Künftig gilt für langfristige Gewerberaummietverträge die Textform. Das wird manches vereinfachen, birgt aber auch Risiken.
Mieter und Vermieter können ihre langfristigen Gewerberaummietverträge und -pachtverträge (in der Folge wird der Einfachheit halber nur von Mietverträgen gesprochen; Pachtverträge sind mitgemeint) künftig auch per E-Mail, PDF-Dokument oder Messenger-Dienst abschließen und ändern. Nach der alten Rechtslage würde dies noch dazu führen, dass der Vertrag wegen Schriftformwidrigkeit trotz Festlaufzeit vorzeitig kündbar ist.
Mit dem Bürokratieentlastungsgesetz IV, dem der Bundesrat am 18. Oktober 2024 zugestimmt hat, wird das Schriftformerfordernis durch die Textform ersetzt. Damit können Mietverträge einfacher und schneller abgeschlossen und geändert werden. Die Reform birgt jedoch auch Risiken. Wir beleuchten, welche Fallstricke drohen und wie sie vermieden werden können.
Die Voraussetzungen der Textform gem. § 126b BGB
Die Textform gemäß § 126b BGB verlangt, dass eine Erklärung auf einem dauerhaften Datenträger festgehalten wird, wie beispielsweise in einer E-Mail, einem PDF-Dokument oder auf einem USB-Stick. Der Absender muss erkennbar sein. Zudem müssen das Ende der Erklärung und ihre Vollständigkeit ersichtlich sein, zum Beispiel durch die Angabe des Namens, eine eingescannte Unterschrift, eine Grußformel oder den Hinweis „Diese Erklärung ist nicht unterschrieben“.
Risiken der Textform und Einheit der Urkunden
Die genannten Anforderungen an die Textform sind leicht einzuhalten. Das Schriftformerfordernis beschränkte sich bis jetzt allerdings nicht auf die eigenhändige Unterschrift der Parteien, sondern wurde durch die umfangreiche Rechtsprechung zur „Einheitlichkeit der Urkunde“ ergänzt, wonach alle wesentlichen Regelungen des Mietvertrages in einer Urkunde enthalten sein müssen. Dieser Rechtsprechung gerecht zu werden, war in der Praxis die größte Herausforderung der Schriftform. Bei Nachträgen zu Mietverträgen erfordert die Einheit der Urkunde insbesondere eine hinreichende Bezugnahme auf den Ursprungsvertrag inklusive aller vorangegangen Nachträge. Hintergrund dieser Rechtsprechung und des Formerfordernisses als solchem ist der Erwerberschutz: Weil der Erwerber einer Immobilie kraft Gesetzes (§ 566 BGB) in die bestehenden mietvertraglichen Rechte und Pflichten für die Zeit ab dem Eigentumsübergang eintritt, soll er in der Lage sein, sich vorher vollständig über die auf ihn übergehenden Rechte und Pflichten zu unterrichten.
Es ist unklar, ob die Rechtsprechung auch für die Textform an dem Grundsatz der Einheit der Urkunde festhalten wird. Es sprechen jedoch gute Gründe dafür, maßgeblich der Erwerberschutz. Nachträge in locker formulierten E-Mails werden deswegen auch künftig ein erhebliches Risiko für Formverstöße bergen. Gerade bei längerem E-Mail-Verkehr dürfte es schwierig werden, festzustellen, welche E-Mails die textformbedürftigen Vereinbarungen in verbindlicher Fassung enthalten. Eine durchgehende Kette von Inbezugnahmen wird zur Herausforderung. Diese Unübersichtlichkeit birgt eine weitere Gefahr: Wenn sich Verhandlungs- und Vereinbarungsinhalte in einem längeren Austausch überlappen, kann rückblickend streitig werden, was Vertragsinhalt geworden ist. Kommt ein Gericht zu dem Schluss, dass sich die Parteien über wesentliche Inhalte tatsächlich gar nicht geeinigt haben, kann dies dazu führen, dass der Vertrag insgesamt unwirksam ist.
Empfehlungen für die Praxis
Vertragsabschluss und Nachtragsmanagement:
Wir empfehlen daher, einen Mittelweg zwischen der altbewährten Vorgehensweise und den neuen Möglichkeiten der Textform zu gehen. Mietvertragliche Vereinbarungen sollten im herkömmlichen Aufbau in einem PDF-Dokument niedergeschrieben und von jeder Partei „unterschrieben“ werden, mit dem Unterschied, dass dieser Schritt nun in der einfacheren Textform erfolgen kann. Es genügt also, wenn der Erklärende seinen Namen einträgt, oder seine eingescannte Unterschrift einfügt, mit dem Finger oder einem Stylus auf dem Tablet oder Smartphone unterschreibt oder das Dokument elektronisch signiert, z.B. mit DocuSign, wobei es jedenfalls nicht mehr auf eine qualifizierte elektronische Signatur ankommt. Dies erleichtert die Wahrung der Einheit der Urkunde. Entsprechendes gilt für Änderungen zu Mietverträgen. Diese sollten in weiterhin in einem Nachtrag zum Mietvertrag, der auf die bisherigen Nachträge verweist, nach Maßgabe der vorstehenden Prinzipien festgehalten werden.
