Praktische Hilfestellungen für die Planung, Vorbereitung und Durchführung von Interviews im Rahmen von internen Untersuchungen
Die interne Untersuchung ist ein wesentlicher Baustein des Compliance-Management-Systems. Ebenso sind Interviews mit Mitarbeitern* des Unternehmens (oder ausgeschiedenen Mitarbeitern, Geschäftspartnern und/oder deren Mitarbeitern) ein wesentlicher Baustein der umfassenden Sachverhaltsaufklärung im Rahmen einer internen Untersuchung. Zum einen können sie der Erlangung weiterer Informationen hinsichtlich des Untersuchungsgegenstands dienen (z.B. involvierte Personen, Geschäftsbeziehungen des Unternehmens, Hinweise auf weitere hilfreiche Dokumente). Zum anderen können die bisherigen Erkenntnisse über den Sachverhalt verifiziert werden.
Interviews tangieren sowohl gesetzliche Regelungszwecke und Schutzmechanismen verschiedener Rechtsgebiete wie Arbeitsrecht, Datenschutzrecht und Strafrecht als auch rechtsstaatliche Grundsätze. Ein verbindlicher Standard oder unmittelbar anzuwendende Verfahrensregeln existieren bislang allerdings nicht. Vor diesem Hintergrund gibt der Blogbeitrag praktische Hilfestellungen, indem er verschiedene Orientierungspunkte im Vorfeld von Interviews sowie bewährte Herangehensweisen hinsichtlich ihrer Durchführung beleuchtet.
Zeitpunkt und Ort der Interviews
Im Rahmen der strategischen Planung der Interviews ist zunächst abzuwägen, ob Interviews umgehend zu führen sind oder ob zunächst weitere Erkenntnisse über den Untersuchungsgegenstand (z.B. durch die Auswertung zusätzlicher Dokumente, ggf. von Dritten) hilfreich sein könnten. Typischerweise bilden die Interviews den abschließenden Teil der Sachverhaltsaufklärung. Ein gewisser Zeitdruck besteht jedoch insbesondere dann, wenn staatsanwaltschaftliche Ermittlungen zu erwarten sind bzw. bereits laufen oder der Sachverhalt bereits an die Öffentlichkeit gelangt ist.
Die Interviews können in Räumlichkeiten des Unternehmens sowie externen Räumlichkeiten geführt werden. Ebenso kommen Videokonferenzen in Betracht. Räumlichkeiten des Unternehmens bieten sich an, wenn der Interviewpartner dies aus Praktikabilitätsgründen wünscht oder ggf. während des Interviews auf Unterlagen im Unternehmen zugreift. Es gilt jedoch zu bedenken, dass dadurch womöglich Kollegen vom Interview und der internen Untersuchung erfahren und damit gewisse Irritationen oder eine Störung des Betriebsfriedens einhergehen können. Die Nutzung externer Räumlichkeiten oder auch Videokonferenzen können dem Interviewpartner die Aussage erleichtern, weil so gewährleistet werden kann, dass das Interview nicht zur Kenntnis von Kollegen oder anderen Personen gelangt.
Auswahl der Interviewpartner und Interviewführer
In der Regel ist es sinnvoll, zuerst diejenigen Interviewpartner zu befragen, die einen belastbaren und umfassenden Überblick über den Untersuchungsgegenstand, einschließlich der involvierten Personen und ihrer Beziehungen, sowie weitere Auskunftspersonen geben können (sog. Scoping Interviews). Im Anschluss können mit den Interviewpartnern entsprechend ihrer ansteigenden Involvierung vertiefte Interviews geführt werden (Ermittlungsansatz von außen nach innen). Bei Zeitnot kann es hingegen erforderlich sein, die Interviewpartner entsprechend der voraussichtlichen Ergiebigkeit ihrer Aussagen zu befragen.
Während es im konkreten Einzelfall bei gewissen Interviewpartnern unproblematisch sein kann, sie mehrmals zu befragen bzw. zu einem späteren Zeitpunkt Rückfragen/Vertiefungsfragen zu stellen, sollten andere Interviewpartner ggf. nur ein Mal befragt werden (geringe Aussagebereitschaft, Beeinflussung durch erste Befragung oder durch andere Interviewpartner).
Es empfiehlt sich, dass zwei Personen ein Interview führen. Zum einen können so die Aufgaben während des Interviews bestmöglich verteilt werden. Zum anderen ermöglicht dies eine Zeugenstellung der Interviewführer, falls der Interviewpartner eine getätigte Aussage im Nachhinein abstreiten sollte. Es ist jedoch darauf zu achten, dass die Doppelbesetzung der Interviewführer nicht zu einer Einschüchterung des Interviewpartners führt.
