Herausforderungen und Lösungsansätze für die Vertragsgestaltung.
IT-Projekte mit einem – zumindest teilweise – offenen Leistungsumfang sind heute eher die Regel als die Ausnahme. Die vertragliche Gestaltung solcher Vorhaben stellt Auftraggeber und Auftragnehmer jedoch regelmäßig vor besondere Herausforderungen. Eine faire Risikoverteilung erfordert meist individuelle, kreative und projektbezogene Lösungen.
Ausgangslage
Viele IT-Projekte zeichnen sich dadurch aus, dass die zu entwickelnden Produkte oder Lösungen bei Vertragsschluss noch nicht hinreichend spezifiziert sind. Für den Auftraggeber birgt dies erhebliche Risiken: Die Entwicklungskosten können ausufern, ohne dass am Ende ein zufriedenstellendes Ergebnis vorliegt. Auf der anderen Seite kann dem Auftragnehmer nicht zugemutet werden, ohne belastbare Anforderungen ein umfassendes Ergebnis zum Festpreis oder unter einer fixen Budgetobergrenze zuzusagen – auch er kennt die spätere Ausgestaltung des Produkts zu diesem Zeitpunkt nicht.
Besonders häufig stellt sich diese Problematik bei (teil-)agilen Projekten. Um dem Risiko zu begegnen, werden diese Projekte mitunter künstlich in viele kleine „Mini-Wasserfall „-Phasen aufgeteilt, die jeweils als eigenständige Werkverträge betrachtet werden. Dieses Vorgehen bildet jedoch weder die Projektrealität noch die tatsächlichen Verantwortlichkeiten adäquat ab.
Hinzu kommt: Gerade bei größeren Vorhaben entsteht schnell ein Lock-in-Effekt. Selbst wenn vertraglich vorgesehene Ausstiegsmöglichkeiten existieren, ist ein Anbieterwechsel im laufenden Projekt – wenn überhaupt – nur mit erheblichem Aufwand oder finanziellen Verlusten realisierbar – und das selbst dann, wenn eine saubere Dokumentation vorliegt (was in der Praxis eher selten der Fall ist).
Daher empfiehlt es sich, bereits zu Projektbeginn gemeinsam nach einem Vertragsrahmen zu suchen, der trotz gegenläufiger Interessen eine ausgewogene, tragfähige Lösung für beide Seiten bietet.
Vertragliche Gestaltungsmöglichkeiten
Die klassische Trennung in Dienst- oder Werkvertrag greift bei IT-Projekten mit offenem Scope häufig zu kurz. Dienstverträge binden den Auftragnehmer nicht an ein konkretes Ergebnis, während Werkverträge ein detailliert beschriebenes Produkt zur Voraussetzung haben – beides passt nur bedingt auf dynamische IT-Projekte.
Erforderlich sind vielmehr hybride Vertragsmodelle, die Raum für Flexibilität lassen und zugleich Mechanismen zur fairen Risikoverteilung enthalten. Entscheidend ist dabei die Bereitschaft beider Parteien, ein gewisses Maß an Risiko zu tragen.
Weiter Scope und aufwandsbasierte Vergütung
Ein häufig gewählter Ansatz ist die Vereinbarung eines weiten Leistungsumfangs, der sich nicht auf die Bereitstellung konkret beschriebener Produkte beschränkt. Vertraglich kann vielmehr festgehalten werden, dass der Auftragnehmer alle Produkte und Leistungen zu erbringen hat, die dem – ggf. auch nur grob definierten – Projektziel dienen oder damit im Zusammenhang stehen. Für den Auftraggeber entsteht so die Sicherheit, dass auch bislang nicht konkretisierte Anforderungen im Projektverlauf berücksichtigt werden können.
Als Ausgleich erhält der Auftragnehmer eine aufwandsbasierte Vergütung – d.h. alle tatsächlich erbrachten Leistungen werden nach Tagessätzen vergütet. Diese Variante ist in Projekten mit offenem Scope oft alternativlos, da sie dem Auftragnehmer Planungssicherheit bietet und vermeidet, dass dieser „ins Blaue hinein „ kalkulieren muss.
