28. August 2024
Fußball Verein 50+1 Alleingesellschafter
Fußball & Recht

Zur Kompetenz des Vereins als Alleingesellschafter 

Der BGH hat die Klage des Geschäftsführers von Hannover 96 gegen seine Abberufung abgewiesen. Ist dies eine Stärkung der 50+1-Regelung durch die Hintertür?

Nur zwei Tage nach dem EM-Endspiel in Berlin ließ der Bundesgerichtshof (BGH) mit einer Entscheidung aufhorchen, die für das Gesellschaftsrecht wie auch das Sportrecht gleichermaßen von Bedeutung ist und gerade im deutschen Profifußball große Aufmerksamkeit erhielt. 

Mit Urteil vom 16. Juli 2024 (BGH II ZR 71/23) wies das Gericht die Klage des Geschäftsführers der Hannover 96 Management GmbH, Martin Kind, gegen die Gesellschaft wegen vermeintlicher Nichtigkeit der vom alleinigen Gesellschafter, dem Hannoverschen Sport-Verein von 1896 e.V., vorgenommenen Abberufung als Geschäftsführer ab. Damit endete eine seit Juli 2022 bestehende Auseinandersetzung, in der der Verein Martin Kind wegen pflichtwidrigen Verhaltens zunächst abberief und dieser versucht hatte, diese Abberufung mittels gerichtlicher Entscheidung zu verhindern. Brisant war, dass sowohl das Landgericht Hannover als auch das OLG Celle in den Vorinstanzen dem Kläger Recht gaben und die Nichtigkeit der Abberufung festgestellt hatten. Anders nun der Bundesgerichtshof. 

Verein als alleiniger Gesellschafter entschied anstelle des nach der Satzung für die Abberufung von Geschäftsführern allein befugten Aufsichtsrats

Um Hintergründe der Entscheidung zu verstehen, muss man sich zunächst die Struktur des Zweitligisten Hannover 96 vergegenwärtigen. Träger der Lizenzspielermannschaft Hannover 96 ist die Hannover 96 GmbH & Co. KGaA, deren alleinige Kommanditaktionärin die Hannover 96 Sales & Service GmbH & Co. KG ist. Mehrheitskommanditistin dieser Gesellschaft ist wiederum eine GmbH, deren alleiniger Gesellschafter bis Dezember 2023 der Kläger, also Martin Kind selbst war. Inzwischen ist dies sein Sohn, Matthias Kind.

Nach der Satzung der Hannover 96 Management GmbH (Beklagte) ist ihr Aufsichtsrat für die Bestellung und Abberufung der Geschäftsführer zuständig. Dieser Aufsichtsrat wiederum besteht aus vier Personen, bei denen zwei satzungsgemäß vom Verein als alleinige Gesellschafter der Komplementär GmbH entsandt werden. Die beiden weiteren Mitglieder des Aufsichtsrats bestimmt hingegen der Aufsichtsrat der KGaA, der wiederum durch die alleinige Kommanditaktionärin gewählt wird und auf die der Kläger dementsprechenden Einfluss hat. Zudem haben die Beklagte, die Hannover 96 GmbH & Co. KGaA sowie deren alleinige Kommanditaktionärin einen sog. Hannover-96-Vertrag geschlossen, der u.a. vorsieht, dass der Verein, obwohl er alleiniger Gesellschafter der Komplementär-GmbH ist, deren Satzung nicht ohne vorherige Zustimmung der Hannover 96 Sales & Service GmbH & Co. KG ändern darf.

Wie aus der Presse bekannt, ist Martin Kind seit vielen Jahren ein vehementer Kritiker der sog. 50+1-Regelung in der Satzung des Deutschen Fußball-Bundes und hat mehrere Initiativen gestartet, diese 50+1-Regelung abzuschaffen. Gleichzeitig verpflichtet sich die Hannover 96 GmbH & Co. KGaA als Träger der Lizenzspielermannschaft Hannover 96 gemäß § 4 ihrer Satzung, sich an die Satzung und Ordnung des DFB in ihrer jeweiligen Fassung zu halten und macht diese aufgrund der Satzungsregelung für Organe und ihre Mitarbeiter unmittelbar verbindlich. Dies umfasst damit auch für die 50+1-Regelung. Gleichzeitig wurde aber offenbar mit dem Hannover-96-Vertrag und der vorstehend beschriebenen vertraglichen Verpflichtung von Verein, der Hannover 96 GmbH & Co. KGaA und der alleinigen Kommanditaktionärin ein Konstrukt geschaffen, das eine Abberufung von Martin Kind als Geschäftsführer der Komplementär-GmbH möglichst verhindern sollte. Das alleinige Stimmrecht des Vereins in der handelnden Gesellschaft ist damit faktisch entwertet.

