29. April 2024
chinesische Immobilienkrise
Restrukturierung und Insolvenz

Die chinesische Immobilienkrise und deren Auswirkungen auf den deutschen Markt

Die Immobilienkrise in China weitet sich aus: Was sind die Ursprünge der Probleme des chinesischen Immobiliensektors, die sich seit Jahren ausweitet und nun droht auf den Finanzsektor überzugreifen?

Die Immobilienkrise in China sorgte in den vergangenen Jahren regelmäßig für Schlagzeilen. Aufgrund der Größe der chinesischen Volkswirtschaft und ihrer internationalen Verflechtungen liegt es nahe, dass eine Eskalation dieser Krise auch für Deutschlands Immobilienmarkt und die Wirtschaft im weiteren Sinne Konsequenzen haben könnte. In diesem Beitrag sollen die Ursachen, Entwicklungen sowie Auswirkungen der chinesischen Immobilienkrise beleuchtet sowie Zukunftsaussichten dargestellt werden.

Ursachen der Immobilienkrise in China

In das Bewusstsein der meisten westlichen Beobachter* rückten die Probleme am chinesischen Immobilienmarkt im Sommer 2021. Liquiditätsprobleme bei dem wohl bekanntesten Protagonisten der Krise, der China Evergrande Group, führten dazu, dass Ratingagenturen ihre Kreditratings für das Unternehmen herabsetzten. Evergrande konnte im Herbst 2021 fällige Zinszahlungen nicht leisten und nach jahrelangen Versuchen der Sanierung wurde nun am 29. Januar 2024 durch ein Hongkonger Gericht die Liquidation des Unternehmens angeordnet. Dies sind jedoch nur die Symptome einer Krise, deren Ursprung weiter zurückliegt und mehrere Ursachen hat:

Überhitzung des Immobilienmarktes

Aufgrund des rasanten wirtschaftlichen Aufschwungs Chinas in den 2000er und 2010er Jahren explodierte die Nachfrage nach Immobilien, da große Teile der Landbevölkerung in die Städte zogen, um von der dortigen ökonomischen Entwicklung zu profitieren. Die Verstädterungsrate in China stieg von 19 % im Jahr 1980 auf ca. 64 % im Jahr 2022 an. Im Zuge dieser Urbanisierung wuchsen die Städte rasant, immer mehr Wohnraum wurde benötigt.

In der chinesischen Gesellschaft gilt Immobilieneigentum oftmals als im Vergleich zu Aktien oder Fonds sicherere Anlagemöglichkeit. Ferner sehen viele Chinesen in Zeiten des Junggesellenüberschusses als Auswirkung der Ein-Kind-Politik ein eigenes Heim als notwendige Voraussetzung für eine Ehe.  Die übermäßige Nachfrage an Wohnraum konnte kaum gesättigt werden, sodass ein Bauboom zu überhöhten Immobilienpreisen ausbrach.

Der Immobiliensektor gewann durch diese Entwicklung enorm an Bedeutung und macht heute gemeinsam mit dem Bausektor ungefähr ein Viertel des chinesischen Bruttoinlandsproduktes aus.

Zurückhaltende Regulierung

Begünstigt wurden die aktuellen Entwicklungen durch ein geringes Maß an Regulierung und gleichzeitig hohe Erwartungen an den Beitrag des Immobiliensektors zu den Staatszielen. 

Zum einen benötigen die regionalen Regierungen in China Erlöse aus Grundstücksverkäufen an private Investoren, um lokale Projekte zu finanzieren und beschlossene Wachstumsziele zu erreichen. Durch die restriktive Freigabe von Bauflächen bei einer hohen Nachfrage konnten die Kaufpreise für Grundstücksflächen hochgehalten werden.

Zum anderen wurden großen Immobilienentwicklern und auch deren Investoren lange Zeit weite Handlungsspielräume gelassen. Die Branche wurde kaum reguliert, um das Wachstum nicht zu gefährden.

