12. Oktober 2015
Industrie 4.0 Recht
Industrie 4.0

Industrie 4.0: Rechtliche Lösungsansätze zu Beweisschwierigkeiten

Die Industrie 4.0 stellt unser Recht vor große Herausforderungen. Wir erläutern, warum es Beweisschwierigkeiten gibt und schlagen Lösungsansätze vor.

Die digitale Transformation der Industrie stellt unsere Rechtsordnung vor zahlreiche Herausforderungen. Neben haftungsrechtlichen Fragestellungen und neuen regulatorischen Anforderungen gewinnen Fragen rund um die Beweisbarkeit der zugrundeliegenden Datenströme sowie Fragen der IT-Sicherheit zunehmend an Bedeutung.

Beispiele: fehlerhaftes Verhalten autonomer Systeme

Eine Maschine erhält Steuerungsdaten aus der Cloud und fertigt ein fehlerhaftes Produkt an. Ein autonomes Fahrzeug kommt von der Spur ab. Ein Medizinroboter nimmt einen zu tiefen Schnitt vor – Fehler in der Steuerungssoftware oder fehlerhafte Steuerungsdaten aus der Cloud? Die Ursachen für Schäden infolge fehlerhaften Verhaltens autonomer Systeme können vielfältig sein.

Schwierigkeiten der Fehlersuche in der Industrie 4.0

Im Rahmen von automatisierten Produktionsprozessen der Industrie 4.0 greifen spezifische, technische Beiträge der Beteiligten typischerweise eng ineinander. Das hat zur Folge, dass sich die Suche nach den Ursachen von etwaigen Fehlfunktionen in der Regel als äußerst schwierig darstellt.

Die Durchsetzung von Haftungsansprüchen aber geht Hand in Hand mit der Beweisbarkeit des schädigenden Ereignisses. Um mögliche Haftungsrisiken zuverlässig einzugrenzen ist es für Unternehmen von elementarer Bedeutung, über adäquate Mittel zur Beweissicherung zu verfügen.

Die Frage, ob es sich gerade auch für mittelständische Unternehmen in den nächsten Jahren lohnen wird, den Umstieg auf so genannte Smart Factories zu wagen, wird sich insbesondere auch daran messen, ob ein verlässlicher Rechtsrahmen für Unternehmen geschaffen werden kann. Zahlreiche rechtliche Fragen, insbesondere zum Thema Beweissicherung, sind bislang weitestgehend ungeklärt.

Herausforderungen an die Beweisbarkeit bei vollautomatisierten Prozessen

Die Kernherausforderung der Beweisbarkeit von Datenströmen liegt in ihrer Vergänglichkeit. Die gängigen Beweismittel der ZPO, wie der Zeugenbeweis, die Urkunde oder der Augenscheinbeweis eignen sich offensichtlich nicht, um den Inhalt von Datenströmen vor Gericht zu beweisen. Auch das Sachverständigengutachten kommt nur in solchen Fällen als Beweismittel in Frage, in denen fehlerhafte Datenströme auf Softwarefehlern beruhen und diese Softwarefehler reproduzierbar sind.

Wenn Softwarefehler jedoch nicht reproduziert werden können, oder die Datenströme unabhängig von solchen fehlerhaft sind – etwa weil sie aus einer Cloud stammen – so stellt sich für die Beteiligten die Frage, wie im Rahmen der Industrie 4.0 sinnvollerweise ein Beweis angetreten werden kann.

Lösungsansätze zur Behebung von Beweisschwierigkeiten

  1. Protokollierung / Logging

Die Vergänglichkeit des Datenflusses gepaart mit der häufig fehlenden Reproduzierbarkeit von Softwarefehlern lässt sich durch eine hinreichend genaue Protokollierung (Logging) überwinden. Die Protokolldateien (Logdateien) sollten dabei die wichtigsten Ereignisse mit Datum und Uhrzeit verknüpft beinhalten, im Beispiel also etwa das zu fertigende Produkt, die angesprochene Maschine und die der Maschine übermittelten Steuerungsdaten.