Nachdem Martin Kind nach Ansicht des Vereins im Jahr 2022 mehrfach weisungswidrig gehandelt hatte und eine Abberufung durch den Aufsichtsrat der Hannover 96 Management GmbH aufgrund seiner personellen Zusammensetzung nicht zustande kam, suchten die Mitglieder des Vorstands des Vereins im Juli 2022 einen Notar auf, hielten ohne Mitwirkung von Martin Kind und unter Verzicht auf die Einhaltung aller Fristen- und Formvorschriften eine außerordentliche Gesellschafterversammlung der Komplementär-GmbH ab und beschlossen, den Kläger mit sofortiger Wirkung aus wichtigem Grund im Wege eines satzungsdurchbrechenden Beschlusses als Geschäftsführer abzuberufen. Damit entschied die Gesellschafterversammlung anstelle des nach der Satzung für die Abberufung von Geschäftsführern allein befugten Aufsichtsrats. 

OLG Celle: Verein habe die Bindung aus dem Hannover-96-Vertrag bewusst unterlaufen 

Martin Kind als Kläger begehrte nach seiner Abberufung Feststellung, dass dieser Beschluss der alleinigen Gesellschafterin nichtig sei. Landgericht Hannover und OLG Celle folgten seiner Argumentation und gaben der Klage des Geschäftsführers statt. 

Das OLG Celle hielt die Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil sogar für offensichtlich unbegründet und führte in seinem Beschluss vom 4. April 2023 aus, dass sich der angefochtene Beschluss als nichtig gemäß § 241 Nr. 3 AktG analog darstelle, weil er kompetenzwidrig gefasst worden sei und unter den besonderen Umständen des Streitfalles nicht lediglich die Anfechtbarkeit, sondern die Nichtigkeit des Beschlusses zur Folge habe. Die Kompetenzüberschreitung durch die Gesellschafterversammlung erschöpfe sich nicht in einem Verstoß gegen die Satzung. Hinzutrete ein Verstoß des Vereins als Alleingesellschafter der Beklagten gegen den Hannover-96-Vertrag, der eine Stimmrechtsbindung zugunsten der Hannover 96 Sales & Service GmbH enthalte. Der Beschluss sei überdies sittenwidrig und damit analog § 241 Nr. 4 AktG nichtig. Mit dem Abberufungsbeschluss sei eine Schädigung nicht anfechtungsberechtigter Dritter verbunden. Es erweise sich als in besonderem Maße treuwidrig, weil der Verein die Bindung aus dem Hannover-96-Vertrag bewusst unterlaufen habe, nach der er für jedwede Änderung der Satzung der Zustimmung dieser Gesellschaft bedurft hätte. 

BGH: Abberufungsbeschluss des Vereins mit den tragenden Strukturprinzipien des GmbH-Rechts nicht unvereinbar

Der BGH folgt in seiner Entscheidung vom 16. Juli 2024 dieser Argumentation nicht. Eine Nichtigkeit des Beschlusses gemäß § 241 Nr. 3 AktG analog lehnt er ab, da nur eine Verletzung der tragenden Strukturprinzipien des GmbH-Rechts eine Unvereinbarkeit des Beschlusses mit dem Wesen der GmbH begründen könne. Eine solche Verletzung tragender Strukturprinzipien sei durch den bloßen Kompetenzverstoß gegen die Vorschriften der Satzung nicht gegeben, da hierdurch nicht gegen abstrakt generelle Strukturmerkmale des GmbH-Rechts verstoßen werde. Der vom Verein gefasste Abberufungsbeschluss sei schon deshalb mit den tragenden Strukturprinzipien des GmbH-Rechts vereinbar, weil dem fakultativen Aufsichtsrat nicht von Gesetzes wegen die Kompetenz zur Abberufung der Geschäftsführer zustehe, sondern diese Kompetenz grundsätzlich der Gesellschafterversammlung vorbehalten sei. 

