30. September 2024
inkongruente Gewinnausschüttung
Steuerrecht

Erleichterungen bei inkongruenter Gewinnausschüttung

Nachdem der BFH bereits in zwei Urteilen günstig für die Steuerpflichtigen entschieden hat, akzeptiert nun auch die Finanzverwaltung diese Rechtsprechung.  

Der Gewinnverteilungsschlüssel bei Kapitalgesellschaften folgt grundsätzlich dem Anteil des jeweiligen Gesellschafters am Stammkapital (GmbH) bzw. dem Grundkapital (AG) seiner Gesellschaft. Eine von diesen Beteiligungsquoten abweichende, sog. inkongruente/disquotale Gewinnausschüttung kann aufgrund Gesellschaftsvertrags oder durch Beschluss der Gesellschafter erfolgen.

Von den Beteiligungsquoten abweichende, sog. inkongruente Gewinnausschüttungen

Das Gesellschaftsrecht und das Zivilrecht sehen diverse Optionen für die Umsetzung einer inkongruenten Gewinnverteilung vor. Nicht all diese Optionen werden bzw. wurden von der deutschen Finanzverwaltung akzeptiert. Wurde zwar gesellschaftsrechtlich eine inkongruente Gewinnausschüttung wirksam umgesetzt, wurde diese dennoch in bestimmten Fällen durch die Finanzverwaltung „ignoriert“ und stattdessen eine quotale Gewinnausschüttung der Besteuerung zugrunde gelegt, was zur Folge hat, dass ein anderer Gesellschafter die Ausschüttung versteuern muss als der, der sie erhält. 

Bundesfinanzministerium erlässt neues Schreiben zur steuerlichen Anerkennung inkongruenter Gewinnausschüttungen

Die Finanzverwaltung hatte sich zum Thema der ertragsteuerlichen Anerkennung inkongruenter Gewinnausschüttungen zuletzt mit dem BMF-Schreiben aus dem Jahr 2013 geäußert (BMF vom 17. Dezember 2013, BStBl. I 2014, 63). Dort waren die Fälle der steuerrechtlichen Anerkennung restriktiv vorgesehen. Darüber hinaus war nach Auffassung der Finanzverwaltung eine Prüfung des Missbrauchs rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten (§ 42 AO) ausdrücklich erforderlich. Die Finanzverwaltung sah explizit auch in den zivilrechtlich zulässigen Fällen einer nur kurzzeitigen Geltung einer (abweichenden) Gewinnverteilungsabrede oder deren wiederholter Änderung ein Indiz für eine unangemessene Gestaltung. Damit hätte auch bei zivilrechtlich wirksamen, z.B. bei punktuell satzungsdurchbrechenden Beschlüssen ein Gestaltungsmissbrauch angenommen werden können, wenn keine ausreichenden Nachweise für einen außersteuerlichen Hintergrund solcher Maßnahmen vorhanden waren. 

Mit BMF-Schreiben vom 4. September 2024 hat die Finanzverwaltung den steuerlichen Anwendungsbereich nun erweitert und die Kriterien, die der BFH in zwei günstigen BFH-Entscheidungen aus den Jahren 2021 und 2022 aufgestellt hat, übernommen.

Hintergrund: BFH sieht gesellschaftsrechtliche Wirksamkeit als ausreichend für steuerliche Anerkennung an. 

Der BFH hat sich mit zwei Urteilen aus den Jahren 2021 und 2022 (BFH, Urteil v. 28. September 2021 – VIII R 25/19 und v. 28. September 2022 – VIII R 20/20) zum Thema inkongruente Gewinnausschüttungen geäußert:

  • Im Urteil vom 28. September 2021 hat der BFH entschieden, dass ein zivilrechtlich wirksamer Gesellschafterbeschluss, nach dem nur die Gewinnanteile von Minderheitsgesellschaftern ausgeschüttet werden, während der Gewinnanteil des Mehrheitsgesellschafters in eine gesellschafterbezogene Gewinnrücklage eingestellt wird, grundsätzlich auch steuerlich anzuerkennen sei; infolgedessen führe eine Einstellung in die gesellschafterbezogene Gewinnrücklage auch bei einem Mehrheitsgesellschafter nicht zum steuerrelevanten Zufluss von Kapitalerträgen (§§ 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1, 11 Abs. 1 Satz 1 EStG).
  • Mit Urteil vom 28. September 2022 hat der BFH dem BMF-Schreiben aus 2013 widersprochen und entschieden, dass ein punktuell satzungsdurchbrechender Beschluss (einstimmig gefasst und nicht anfechtbar) als zivilrechtlich wirksamer Ausschüttungsbeschluss der Besteuerung zugrunde zu legen sei. 