Die zurückhaltende Regulierung wurde durch Investment- und Treuhandfonds gewinnbringend genutzt. So unterstützten insbesondere Finanzunternehmen, die keine Banklizenz haben, aber im Auftrag von Investoren Geld anlegen und Vermögensverwaltungsprodukte an Kleinanleger verkaufen den Bausektor. Jahrelang wurden bevorzugt regionale und lokale Kredite vergeben, die durch Investoren und Konzerne angenommen wurden, wenn die Staatsbanken ablehnten. Auch öffentliche Stakeholder nutzten diese Vehikel, um bei drohenden Kreditausfällen gegenüber Staatsbanken die städtische Entwicklung voranzutreiben.

Diese Umstände führten dazu, dass Immobilienkonzerne während des Baubooms aggressiv expandierten und diese Expansion über Anleihen und Kredite finanzierten. Die Immobilienentwickler verschuldeten sich zunehmend, allein Evergrande hatte im September 2021 Schulden in Höhe von 2 Billionen RMB (umgerechnet zu dem Zeitpunkt ca. USD 300 Mrd.). Viele Unternehmen verkauften zur Finanzierung ihrer Expansion die Wohnungen schon vor deren Fertigstellung, um die Erlöse in neue Projekte investieren zu können.

Marktentwicklungen der letzten Jahre: Sinkende Nachfrage und Preise

Die Blase des überhitzten Immobilienmarktes drohte bereits im Zuge der Coronakrise erstmals zu platzen. Die wirtschaftliche Verunsicherung der Konsumenten und das rückläufige Bevölkerungswachstum (damit einhergehend der Urbanisierungsrate) führten zu einem Rückgang der Binnennachfrage für Immobilien.

Konsequenz der sinkenden Nachfrage bei weiterhin großem Angebot war, dass auch die Preise für Immobilien sanken. Die Deflation verstärkte die bereits vorhandene Investitionsaversion. Die von vielen großen Immobilienentwicklern verfolgte Strategie funktionierte nur so lange, wie auch die Preise stiegen und die Schulden durch frischen Cashflow bedient werden konnten. Durch den ausbleibenden Geldfluss kamen die großen Immobilienunternehmen in Liquiditätsprobleme und gerieten in wirtschaftliche Schieflage. 

Auch Investmentfonds sahen angesichts der Krise von weiteren Investitionen in die großen chinesischen Bauunternehmen ab, was deren Liquiditätsprobleme vergrößerte. 

Anpassung der Kreditbedingungen

    Inmitten des ersten Corona-Lockdowns im August 2020 wurde die Regulierung bezüglich der Verschuldung der großen Immobilienkonzerne verschärft. Die Regulierung sieht die Implementierung von sog. „drei roten Linien“ vor, die die Verhältnisse von Schulden zu Eigenkapital, Barmitteln und Aktiva vorschreiben. Ziel der Regulierung ist es, die aggressive Schuldenfinanzierung der Immobilienkonzerne zu unterbinden und hierdurch den Markt zu stabilisieren. Ein erkennbarer Erfolg dieser Regulierung ist jedoch (bisher) ausgeblieben. Die notleidenden Kredite bei den vier großen chinesischen Banken stiegen im Jahr 2023 um 10,4 % von CNY 1,117 Billionen, etwa USD 155 Milliarden, im Jahr 2022 auf CNY 1,23 Billionen.

    Gleichzeitig drängt Peking Medienberichten zufolge die Kreditinstitute, die Finanzierung für Bauträger zu verbessern. Am 26. Januar 2024 wurde das „Project Whitelist″ gestartet, in dessen Rahmen die Behörden von 35 Städten den Banken Wohnbauprojekte, die finanzielle Unterstützung benötigen, empfehlen. 

