Eine neue Gerichtsentscheidung des BAG bringt mehr Klarheit für Vorrats-SE und erleichtert den Weg in die SE & CO. KG.
Die Vorrats-SE hat aufgrund ihrer flexiblen Einsatzmöglichkeit im Rahmen von Transaktionen und Konzernumstrukturierungen große Relevanz in der Praxis. Denn die Umwandlung einer bestehenden Gesellschaft in eine SE oder die sog. Eigengründung einer SE erfordert zum einen ein grenzüberschreitendes Element und zum anderen grds. auch die Durchführung eines Arbeitnehmerbeteiligungsverfahrens. Die Umwandlung bzw. Eigengründung ist damit i.d.R. zeit- und kostenintensiver als der Erwerb einer Vorrats-SE.
Allerdings ist der Einsatz von Vorrats-SEs in mitbestimmungsrechtlicher Hinsicht höchst umstritten. Zwar steht die grundsätzliche Zulässigkeit der Gründung einer arbeitnehmerlosen SE „auf Vorrat“ ohne Durchführung eines Arbeitnehmerbeteiligungsverfahrens inzwischen außer Frage. Im Rahmen ihrer anschließenden Verwendung stellen sich aber weiterhin zahlreiche Fragen hinsichtlich des mitbestimmungsrechtlichen Schicksals der Vorrats-SE. Dieses Jahr haben Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) und des Bundesarbeitsgerichts (BAG) für deutlich mehr Klarheit gesorgt.
BAG: Keine Pflicht zur Nachholung des Beteiligungsverfahrens bei Eintritt der Vorrats-SE als Komplementärin in die KG
Das ArbG Bamberg (Beschluss v. 8. September 2021 – 4 BV 31/20) hat zunächst recht überraschend zum Einsatz einer Vorrats-SE als Komplementärin einer KG entschieden.
Geklagt hatte der Betriebsrat einer KG mit mehr als 2.000 Arbeitnehmern in Deutschland. Zunächst hatte der Betriebsrat ein Statusverfahren eingeleitet, um die Einrichtung eines mitbestimmten Aufsichtsrats in der bisherigen Komplementärin, einer GmbH, zu erreichen. Nachdem die Komplementär-GmbH gegen eine Komplementär-SE ausgetauscht wurde, begehrte der Betriebsrat die Einleitung (Nachholung) des Beteiligungsverfahrens in dieser SE. Die SE wurde dabei als Vorrats-SE von der KG selbst erworben und gehalten. Es handelt sich somit um eine sog. Einheits-SE & Co. KG.
Das ArbG Bamberg gab dem Betriebsrat – mit einer dogmatisch eher fragwürdigen und stark ergebnisorientierten Begründung – Recht.
Das ArbG Bamberg hielt dazu insbesondere fest, dass das Beteiligungsverfahren bereits in analoger Anwendung der §§ 4 ff. SEBG nachzuholen sei (und nicht erst nach § 18 Abs. 3 SEBG analog, wie dies bisher insbesondere vom OLG Düsseldorf (Beschluss v. 30. März 2009 – I-3 Wx 248/08) vertreten wurde). Nach diesen Vorschriften bestehe die Pflicht zur Nachholung, sobald die Vorrats-SE aktiviert werde und Arbeitnehmer für Verhandlungen zur Verfügung stünden. Dabei sei nicht erforderlich, dass die SE selbst Arbeitnehmer habe, sondern es genüge vielmehr, wenn in der KG Arbeitnehmer beschäftigt seien. Die KG sei zwar nicht an der Gründung der Vorrats-SE beteiligt gewesen, aber an ihrer wirtschaftlichen Neugründung, da die KG die SE als Komplementärin aufgenommen habe. Der Fall sei daher so zu behandeln, als habe die KG schon an der Gründung der Vorrats-SE mitgewirkt. Für die Zurechnung der Arbeitnehmer der KG zur SE sei nicht erforderlich, dass die KG als Tochtergesellschaft der SE i.S.d. SEBG zu qualifizieren sei. Darauf, dass die Komplementär-SE kein Stimmrecht in der Gesellschafterversammlung der KG habe und die KG deshalb nicht beherrsche, komme es deshalb auch nicht an. Die Übernahme der Komplementärstellung in der KG sei das maßgebliche Ereignis für die wirtschaftliche Neugründung der Vorrats-SE und damit für das Nachholen des Beteiligungsverfahrens.