Hinweisgeber als Interviewpartner
Sofern die interne Untersuchung durch eine anonyme Meldung an das Hinweisgebersystem angestoßen wurde, ist zu entscheiden, wie dieser Hinweisgeber von einem Gespräch überzeugt und ihm die Angst vor einer Aussage genommen werden kann. Erstens könnte auf den – mittlerweile gesetzlich geregelten – Hinweisgeberschutz verwiesen werden. Zweitens sollte ggf. klargestellt werden, dass das Interview von Rechtsanwälten geführt wird, die der beruflichen Verschwiegenheit unterliegen. Drittens könnte eine Amnestievereinbarung abgeschlossen werden. Viertens könnte angeboten werden, eine Vertrauensperson aus dem Unternehmen hinzuzuziehen bzw. die Kosten eines anwaltlichen Zeugenbeistands zu übernehmen.
Wann ein Hinweisgeber befragt werden sollte, hängt ebenso vom konkreten Einzelfall ab. Einerseits ist es möglich, ihn erst am Ende zu befragen, sodass bereits ein gewisser Überblick über den Sachverhalt besteht und gezielte Fragen gestellt werden können. Andererseits kann es sinnvoll sein, mit ihm zu beginnen, um detaillierte Informationen zum Untersuchungsgegenstand zu erhalten.
Vorbereitung der eigentlichen Befragung
Im Vorfeld des Interviews ist die eigentliche Befragung vorzubereiten und genau zu überlegen, mit welchen Fragen weitere Informationen hinsichtlich des Untersuchungsgegenstands erlangt bzw. die bisherigen Erkenntnisse über den Sachverhalt verifiziert werden können. Im Vergleich zu einer Befragung im gerichtlichen Verfahren sind Interviews im Rahmen von internen Untersuchungen in der Regel deutlich umfassender und (zeit)intensiver.
Die konkreten Fragen richten sich in erster Linie nach dem Untersuchungsgegenstand und jeweiligen Interviewpartner. Grundsätzlich empfiehlt es sich, von einleitenden Fragen zur Person zu Fragen zum Untersuchungsgegenstand überzugehen. Im jeweiligen Themenkomplex sollten zunächst allgemeine Fragen und anschließend detaillierte Fragen gestellt werden. Zudem sollten die Fragen offen formuliert (z.B. sog. W-Fragen) und Suggestivfragen vermieden werden. Einerseits ermöglicht dies dem Interviewpartner, unbeeinflusst und ausführlich auszusagen. Andererseits wird vermieden, als Interviewführer vorschnell eine vorgefasste Meinung zu entwickeln oder die eigene Auffassung in der Frage anklingen zu lassen.
Erläuterungen und Hinweise im Verlauf des Interviews
Im Rahmen der Durchführung des Interviews sollte dem Interviewpartner zunächst der Gesprächsanlass (Untersuchungsgegenstand, aktueller Stand der internen Untersuchung und Ziel des Interviews) erläutert werden. So weiß der Interviewpartner, um welchen Sachverhalt es geht und worauf es den Interviewführern ankommt.
Insbesondere um Absprachen zwischen Mitarbeitern zu verhindern, ist der Interviewpartner auf die Wahrung der Vertraulichkeit hinsichtlich der an ihn gestellten Fragen, seiner Antworten und im Zusammenhang mit dem Gespräch erhaltener Informationen hinzuweisen. Dieser Hinweis sollte auch schon in der Einladung zum Interview sowie nochmals am Ende des Interviews erteilt werden.
Bei geringer Aussagebereitschaft des Interviewpartners ist es hilfreich, zu Beginn bzw. im Laufe des Interviews zu verdeutlichen, dass das Unternehmen die interne Untersuchung ernst nimmt, den Sachverhalt vollständig aufzuklären beabsichtigt und zur Aufarbeitung der Vorgänge auf seine Mitwirkung angewiesen ist. Des Weiteren könnte darauf hingewiesen werden, dass grundsätzlich eine arbeitsrechtliche Mitwirkungspflicht des Mitarbeiters besteht. Sofern sich die konkreten Vorwürfe, die Gegenstand der internen Untersuchung sind, gegen den Interviewpartner richten, sollte darauf hingewiesen werden, dass er im Wege des Interviews seine Sicht der Dinge darstellen und bisherige Annahmen richtigstellen kann.
