als Vermieter und einem Verbraucher (vgl. § 13 BGB) als Mieter abgeschlossen wird, ist der Anwendungsbereich des Widerrufsrechts eröffnet (§ 312 Abs. 4, Abs. 3 Nr. 7 i.V.m. § 312g BGB). 

Im vom LG Berlin zu entscheidenden Fall war ein Verbrauchervertrag gegeben.

Widerrufsrecht nur bei fehlender Besichtigung

Ausgeschlossen ist das Widerrufsrecht zudem, wenn der Mieter den Wohnraum vor Vertragsschluss besichtigt hat (§ 312 Abs. 4 S. 2 BGB). 

Der Mieter hatte die Mietsache in dem vorliegenden Rechtsstreit vor dem LG Berlin vor Vertragsschluss unstreitig nicht besichtigt. 

Widerrufsrecht nur bei Fernabsatzvertrag

Das Widerrufsrecht gilt zudem nur für Fernabsatzverträge (§§ 312 Abs. 1, 310 Abs. 3, 312g, 312c Abs. 1, 2 BGB). Fernabsatzverträge sind solche Verträge, bei denen der Unternehmer und der Verbraucher für die Vertragsverhandlungen und den Vertragsschluss ausschließlich Fernkommunikationsmittel verwenden. Unter Fernkommunikationsmitteln versteht man diejenigen Kommunikationsmittel, die eingesetzt werden, ohne dass die Vertragsparteien gleichzeitig körperlich anwesend sind, also etwa E-Mails, Briefe, Kataloge, Telefon, Telekopien, über Mobilfunk versendete Nachrichten (z.B. SMS), Rundfunk und Telemedien. 

Bei dem durch das LG Berlin zu beurteilenden Mietvertrag handelte es sich um einen solchen Fernabsatzvertrag, denn Vermieter und Mieter hatten den Vertrag per E-Mail abgeschlossen und auch die gesamte vorhergehende Kommunikation ausschließlich per E-Mail abgewickelt.

Lange Widerrufsfrist nur bei fehlender ordnungsgemäßer Widerrufsbelehrung

Die Frist zur Ausübung des Widerrufsrechts durch den Mieter beträgt üblicherweise 14 Tage und beginnt mit dem Vertragsschluss zu laufen, jedoch nicht bevor der Vermieter den Mieter über sein Widerrufsrecht ordnungsgemäß belehrt hat (§§ 355 Abs. 2, 356 Abs. 3 S. 1 BGB). Bei fehlender Widerrufsbelehrung erlischt das Widerrufsrecht dann jedoch erst spätestens zwölf Monate und 14 Tage nach Vertragsschluss (§ 356 Abs. 3 S. 2 BGB). 

Im durch das LG Berlin zu entscheidenden Fall war eine Widerrufsbelehrung seitens des Vermieters nicht erfolgt und der Mieter hatte den Widerruf weniger als ein Jahr nach erfolgtem Vertragsschluss und damit noch rechtzeitig erklärt.

Kein Rechtsmissbrauch

Die Ausübung eines Widerrufsrechts kann im Einzelfall rechtsmissbräuchlich sein (BGH, Urteil v. 12. Juli 2016 – XI ZR 564/15). Dies ist etwa dann denkbar, wenn der Widerruf des Mietvertrags durch den Mieter bewusst treuwidrig spät ausgeübt wird, obwohl der Mieter bereits erhebliche Zeit vor Ausübung des Widerrufsrechts Kenntnis davon hatte, zum Widerruf berechtigt zu sein. Dies dürfte dem Mieter jedoch regelmäßig schwer nachzuweisen sein. 

Nach Ansicht des LG Berlin hätte dies einer Widerrufsbelehrung durch den Vermieter oder einer vergleichbaren Kenntnisverschaffung auf Seiten des Mieters bedurft, an der es im zu entscheidenden Fall gefehlt habe.

Mietvertrag wandelt sich in Rückabwicklungsverhältnis um

Nach einem wirksamen Widerruf des Mieters müssen die Parteien die jeweils empfangenen Leistungen zurückgewähren (§ 355 Abs. 3 S. 1 BGB). Der Mietvertrag wandelt sich damit in ein Rückabwicklungsverhältnis um: Der Vermieter hat dem Mieter die gezahlte Miete einschließlich Nebenkostenvorauszahlungen und eine ggf. entrichtete Kaution zurückzugewähren. Im Gegenzug muss der Mieter dem Vermieter den ihm eingeräumten Besitz an der Wohnung zurückgewähren. 