Das BMF hat mit Schreiben vom 4. September 2024 auf diese Urteile reagiert und das BMF-Schreiben vom 17. Dezember 2013 aufgehoben. Das neue Schreiben ist in allen offenen Fällen anzuwenden.

Welche Neuerungen bringt das aktuelle BMF-Schreiben zu inkongruenten Gewinnausschüttungen?

Neu ist, dass nunmehr allgemeiner formuliert ist, dass inkongruente, d.h. vom Anteil am Grund- oder Stammkapital abweichende Gewinnausschüttungen, steuerrechtlich grundsätzlich anzuerkennen sind, wenn sie zivilrechtlich wirksam sind. Die Fälle der steuerrechtlichen Anerkennung sind nicht abschließend bestimmt („insbesondere“). Zudem nimmt die Finanzverwaltung nicht mehr ausdrücklich auf § 42 AO (Missbrauch rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten) Bezug.Ferner hält das BMF nunmehr (explizit) auch weitere Fälle inkongruenter Gewinnausschüttungen für steuerlich zulässig. 

Folgende Fallkonstellationen inkongruenter Gewinnausschüttungen werden für die GmbH ausdrücklich steuerlich anerkannt:

  • Wie bisher sind inkongruente Gewinnausschüttungen weiterhin dann als zulässig anzusehen, wenn im Gesellschaftsvertrag gemäß § 29 Abs. 3 Satz 2 GmbHG ein anderer Maßstab der Verteilung festgesetzt wurde und die Ausschüttung diesem Verhältnis entspricht. Für die Änderung ist aber nunmehr nicht die Zustimmung aller beteiligten Gesellschafter, aber zumindest derjenigen Gesellschafter erforderlich, die von der Veränderung nachteilig betroffen sind. 
  • Ferner sind weiterhin Regelungen in der Satzung als zulässig anzusehen, nach denen mit Zustimmung der beeinträchtigten Gesellschafter (bisher: „oder einstimmig“) und der im Gesellschaftsvertrag vorgesehenen Mehrheit über eine abweichende Gewinnverteilung beschlossen werden kann und der Beschluss mit den erforderlichen Gesellschafterzustimmungen gefasst worden ist (sog. Öffnungsklausel).

Auf Basis der oben genannten BFH-Urteile eröffnet die Finanzverwaltung den Steuerpflichtigen nunmehr zusätzlich folgende Möglichkeiten für die GmbH:

  • Auch ein punktuell satzungsdurchbrechender Beschluss ist möglich, wenn dieser von der Gesellschafterversammlung mit den Stimmen aller Gesellschafter gefasst worden ist und dieser von keinem Gesellschafter angefochten werden kann. Ein solcher Beschluss liegt vor, wenn sich dessen Wirkung in der betreffenden Maßnahme als Einzelakt erschöpft; die Satzung wird durch den Beschluss zwar verletzt, aber soll nicht mit Wirkung für die Zukunft geändert werden.

Wenn allerdings der satzungsdurchbrechende Gesellschafterbeschluss einen vom Regelungsinhalt der Satzung abweichenden rechtlichen Zustand mit Dauerwirkung (und sei es auch nur für einen begrenzten Zeitraum) begründet, ist dieser (auch wenn einstimmig gefasst) nichtig, wenn bei der Beschlussfassung nicht alle materiellen und formellen Bestimmungen einer Satzungsänderung (insbesondere die notarielle Beurkundung und Eintragung des Beschlusses in das Handelsregister gemäß § 53 Absatz 3 Satz 1, § 54 Absatz 1 GmbHG) eingehalten werden.

