10. Dezember 2025
Missbrauch marktbeherrschender Stellung
Kartellrecht Kompakt – Kompaktwissen zu Antitrust, Competition & Trade

Kartellrecht Kompakt #4 – Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung

Kartellrecht Kompakt - Das Missbrauchsverbot

In diesem Teil unserer Blogserie „Kartellrecht Kompakt – Kompaktwissen zu Antitrust, Competition & Trade“ geht es um Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen – also um die Frage, wann Marktmacht durch Missbrauch zur Gefahr für den Wettbewerb wird und wie die Kartellbehörden in solchen Missbrauchsfällen eingreifen.

Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung: Marktmacht mit Grenzen

Wettbewerb ist ein wesentlicher Treiber für Innovation, Effizienz und Qualität. Diese positiven Effekte entstehen in einem funktionierenden Wettbewerb, in dem die Handlungsmöglichkeiten eines Unternehmens durch andere Marktteilnehmer begrenzt werden. Ist ein Unternehmen jedoch marktbeherrschend, fehlt dieser Wettbewerbsdruck weitgehend oder vollständig. An diesem Punkt setzt die Missbrauchsaufsicht an. Sie greift ein, wenn eine marktbeherrschende Stellung dazu genutzt wird, den Wettbewerb zu behindern. Anders als beim Verbot wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen („Kartellverbot“) wirken hier nicht zwei oder mehrere Unternehmen zusammen; vielmehr handelt es sich bei einem Missbrauch um ein einseitiges – verbotenes – Verhalten eines Marktbeherrschers – wie z.B. das Fordern überhöhter Preise. Mit der Marktbeherrschung geht eine besondere Verantwortung des Unternehmens gegenüber den Marktteilnehmern einher: Verhaltensweisen, die für andere Marktteilnehmer zulässig sind, können bei marktbeherrschenden Unternehmen als Missbrauch gewertet werden. Der Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung ist ein zentrales Thema des deutschen und europäischen Kartellrechts. Obwohl das deutsche Recht in Teilen strengere Vorschriften als das europäische Recht enthält, führen die Anwendung beider Rechtsordnungen in der Praxis häufig zu vergleichbaren Ergebnissen.

Adressaten: Marktbeherrschende Unternehmen

Für die Prüfung, ob ein Unternehmen eine marktbeherrschende Stellung innehat und damit von der Missbrauchsaufsicht betroffen ist, bieten sich drei zentrale Schritte an.

Schritt 1: Unternehmen

Der Unternehmensbegriff wird weit ausgelegt. Voraussetzung ist lediglich, dass die betreffende Einheit eine selbstständige wirtschaftliche Tätigkeit im weitesten Sinne ausübt. Entscheidend ist dabei nicht die formale Einordnung, sondern das tatsächliche Marktverhalten.

Schritt 2: Marktdefinition

Ob ein Unternehmen eine marktbeherrschende Stellung innehat, lässt sich nur im Verhältnis zu seinen Wettbewerbern auf einem konkreten Markt beurteilen. Die Bestimmung des relevanten Marktes bildet daher den Ausgangspunkt der Missbrauchsprüfung. Dieser ist immer sowohl in sachlicher als auch in räumlicher Hinsicht zu definieren (also z.B. der EWR-weite Markt für die Herstellung und den Vertrieb von Exzenterschneckenpumpen).

  • Sachlich relevanter Markt: Nach dem Bedarfsmarktkonzept umfasst der sachlich relevante Markt alle Produkte oder Dienstleistungen, die aus Sicht der Marktgegenseite nach ihren Eigenschaften, ihrem Verwendungszweck und ihrer Preislage so ähnlich sind, dass sie ohne Weiteres miteinander austauschbar oder substituierbar sind („funktionelle Austauschbarkeit“).

Beispiel: Im Bereich nicht-alkoholischer Getränke wird zwischen verschiedenen Einzelmärkten unterschieden – etwa Märkte für Wasser, Wassermixgetränke, kohlensäurehaltige Süßgetränke und Süßgetränke ohne Kohlensäure.

