ESG ist vom Hype zur Strategieaufgabe geworden. In einer Blog-Serie beleuchten wir die Konsequenzen für die Geschäftsleitung.
Die meisten der geplanten ESG-Gesetzesvorhaben sind mittlerweile verabschiedet. Es ist Zeit für eine Zwischenbilanz und einen genaueren Blick darauf, welche Rolle ESG in den kommenden Jahren für die Geschäftsleitung spielen wird. Eine Erkenntnis stellen wir dabei gerne voran: ESG ist dauerhaft eine Strategieaufgabe geworden und damit Sache der Geschäftsleitung. Es geht nicht nur um das Abarbeiten detailverliebter Checklisten – das auch –, sondern um einen wirtschaftlichen und rechtlichen Megatrend, dessen Chancen und Risiken für das eigene Unternehmen die Geschäftsleitung aktiv zu managen hat.
ESG ist mehr als ein kurzer Hype
Beim Blick auf die Nachrichtenlage kann man mitunter den Eindruck gewinnen, das Thema ESG habe seinen Zenit überschritten, und sich der verführerischen Illusion hingeben, ihm in Zukunft immer weniger Beachtung schenken zu müssen.
Richtig dürfte das Gegenteil sein: Die Probleme, denen all die unter dem Kürzel ESG ergriffenen Maßnahmen begegnen sollen, sind nicht einmal ansatzweise gelöst. Das 1,5-Grad-Ziel nach dem Übereinkommen von Paris ist kaum noch zu erreichen. Neben dem Klimawandel rücken mit dem Biodiversitätsverlust und anderen planetaren Grenzen bereits die nächsten Megathemen in den Fokus. Auch um die Menschenrechte in den Lieferketten und insgesamt um die 17 Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen steht es nicht zum Besten. Diese Probleme werden durch Nichthandeln nicht gelöst werden. Bei aller teilweise berechtigten Kritik an den jüngsten Rechtsakten wie LkSG, CSRD und CSDDD ist daher davon auszugehen, dass Unternehmen künftig in einem eher noch ambitionierteren, weiter ausdifferenzierten Rahmen an gesetzlichen ESG-Vorgaben operieren werden.
Strategie entwickeln, Governance und Prozesse anpassen und den Überblick bewahren
Was bedeutet das nun für die Geschäftsleitung? In erster Linie geht es darum, falls nicht wie bei den meisten börsennotierten Unternehmen längst geschehen, eine Nachhaltigkeitsstrategie zu entwickeln, anstatt nur isoliert die Mindestanforderungen jedes neuen Rechtsakts zu erfüllen. Als Ausgangspunkt bietet sich hierfür die im Anwendungsbereich der CSRD ohnehin geforderte doppelte Wesentlichkeitsanalyse an.
Also: Welche wesentlichen Auswirkungen haben Umwelt- und andere Nachhaltigkeitsaspekte auf das Unternehmen (Outside-In-Perspektive)? Und welche wesentlichen Auswirkungen hat das Unternehmen auf Umwelt- und andere Nachhaltigkeitsaspekte (Inside-Out-Perspektive)? Die daraus resultierende Matrix zeigt auf, an welchen Stellen es sich lohnt, aktiv zu werden – und bestimmt die Themen der Nachhaltigkeitsberichte.
Welche Maßnahmen davon ausgehend tatsächlich ergriffen werden sollen und wie ehrgeizig das Unternehmen dabei sein möchte, legt die Geschäftsleitung fest, idealerweise unter Einbindung möglichst vieler Stakeholder. Sinnvollerweise ist dies Teil der Planung für die allgemeine Unternehmensstrategie, was in manchen Branchen, die sich bereits in einem umfassenden Transformationsprozess befinden (z.B. Automotive, Energy, Real Estate), auf der Hand liegt. Bei genauerer Betrachtung sind indes nahezu alle Unternehmen – auch kleinere und mittlere – betroffen.
In diesem Zusammenhang sind regelmäßig die Governance und zahlreiche Prozesse anzupassen beziehungsweise neu zu etablieren, auch soweit dies nicht zwingend gesetzlich vorgeschrieben ist. Soll es eine oder einen Chief Sustainability Officer geben und an wen berichtet er oder sie, falls er oder sie nicht Mitglied der Geschäftsleitung ist? Soll es daneben ein Sustainability Board geben? Wird das Thema primär als Berichts-, Compliance-, Rechts-, Einkaufs-, Produkt-, Innovations- oder auch Vertriebs-Thema gesehen? Inwieweit wird es in den Vergütungsregeln berücksichtigt? Welche internen Richtlinien sind möglicherweise anzupassen oder neu aufzustellen?