Es lägen auch im Streitfalle keine besonderen Umstände vor, die zur Nichtigkeit des Beschlusses entsprechend § 241 Nr. 3 AktG führen würden. Der bewusste Verstoß gegen die Stimmbindungsvereinbarung könne schon deshalb kein besonderer Umstand sein, da die Beachtung von Stimmbindungsverträgen nicht zu den tragenden Strukturprinzipien des GmbH-Rechts gehöre. Der BGH betont vielmehr, dass der Stimmbindungsvertrag nur eine schuldrechtliche Bindung zwischen den Vertragspartnern auslöse, nicht aber für die GmbH selbst. Es sei zwischen der schuldrechtlichen und der korporationsrechtlichen Ebene zu unterscheiden. Dies hat nach Ansicht des BGH zur Folge, dass ein Beschluss, der unter Verstoß gegen eine Stimmbindungsvereinbarung zustande gekommen ist, grundsätzlich nicht anfechtbar ist, sondern der Streit um die Rechtsfolge des Verstoßes unter den an der Bindung Beteiligten auszutragen ist. Daher könnten auch prozesswirtschaftliche Erwägungen, wie sie vom Berufungsgericht angestellt worden seien, die Nichtigkeit des angegriffenen Beschlusses nicht rechtfertigen. Ausdrücklich betont der BGH an diese Stelle die dem Grundsatz der Relativität der Schuldverhältnisse, sodass hier nicht von einem Verstoß gegen die Verletzung tragender Strukturprinzipien des GmbH-Rechts ausgegangen werden könne.

Des Weiteren lehnt der BGH auch eine Nichtigkeit des kompetenzwidrig gefassten Beschlusses entsprechend § 241 Nr. 4 AktG wegen Verstoßes gegen die guten Sitten ab. Ein Beschluss sei nur dann wegen Sittenwidrigkeit nichtig, wenn er durch seinen Inhalt gegen die guten Sitten verstoße. Beschlüsse bei denen nicht der eigentliche Beschlussinhalt, sondern nur Beweggrund oder Zweck gegen die guten Sitten verstießen oder bei denen die Sittenwidrigkeit in der Art des Zustandekommens liege, seien lediglich anfechtbar. Im Ergebnis verneint der BGH eine Sittenwidrigkeit, da er im bewussten Unterlaufen der satzungsmäßigen Kompetenzverteilung keinen Fall der sittenwidrigen Schädigung sieht. 

Zuletzt nimmt der BGH noch zu der Frage Stellung, ob es sich bei dem notariell beurkundeten Abberufungsbeschluss um eine zustandsbegründende Satzungsdurchbrechung handele, die wegen Nichteinhaltung der für Satzungsänderungen notwendigen formellen Voraussetzungen nichtig ist. Hierzu führt er in Fortsetzung seiner bisherigen Rechtsprechung aus, dass eine einen Einzelfall regelnden Satzungsdurchbrechung im Grundsatz auch ohne Einhaltung der formellen Voraussetzung einer Satzungsänderung möglich ist, wenn sie sich auf eine punktuelle Regelung beschränkt, bei der sich die Wirkung des Beschlusses in der betreffenden Maßnahme erschöpft. Anders ist dies, wenn es sich um eine Satzungsdurchbrechung handelt, die einen von der Satzung abweichenden rechtlichen Zustand begründet. Hierfür sind alle formellen Voraussetzungen einer Satzungsänderung (einschließlich Eintragung im Handelsregister) erforderlich.

Nach dieser Kategorisierung ist der Beschluss zur Abberufung eines Geschäftsführers gegen die satzungsmäßige Kompetenz kein zustandsbegründender satzungsdurchbrechender Beschluss. Die Abberufung eines Geschäftsführers durch die nach der Satzung dafür nicht zuständigen Gesellschafterversammlung begründet nach Ansicht des BGH keinen von der Satzung abweichenden rechtlichen Zustand. Die Beendigung des Organverhältnisses könne schon deshalb kein satzungswidriger rechtlicher Zustand sein, da sie auch eingetreten wäre, wenn der Geschäftsführer sein Amt in Übereinstimmung mit der Satzung verloren hätte.

Daher kommt der BGH zum Ergebnis, dass die beiden Vorentscheidungen aufzuheben waren und die Klage des Geschäftsführers Martin Kind abzuweisen war.

Urteil des BGH hat sowohl gesellschafts- als auch verbands- und sportrechtlich Bedeutung

Mit seiner Entscheidung grenzt der BGH nochmal sehr klar die Kategorie nichtiger und anfechtbarer Gesellschafterbeschlüsse voneinander ab. Der bloße Satzungsverstoß und die Missachtung der satzungsmäßigen Kompetenzregelung sind grundsätzlich keine Verletzungen tragender Strukturprinzipien des GmbH-Rechts, die eine Nichtigkeit gemäß § 241 Nr. 3 AktG analog rechtfertigen können. Erstmals hält der BGH fest, dass auch der zeitgleiche Verstoß gegen eine Stimmbindungsvereinbarung keine andere Bewertung rechtfertigen kann. Dies ist konsequent, da Stimmbindungsvereinbarungen ebenso wie andere Vereinbarungen in satzungsergänzenden Nebenvereinbarungen (häufig als Shareholders‘ Agreements bezeichnet) die Parteien nur untereinander schuldrechtlich binden. Die Trennung zwischen der vertraglichen und der korporationsrechtlichen Ebene ist konsequent, sodass ein Verstoß gegen die vertragliche Seite keinen Verstoß gegen Strukturmerkmale des GmbH-Rechts darstellen kann. 