Welche Anforderungen dabei an die Granularität der Logdateien zu stellen sind, hängt vom Einzelfall ab. An diesem Punkt zeigt sich, welch bedeutende Rolle der rechtlichen Beratung bereits während der technischen Entwicklung cyber-physischer Systeme zukommt.

Berücksichtigen die Entwickler und Programmierer bei Industrie 4.0 bereits von Beginn an die späteren rechtlichen Herausforderungen, steigt ihre Akzeptanz und das rechtliche und wirtschaftliche Risiko sinkt.

  1. Qualifiziertes elektronisches Siegel und qualifizierte elektronische Signatur

Bei der Protokollierung stellt sich das Problem, dass eine Logdatei letztlich nur ein elektronisches Dokument ist. Um nachträgliche Änderungen zu verhindern (Integrität) und die Authentizität zu wahren, empfiehlt es sich, die Dokumente nach dem Signaturgesetz (SigG) qualifiziert elektronisch zu signieren oder, besser, nach der ab Juli 2016 geltenden europäischen eIDAS-VO (Verordnung über elektronische Identifizierung und Vertrauensdienste für elektronische Transaktionen im Binnenmarkt) qualifiziert elektronisch zu versiegeln.

Um die Errungenschaften von Industrie 4.0 nicht zu gefährden, sollten diese Prozesse automatisiert werden (Batchsignatur/Massensignatur, Batchversiegelung/Massenversiegelung). Während dies nach dem SigG nur beschränkt möglich ist, eröffnen sich durch die eIDAS-VO neue Möglichkeiten, Siegel unter Zuhilfenahme von Cloud-Diensten zu erstellen (Fremdsignatur, Fremdsiegel).

  1. Beweiswert vor Gericht

Die qualifizierte elektronische Signatur nach dem SigG enthält nach § 371a Abs. 1 ZPO einen Anscheinsbeweis, der nur durch Tatsachen erschüttert werden kann, die ernstliche Zweifel daran begründen, dass die Erklärung vom Signaturschlüssel-Inhaber abgegeben worden ist. Dokumente, die mit einem qualifizierten elektronischen Siegel nach der eIDAS-VO versehen sind, unterliegen der stärkeren Vermutungswirkung des § 35 Abs. 2 eIDAS-VO: Hiernach muss das Gegenteil bewiesen werden, eine Erschütterung der Anscheinsgrundlage genügt nicht.

Während durch die bewiesene Echtheit einer Protokolldatei bereits viel gewonnen ist, so darf nicht übersehen werden, dass der eigentliche Inhalt, also das niedergeschriebene Geschehen, damit noch nicht nachgewiesen wurde. Die Situation ist also insoweit identisch zu jener, bei der ein Dokument unterzeichnet wurde: Mehr als eine Indizwirkung betreffend die protokollierten Tatsachen ist ihnen nicht zu entnehmen. Um dieses Problem zu lösen, sollten sich die Parteien auf ein gemeinsam erstelltes Protokoll einigen oder auf die Möglichkeit einer (automatisierten) Rüge bei Protokollfehlern. Soweit rechtlich zulässig, sollte die Konsequenz immer sein, dass die inhaltliche Richtigkeit nicht mehr beweisbedürftig ist.

Fazit: Herausforderungen berücksichtigen

Notwendige Investitionen und die praktische Nutzbarkeit von Innovationen der Industrie 4.0 sollten nicht daran scheitern, dass in der Praxis ein dringend notwendiger Beweis nicht erbracht werden kann.

Entwicklungsabteilungen sind gut beraten, von Beginn an die sich stellenden juristischen Herausforderungen mit zu berücksichtigen. Eine richtige Protokollierung und Nutzung von elektronischen Siegeln/Signaturen sind die ersten Schritte in die richtige Richtung.

Tags: Industrie 4.0 TMC