Wichtig ist auch der gezielte Aufbau von Nachhaltigkeitsexpertise (Upskilling) im Unternehmen bis auf die Ebene der Geschäftsleitung. Das bedeutet nicht, dass jeder mit allen Details der diversen Rechtsakte vertraut sein müsste – ein Ansinnen, das angesichts der überwältigenden Fülle der Themen und der Schnelllebigkeit der Materie zum Scheitern verurteilt wäre. Mit den Grundkonzepten sollten Geschäftsleiter sich jedoch vertraut machen, um den Überblick bewahren und ihrer Gesamtverantwortung gerecht werden zu können.
Die gute Nachricht lautet dabei: Es muss nicht alles gleich perfekt sein. Entscheidend ist, ins Handeln zu kommen. Die Nachhaltigkeits-Reise eines jeden Unternehmens wird noch zahlreiche Nachjustierungen mit sich bringen.
(Haftungs-)Risiken vermeiden – Chancen nutzen
Dies alles dient natürlich dem Ziel, Risiken für das Unternehmen sowie für die Geschäftsleiter persönlich zu minimieren. Eine durchdachte Nachhaltigkeitsstrategie, flankiert von einer maßgeschneiderten Governance und entsprechenden Prozessen, erdacht und umgesetzt von Geschäftsleitern und Mitarbeitenden mit dem nötigen Fachwissen ist das beste Mittel, um die wesentlichen (finanziellen) Risken mit Nachhaltigkeitsbezug zu vermeiden. Dabei geht es vorrangig nicht um rechtliche Risiken; solche bestehen allerdings auch. Unternehmen sehen sich schließlich zunehmend Ansprüchen im Rahmen sogenannter ESG Litigation ausgesetzt, teils, um sie zu einer Änderung ihres Geschäftsmodells zu zwingen, teils wegen verschiedenster Greenwashing-Vorwürfe. Ist Nachhaltigkeit im Unternehmen nicht Chef-Sache und gibt es weder eine kohärente, klar kommunizierte Nachhaltigkeitsstrategie noch ein darauf aufbauendes (ESG-)-Compliance-Management-System, steigt das Risiko, verklagt und auch verurteilt zu werden. Hier haben insbesondere kleinere und mittelständische Unternehmen, die den ESG-Stier noch nicht bei den Hörnern gepackt haben, teilweise noch erheblichen Nachholbedarf.
Die Perspektive des Risikomanagements sollte dabei nicht den Blick auf die Chancen eines proaktiven Nachhaltigkeitsmanagements verstellen: Nachhaltig wirtschaftende Unternehmen tun nicht einfach nur etwas Gutes. Sie können sich oft auch Chancen auf neuen Märkten eröffnen und sind durch das aktive Lieferkettenmanagement allgemein resilienter. Außerdem können sie sich unter Umständen Vorteile bei Investoren, Banken, Kunden und nicht zuletzt Mitarbeitenden verschaffen.
Neue Blog-Reihe zum Thema „ESG: Corporate Governance & Disputes“
Vor diesem Hintergrund widmen wir dem Thema „ESG: Corporate Governance & Disputes“ eine eigene Reihe in diesem Blog. In den kommenden Monaten wollen wir uns – stets mit dem Fokus auf der Rolle der Geschäftsleitung – näher damit beschäftigen, welche Pflichten – und damit auch Haftungsrisiken – sich speziell für die Geschäftsleitung aus den neuen Rechtsakten zum Lieferketten-Management (v.a. LkSG, CSDDD, EUDR) ergeben, wie sich die CSDDD auf die Unternehmens-Governance auswirkt und was im Besonderen die neuen Klimaschutzpläne nach der CSDDD bedeuten.
Einen Schwerpunkt werden auch die aktuellen Diskussionen zu einem möglichen „Greening of Corporate Law“ bilden, etwa zum allgemeinen Pflichtenmaßstab für die Geschäftsleitung, zu einem neuen Corporate Purpose, zu einem möglichen Rechtsformzusatz für besonders klimafreundliche Unternehmen oder zum Spannungsfeld von Collaborative Engagement und Acting in Concert. Dabei werden wir uns auch den Auswirkungen von ESG auf das M&A-Geschäft widmen – sei es als Treiber von Transaktionen, im Due Diligence-Prozess oder im SPA.
Auf den Einfluss von ESG speziell auf börsennotierte Gesellschaften – an denen gegebenenfalls ESG-aktivistische Investoren beteiligt sind – und dort insbesondere auf die Vorstandsvergütung und auf ein mögliches Say on Climate möchten wir ebenfalls eingehen.
Abschließend werden wir einen weiteren Schwerpunkt darauf legen, wie sich die zunehmende ESG Litigation auf die Geschäftsleitung auswirkt. Welche Trends zeigen sich hier aktuell und welche Konsequenzen ergeben sich hieraus im Allgemeinen und aus den wesentlichen Leitentscheidungen der letzten Zeit im Besonderen?
Wir freuen uns auf Ihr Interesse – und natürlich auf Ihr Feedback!