Hilfsweise führte das ArbG Bamberg aus, dass die Pflicht zum Nachholen des Beteiligungsverfahrens in dem der Entscheidung zugrundeliegenden Fallkonstellation auch aus der analogen Anwendung des § 18 Abs. 3 SEBG (wie etwa vom OLG Düsseldorf bevorzugt) abgeleitet werden könne. Die Übernahme der Komplementärstellung in der KG durch die Vorrats-SE stelle eine strukturelle Änderung i.S.d. § 18 Abs. 3 SEBG dar. Die weitere Tatbestandsvoraussetzung der Norm, nämlich die Geeignetheit der strukturellen Änderung, Beteiligungsrechte der Arbeitnehmer zu mindern, müssten dabei nicht erfüllt sein, da die Norm im Rahmen der analogen Anwendung teleologisch zu reduzieren sei.
Die Entscheidung des ArbG Bamberg wurde in der zweiten Instanz durch das LAG Nürnberg korrigiert (Beschluss v. 1. September 2022 – 3 TaBV 29/21 ). Eine Pflicht zur Nachholung des Beteiligungsverfahrens bestehe in dem vorliegenden Fall nicht.
Ein Beteiligungsverfahren sei bei einer wirtschaftlichen Aktivierung – so das LAG Nürnberg – allenfalls dann nachzuholen, wenn die SE selbst mit einem Unternehmen ausgestattet werde und die SE wenigstens zehn Arbeitnehmer beschäftige. Der bloße Beitritt der SE als Komplementärin zur KG verpflichte jedoch noch nicht zur Nachholung des Beteiligungsverfahrens. Die Arbeitnehmer der KG seien der Komplementär-SE nicht zuzurechnen, weil die Einheits-KG – gemessen an den Kriterien des SEBG – keine Tochtergesellschaft der SE sei, sondern umgekehrt. Die Kriterien des SEBG für die Annahme einer Tochtergesellschaft seien – so das LAG Nürnberg zutreffend – abschließend.
Auch sei das SE-rechtliche Missbrauchsverbot vorliegend nicht betroffen. Ein Missbrauch der SE könne nur dann angenommen werden, wenn – gemessen an dem Vorher-nachher-Prinzip – Beteiligungsrechte der Arbeitnehmer gemindert würden. Eine solche Minderung sei bei der KG als mitbestimmungsfreier Rechtsform und bei der mitbestimmungsfrei gegründeten Vorrats-SE nicht ersichtlich. Deshalb scheide auch eine analoge Anwendung der Vorschriften des SEBG über die Arbeitnehmerbeteiligung aus.
Schließlich seien auch die Voraussetzungen des § 18 Abs. 3 SEBG nicht erfüllt. Die Übernahme einer Komplementärstellung sei entgegen dem ArbG Bamberg keine strukturelle Änderung. Auch würden Beteiligungsrechte der Arbeitnehmer – wie schon zum Missbrauchsverbot ausgeführt – nicht gemindert. Auf diese Tatbestandsmerkmale könne auch nicht mit der Begründung verzichtet werden, dass im Rahmen der Gründung der SE zuvor Art. 12 SE-VO teleologisch reduziert worden sei. Denn ein Beteiligungsverfahren sei vorliegend nicht erforderlich gewesen, da die SE keine eigenen oder ihr zurechenbare Arbeitnehmer gehabt habe.
BAG weist die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats zurück
Das LAG Nürnberg hat die Rechtsbeschwerde zum BAG zugelassen und der Betriebsrat hat hiervon Gebrauch gemacht und Rechtsbeschwerde eingelegt.
Nun hat das BAG die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats mit Entscheidung vom 26. November 2024zurückgewiesen. Die Entscheidungsgründe liegen zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Beitrags noch nicht vor.
BAG erleichtert den Weg in die SE & Co. KG
Die Entscheidung des BAG ist aus unserer Sicht im Ergebnis richtig und zu begrüßen. Eine nähere Auseinandersetzung mit der Entscheidung und mit weiteren Schlussfolgerungen für den Einsatz von Vorrats-SE im Allgemeinen erfolgt nach Veröffentlichung der Entscheidungsgründe. Aber schon jetzt kann festgehalten werden, dass der Weg in die SE & Co. KG für Unternehmen nunmehr aufgrund der höchstrichterlichen Rechtsprechung erleichtert wird.
*Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Um der leichteren Lesbarkeit willen wird im Beitrag die grammatikalisch männliche Form verwendet.