Mangels Harmonisierung dürfte der Reisetourismus der Klägeranwälte boomen. Unternehmen sollten hierauf gewappnet sein.
Mehr als zwei Jahre nach dem Richtlinienvorschlag der EU-Kommission zur Einführung einer „EU-Sammelklage″, ist es wohl nur noch reine Formsache bis die europäische Richtlinie über Verbandsklagen zum Schutz der Kollektivinteressen der Verbraucher (Verbandsklagerichtlinie) verabschiedet werden wird.
Nach der für Oktober dieses Jahres erwarteten Zustimmung des EU-Parlaments und des Rates, dürfte die Verbandsklagerichtlinie Realität werden. Die Mitgliedsstaaten haben dann zwei Jahre Zeit, die Richtlinie in nationales Recht umzusetzen. Die nationalen Umsetzungsgesetze werden dann frühestens im Jahr 2023 in Kraft treten.
Damit ist Eines sicher: Zukünftig wird für alle Verbraucher EU-weit und in allen Mitgliedsstaaten die Möglichkeit einer Sammelklage bestehen. Mitgliedsstaaten, in denen geschädigte Verbraucher derzeit noch nicht kollektiv klagen können, wie derzeit z.B. in Luxemburg, werden entsprechende nationale Regeln einführen müssen.
Deutschland hat mit Einführung der Musterfeststellungsklage bereits eine nationale Klagemöglichkeit geschaffen, bei der eine qualifizierte Einrichtung kollektiv Ansprüche geschädigter Verbraucher gegen Unternehmen geltend machen kann.
Musterfeststellungsklage in Deutschland bleibt hinter Vorgaben der Verbandsklagerichtlinie zurück
Die Musterfeststellungsklage bleibt in ihrer gesetzlichen Ausgestaltung jedoch hinter dem von der EU-Verbandsklagerichtlinie vorgegebenen Mindeststandard zurück. Denn mit der Musterfeststellungsklage kann lediglich ein nicht vollstreckungsfähiges Feststellungsurteil erreicht werden, auf dessen Basis Verbraucher ihre Ansprüche individuell weiterverfolgen müssen.
Demgegenüber sieht die Verbandsklagerichtlinie vor, unmittelbar eine konkrete Leistung, vor allem also Schadensersatz, von den beklagten Unternehmen zu verlangen.
Der deutsche Gesetzgeber ist gezwungen, entweder ein neues, zweites Regime für Sammelklagen zu schaffen, oder die bereits existierende Musterfeststellungsklage zu verschärfen. Wie die Umsetzung der Verbandsklagerichtlinie in Deutschland im Einzelnen aussehen wird, bleibt abzuwarten.
Wesentliche Kernfragen werden mit der EU-Verbandsklage nicht harmonisiert
Sieht man von wenigen einheitlichen Standards, wie u.a. direkt auf Leistung klagen zu können, ab, ist es auf europäischer Ebene allerdings nicht gelungen, Konsens hinsichtlich weiterer Kernfragen der Ausgestaltung der EU-Verbandsklage zu erzielen. Insbesondere hinsichtlich der Etablierung effektiver Schutzmechanismen gegen einen möglichen Missbrauch der Verbandsklage sieht die Verbandsklagerichtlinie keine harmonisierten Regeln vor.
Anforderungen an qualifizierte Einrichtungen variieren
So schreibt die Richtlinie nur für den Fall, dass es sich um eine grenzüberschreitende Verbandsklage handelt – also um eine Verbandsklage, die von einer qualifizierten Einrichtung in einem anderen Mitgliedsstaat als in dem, in dem sie registriert ist, erhoben wird – einheitliche Mindestkriterien vor – und selbst diese sind vage formuliert. Im Wesentlichen handelt es sich um zwei Kriterien: Gemeinnützigkeit und eine mindestens 12-monatige Tätigkeit im Bereich des Schutzes von Verbraucherinteressen vor der Registrierung.
