Globalisierung im Gesellschaftsrecht: Grenzüberschreitende Strukturierungen bieten attraktive Gestaltungsspielräume für Unternehmen!
Mit zunehmender Globalisierung macht auch das Gesellschaftsrecht nicht mehr an den Landesgrenzen halt. Gerade internationale Konzerne haben Tochtergesellschaften auf der ganzen Welt und wählen die jeweilige Rechtsform vor dem Hintergrund der spezifischen Besonderheiten der einzelnen Rechtsordnungen aus. Zu diesen Besonderheiten gehören beispielsweise Bilanzierungsvorschriften, Mitbestimmungsvorgaben, steuerrechtliche Besonderheiten, größere Satzungsautonomie oder liberalere Haftungsregime.
Häufig ziehen Gesellschaften auch über die Landesgrenzen hinweg um, entweder durch Verlegung des Verwaltungs- oder Satzungssitzes (= grenzüberschreitende Sitzverlegung) oder durch eine identitätswahrende Umwandlung in eine nationale Rechtsform des Zuzugsstaates (= grenzüberschreitende Umwandlung). Beide Varianten sind mit erheblichem Gestaltungsspielraum, aber auch mit rechtlichen Fallstricken verbunden, wie die Entscheidung des OLG Oldenburg vom 30. Juni 2020 (12 W 23/20) zeigt.
Grenzüberschreitende Umwandlungen zulässig
Zur grenzüberschreitenden Umwandlung hat der deutsche Gesetzgeber bisher kaum Regelungen getroffen. Normiert ist nur die grenzüberschreitende Verschmelzung, basierend auf EU-Recht.
In der EU ist der Prozess schon weiter fortgeschritten. Auf der Grundlage der Rechtsprechung des EuGH haben das Europäische Parlament und der Rat am 27. November 2019 als Teil des Company Law Package die sogenannte Mobilitätsrichtlinie verabschiedet. Diese enthält unter anderem detaillierte Regelungen zum grenzüberschreitenden Formwechsel und zur grenzüberschreitenden Spaltung sowie Modernisierungen für die bereits europarechtlich geregelte grenzüberschreitende Verschmelzung. Die Richtlinie muss bis zum 31. Januar 2023 in nationales Recht umgesetzt werden.
Dennoch besteht Einigkeit dahingehend, dass grenzüberschreitende Umwandlungen auch ohne entsprechende (ausdrückliche) gesetzliche Regelungen bereits jetzt zulässig sind. Es obliegt deshalb den beteiligten (Rechts-)Beratern, Notaren, Handelsregistern und Gerichten, die Modalitäten über verschiedene Länder hinweg zu koordinieren.
Auch zur grenzüberschreitenden Sitzverlegung gibt es in Deutschland keine gesetzliche Grundlage. Gesellschaften können ihren tatsächlichen Verwaltungssitz rein faktisch überallhin verlegen. Dabei ist anhand der Vorgaben des internationalen Privatrechts der beteiligten Staaten zu prüfen, welche gesellschaftsrechtlichen Konsequenzen eine grenzüberschreitende Sitzverlegung hat.
Im deutschen Recht ist das gesellschaftsrechtliche IPR nicht normiert, sondern besteht aus gewohnheitsrechtlich geprägten Grundsätzen, die zunehmend durch die Rechtsprechung des EuGH zur Niederlassungsfreiheit verändert werden. Trotz entsprechender Überlegungen konnte sich der deutsche Gesetzgeber bisher nicht dazu durchringen, das mittlerweile sehr komplexe und einzelfallorientierte gesellschaftsrechtliche IPR zu normieren.
Handelsregister verweigerte Eintragung mit Begründung, eine grenzüberschreitende Sitzverlegung sei nicht zulässig
Aufgrund der nur sehr rudimentären Normierung gehen grenzüberschreitende Umwandlungen und Sitzverlegungen in der Praxis mit Unsicherheiten einher.
