17. April 2019
Automotive Arbeitsrecht

Acqui-Hire - Know-how auf Knopfdruck für die Automobilbranche?

Der digitale Wandel macht Acqui-Hire zu einem wichtigen strategischen Mittel für die Automobilbranche. Über das Erfolgsrezept einer gelungenen Acqui-Hire Transaktion.

Die Digitalisierung bringt in vielen Industriezweigen das bisherige Geschäftsmodell ins Wanken. Die Automobilbranche bildet hierbei keine Ausnahme und muss sich unter anderem auf die Herausforderungen der Elektromobilität sowie des vernetzten und autonomen Fahrens einstellen.

Um diese Herausforderungen zu bewältigen benötigen die Unternehmen spezialisiertes Know-how und hochqualifizierte und spezialisierte Mitarbeiter. Sie sind der Schlüssel zu Innovationen und treiben die Digitalisierung voran. Das Fördern und Entwickeln eigener Talente im Unternehmen braucht Zeit, die gerade in der Automobilbranche wegen des rasanten technologischen Wandels und des hohen Konkurrenzdrucks nicht zur Verfügung steht. Innovative und hochqualifizierte Mitarbeiter lassen sich eben nicht auf Knopfdruck beschaffen – oder doch?

Acqui-Hire bietet die Möglichkeit, hochqualifizierte, ideenreiche und spezialisierte Teams von Mitarbeitern „auf einen Schlag″ in das eigene Unternehmen zu holen. Acquisition und Hiring in einem Vorgang, kurz Acqui-Hire, bedeutet die gezielte Übernahme aller oder eines Teils der Mitarbeiter eines Unternehmens, um diese im Unternehmen des Erwerbers anzustellen. Der Zukauf ganzer Teams von hochqualifizierten Mitarbeitern gewinnt als Mittel der schnellen und effektiven Talentbeschaffung immer mehr an Bedeutung.

Vorteile und Herausforderungen eines Acqui-Hire in der Automobilbranche

Mit Acqui-Hire entfällt das langwierige und oft kostspielige Anwerben einzelner Mitarbeiter. Das Team ist zudem mit den selbst entwickelten Technologien vertraut, was den Wissenstransfer in das Unternehmen erleichtert; eine langwierige Einarbeitungsphase erübrigt sich. In der oft sehr strukturierten und prozessorientierten Gedankenwelt eines (Konzern-)Unternehmens kann die Arbeits- und Denkweise eines Start-up-Teams außerdem für neue Impulse sorgen und im Ergebnis eine positive Disruption der bisherigen Arbeitsweisen auslösen. Start-ups können ihrerseits über ein Acqui-Hire das eigene Geschäftsmodell weiterentwickeln und mit dem finanziellen und organisatorischen Potenzial eines etablierten Unternehmens neue (komplementäre) Märkte und Technologien erschließen.

Die größte Chance eines Acqui-Hire ist zugleich auch die größte Herausforderung: Die positive Disruption der Arbeitsabläufe und Strukturen, die ein Start-up-Team im Unternehmen auslösen kann, führt unweigerlich auch zu einem „clash of cultures“. Der Erwerber, meist ein Konzern mit etablierten Strukturen, einem gewissen Sicherheitsdenken und M&A-Erfahrung, trifft bei einer Acqui-Hire Transaktion auf Tech-Start-ups, die weit weniger prozessgesteuert aufgestellt und mit Unternehmenstransaktionen meist nicht vertraut sind. Es empfiehlt sich daher, sich die Unterschiede in den Unternehmenskulturen bewusst zu machen und diesen offen zu begegnen. So wird nicht nur die Durchführung der Transaktion bis zum Closing einfacher. Auch die Integration des Start-ups und die Mitarbeiterbindung nach der Übernahme des Start-ups werden erleichtert.

Acqui-Hire-Transaktion: Share-Deal oder Asset Deal

Ist die Entscheidung für ein Acqui-Hire gefallen, stellt sich die Frage, ob die Teams über einen Kauf der Unternehmensanteile (Share Deal) oder der Wirtschaftsgüter des Unternehmens (Asset Deal) übergehen sollen.

Ist der Erwerber nicht nur an den Mitarbeitern und dem Know-how des Start-ups interessiert, kann ein Acqui-Hire in Form eines Share Deals vorteilhafter sein. Das gilt vor allem dann, wenn wichtige Vertragsbeziehungen mit auf den Erwerber übergehen sollen und die Zustimmung der Vertragspartner, die bei einem Asset Deal erforderlich ist, nicht eingeholt werden kann oder soll. Liegt das Augenmerk des Erwerbers hingegen ausschließlich auf den Mitarbeitern, ist der Asset Deal gegenüber dem Share Deal vorzugswürdig. Dies gilt umso mehr, wenn lediglich ein organisatorisch verselbständigter Teil des Teams auf den Erwerber übertragen werden soll.