Diese Rückabwicklung hat lt. LG Berlin innerhalb von 14 Tagen zu erfolgen (vgl. § 355 Abs. 3 S. 2 i.V.m. § 357 Abs. 1 BGB).

Kein Anspruch des Vermieters auf Entschädigung für die Nutzung der Wohnung

Ein Anspruch auf Entschädigung für die Nutzung der Wohnung kann sich nach Ansicht des LG Berlin für den Vermieter allein aus § 357 Abs. 8 S. 1 BGB a.F. (jetzt geregelt in § 357a Abs. 2 BGB) ergeben, wenn zu dem dort erwähnten „Vertrag über die Erbringung von Dienstleistungen“ (jetzt: „Dienstleistung, für die der Vertrag die Zahlung eines Preises vorsieht“) auch Mietverträge zählten.

Weitere Ansprüche des Vermieters kommen nach dem LG Berlin aufgrund des eindeutigen Wortlauts des § 361 Abs. 1 BGB, der einer erweiterten Auslegung nicht zugänglich sei, nicht in Betracht. Das bedeutet, dass der Mieter dem Vermieter grds. allenfalls dann eine Entschädigung schuldet, wenn der Mieter vom Vermieter ausdrücklich verlangt hat, dass der Vermieter mit der Leistung vor Ablauf der Widerrufsfrist beginnt, der Vermieter den Mieter ordnungsgemäß über sein Widerrufsrecht und die etwaige Pflicht zur Zahlung einer Entschädigung informiert hat und das Leistungsverlangen des Mieters dem Vermieter auf einem dauerhaften Datenträger (Papier, Speichermedien, E-Mails etc.) übermittelt wurde.

Sofern es an diesen Voraussetzungen fehlt, kann der Mieter die Mietsache, abhängig vom Zeitpunkt der Ausübung des Widerrufsrechts, jedoch max. bis zu 13 Monate, kostenlos nutzen.

Höchstrichterliche Entscheidung über Entschädigung für die Nutzung der Mietsache bei wirksamem Widerruf in Kürze erwartet

Die Revision ist beim BGH (VIII ZR 401/21) anhängig. Die Revision zum BGH wurde zugelassen, da es bislang höchstrichterlich ungeklärt ist, ob und unter welchen Umständen ein Mieter in den Fällen fehlender Widerrufsbelehrung eine Entschädigung für die Nutzung der Mietsache für den Zeitraum bis zum wirksamen Widerruf an den Vermieter zu leisten hat.

Das vorliegende Urteil zeigt, dass im Zeitalter der Digitalisierung und der Globalisierung sowie bei der damit verbundenen steigenden Nachfrage nach flexiblen Wohnraumlösungen, in dem Mietverträge – noch verstärkt durch die COVID-19-Pandemie – zunehmend im Wege des Fernabsatzes und ohne vorherige Besichtigung abgeschlossen werden, für den Vermieter erhöhte Vorsicht geboten ist. Dies zumindest, solange der BGH der Entscheidung des LG Berlin nicht eine Absage erteilt hat und dem Vermieter Wert- oder Nutzungsersatz für den Gebrauch des Mieters an der Mietwohnung zuspricht. Es wird daher mit Spannung erwartet, wie der BGH über die Frage einer Entschädigung entscheiden wird. 

In der Praxis: Vorgaben zum Verbraucherwiderruf im Blick behalten!

In der Praxis ist sicherzustellen, dass Mietverträge über Wohnraum, sofern sie im Wege des Fernabsatzes und ohne Besichtigung abgeschlossen werden, so wie es z.B. bei der Vermietung von Studierendenwohnungen über digitale Plattformen vorkommen kann, den gesetzlichen Anforderungen entsprechen. 

Sie müssen eine ordnungsgemäße Belehrung über das Widerrufsrecht und die Wertersatzpflicht sowie ein auf einem dauerhaften Datenträger übermitteltes ausdrückliches Verlangen des Mieters, dass der Vermieter mit seiner Leistung vor Ablauf der Widerrufsfrist beginnt, enthalten. Dies ist im Rahmen von Investments in Wohnraum zu beachten, kann jedoch u.U. auch bei der Ankaufsprüfung relevant werden. 

*Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Um der leichteren Lesbarkeit willen wird im Beitrag die grammatikalisch männliche Form verwendet.

Tags: Fernabsatz Mietvertrag Real Estate & Public Widerruf