Die Einführung von Commercial Courts nimmt Formen an: Am 4. Juli 2024 hat der Bundestag das Justizstandort-Stärkungsgesetz verabschiedet.
Mit der jetzt beschlossen Justizreform soll die deutsche Zivilgerichtsbarkeit für internationale Wirtschaftsstreitigkeiten attraktiver werden. Herzstück der Reform ist die Ermächtigung der Bundesländer zur Errichtung von spezialisierten Spruchkammern – den sogenannten Commercial Courts. Ziel der Errichtung ist es, den Justizstandort Deutschland zu stärken und die Abwanderung großer Wirtschaftsunternehmen in die Schiedsgerichtsbarkeit einzudämmen.
Commercial Courts sind auf Wirtschaftsstreitigkeiten spezialisiert
Die wesentliche Attraktivität der Commercial Courts soll die Spezialisierung des Spruchkörpers auf wirtschaftsrechtliche Streitigkeiten ausmachen. Sachlich zuständig sind die Commercial Courts für alle bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten mit Ausnahme des gewerblichen Rechtsschutzes, des Urheberrechts und der Ansprüche nach dem Gesetz über den unlauteren Wettbewerb, sofern ausschließlich Unternehmen beteiligt sind. Für Streitigkeiten zwischen Verbrauchern besteht eine sachliche Zuständigkeit nur, wenn der Rechtsstreit im Zusammenhang mit dem Erwerb eines Unternehmens oder von Anteilen an einem Unternehmen steht sowie Streitigkeiten zwischen Gesellschaft und Mitgliedern des Leistungsorgans oder Aufsichtsrats.
Soweit also Streit unter Unternehmen besteht, „bespielen“ die Commercial Courts grundsätzlich ein weites Feld. Für die fachliche Spezialisierung von besonderer Bedeutung sollte daher die für die Bundesländer geschaffene Möglichkeit sein, die Sachgebiete der Commercial Corts zu beschränken. Gemeint ist damit zum Beispiel die Einrichtung eines Commercial Courts, der sich ausschließlich mit Handelssachen zwischen Unternehmern befasst oder ausschließlich kartellrechtliche Streitigkeiten verhandelt. Besondere Bedeutung könnte ebenfalls ein Commercial Court für M&A-Streitigkeiten erlangen.
Verfahren beginnen an den Oberlandesgerichten
Die Commercial Courts werden an den Oberlandesgerichten beziehungsweise den Obersten Landesgerichten eingerichtet. Anders als in den bisher als Commercial Court bezeichneten Kammern für Handelsstreitigkeiten an den Landgerichten, ist das Oberlandesgericht damit bereits in erster Instanz für den Rechtsstreit zuständig. In der Folge ist der Instanzenzug verkürzt. Einziges Rechtsmittel ist die Revision zum Bundesgerichtshof. Um auch für diese Verfahren einen Rechtsweg zu garantieren, ist die Zulassung der Revision nicht erforderlich – den Parteien kommt demnach ein erleichterter Zugang zum Bundesgerichtshof zugute.
In welcher Form die Bundesländer von der Möglichkeit Commercial Courts einzurichten und die jeweiligen Senate nach Sachgebiet zu beschränken Gebrauch machen werden, bleibt aber noch abzuwarten. Das Oberlandesgericht Hamburg hat nach jetzigem Stand bereits recht konkret ein Commercial Court mit drei Senaten in Aussicht gestellt. Jeder dieser Senate soll, wie oben beschrieben, nach dem im Einzelfall betroffenen Rechtsgebiet für einen Rechtsstreit zuständig sein. Auch in Hessen und Nordrhein-Westfalen gab es schon vor der Verabschiedung des Gesetztes Interesse an der Errichtung eines Commercial Courts am Oberlandesgericht Frankfurt am Main beziehungsweise am Oberlandesgericht in Düsseldorf.
Der Weg zum Commercial Court
Die Zuständigkeit des Commercial Courts können die Parteien primär durch eine Gerichtsstandsvereinbarung begründen. Eine solche kann, wie auch bei der bereits geltenden Reglung gemäß § 38 ZPO, durch ausdrückliche oder stillschweigende Verständigung der Parteien zustande kommt. Bestimmen die Parteien nichts anderes, so ist diese Zuständigkeit eine ausschließliche. Ist der Commercial Court ohne vorausgegangene Vereinbarung in erster Instanz angerufen worden, so steht das rügelose Einlassen einer vorangegangenen Vereinbarung gleich. Letzteres birgt aber stets die Gefahr, dass die vor dem Oberlandesgericht erhobene Klage wegen Unzulässigkeit abgewiesen oder eine Verweisung an das Landgericht notwendig wird.
Besteht keine Vereinbarung der Parteien, dürfte es, um das Risiko der Unzuständigkeit zu umgehen, für die klagenden Parteien sinnvoll sein, die Klage vor dem Landgericht zu erheben. Einer Bindung an das Landgericht kann die klagende Partei in diesem Fall dadurch zuvorkommen, dass sie die Klage bereits mit dem Antrag auf Verweisung an den jeweiligen Commercial Court stellt. Stimmt die beklagte Partei zu, verweist dass Landgericht das Verfahren an den Commercial Court. Die Initiative kann aber auch von der beklagten Partei ausgehen. Sie muss den Antrag dann mit ihrer Klageerwiderung verbinden. In beiden Fällen gilt: Die Zustimmung der jeweils anderen Partei ist nur innerhalb einer vom Gericht gesetzten Frist möglich. Es dürfte aus prozessökonomischen Gründen auch nicht sinnvoll sein, das Ausgangsgericht in einem fortgeschrittenen Verfahrensstadium noch gen Commercial Court zu verlassen.