Finanzielle Risikoteilung: Tagessatzdegression
Ein aufwandsbasiertes Vergütungsmodell verlagert das finanzielle Risiko zunächst vollständig auf den Auftraggeber. Um hier einen Ausgleich zu schaffen, kann beispielsweise eine Tagessatzdegression vereinbart werden, die ab Erreichen bestimmter Budgetgrenzen greift. Der Tagessatz sinkt also schrittweise, sobald das Projekt vordefinierte Kostenschwellen überschreitet.
Diese Degression sollte so gestaltet sein, dass sie beide Seiten zu verantwortungsvollem Verhalten motiviert: Der reduzierte Tagessatz muss für den Auftraggeber kostspielig genug bleiben, um zu verhindern, dass die Realisierung unnötiger oder wirtschaftlich wenig sinnvoller Zusatzanforderungen vermieden wird. Zugleich sollte er so niedrig sein, dass der Auftragnehmer ein originäres Interesse daran hat, das Budget einzuhalten – etwa, indem er leistungsfähige Ressourcen einsetzt, die effizient arbeiten.
Die Festlegung geeigneter Budgetgrenzen ist erfahrungsgemäß anspruchsvoll. Eine fundierte Schätzung des Auftragnehmers zu Projektbeginn kann hier als sinnvolle Grundlage dienen. Im Vergleich zu Festpreis- oder Pauschalvergütungen sind die Risiken dennoch besser steuerbar.
Weitere Steuerungsinstrumente
Ergänzend zur finanziellen Ausgestaltung sollten natürlich auch die üblichen vertraglichn Steuerungsmechanismen vorgesehen werden. Hierzu gehören Regelungen zum Projektmanagement, zur Zusammenarbeit, zum Vorgehensmodell sowie zu Entscheidungs- und Eskalationswegen ( „Governance“).
Darüber hinaus bieten sich Key Performance Indicators (KPIs) an – sowohl zur Messung qualitativer Kriterien (z. B. über Umfragen bei Projektbeteiligten) als auch zur Bewertung der Einhaltung von Zeitplänen und Meilensteinen. Diese KPIs können mit Bonus- oder Malus-Regelungen verknüpft werden, um zusätzliche Anreize für Effizienz und Qualität zu schaffen.
Schließlich ist es für beide Seiten wichtig, im Vertrag ausgewogene Beendigungsrechte zu verankern. Der Auftragnehmer sollte etwa dann kündigen dürfen, wenn der Auftraggeber notwendige Mitwirkungen nachhaltig verweigert. Der Auftraggeber wiederum sollte bei Nichterreichen zentraler Projektziele oder ggf. auch – gegen Zahlung einer angemessenen Entschädigung für gebundene Ressourcen – ohne Angabe von Gründen aussteigen können.
Ein für beide Seiten tragfähiger Vertragsrahmen für IT-Projekte mit offenem Scope erfordert ein sorgfältiges Abwägen der Interessen und eine individuelle Gestaltung
Die Herausforderung bei IT-Projekten mit offenem Scope liegt darin, Transparenz und Flexibilität mit einer fairen Risikoverteilung zu verbinden. Wenn dies gelingt, sind auch komplexe und dynamische IT-Projekte vertraglich gut beherrschbar. Es müssen dann „nur“ noch die Details geklärt werden.
Wir informieren Sie in unserer Blog-Serie zu IT-Projekten fortlaufend mit aktuellen Beiträgen zu diesem Thema. Sie können diese Blog-Serie über den RSS-Feed abonnieren und werden von uns über neue Beiträge informiert. Den Auftakt zur Blogserie hat der Einführungsbeitrag „IT-Projekte – mit Vertragsgestaltung zum Erfolg″ gemacht, gefolgt von dem Beitrag „Vertragstyp bei IT-Projekten – eine bewusste Wahl“ und „Die Bedeutung von Mitwirkungsleistungen in IT-Projektverträgen“ sowie dem Beitrag zur „Abhängigkeiten in IT-Projekten„.