  • Räumlich relevanter Markt: Die Abgrenzung erfolgt nach den tatsächlichen räumlichen Ausweichmöglichkeiten der Marktgegenseite. Entscheidend ist, ob in dem jeweiligen Gebiet vergleichbare Wettbewerbsbedingungen herrschen. Dabei spielen neben logistischen Aspekten auch rechtliche Rahmenbedingungen und das Verhalten der Kunden eine Rolle. Der räumliche Markt kann z.B. das gesamte Bundesgebiet, den EWR oder gar die ganze Welt umfassen, aber auch auf bestimmte Regionen oder lokale Gebiete begrenzt sein.

Beispiele: Der Einzelhandel (z.B. bei Lebensmitteln, Büchern, Bau- und Heimwerkerbedarf) stellt häufig einen örtlichen Markt dar, während der Schiffbau oder die Herstellung großer Zivilflugzeuge weltweite Märkte sind.

Die Grundsätze zur Marktabgrenzung sind durch langjährige Praxis der Kartellbehörden sowie eine Vielzahl von Gerichtsentscheidungen geprägt. Die Europäische Kommission hat ihr Vorgehen in der Bekanntmachung über die Definition des relevanten Marktes zusammengefasst.

Schritt 3: Marktbeherrschung

Ein Unternehmen gilt als marktbeherrschend, wenn es über eine wirtschaftliche Macht verfügt, die es ihm ermöglicht, die Aufrechterhaltung eines wirksamen Wettbewerbs auf dem relevanten Markt zu verhindern, indem es sich gegenüber Wettbewerbern, Abnehmern und letztlich Verbrauchern in einem nennenswerten Umfang unabhängig verhält.

Die Beurteilung einer marktbeherrschenden Stellung erfolgt stets im Rahmen einer Gesamtwürdigung mehrerer Faktoren. Besonders zu berücksichtigen ist, ob und inwieweit tatsächlich Wettbewerb vorhanden ist. Dabei werden die Marktstruktur, das Marktverhalten sowie die Marktergebnisse berücksichtigt. Eine entscheidende Rolle bei der Feststellung der Marktbeherrschung spielt der Marktanteil des betroffenen Unternehmens: Ein hoher Marktanteil stellt ein wesentliches Indiz für Marktmacht dar. In Deutschland wird bei einem Unternehmen gesetzlich eine Einzelmarktbeherrschung vermutet, wenn es einen Marktanteil von mindestens 40 % erreicht. Im EU-Kartellrecht dagegen liegt die Schwelle höher, ohne dass es eine gesetzliche Vermutung ab einem bestimmten Marktanteil wie im deutschen Recht gäbe. Selbst ein Marktanteil zwischen 40 und 45 % wird nicht ohne Weiteres als Hinweis auf eine Marktbeherrschung gewertet; es kommt insbesondere auf die Anzahl und die Marktstärke der Wettbewerber an. Nach der Rechtsprechung der Unionsgerichte spricht dabei ein deutlicher Abstand zum Marktanteil der Wettbewerber eher für eine marktbeherrschende Stellung. Ergänzend zum Marktanteil fließen in beiden Rechtsordnungen weitere Faktoren in die Bewertung ein wie die Finanzkraft des Unternehmens, der Zugang zu Beschaffungs- und Absatzmärkten, Verflechtungen mit anderen Unternehmen, Kundenabhängigkeit und der Zugang zu Daten und Infrastruktur.

Neben der Einzelmarktbeherrschung ist auch die gemeinsame Marktbeherrschung mehrerer Unternehmen, die sog. kollektive Marktbeherrschung, anerkannt, bei welcher mehrere Unternehmen gemeinsam eine marktbeherrschende Stellung ausüben, ohne dass jedes Einzelunternehmen für sich betrachtet marktbeherrschend sein muss.

Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung: Typische Verhaltensweisen

Missbräuchlich sind Verhaltensweisen, bei denen ein Unternehmen seine Marktmacht nutzt, um den Wettbewerb auf dem Markt auf eine Weise zu beeinträchtigen, die nicht dem Verhalten bei wirksamem Wettbewerb entspricht. Sowohl das deutsche als auch das europäische Recht enthalten Regelbeispiele, die den Missbrauchsbegriff konkretisieren.