Mit einem grenzüberschreitenden Formwechsel einer Personenhandelsgesellschaft hatte sich jüngst das OLG Oldenburg (Beschluss vom 30. Juni 2020 – 12 W 23/20) zu befassen. In dem zugrundeliegenden Fall hatte eine luxemburgische Investmentfondsgesellschaft in der Rechtsform einer Kommanditgesellschaft (société en commandite simple) ihren Sitz (gemeint ist wohl der Verwaltungssitz) nach Deutschland verlegt und einen Formwechsel in eine Kommanditgesellschaft deutschen Rechts beschlossen. Das deutsche Handelsregister verweigerte die Eintragung unter anderem mit dem pauschalen Hinweis, eine grenzüberschreitende Sitzverlegung sei nicht zulässig, da es an entsprechenden gesetzlichen Regelungen zur Durchführung fehle.
OLG Oldenburg: Grenzüberschreitender Formwechsel von Personengesellschaften vollzieht sich kraft allgemeiner gesetzlicher Grundlagen
Das OLG Oldenburg hat hierzu entschieden, dass ein grenzüberschreitender Formwechsel zwischen Personenhandelsgesellschaften sich nach allgemeinen Vorschriften aufgrund der grenzüberschreitenden Sitzverlegung vollziehe. Genauso wie bei innerdeutschen Sachverhalten ein Wechsel zwischen den verschiedenen Rechtsformen der Personengesellschaften außerhalb des Umwandlungsrechts möglich ist (z.B. durch Eintritt von Kommanditisten in eine oHG), sei auch grenzüberschreitend durch entsprechenden Beschluss und eine zeitgleiche Sitzverlegung nach Deutschland ein Wechsel von der Rechtsform einer ausländischen in die Rechtsform einer deutsche Personengesellschaft möglich.
Hierzu sei im Einzelfall zunächst nach dem Recht des Wegzugsstaates (hier nach luxemburgischem Recht) zu bestimmen, ob der Sitz der Personenhandelsgesellschaft ohne vorherige Auflösung der Gesellschaft identitätswahrend in ein anderes Land verlegt werden könne. Anschließend sei nach dem Recht des Zuzugsstaates (hier nach deutschem Recht) zu entscheiden, ob die zuziehende Gesellschaft identitätswahrend in eine Rechtsform des Rechts des Zuzugsstaates wechseln könne. Beides sei hier der Fall.
Vermischung umwandlungsrechtlicher Fragen mit der Verlegung des Verwaltungssitzes
In dem der Entscheidung des OLG Oldenburg zugrundeliegenden Fall geht es um einen grenzüberschreitenden Formwechsel, der mit einer Sitzverlegung verbunden ist. Leider knüpft das OLG Oldenburg in seiner Entscheidung dennoch hauptsächlich an den Umstand der Sitzverlegung an.
Die Sitzverlegung ist ein rein faktisches Ereignis und findet deshalb nicht zwingend identitätswahrend statt. Vielmehr bestimmt sich nach dem IPR der beteiligten Staaten, welche Rechtsfolge eine Sitzverlegung für die Existenz der Gesellschaft hat. Nach der Rechtsauffassung des OLG Oldenburg war es letztlich nur dem Umstand zu verdanken, dass das luxemburgische Recht eine identitätswahrende Sitzverlegung zulässt, wenn die wegziehende Gesellschaft auch eine Rechtsform des Zuzugsstaates annimmt, dass hier ein identitätswahrender Fortbestand der luxemburgischen KG möglich war. Nach der Entscheidung des OLG Oldenburg stünde den Mitgliedstaaten der EU also das Recht zu, „ihren″ Gesellschaften einen identitätswahrenden Wegzug in andere Mitgliedstaaten zu verbieten, selbst wenn die wegziehende Gesellschaft ihre Rechtsform wechseln möchte.