Intellectual Property: Sicherung des geistigen Eigentums

Geradezu typisch für Acqui-Hire-Transaktionen ist, dass sich der Erwerber das innovative geistige Eigentum des Start-ups sichern und dieses für sich selbst nutzbar machen will. Doch Vorsicht: nicht jede Marke, nicht jedes Patent oder sonstiges gewerbliche Schutzrecht steht auch immer dem Start-up selbst zu. Um böse Überraschungen zu vermeiden sollte im Rahmen der Due Diligence daher genau geprüft werden, ob tatsächlich das Start-up Inhaber des jeweiligen Schutzrechts ist oder ob dieses nicht vielmehr einem Dritten (z.B. einzelnen Mitarbeitern oder einem Endkunden) zusteht.

Soweit der Mitarbeiter im Zusammenhang mit seiner Beschäftigung eine patent- oder gebrauchsmusterfähige Erfindung macht, steht ihm diese nach dem Arbeitnehmererfindungsgesetz grundsätzlich auch zu. Der Arbeitgeber kann sich die Erfindung des Mitarbeiters allerdings durch eine entsprechende Erklärung zu eigen machen. In diesem Fall erwirbt der Arbeitgeber sämtliche Verwertungsrechte an der Erfindung, ist aber zugleich verpflichtet, dem Mitarbeiter einen wirtschaftlichen Ausgleich zu leisten. Die Ausgleichszahlung fällt dabei solange an, wie die Erfindung Wirkung entfaltet und vom Arbeitgeber genutzt wird. Dass aufgrund der Acqui-Hire-Transaktion womöglich zwischenzeitlich ein Arbeitgeberwechsel stattgefunden hat, ist dabei nicht von Belang. Denn dann ist der Erwerber zur fortlaufenden Entrichtung der Ausgleichszahlung verpflichtet.

Anders ist die Lage im Anwendungsbereich des Urheberrechtsgesetzes. Wird vom Mitarbeiter bei Wahrnehmung der betrieblichen Aufgaben oder nach Anweisung des Arbeitgebers ein urheberrechtlich geschütztes Werk geschaffen, sind die Rechte hieran allein dem Arbeitgeber zugewiesen. Eine neben die Grundvergütung tretende, gesonderte Entschädigung kann der Arbeitnehmer hierfür nicht beanspruchen. Vom Schutz des Urheberrechts umfasst sind insbesondere Computerprogramme, deren Entwicklung und Fortführung von Tech-Start-ups schwerpunktmäßig betrieben werden.

Die unterschiedliche Behandlung schöpferischer Arbeitsergebnisse der Belegschaft sowie die hieraus folgenden rechtlichen Konsequenzen sind bei Start-ups oftmals nicht in ein standardisiertes Verfahren eingebettet. Mit den klar geregelten Zuständigkeiten und Prozessabläufen sowie den für die „Verwaltung″ gewerblicher Schutzrechte bereitgestellten Ressourcen in großen Unternehmen der Automobilindustrie ist die Lage in Start-ups häufig nicht vergleichbar. Auch ist in Start-ups zwar häufig der Umstand klar, dass Erfindungen gemacht oder Urheberrechte hervorgebracht wurden, es fehlt aber an einer eindeutigen Zuordnung des diesbezüglichen Verwertungsrechts (z.B. weil dieses an einen Endkunden des Start-ups abgetreten wurde). All diese Aspekte müssen im Rahmen einer Acqui-Hire-Transaktion – insbesondere im Rahmen der erwerberseitigen Due Diligence – berücksichtigt werden.

Mitarbeiter halten und an die Zielgesellschaft binden (Employee Retention)

Die Acqui-Hire-Transaktion kann ihren Zweck gänzlich verfehlen, wenn die Mitarbeiter des Start-ups den Erwerber ablehnen und vom Eigentümerwechsel insgesamt nicht überzeugt sind. Denn dann droht die Gefahr, dass die Mitarbeiter – und damit die wesentlichen Know-how-Träger des Targets – abwandern und ihr Glück andernorts suchen. Um dem vorzubeugen, können in den Vertragswerken der High-Potentials verschiedene Regelungen getroffen werden.

So können etwa mit Schlüsselmitarbeitern längere beidseitige Kündigungsfristen vereinbart werden. Auch die Vereinbarung nachvertraglicher Wettbewerbsverbote, die dem Mitarbeiter nach Ende des Arbeitsverhältnisses für eine Maximaldauer von zwei Jahren die Tätigkeit für ein Konkurrenzunternehmen untersagen, kommt als Mittel der Mitarbeiterbindung in Betracht. Wegen der zu zahlenden Karenzentschädigung sind nachvertragliche Wettbewerbsverbote aber teuer. Auch kann mit einem solchen Verbot nur die Beschäftigung bei einem Konkurrenzunternehmen verhindert werden – der Abwanderung von Mitarbeitern zu einem branchenfremden Arbeitgeber steht das nachvertragliche Wettbewerbsverbot also gerade nicht entgegen.