Marktbeherrschende Unternehmen unterliegen dem Verbot des Behinderungsmissbrauchs. Sie dürfen andere Unternehmen nicht unmittelbar oder mittelbar unbillig behindern. Als Behinderung gilt jedes Verhalten, das die wettbewerbliche Betätigungsfreiheit eines anderen Unternehmens nachteilig beeinflusst. Unbillig ist ein solches Verhalten dann, wenn es den Wettbewerb unangemessen einschränkt oder verzerrt. Zur Beurteilung erfolgt nach deutscher Praxis stets eine Abwägung der Interessen des Marktbeherrschers und des behinderten Unternehmens unter Berücksichtigung der auf die Freiheit des Wettbewerbs gerichteten Zielsetzung des GWB.

  • Ein typisches Beispiel sind Preisunterbietungen mit Verdrängungsabsicht, sogenannte Kampfpreise. Dabei unterbietet das marktbeherrschende Unternehmen die günstigeren Preise seines Wettbewerbers, häufig sogar deutlich unterhalb der eigenen Herstellungskosten, um den Konkurrenten durch diesen wirtschaftlichen Druck vom Markt zu verdrängen. Ein bekanntes Beispiel ist der Fall Lufthansa, in dem die langjährige Monopolistin gezielt auf einer bestimmten Strecke den deutlich günstigeren Tarif von Germania derart unterboten haben soll, dass der Preis der Lufthansa die eigenen durchschnittlichen Kosten pro Zahlgast unterschritt. Die Einführung dieses Niedrigtarifs durch die Lufthansa soll wegen des Zeitpunkts sowie des auf die bestimmte Route beschränkten Umfangs der Reaktion gezielt auf den Vorstoß der Germania erfolgt sein, um die Wettbewerberin vom Markt zu drängen.
  • Auch Bindungs- und Exklusivitätsklauseln, die Abnehmer langfristig dazu verpflichten nur von dem marktbeherrschenden Hersteller Produkte abzunehmen (sog. Alleinbezugsverpflichtungen), können unter den Behinderungsmissbrauch fallen, da der Abnehmer gehindert wird, identische oder gleichartige Produkte von Wettbewerbern des marktbeherrschenden Unternehmens zu beziehen. Indem den Konkurrenten der Marktzugang zu den gebundenen Abnehmern langfristig versperrt ist, werden die Konkurrenten in ihren Wettbewerbsmöglichkeiten beeinträchtigt.
  • Ein weiteres Beispiel ist die Preis-Kosten-Schere, bei der das marktbeherrschende Unternehmen sowohl auf dem Upstream- als auch auf dem Downstream-Markt tätig ist und seine Preisgestaltung durch das Fordern eines hohen Verkaufspreises für das Vorprodukt bei gleichzeitiger Niedrigpreispolitik für das Endprodukt so anlegt, dass Wettbewerber auf dem Downstream-Markt faktisch nicht mehr profitabel arbeiten können.
  • Die Gewährung von Rabatten, Umsatzboni oder ähnlichen Anreizsystemen kann in bestimmten Konstellationen bewirken, dass Abnehmer verstärkt beim rabattgewährenden Marktbeherrscher einkaufen („Sogwirkung“) und gleichzeitig weniger Produkte konkurrierender Anbieter beziehen („Verdrängungswirkung“), wodurch der Marktzugang anderer Wettbewerber erheblich erschwert werden kann.
  • Kopplungsgeschäfte sind missbräuchlich, wenn Produkte nur im Paket mit anderen sachlich oder handelsüblich nicht zugehörigen Waren oder Leistungen verkauft werden und dies zu einer erheblichen Beeinträchtigung des Wettbewerbs führt. Kennzeichnend für dieses Verhalten ist, dass der Marktbeherrscher seine Stärke bei der „Hauptware“ nutzt, um den Abnehmer zum Bezug einer „Nebenware“ zu veranlassen, die er ansonsten nicht erwerben würde.

Die Europäische Kommission erarbeitet derzeit Leitlinien zum Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung durch Behinderungsmissbrauch, die die Rechtsprechung der Unionsgerichte sowie die Praxis der Kommission widerspiegeln sollen. Eine Verabschiedung ist für 2025 geplant.