Tatsächlich ist aber bereits aufgrund der Niederlassungsfreiheit anerkannt, dass ein grenzüberschreitender Formwechsel (auch ein grenzüberschreitender Formwechsel in die der bisherigen Rechtsform entsprechende Rechtsform eines anderen Landes) zulässig ist, solange der Zuzugsstaat nach nationalem Recht einen solchen Formwechsel kennt (VALE-Entscheidung des EuGH vom 12. Juli 2012 – C-378/10). Die Mitgliedstaaten dürfen zwar ohne Beschränkung durch die Niederlassungsfreiheit darüber entscheiden, ob „ihre″ Gesellschaften bei einer Sitzverlegung in einen anderen Mitgliedsstaat die bisherige Rechtsform mitnehmen dürfen (Daily Mail-Entscheidung des EuGH vom 27. September 1988 – 81/87 und Cartesio-Entscheidung des EuGH vom 16. Dezember 2008 – C-210/06). Einen identitätswahrenden Formwechsel dürfen sie aber nicht untersagen.
Da nach deutschem Recht eine KG Zielrechtsform eines nationalen Formwechsels sein kann, muss der identitätswahrende Formwechsel einer luxemburgischen KG in eine deutsche KG grundsätzlich zugelassen werden – und zwar unabhängig davon, ob der Wegzugsstaat eine identitätswahrende Sitzverlegung auch ohne Formwechsel zulässt oder nicht. Weder das luxemburgische noch das deutsche Recht dürfen einen derartigen Formwechsel verbieten.
Das deutsche Recht kann lediglich die Modalitäten vorgeben, also insbesondere die Verlegung des Verwaltungssitzes nach Deutschland verlangen. Diesen Umstand verkennt das OLG Oldenburg in seiner Entscheidung, indem es auf die Sitzverlegung und nicht auf den eigentlich maßgeblichen Formwechsel abstellt.
Trotz hoher Komplexität: Der Blick über den Tellerrand lohnt sich!
Die Entscheidung des OLG Oldenburg zeigt anschaulich, dass grenzüberschreitende Umwandlungen mit zahlreichen komplexen Rechtsfragen einhergehen. Unter anderem spielen die europarechtlich garantierte Niederlassungsfreiheit, Fragen des internationalen Privatrechts, registerrechtliche Fragen und steuerrechtliche Fragen eine Rolle. So muss beispielsweise sowohl nach der Rechtsordnung des Wegzugsstaates als auch nach der Rechtsordnung des Zuzugsstaates jeweils unter Berücksichtigung der Niederlassungsfreiheit bestimmt werden, unter welchen Voraussetzungen eine grenzüberschreitende Umwandlung zulässig ist, welche Formalien eingehalten und welche Behörden in den Prozess einbezogen werden müssen. Gerade auch die zeitliche Koordinierung der einzelnen Schritte und die Anpassung der gesellschaftsinternen Prozesse sind von erheblicher Bedeutung.
Aus steuerlicher Sicht dürften – sowohl für die Gesellschaft als auch den oder die Gesellschafter – insbesondere die Frage nach einer Wegzugsbesteuerung im bisherigen Sitzstaat sowie mögliche steuerliche Folgethemen bei Zurückbehaltung einer Betriebsstätte im Wegzugsstaat relevant sein.
Die Rechtsfolgen von Fehlern bei der Strukturierung einer grenzüberschreitenden Umwandlung oder Sitzverlegung sind einschneidend und können schlimmstenfalls sogar zur unerkannten Auflösung der Gesellschaft sowie zu erheblichen Steuerbelastungen führen. Teilweise werden diese Rechtsfolgen auch nicht sofort erkannt, sondern fallen eventuell erst Jahre später auf, zum Beispiel im Rahmen eines Unternehmensverkaufs. Eine grenzüberschreitende Umwandlung oder Sitzverlegung sollte deshalb unter Hinzuziehung professioneller Berater intensiv vorbereitet und präzise umgesetzt werden, um unerwartete und unerwünschte Ergebnisse zu vermeiden.
Trotz dieser Komplexität lohnt sich der „Blick über den Tellerrand″. Fremde Rechtsordnungen mögen auf den ersten Blick ungewohnt erscheinen, bieten aber zusätzliche Gestaltungsoptionen, die für viele Unternehmen attraktiv sein könne.