    Zusammenbruch der Immobilienentwickler und Auswirkungen in China

    Die genannten Marktentwicklungen führten dazu, dass inzwischen ca. 75 % der größten Bauträger Chinas des Jahres 2020 zahlungsunfähig geworden sind. Symptomatisch steht hierfür Evergrande: nach den bekannt gewordenen Finanzproblemen im Jahr 2021 wurde der Handel mit der Evergrande Aktie mehrfach ausgesetzt, im August 2023 beantragte das Unternehmen in den USA Gläubigerschutz nach Chapter 15 des US Bankruptcy Code. Die Folgen des Urteils vom 29. Januar 2024 sind noch abzuwarten, gerade da die Gefahr besteht, dass die Volksrepublik China das Urteil aus Hongkong nicht anerkennt.

    Die finanziellen Probleme bei den Immobilienunternehmen führten zu Baustopps bei Wohnungsbauprojekten, die nach der gängigen Praxis bereits verkauft waren. Die Investmentbank Nomura schätzte im November 2023, dass es in ganz China rund 20 Millionen unfertige Wohnungen gibt. Die gesamte Finanzierungslücke für die Fertigstellung dieser Projekte belief sich Nomura zufolge auf rund USD 446 Mrd. Wütende Käufer stellten Zahlungen auf ihre Immobilienfinanzierungen ein, was die Liquiditätsprobleme der Unternehmen weiter verstärkte. Die kritische Situation der Immobilienentwickler bedroht nun auch abhängige Industrien wie die Bau- und Zulieferindustrie und dadurch auch die Arbeitnehmer dieser Branchen. Ebenso sind die finanzierenden Institutionen mittelbar durch Kreditausfall bedroht.

    Auswirkungen auf die internationalen Märkte und die Baubranche: Investitionen in den deutschen Immobilienmarkt

    Chinesische Firmen und, soweit möglich, Staatsbürger investierten in den Jahren vor der Corona-Pandemie in erheblichem Maße in ausländische Immobilien, darunter auch in Deutschland. Nachdem der nationale Markt immer unattraktiver wird, suchen wohlhabende Chinesen und chinesische Unternehmen nach Möglichkeiten ihr Vermögen international anzulegen. Beispielhaft wird hier die Beteiligung des chinesischen Staatskonzerns Cosco am Hamburger Hafen genannt. Als Reaktion auf das gesteigerte Interesse aus Fernost plant das deutsche Wirtschaftsministerium ein neues Investitionsprüfgesetz. Die EU-Kommission stellte vergangenes Jahr ihre Economic Security Strategy vor, mit welcher u.a. wirtschaftliche Abhängigkeiten von China verringert werden sollen.

    Auswirkungen auf die deutsche Baubranche

      Auch die deutsche Baubranche steckt in der Krise, da die Baupreise steigen und die Zahl der Bauaufträge sinkt. Allerdings sehen die meisten Experten die Gründe hierfür nicht mit dem chinesischen Markt verbunden. Vielmehr werden als Gründe hohe Baukosten, steigende Zinsen und die Stornierung von nicht mehr durchzuführenden Projekten angeführt. Gerade in Kommunen fehlt laut des Präsidenten des Zentralverbands Deutsches Baugewerbe oft das Geld für öffentliche Bauaufträge.

      Die chinesische Immobilienkrise könnte jedoch in der Zukunft einen positiven Effekt für deutsche Bauunternehmen haben: durch die niedrige Nachfrage nach Baurohstoffen in China könnten sich die hohen Materialpreise entspannen, die der Branche in Deutschland aktuell zu schaffen machen.

      Effekte auf den deutschen Exportmarkt

      Das schwächere Wachstum der Unternehmen und der Konsumrückgang treffen auch die Exporteure nach China. Besonders belastend ist hier, dass China trotz der Abwertung seiner Währung eine Deflation erlebt. Somit müssen sich deutsche Firmen mit den niedrigen Preisen der chinesischen Konkurrenz messen. Darüber hinaus sind viele internationale Unternehmen direkt im chinesischen Immobilienmarkt tätig oder von ihm abhängig und sind von einem weiteren Abschwung ebenfalls betroffen.