Für die Erhebung innerstaatlicher Verbandsklagen gelten diese Kriterien nicht. Diesbezüglich steht es den Mitgliedsstaaten frei, zu entscheiden, welche Anforderungen eine qualifizierte Einrichtung erfüllen muss, damit sie als solche registriert werden kann. Auch die Möglichkeit der Finanzierung der qualifizierten Einrichtung durch kommerzielle Dritte ist erlaubt.
Opt In oder Opt Out?
Nicht harmonisiert ist zudem die zentrale Frage, ob die klagebefugten qualifizierten Einrichtungen nur mit einer Ermächtigung bzw. einem Mandat der betroffenen Verbraucher vorgehen dürfen, die Verbraucher also für die Beteiligung an der Verbandsklage explizit optieren müssen (Opt In), oder, ob die betroffenen Verbraucher automatisch an der Verbandsklage beteiligt sind. Im letzten Fall können Verbraucher nur dann aus der Verbandsklage „aussteigen″, wenn sie aktiv dagegen optieren (Opt Out).
Auch bezüglich der Frage Opt In / Opt Out können sich die Mitgliedsstaaten frei für die eine oder die andere Möglichkeit entscheiden. Die Ausgestaltung der Sammelklage als Opt Out-Verfahren würde insoweit der amerikanischen „class action″ entsprechen. Diese hat in den USA dazu geführt, dass es sich Anwaltskanzleien zum Geschäftsmodell gemacht haben, Unternehmen im großen Stil auf (Straf-)Schadensersatz zu verklagen.
Keine einheitlichen Schutzmechanismen gegen Missbrauch vorgesehen
Mangels Festlegung von EU-weit einheitlichen Schutzmechanismen gegen einen solchen Missbrauch werden solche Verhältnisse künftig in Europa nicht ausgeschlossen sein. Die wenigen Schutzmechanismen, die die Verbandsklagerichtlinie als einheitlichen Standard festlegt, wie der Ausschluss von Strafschadensersatz (punitive damages) und die Verpflichtung, dass der Verlierer, die Kosten zu tragen hat (sog. loser pays principle), dürften keinen ausreichenden Schutz gegen Missbrauch bieten.
Forum Shopping ist zu erwarten
Dies macht die EU-Verbandsklage für Unternehmen gefährlich. Denn die sich aus der mangelnden Harmonisierung ergebenden Konsequenzen liegen auf der Hand: In einigen Mitgliedsstaaten werden liberalere Sammelklage-Regimes eingeführt werden als in anderen Mitgliedsstaaten. Dies dürfte zur Folge haben, dass qualifizierte Einrichtungen dort Klage erheben werden, wo der für sie vorteilhafteste Rechtsrahmen herrscht. Das sog. Forum Shopping wird zudem dadurch begünstigt, dass Unternehmen häufig Tochtergesellschaften in mehreren Ländern haben und regelmäßig Gerichtsstände in zugleich mehreren Ländern in Betracht kommen dürften.
Rolle Deutschlands auf dem „europäischen Flickenteppich″ ist offen
Wie sich Deutschland bei der Umsetzung der Verbandsklagerichtlinie in diesem europäischen Flickenteppich positionieren wird, bleibt abzuwarten. Nicht zuletzt aufgrund der Ausgestaltung der bis dato geltenden Musterfeststellungsklage, ist eher davon auszugehen, dass die Bundesrepublik zu den Staaten gehören dürfte, die ein sehr liberales Verbandsklage-Regime ablehnen.
Sollte es dabei bleiben, und Deutschland die EU-Verbandsklage mit einem deutlich höheren Schutzniveau als durch die Verbandsklagerichtlinie vorgegeben, umsetzen, dürfte sich eine im Zusammenhang mit Massenverfahren etablierende Klageindustrie auf andere europäische Länder verlagern. Dies wird indes nichts daran ändern, dass die deutsche Industrie in das Visier der Klägeranwälte geraten wird.