Ein Überblick über den typischen Ablauf von internen Untersuchungen.
Der Eingang eines anonymen Hinweises, eine versehentlich weitergeleitete E-Mail mit bizarrem Inhalt, Recherchen eines Investigativjournalisten oder eine Meldung an das Hinweisgebersystem – die Situationen, wie Fehlverhalten von Unternehmensangehörigen oder Schädigungshandlungen externer Dritter ans Licht kommen, sind vielfältig. Auch die im Raum stehenden Tathandlungen sind von diverser Natur: Von strafrechtlich relevantem Handeln, arbeitsrechtlichem Fehverhalten bis zum Datenskandal oder der Verletzung der Business Judgment Rule durch Organmitglieder. In all diesen Fällen ist die Durchführung einer internen Untersuchung aufgrund der bestehenden Legalitätspflicht des Unternehmens und der Geschäftsleitung regelmäßig angezeigt. Doch wie läuft eine solche interne Untersuchung ab? Obgleich jede Untersuchung ihre Besonderheiten und Überraschungen mit sich bringt, kann doch von einem typischen Ablauf gesprochen werden.
Ausgangslage bestimmt den Scope
Der erste Schritt besteht darin, die Art, den Umfang, das Ziel und den Zeitplan der Untersuchung zu bestimmen. Hierbei ist entscheidend, ob die interne Untersuchung präventiv-freiwillig oder reaktiv (aufgrund eines konkreten Verdachts oder Vorfalls) initiiert wurde. Sind Ermittlungsbehörden schon eingeschaltet oder ist der Vorfall bereits in die Öffentlichkeit gelangt, gilt es für das betroffene Unternehmen, Herr der Ermittlungen zu bleiben. Damit einher geht regelmäßig ein gewisser Zeitdruck bei der Durchführung der internen Untersuchung.
Festlegung des Untersuchungsteams
Ein effektives Untersuchungsteam besteht aus Experten für Compliance und Forensik, ergänzt durch Fachleute für Arbeitsrecht, Datenschutzrecht, Versicherungsrecht und Wirtschaftsstrafrecht. Zu entscheiden ist, ob die Untersuchung durch interne Abteilungen des Unternehmens selbst durchgeführt werden kann oder die Beauftragung externer Rechtsanwälte erforderlich ist.
- Bei komplexen Sachverhalten (z.B. aufgrund eines langen Zeitraums oder einer Vielzahl an beteiligten Personen), dem Verdacht von schwerwiegendem Fehlverhalten des Managements oder bei im Raum stehenden strafrechtlichen Vorwürfen sollten externe Berater eingeschaltet werden. Intern sollten sodann feste Ansprechpartner bestimmt werden, die die Untersuchung unterstützend begleiten und an die über die Ergebnisse der einzelnen Untersuchungsschritte berichtet wird (aufgrund der Kündigungserklärungsfrist in § 626 Abs. 2 BGB sollte es sich bei den Ansprechpartnern im Idealfall nicht um kündigungsberechtigte Personen handeln).
- Eine erste Plausibilitätsprüfung oder die Aufklärung einfach gelagerter Sachverhalte kann dagegen auch intern vorgenommen werden, insbesondere wenn das Unternehmen über eine eigene Abteilung für interne Untersuchungen verfügt. In diesen Fällen ist zur Gewährleistung einer objektiven Untersuchung stets darauf zu achten, dass keine Interessenskonflikte zwischen dem internen Untersuchungsteam und den verdächtigen Personen bestehen.
Unter Umständen kann auch die umgehende Einschaltung von Ermittlungsbehörden angezeigt sein, insbesondere wenn die Gefahr der Vernichtung relevanter Beweismittel zu befürchten ist oder Straftaten im Raum stehen, für die eine Anzeigepflicht nach § 138 StGB besteht.
Untersuchung beginnt mit erster Bestandsaufnahme
Im Rahmen einer ersten Bestandsaufnahme werden Gespräche mit den Verantwortlichen des Unternehmens geführt und die eingegangenen Hinweise sowie bereits vorhandene Unterlagen gesichtet. Wichtige Fragen, die dabei geklärt werden müssen, sind u.a.:
- Welche Erkenntnisse zum Sachverhalt liegen bereits vor und sind diese plausibel?
- Um welche Art von Fehlverhalten handelt es sich und welche Rechtsgebiete sind betroffen?
- Welche Aufklärungsmittel kommen in Betracht?
- Sind Eilmaßnahmen notwendig, wie z.B. die Sicherung von PCs, Sicherung von Vermögensinteressen durch Inanspruchnahme von Eilrechtschutz oder die Unterbrechung von Vertragsverhandlungen?
- Welche Meldepflichten und -fristen sind zu beachten, z.B. Umstandsmeldungen an die D&O-Versicherung oder die Information von Vertragspartnern?
- Ist eine Krisenkommunikation vorzubereiten?