Größter „Haken″ vertraglicher Maßnahmen zur Mitarbeiterbindung ist aber, dass diese von der Mitwirkung des Mitarbeiters abhängen und ihm nicht gegen seinen Willen aufgezwängt werden können.

Bei der Mitarbeiterbindung sind neben rechtlichen Maßnahmen, die die Abwanderung erschweren sollen, auch zahlreiche weitere Faktoren entscheidend. So müssen gerade die für die Automobilbranche so wichtigen Mitarbeiter im technischen Bereich die Möglichkeit haben, sich im Job weiterzuentwickeln und ihre Fähigkeiten stetig auszubauen, um mit dem technologischen Wandel Schritt halten zu können. Flexible Arbeitszeitmodelle werden in manchen Branchen von den Mitarbeitern fast schon vorausgesetzt und auch die Automobilbranche kann sich dem Wunsch nach mehr Arbeitszeitsouveränität nicht verschließen – gibt sich der Erwerber hier „altmodisch″, ist das für viele High-Potentials ein absolutes No-Go. Die realistische Aussicht, die Karriereleiter aufsteigen zu können, ist ebenfalls wichtiges Argument für den langfristigen Verbleib der Mitarbeiter im Unternehmen.

Zudem können monetäre Aspekte eine Rolle spielen. So kann der Erwerber mit sog. Retention Boni, deren Auszahlung vom Verbleib im Unternehmen bis zu einem bestimmten Stichtag abhängt, eine Bindungswirkung erzeugen. Längerfristig kommt auch die Ausgabe von Unternehmensaktien an Schlüsselmitarbeiter in Betracht, die auf diese Weise an der wirtschaftlichen Entwicklung des Unternehmens partizipieren und sich mit diesem so noch besser identifizieren.

Insgesamt gilt es aus Erwerbersicht, frühzeitig die Interessen und Prioritäten der High-Potentials in Erfahrung zu bringen, um durch geeignete rechtliche und tatsächliche Maßnahmen deren Verbleib im Unternehmen zu sichern.

Vereinheitlichungsprozesse nach der Transaktion (Post-Merger-Integration)

Für die Parteien beginnt nach dem Closing die Phase der Post-Merger-Integration, die den langfristigen Erfolg oder Misserfolg der Acqui-Hire-Transaktion entscheidend mitbestimmt. Bereits während der Transaktion treten die Unterschiede in der Unternehmenskultur und Arbeitsweise der Parteien deutlich zu Tage.

Im Rahmen der Due Diligence und in der Verhandlungsphase gilt es, die Unterschiede zu erkennen und Wege zu finden, diese zu überbrücken. Hierfür müssen alle Parteien frühzeitig an Konzepten und Ideen für die Phase der Post-Merger-Integration arbeiten und auch ihre gegenseitigen Erwartungen für die Zusammenarbeit unmittelbar nach Closing anpassen. Hierbei kann es aus Sicht des Erwerbers vorteilhaft sein, das Start-up-Team nicht unmittelbar vollständig in die eigenen Unternehmensstrukturen zu integrieren. Ein größeres Maß an Unabhängigkeit des Start-up-Teams gerade in der Anfangsphase der Integration kann dazu beitragen, das gewünschte Innovationspotenzial langfristig zu erhalten.

Fazit: Acqui-Hire bietet der Automobilbranche großes Potential

Acqui-Hire-Transaktionen bieten Erwerbern erhebliches Potential, gerade auch im Automotive Bereich. Die optimale Ausschöpfung dieses Potentials setzt aber eine gute Vorbereitung der Transaktion sowie einige „Folgearbeiten″ nach deren Vollzug voraus (Stichwort: Post-Merger-Integration). Wesentliches Augenmerk ist erwerberseitig dabei auf die Belegschaft des zu akquirierenden Start-ups sowie dessen geistiges Eigentum zu legen. Hat der Erwerber kein stimmiges Konzept mit Blick auf die Mitarbeiterbindung sowie die Sicherung der relevanten gewerblichen Schutzrechte, kann schon das die Transaktion zum Scheitern verurteilen.

Dieser Beitrag ist Teil unserer Serie „M&A im Zeichen des Wandels der Automobilindustrie“. Erschienen sind Beiträge zur M&A und DSGVO – Wirtschaftssektoren in der digitalen Transformation″, zu der „Automobilbranche in China″ sowie Tipps zur Automotive M&A in unberechenbaren Zeiten. Zuletzt erschien der Beitrag zum Acqui-Hire - Know-how auf Knopfdruck für die Automobilbranche.

Tags: Acqui-Hire Automobilbranche Know-how