  • Auch eine sog. gespaltene Gewinnverwendung (zeitlich inkongruente Gewinnausschüttung) ist nunmehr möglich. Hierbei geht es um einen zivilrechtlich wirksamen Gesellschafterbeschluss, nach dem der Anteil eines Mehrheitsgesellschafters ihm nicht ausgeschüttet, sondern in eine gesellschafterbezogene Rücklage eingestellt wird, während die Gewinnanteile von Minderheitsgesellschaftern ausgeschüttet werden. Es wird klargestellt, dass diese Konstellation nicht zum Zufluss von Kapitalerträgen bei einem beherrschenden Gesellschafter führen (§§ 20 Abs. 1 Nr. 1 S. 1 i.V.m. 11 Abs. 1 S. 1 EStG). Dies muss unseres für alle Fälle gelten, in denen Ausschüttungen zeitverschieden unter Bildung von Rücklagenkonten ausgeschüttet werden. 

Folgende Fallkonstellationen inkongruenter Gewinnausschüttungen werden für die Aktiengesellschaft ausdrücklich steuerlich anerkannt:

Für die Aktiengesellschaft ändert das neue BMF-Schreiben nichts: Es ist weiterhin erforderlich, dass die Satzung gemäß § 60 Abs. 3 AktG einen abweichenden Gewinnverteilungsschlüssel enthält und die Ausschüttung diesem Verhältnis entspricht. 

Eine inkongruente Gewinnausschüttung ist daher bei der Aktiengesellschaft steuerlich nicht anzuerkennen, wenn sie auf einer Öffnungsklausel oder einem satzungsdurchbrechenden Beschluss basiert.

Keine Aussagen der Finanzverwaltung zu Auswirkungen bei der Schenkungsteuer

Wie bereits im Schreiben aus dem Jahr 2013 äußert sich die Finanzverwaltung auch in dem neuen Schreiben nicht zu Auswirkungen von inkongruenten Gewinnausschüttungen bei der Schenkungsteuer. Damit bleibt es bei der bereits bisher bestehenden Rechtsunsicherheit. 

Der BFH hat sich bisher nicht ausdrücklich dazu geäußert, ob eine disquotale Gewinnausschüttung als Schenkung zwischen den Gesellschaftern der Kapitalgesellschaft anzusehen ist. Die Finanzverwaltung geht jedoch in den Erbschaftsteuerrichtlinien davon aus, dass bei einer nicht leistungsbezogenen disquotalen Ausschüttung regelmäßig eine freigebige Zuwendung zwischen den Gesellschaftern vorliegt (R E 7.5 Abs. 7 Sätze 10 und 11 ErbStR). In der Kommentierung ist dies umstritten.

Eine Positionierung der Finanzverwaltung wäre insbesondere hinsichtlich der Frage der gespaltenen Gewinnausschüttung wünschenswert. Nach der unseres Erachtens zutreffenden und herrschenden Auffassung in der Literatur liegt keine freigebige Zuwendung (weder von der Gesellschaft an die Gesellschafter noch zwischen den Gesellschaftern) vor, wenn für den nicht an der Ausschüttung partizipierenden Gesellschafter individuelle Rücklagen gebildet werden, so dass dessen Ausschüttung nur zeitlich hinausgeschoben wird. 

Offen bleiben aber – unter anderem – noch folgende Fragen

Zudem äußert sich das BMF auch nicht zum Thema inkongruenter Gewinnverteilungsabreden bei Personengesellschaften, z.B. in Form von Carried Interest in Private-Equity-Strukturen, obwohl der BFH in zwei Urteilen deren steuerliche Anerkennung bestätigt hat (BFH, Urteil v. 25. September 2018 – IX R 35/17, BStBl. II 2019, 167 und BFH, Urteil v. 16. April 2024 – VIII R 3/21).  

Inkongruente Gewinnausschüttung: Mehr Rechtssicherheit trotz weiterhin offener Fragen

Die Anerkennung der Rechtsprechung durch die Finanzverwaltung ist zu begrüßen, da nun für die genannten Fallkonstellationen mehr Rechtssicherheit gegeben ist. Die Herausnahme der Missbrauchsprüfung aus dem BMF-Schreiben lässt hoffen, dass die Finanzverwaltung diesen Aspekt zukünftig weniger restriktiv prüfen wird. Dennoch sollten sämtliche Hinweise, die außersteuerliche Hintergründe belegen, vorgehalten werden. 

Wünschenswert wäre auch eine Klarstellung zu den schenkungsteuerlichen Aspekten disquotaler Gewinnausschüttungen.

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