Klärung des rechtlichen Rahmens
Um die Ordnungsmäßigkeit der internen Untersuchung und die Verwertung von gesammeltem Beweismaterial zu gewährleisten, sind bereits zu Beginn die rechtlich einzuhaltenden Vorgaben vor Augen zu führen. In arbeitsrechtlicher Hinsicht ist insbesondere die Notwendigkeit einer Anhörung des Betriebsrates sowie weitere in Betriebsvereinbarungen festgehaltene Anforderungen zu prüfen. Da im Rahmen interner Untersuchungen regelmäßig personenbezogene Daten von Mitarbeitern gesichtet und verarbeitet werden, sind auch datenschutzrechtliche Vorgaben zu beachten, die sich aus internen Regelungen (z.B. IT-Richtlinien oder Betriebsvereinbarungen) sowie den datenschutzrechtlichen Gesetzen (BDSG, DSGVO) ergeben. Im Übrigen können auch interne Richtlinien Vorgaben für den Ablauf von internen Untersuchungen enthalten.
Sachverhaltsaufklärung
Nach all dieser Vorbereitungsarbeit geht es an die eigentliche Sachverhaltsaufklärung. Primäre Ziele sind die umfassende Aufklärung des Sachverhalts und die Prüfung von Verantwortlichkeiten. Eingesetzt werden können verschiedene Ermittlungsmaßnahmen, die parallel oder zeitlich versetzt erfolgen können:
- Dokumentenreview und E-Scan: Es bietet sich regelmäßig an, mit der Sichtung relevanter Unterlagen (z.B. Personalakte, Protokolle und Präsentationen von Gremiensitzungen, Verträge, Gesprächsnotizen) und elektronischer Daten (E-Mail-Postfächer, Chat-Verläufe) zu beginnen. Zur effizienten Durchsicht der relevanten Unterlagen und zur Gewährleistung der Einhaltung aller arbeits- und datenschutzrechtlichen Vorgaben werden typischerweise E-Discovery-Programme (wie z.B. CMS Evidence) eingesetzt.
- Hintergrundrecherchen: Sind externe Dritte in den aufzuklärenden Sachverhalt involviert, sind Hintergrundrecherchen notwendig. Diese können mit Hilfe von allgemeinen Internetrecherchen, Handelsregister-Abfragen sowie der Auswertung bestimmter Wirtschaftsinformationsdienste (wie z.B. Orbis, Lexis Diligence, Dow Jones Risk & Compliance Center) durchgeführt werden.
- Interviews: Zentraler Baustein der internen Untersuchung sind Interviews mit relevanten Personen, typischerweise mit Mitarbeitern. Die Reihenfolge der Interviews hängt stets von den Umständen des konkreten Einzelfalles ab, insbesondere der Verfügbarkeit der namentlich bekannten Auskunftspersonen. Regelmäßig ist es sinnvoll mit den Gesprächspartnern zu beginnen, die möglichst schnell einen belastbaren und umfassenden Überblick über die involvierten Personen und deren Beziehungen geben können (sog. Scoping-Interviews). Diese Gesprächspartner sind häufig nicht von den konkreten Vorwürfen betroffen. Im Anschluss bietet es sich an, die Interviews mit Auskunftspersonen in der Reihenfolge ihrer ansteigenden Involvierung fortzusetzen.
Sachverhaltsauswertung und -bewertung
Nach der Ermittlung werden die gesammelten Informationen ausgewertet. Dabei werden insbesondere strafbares Verhalten, arbeitsrechtliche Pflichtenverstöße, abgabenrechtliche Risiken sowie Haftungsrisiken des Unternehmens geprüft. Auch mögliche Ansprüche des Unternehmens gegen Mitarbeiter oder Dritte werden bewertet. Auf Grundlage der Sachverhaltsbewertung wird sodann der Handlungsbedarf ermittelt. In Betracht kommen unter anderem
- Strafanzeige und Strafantrag, ggf. Kooperation mit den staatlichen Ermittlungsbehörden
- Arbeitsrechtliche Maßnahmen (Abmahnung, Kündigung)
- Vertragsrelevante Handlungen
- Meldungen gegenüber Behörden (u.a. Finanzamt, DRV, Zoll)
- Geltendmachung von Regressansprüchen
- Einbindung einer D&O-Versicherung
- Abwehr von Ansprüchen
- Erforderliche und sinnvolle Verbesserungen / Korrekturen an internen Richtlinien und Prozessen
Fortlaufende Dokumentation
Die Ergebnisse und Verfahrensschritte der Untersuchung sollten unbedingt fortlaufend dokumentiert werden, um ein rechtlich konformes Vorgehen nachweisen zu können. Gerade in nachgelagerten Gerichtsverfahren und bei der Frage von etwaigen Beweisverwertungsverboten kann ein solcher Nachweis von entscheidender Bedeutung sein.
Interne Untersuchungen sind nicht zu unterschätzen
Interne Untersuchungen sind komplexe und sensible Prozesse, die eine sorgfältige Vorbereitung und Durchführung erfordern. Unternehmen müssen sicherstellen, dass alle rechtlichen und ethischen Standards eingehalten werden, um etwaiges Fehlverhalten effektiv aufklären zu können und sich selbst nicht angreifbar zu machen. Von entscheidender Bedeutung ist dabei ein strukturiertes Vorgehen. Mitunter kann auch die Einbindung erfahrener externer Experten unerlässlich sein.