Protokollierung der Interviews
Für die Protokollierung von Interviews kommen folgende Vorgehensweisen in Betracht:
- Die Interviewführer können die Fragen und Antworten während des Interviews stichpunktartig mitschreiben und nach Abschluss des Interviews ein Protokoll erstellen. Dies erfordert keinen technischen Aufwand und führt ggf. – mangels Unterbrechung des Redeflusses – zu ausführlicheren Antworten des Interviewpartners. Womöglich führt diese Vorgehensweise aber vermehrt zu einer verfälschten Protokollierung (verstrichene Zeit bis Protokollerstellung, Beeinflussung der Protokollierung durch eigenes Gesamtbild nach Abschluss des Interviews).
- Die Fragen und Antworten können während des Interviews abschnittsweise mittels Diktierprogramm erfasst werden, sodass am Ende des Interviews das Protokoll bereits fertiggestellt ist. Diese Vorgehensweise ist insofern vorteilhaft, als eine genauere Dokumentation des Gesprächs erfolgt. Hinzu kommt das hohe Maß an Transparenz. Allerdings führen die Erläuterung des Prozederes und die Diktate womöglich zu Verunsicherung und zurückhaltenderem Aussageverhalten gerade bei sensiblen Fragen.
Wichtig ist, die Fragen und Antworten sowie auffällige Reaktionen des Interviewpartners und weitere Beobachtungen (z.B. Zeichen von Unsicherheit, überlange Überlegungspause) detailliert zu protokollieren. Evtl. stellt sich erst später heraus, dass Etwas wesentlich ist. Auch unstrukturierte Antworten sind dementsprechend zu protokollieren.
Ggf. Belehrung des Interviewpartners und Freigabe des Protokolls
Ob der Interviewpartner zu Beginn des Interviews über die ihm eingeräumten Rechte belehrt werden sollte und/oder ob das Protokoll am Ende des Interviews vom Interviewpartner freigegeben werden sollte, hängt vom konkreten Einzelfall ab.
Anhaltspunkte dafür bilden insbesondere
- die Wichtigkeit des Interviews (voraussichtliche Ergiebigkeit der Aussagen oder Position des Interviewpartners),
- der voraussichtliche Handlungsbedarf auf Grundlage der Sachverhaltsbewertung (z.B. Strafanzeige/Strafantrag) und/oder
- die bevorstehende/erfolgte Einleitung staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen.
Ggf. wird das Protokoll dann in einem Strafverfahren verwendet (Beschlagnahme durch Strafverfolgungsbehörden oder Zurverfügungstellung gegenüber den Strafverfolgungsbehörden durch das Unternehmen), sodass sichergestellt werden sollte, dass eine an der Strafprozessordnung ausgerichtete Belehrung und Befragung erfolgt und das Protokoll den tatsächlichen Verlauf und Inhalt des Gesprächs wiedergibt.
Eine etwaige Belehrung des Interviewpartners sollte insbesondere umfassen:
- Darlegung des Mandatsverhältnisses, sofern vom Unternehmen externe Berater für die interne Untersuchung eingeschaltet wurden (Interviewführer sind kein anwaltlicher Vertreter des Interviewpartners)
- Hinweis auf eingeräumte Selbstbelastungsfreiheit (trotz grundsätzlich bestehender arbeitsrechtlicher Mitwirkungspflicht des Mitarbeiters)
- Hinweis auf mögliche Verwendung der Aussagen in einem Strafverfahren
Die Freigabe des Protokolls kann – je nach Vorgehensweise hinsichtlich der Protokollierung – dadurch erfolgen, dass
- dem Interviewpartner der Entwurf des Protokolls zugesendet wird, um ihn zu überprüfen und erforderlichenfalls Anmerkungen anzubringen, oder
- der Interviewpartner während des Diktats und vor Protokollunterzeichnung ausreichend Gelegenheit erhält, das Diktierte korrigieren oder ergänzen zu lassen, und das fertiggestellte Protokoll unterzeichnet.
Fazit: Notwendigkeit einer professionellen Planung, Vorbereitung und Durchführung von Interviews
Der Beitrag zeigt, dass Interviews zwar einerseits durchaus typische Überlegungen und Arbeitsschritte mit sich bringen, aber andererseits stark von den konkreten Besonderheiten der internen Untersuchung geprägt sind. Umso wichtiger ist es, Interviews strategisch zu planen, sorgfältig vorzubereiten und zielsicher durchzuführen.
*Gemeint sind stets Personen jeder Geschlechtsidentität. Um der leichteren Lesbarkeit willen wird im Beitrag die grammatikalisch männliche Form verwendet.