Das Diskriminierungsverbot untersagt einem marktbeherrschenden Unternehmen, gleichartige Handelspartner bei gleichartig gelagerten Sachverhalten unterschiedlich zu behandeln, sofern kein sachlich gerechtfertigter Grund vorliegt. Dies umfasst sowohl die Bevorzugung als auch die Benachteiligung einzelner Handelspartner. Eine ungleiche Behandlung kann bereits vorliegen, wenn der Marktbeherrscher das Zustandekommen oder die Aufrechterhaltung einer Geschäftsbeziehung ablehnt, obwohl er mit gleichartigen Unternehmen entsprechende Verbindungen unterhält. Allerdings gilt auch hier, dass eine Ungleichbehandlung nicht mit einem Missbrauch gleichzusetzen ist, letzterer vielmehr nur vorliegt, wenn es für die Ungleichbehandlung keine sachliche Rechtfertigung gibt. Hier erfolgt nach deutscher Praxis, wie beim Behinderungsmissbrauch, eine Abwägung zwischen der auf die Freiheit des Wettbewerbs gerichteten Zielsetzung des GWB und der Respektierung eines unternehmerischen Freiraumes.

Ein Ausbeutungsmissbrauch liegt vor, wenn ein marktbeherrschendes Unternehmen seine Marktmacht nutzt, um von der Marktgegenseite unangemessen hohe Preise oder nachteilige Geschäftsbedingungen zu verlangen, die erheblich von denjenigen abweichen, die sich bei wirksamem Wettbewerb mit hoher Wahrscheinlichkeit ergeben würden, sogenannter Preis-/Konditionenmissbrauch. Dabei sind insbesondere die Verhaltensweisen von Unternehmen auf vergleichbaren Märkten mit wirksamem Wettbewerb in den Blick zu nehmen. Vom Preis-/Konditionenmissbrauch zu unterscheiden ist die Preis-/Konditionenspaltung. Sie liegt vor, wenn ein marktbeherrschendes Unternehmen ohne sachliche Rechtfertigung ungünstigere Entgelte oder Geschäftsbedingungen fordert als auf vergleichbaren Märkten von gleichartigen Abnehmern. Der Maßstab ist hier nicht der hypothetische Wettbewerb, sondern das eigene Verhalten des marktbeherrschenden Unternehmens auf vergleichbaren (Zweit-)Märkten.

Sanktionen bei missbräuchlichem Verhalten

Die behördliche Durchsetzung des Missbrauchsverbots in Deutschland erfolgt durch die Europäische Kommission und/oder das Bundeskartellamt; die Landeskartellbehörden sind nur für die Anwendung des deutschen Missbrauchsverbots (und nicht auch für die des EU-Rechts) zuständig, und dies auch nur, soweit die Auswirkungen nicht über das Gebiet des jeweiligen Bundeslandes hinausreichen. Die Kartellbehörden verfügen über umfangreiche Ermittlungsrechte und können missbräuchliches Verhalten u.a. für die Zukunft untersagen, nachträglich feststellen, dass ein Unternehmen seine marktbeherrschende Stellung missbraucht hat, sowie einstweilige Maßnahmen anordnen. Sie können zudem Bußgelder verhängen, die bis zu 10 % des vom Unternehmen im vorausgegangenen Geschäftsjahr erzielten Gesamtumsatzes betragen können. Bei der Festsetzung der Bußgeldhöhe werden insbesondere die Schwere des Verstoßes sowie dessen Dauer berücksichtigt. In Deutschland sind ferner Bußgelder gegen die verantwortlich handelnden Personen von bis zu EUR 1 Million möglich.

Außerdem – also auch unabhängig vom Tätigwerden der Kartellbehörden – können von einem Missbrauch Betroffene zivilrechtliche Ansprüche, insbesondere Unterlassungs-, Beseitigungs- und Schadensersatzansprüche, gegen die Unternehmen geltend machen. Liegt ein Missbrauch vor, so kann dies zur vollständigen oder teilweisen Nichtigkeit des jeweiligen Rechtsgeschäfts führen. So schuldet etwa ein von einem Preismissbrauch betroffener Abnehmer eines Marktbeherrschers das vertraglich geschuldete Entgelt nicht voll, sondern nur bis zu der Höhe, wie es sich bei wirksamem Wettbewerb mit hoher Wahrscheinlichkeit ergeben würde.

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