Der Zugang zu den Commercial Courts wurde im Übrigen für die Parteien im Zuge des Gesetzgebungsverfahrens erleichtert: Nachdem ursprünglich eine Streitwertgrenze von EUR 1 Mio. vorgesehen gewesen ist, hat die Koalition den beschlossenen Gesetzesentwurf zuletzt mit einer Streitwertgrenze von EUR 500.000 eingebracht. Eine Entscheidung, die maßgeblich mit der Erhöhung der Fallzahlen begründet wurde.
Schiedsgerichtsbarkeit als Vorbild
Mit der Einführung der Commercial Courts ist, wie eingangs erwähnt, das Ziel verbunden, die Abwanderung in die Schiedsgerichtsbarkeit zu verringern. Dafür orientiert sich der Gesetzgeber unter anderem ausdrücklich an der in Schiedsverfahren bewährten sogenannten Case-Management-Konferenz. In Verfahren vor den Commercial Courts wird es daher grundsätzlich einen frühestmöglichen Organisationstermin der Parteien mit dem Gericht geben. So soll unter anderem die Systematisierung des Sach- und Streitstoffs und die Abstimmung über den Verfahrensfahrplan ermöglicht werden.
Zudem haben die Parteien die Möglichkeit durch übereinstimmenden Antrag ein mitlesbares Wortprotokoll zu erhalten. Unterschied zu dem „üblichen“ Protokoll ist, dass die ZPO insofern grundsätzlich lediglich vorsieht, dass die
wesentlichen Vorgänge der Verhandlung (…) aufzunehmen
sind. Im Wortprotokoll soll hingegen jedes Wort und nicht nur der übergeordnete Inhalt wiedergegeben werden. Anders als bei Zivilverfahren üblich, erfolgt die Transkription des Protokolls daher nicht nachträglich, sondern simultan. Auch insofern hat sich der Gesetzgeber ausdrücklich an den „Gepflogenheiten“ des Schiedsverfahrens orientiert.
Das wesentliche Element der Internationalisierung des Verfahrens vor dem Commercial Court dürfte aber wohl die Möglichkeit sein, das Verfahren auf Antrag der Parteien in englischer Sprache durchzuführen. Insofern sind die Bundesländer ermächtigt worden, Commercial Courts zu errichten, die Verfahren vollständig in englischer Sprache führen (es können aber gleichwohl ausschließlich deutschsprachige Commercial Courts eingerichtet werden). Anders als vor den bereits existierenden Kammern für internationale Handelssachen findet nicht nur die mündliche Verhandlung, sondern das gesamte Verfahren in englischer Sprache statt. Die Gerichtssprache ist in dem jeweiligen Verfahren allerdings nur dann Englisch, wenn die Parteien dies übereinstimmend vereinbaren oder die beklagte Partei auf eine englischsprachige Klageerhebung in englischer Sprache erwidert – der Gesetzgeber geht insofern davon aus, dass ein rügeloses Einlassen nicht allein im Fehlen einer Rüge, sondern vor allem in der korrespondierenden Verwendung der englischen Sprache in der Klageerwiderung gesehen werden kann.
In der Revisionsinstanz vor dem Bundesgerichtshof gilt im Übrigen, dass der jeweilige Senat ein Wahlrecht über die Verfahrenssprache eingeräumt bekommt – es kann folglich auch gegen den Wunsch der Parteien in deutscher Sprache verhandelt werden.
Mehr Geheimhaltung – über die Commercial Courts hinaus
Der Gesetzgeber hat zudem weitere Regelungen beschlossen, die bewusst nicht ausschließlich den Commercial Courts zugutekommen sollen. Dazu gehört die Erweiterung der Geheimhaltung. Anders als bisher ist es zukünftig möglich, einen Geheimnisschutz auch schon vor der mündlichen Verhandlung zu erhalten. Auf Antrag der Parteien kann das jeweilige Gericht, die streitgegenständlichen Information als geheimhaltungsbedürftig einstufen. Das jeweilige Amts-, Land- oder Oberlandesgericht sowie der Bundesgerichtshof orientieren sich zukünftig bei ihren Entscheidungen über die Geheimhaltungsbedürftigkeit an den Vorgaben des Gesetzes zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen („Geheimnisschutzgesetz“). Ergeht eine Geheimhaltungsanordnung, ist es den anderen Verfahrensbeteiligten über die Dauer des Verfahrens untersagt, die geschützte Information zu nutzen oder offenzulegen, es sei denn, dass von dieser außerhalb des Verfahrens Kenntnis erlangt worden ist.
Vorhaben wird endlich konkret – Stärkung des Justizstandorts bleibt abzuwarten
Nach jahrelangem Ringen über die Einführung der Commercial Courts ist das geplante Inkrafttreten des Justizstandort-Stärkungsgesetzes zum 1. Januar 2025 als konkreter Schritt in eine modernere Justiz zu begrüßen. Wenn schon vielfach Zweifel an der Eignung des Gesetzes zur Erreichung seines Ziels, den Justizstandort im Wettbewerb mit dem internationalen Schiedsverfahren zu stärken, geäußert worden sind, so dürften die Neuerungen doch geeignet sein für diejenigen Verfahren neue Perspektiven aufzuzeigen, die ohnehin vor deutschen (Land-)Gerichten geführt worden wären. In der Internationalen Betrachtung der Konkurrenzfähigkeit der deutschen Justiz sind die Fragen der Vollstreckbarkeit deutscher Urteile und der abschreckenden Wirkung des materiellen Rechts, etwa im Hinblick auf die AGB-Kontrolle, allerdings weiter offengeblieben.