Im Hinblick auf die Nichtigkeit von Beschlüssen gemäß § 241 Nr. 4 AktG analog wegen Sittenwidrigkeit wird durch das Gericht festgehalten, dass die für die Sittenwidrigkeit erforderliche Verwerflichkeit nicht allein dadurch gegeben ist, dass eine vertragliche Bindung – hier aus dem Stimmbindungsvertrag – vorsätzlich übergangen werde. Allerdings wird an dieser Stelle die Argumentation des BGH etwas brüchig, da zur Begründung des Umstandes, warum der vorsätzliche Verstoß nicht als besonders verwerflich zu bewerten ist, wiederum auf die Trennung der schuldrechtlichen und der korporationsrechtlichen Ebene bei Stimmbindungsvereinbarung verwiesen wird. Besser wäre es gewesen, hier darauf zu verweisen, dass eine Verwerflichkeit schon deshalb nicht gegeben sein kann, da die Gesellschafterversammlung als oberstes Organ der GmbH die Kompetenz zur Entscheidung wegen Untätigkeit des satzungsmäßig bestimmten Organs Aufsichtsrat an sich gezogen hat und damit der ihr grundsätzlich zustehenden Kompetenz nachgekommen ist. Die Frage, ob der Gesellschafterversammlung trotz anderweitiger Regelung in der Satzung eine Kompetenz für die Abberufung des Geschäftsführers aus wichtigem Grund verbleibt, wollte der BGH an dieser Stelle jedoch ausdrücklich nicht entscheiden.

In sportrechtlicher Hinsicht interessant ist vor allem, dass aufgrund der Entscheidung des Bundesgerichtshofs aufgezeigt wird, dass das bei Hannover 96 zur weitgehenden Aushebelung des 50+1-Prinzips gewählte Konstrukt aus einer Kombination aus satzungsmäßig unfähigem Aufsichtsorgan und einer schuldrechtlichen Stimmbindung der alleinigen Gesellschafterin die allgemeinen gesellschaftsrechtlichen Prinzipien nicht aushebeln kann, sodass die letzte Entscheidungskompetenz bei pflichtwidrigem Verhalten des Geschäftsführers doch beim Verein bleibt, wenn dieser alleiniger Gesellschafter der Komplementär-GmbH ist. Insgesamt fragwürdig ist, ob die vertragliche Gestaltung, die Gegenstand der höchstrichterlichen Beurteilung war, überhaupt den Anforderungen der 50+1-Regelung gemäß den Statuten des DFB entspricht. Letztlich konnte Martin Kind nach seiner eigenen Rechtsauffassung trotz grober Pflichtwidrigkeit nicht vom Amt des Geschäftsführers abberufen werden, solange der von ihm selbst eingesetzte hälftige Aufsichtsrat dagegen stimmt. Zwar verblieb dem Verein in der Komplementär-GmbH, die die Geschäfte der operativen Gesellschaft mit dem Lizenzspielerbetrieb führt, das alleinige Stimmrecht in der Gesellschafterversammlung und damit auch ein Weisungsrecht. Gerade aber in der grundlegenden Frage der Besetzung und Abberufung der Geschäftsführer sollte der Hannoversche Sport-Verein von 1896 e.V. durch die Satzungsregelung und die Bindung im Hannover-96-Vertrag nicht in der Lage sein, seine Rechte durchzusetzen, selbst wenn sich ein Geschäftsführer weisungswidrig verhält.

Ob das Urteil des BGH dazu führen wird, dass die Diskussion um die 50+1-Regelung wieder aufflammt, ist fraglich. In den letzten Jahren wurde diese vor allem unter kartellrechtlichen Aspekten diskutiert. Wenn der DFB die 50+1-Regel allerdings konsequent durchsetzen will, muss er sich die gesamte rechtliche Gestaltung bei Fußballvereinen der Profi-Ligen genauer anschauen, wie das Beispiel Hannover 96 zeigt. Schon aus Gründen der Gleichbehandlung der Clubs kann es dann nicht sein, dass eine vertragliche Gestaltung gewählt wird, die den grundsätzlich zulässigen Investoren eine größere Entscheidungsmacht gibt, als dies nach der 50+1-Regelung zulässig sein soll. 

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