      Deutsche Unternehmen und Investoren, die auf dem chinesischen Markt agieren, können ausstehende Forderungen mit einem entsprechenden Titel eines chinesischen Gerichts mittels Zwangsvollstreckung eintreiben. Die Zwangsvollstreckung ist jedoch nur möglich, solange noch kein Insolvenzantrag gegen das chinesische Unternehmen gestellt wurde. 

      Einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens in China selbst zu stellen ist umständlich und teuer. Gläubiger chinesischer Firmen sollten die finanzielle Situation ihrer Vertragspartner genauestens beobachten. 

      Globale wirtschaftliche Verunsicherung

      Die Krise auf dem chinesischen Immobilienmarkt könnte ferner globale Auswirkungen haben. Für das Jahr 2023 wird der Anteil am kaufkraftbereinigten globalen BIP von China durch den Internationalen Währungsfonds auf rund 18,82 % prognostiziert. Der IMF prognostiziert China für das Jahr 2024 ein BIP-Zuwachs in Höhe von 4,6 %, im Jahr 2023 waren es noch 5,2 %. Mit Investitionsimpulsen wie in der Finanzkrise 2018, als die chinesische Wirtschaft den weltweiten Turnaround stimulierte, ist zumindest aus der Immobilienbranche nicht zu rechnen.

      Ferner besteht die Gefahr des sog. Spillover-Effekts, bei dem finanzielle Instabilitäten in einem Land oder Sektor auf andere übergreifen. Ein erheblicher Teil der Schulden von Unternehmen wie Evergrande und Country Garden Holdings besteht aus international gehandelten Anleihen. Der Handel mit Papieren von Country Garden an der Hongkonger Börse wurde bereits eingestellt, da diese ihre Bilanz für 2023 nicht fristgerecht vorlegen konnte. Durch die Unsicherheiten auf dem chinesischen Markt und die Gefahr der eigenen Verlustgeschäfte könnte das globale Investitionsinteresse zurückgehen.

      Ausblick – Wie reagiert die Volkrepublik?

        Chinas Zentralbank und deren Finanzaufsichtsbehörde haben bekannt gegeben, dass sie Regeln für die Kreditaufnahme lockern wollen, um mögliche Hauskäufer zu unterstützen. Die Regierung erwägt, den schwächelnden Markt mit einem Maßnahmenpaket von ca. USD 300 Mrd. zu unterstützen. Diese Maßnahmen wären die bisher größten, um die Finanzierungslücke für die Fertigstellung von rund 20 Millionen unvollständigen, bereits verkauften Einheiten in ganz China zu schließen. Großstädte wollen zudem den Menschen Vorzugskredite zum Kauf eines Eigenheims gewähren.

        Das „Projekt Whitelist″ soll die zögernden Kreditinstitute dazu bewegen, Kredite zur Fertigstellung der Bauprojekte zur Verfügung zu stellen. Mutmaßlich werden die Kreditinstitute jedoch eher größere, staatliche Bauträger bevorzugen als ihre kapitalschwachen, privaten Konkurrenten. 

        Ob diese Maßnahmen den angeschlagenen Markt stabilisieren können, bleibt abzuwarten. Die letzten Zahlen des auf Immobilien spezialisierten Forschungsinstituts China Index Academy verzeichneten einen Anstieg des durchschnittlichen Wohnungspreises in 100 ausgewählten Städten im Vergleich zum Vormonat um 0,27 Prozent. Für ausländische Investoren und den deutschen Markt bleibt dennoch weiterhin unklar, in welchem Maße sich die instabile Marktlage auswirkt. Die Hoffnung ist, dass China die Krise selbst auffangen kann. Ansonsten könnte die Liquidation von Evergrande für die globale Wirtschaft der erste Meilenstein eines massiven Abschwungs darstellen.

        * Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Um der leichteren Lesbarkeit willen wird im Beitrag die grammatikalisch männliche Form verwendet.

        Tags: chinesische Immobilienkrise Restrukturierung und Insolvenz