Vollständigkeitserklärungen:
Die unter dem derzeitigen Schriftformgebot bereits häufig verwandte Vollständigkeitsklauseln dürfte künftig noch wichtiger für den Vermieter werden. Nach diesen Klauseln legt der Vermieter dem Mieter eine aus seiner Sicht vollständige Liste sämtlicher Vertragsunterlagen vor. Der Mieter muss innerhalb einer bestimmten Frist bestätigen, dass diese Unterlagen vollständig sind bzw. etwaige Unvollständigkeiten oder Fehler konkret in ihrer Vollständigkeitserklärung benennen.
Immobilientransaktionen
Erwerberperspektive
Für Erwerber besteht weiterhin das Risiko, in nicht offengelegte mietvertragliche Abreden einzutreten – mit dem Unterschied, dass eine vorzeitige Kündigung des übernommenen Vertrages nur noch bei Verstößen gegen die Textform möglich sein wird. Zusätzlich dürften Formverstöße eher zunehmen, wenn sich die Praxis auf mietvertragliche Abreden per E-Mail etc. einlassen sollte – jedenfalls wenn die Einheit der Urkunde weiter gefordert wird. Dann könnte auch die Ankaufsprüfung entsprechend umfänglicher ausfallen und nunmehr auch E-Mail-Verläufe etc. umfassen. Selbst KI-Lösungen bei der Ankaufsprüfung dürften dieses Risiko nicht grundlegend eliminieren, weil der Erwerber nicht sicher sein kann, dass ihm auch die gesamte relevante Korrespondenz offengelegt wurde. Diesem Risiko wird der Erwerber grundsätzlich mit den gleichen Instrumenten wie bisher begegnen müssen. Der Erwerber wird eine (begrenzte) Anzahl von Unterlagen prüfen, die ihm der Verkäufer zur Verfügung gestellt hat. Darüber hinaus wird es dem Verhandlungsgeschick des Erwerbers unterliegen, ob und inwieweit er sein Risiko durch Garantieerklärungen eines bonitätsstarken bzw. sicherheitsstellenden Verkäufers im Kaufvertrag reduzieren kann, wobei es vermutlich nur selten gelingen wird, bei Mietverträgen mit langen Laufzeiten den überwiegenden Anteil der Restlaufzeit abzusichern.
Verkäuferperspektive
Eine Dokumentation der mietvertraglichen Abreden in einer Form, die äußerlich weitgehend der bisherigen Marktpraxis entspricht (siehe hierzu unsere obige Empfehlung), dürfte das Vertrauen des Erwerbers in die Vollständigkeit der vorgelegten Unterlagen erhöhen. Stellt der Erwerber während der Due Diligence hingegen fest, dass Vereinbarungen in unterschiedlichen Medien getroffen wurden, dürfte er das Risiko nicht offengelegter Nebenabreden höher bewerten und einpreisen und/oder Garantieerklärungen mit entsprechenden Sicherheiten verlangen.
Bestehende Mietverhältnisse während der Übergangsfrist:
Vermieter und Mieter sollten bestehende Mietverträge zeitnah auf Schriftformmängel prüfen, wenn sie Anhaltspunkte für einen Verstoß gegen die Schriftform haben, der nicht unter die Textform fallen würde. Dies gilt insbesondere, wenn eine vorzeitige Kündigung in Betracht kommt. Umgekehrt kann auch ein Interesse bestehen, mit einer kurzfristigen Vertragsänderung (zu einem beliebigen Punkt) die Übergangsfrist für die Anwendbarkeit des Textformgebots abzukürzen (siehe nachstehend Ziffer IV.) um damit einem etwaigen Risiko der vorzeitigen Kündigung aufgrund eines Schriftformmangels, der nicht gleichzeitig ein Textformverstoß ist, zu entgehen.
Inkrafttreten
Die Reform tritt am Monatsersten des Quartals in Kraft, der auf die Verkündung im Bundesgesetzblatt folgt, voraussichtlich am 1. Januar 2025. Für bestehende Verträge gilt eine einjährige Übergangsfrist. Innerhalb dieser Frist können die Parteien weiterhin wegen Schriftformmängeln kündigen. Danach können sie nur noch wegen eines Textformverstoßes vorzeitig kündigen. Wird der Vertrag während der Übergangszeit geändert, so gilt ab diesem Zeitpunkt für den gesamten Vertrag die neue Rechtslage in vollem Umfang.
+++ Update 1. November 2024 +++
Das Bürokratieentlastungsgesetz IV wurde am 29. Oktober 2024 im Bundesgesetzblatt verkündet (BGBl. 2024 I Nr. 323 vom 29. Oktober 2024) und tritt damit – wie erwartet – am 1. Januar 2025 in Kraft.