IT-Projekte sind komplexe Vorhaben in einem herausfordernden Umfeld – weder das Projekt noch dessen Teilschritte können isoliert betrachtet werden.
Nahezu jedes Unternehmen führt mit einer gewissen Regelmäßigkeit IT-Projekte durch – mal kleinere, mal größere. Sobald diese Projekte über den Erwerb einer kommerziell erhältlichen Standardsoftware hinausgehen, bringen diese regelmäßig eine nicht zu unterschätzende Komplexität mit sich. Sowohl auf Seiten des Auftraggebers als auch auf der des Auftragnehmers zeigt sich diese Komplexität in erster Linie in Form vielfältiger Abhängigkeiten. Diese Abhängigkeiten sind sowohl im Rahmen der unmittelbaren Umsetzung des Projekts selbst (d.h. auf dem Weg von Projektstart zu Projektabschluss) als auch darüber hinaus (d.h. im Vorfeld zum Projektstart und bezüglich der Nutzung des Projektergebnisses nach Projektabschluss) zu beachten. Sie existieren sowohl in technisch-fachlicher und kommerzieller als auch in rechtlicher Hinsicht.
Technische Abhängigkeiten
Rein technische Abhängigkeiten werden erfahrungsgemäß von vielen Unternehmen gut erkannt und durch die Fachabteilungen zutreffend bewertet. Das betrifft insbesondere die Frage, welche Optionen zur Erreichung des mit dem IT-Projekt verfolgten Ziels aus technischer Sicht überhaupt infrage kommen. Zu berücksichtigen sind hier insbesondere Abhängigkeiten von im Unternehmen vorhandener Soft- und Hardware. Dazu gehören zum Beispiel Fragen wie „Welche Software ist überhaupt auf den Unternehmensservern oder den PCs der Mitarbeiter lauffähig?″, „Ist die neue Software mit der bestehenden Softwarelandschaft kompatibel?″ oder „Kann die Software den erwarteten Workload bewältigen?″. Hier gilt es, Schnittstellen zu identifizieren und zu spezifizieren. Unternehmen sollten zudem auf die Kompatibilität verschiedener Datenformate achten.
Organisatorische Abhängigkeiten
Abhängigkeiten ergeben sich auch aus dem eigentlichen Projektablauf: IT-Projekte sind schon aus technischer Notwendigkeit untergliedert in eine Vielzahl an Arbeitsschritten oder Projektphasen. Diese werden schrittweise oder parallel in diversen Workstreams und oft auf viele Köpfe verteilt abgearbeitet. Es ist für die Parteien bereits im Rahmen der Vertragsverhandlungen entscheidend, ein umfassendes Verständnis vom geplanten Projektablauf zu gewinnen. Dazu gehört auch, zu antizipieren, wo gegebenenfalls Abweichungen oder Verzögerungen zu erwarten sind:
IT-Projekte werden zumeist in mehreren Phasen durchgeführt. Ein IT-Projekt besteht oft zumindest aus einer Planungsphase, einer Entwicklungsphase, einer Testphase sowie einer Einführungsphase. Mitunter wird auch die Nutzung des Projektergebnisses im Sinne einer Betriebs- oder Produktivphase noch als Teil des Projekts gesehen. In der Regel kann keine der genannten Phasen beginnen, bevor nicht die jeweils vorhergehende abgeschlossen ist. Eine objektive und umfassende Evaluierung des Projekts ist Voraussetzung für die Festlegung realistischer Projekttermine. Sie zeigt auch Risiken auf, die zu einer Verzögerung einzelner Projektphasen und damit des Gesamtprojekts führen können.
Das Zusammenspiel von Leistungen und Mitwirkungspflichten
Die allerwenigsten Projekte sind mit der Erbringung einer Leistung durch den Auftragnehmer und der Zahlung der Vergütung durch den Auftraggeber im Gegenzug erledigt. Oft ist es erforderlich, dass der Auftraggeber oder durch ihn beauftragte Dritte mitunter umfangreiche Mitwirkungsleistungen erbringen, um eine erfolgreiche Umsetzung des Projekts überhaupt erst zu ermöglichen. So muss der Auftraggeber etwa dem Auftragnehmer bestimmte Zugriffe auf das bestehende System gewähren, in welches das Projektergebnis zu integrieren ist. Oder bestehende Daten müssen in ein anderes Format überführt werden, damit die Daten aus dem Bestandssystem in der neu projektierten Lösung weiterverwendet werden können. Häufig sind zudem ausführliche Tests erforderlich, um Zwischenergebnisse freizugeben, damit der Auftragnehmer auf dieser Grundlage mit der weiteren Arbeit fortfahren kann.
Durch dieses Zusammenspiel wechselseitiger Leistungen sind Projekte oft auch für den Auftraggeber ressourcenintensiv. Dabei ist nicht nur der Blick auf die Leistungsfähigkeit des Anbieters gefordert, sondern auch die Introspektive in die eigene Organisation: Wie weitgehend verändert sich die IT-Systemlandschaft durch die Umsetzung des Projekts? Ist das neue System technisch kompatibel mit allen erforderlichen Schnittstellen? Müssen bestimmte Systeme übergangsweise im Parallelbetrieb laufen? Sind die IT-Abteilung und gegebenenfalls weitere Fachabteilungen personell und fachlich gut genug aufgestellt, um gleichzeitig weiter das Alltagsgeschäft abzuwickeln und dennoch im erforderlichen Umfang im Projekt mitzuwirken?
Nur auf Grundlage einer realistischen Planung und eines umfassenden Verständnisses der erforderlichen Projektleistungen und deren Abhängigkeiten zueinander kann eine fachlich wie kommerziell tragfähige Einigung erzielt werden. Diese Einigung muss selbstverständlich auf eine solide vertragliche Basis gestellt werden. Dies dient dazu, das gemeinsame Verständnis rechtlich bindend festzuhalten und die wechselseitigen Erwartungen und Verpflichtungen klar zu dokumentieren.
Das IT-Projekt und gesetzliche Rahmenbedingungen
Abhängigkeiten spielen aber nicht nur auf der kommerziellen oder fachlichen Ebene, sondern auch aus juristischer Sicht eine Rolle. Gerade IT-Projekte bringen oft einen bunten Strauß an rechtlichen Aspekten mit sich, die erheblichen Einfluss auf das Projekt haben. Viele bei oberflächlicher Betrachtung rein fachliche oder technische Themen sind bei genauerem Hinsehen auch rechtlich brisant. Nur wenn Unternehmen das Zusammenspiel der diversen rechtlichen Rahmenbedingungen ausreichend berücksichtigen, kann das Projekt zuverlässig zum Erfolg geführt werden:
Klassischerweise kommt es bei vielen IT-Projekten zunächst zu arbeitsrechtlichen Fragestellungen: So haben etwa bei der Frage, ob eine neue Software eingeführt wird, oft nicht nur die Einkaufsabteilung und die IT-Abteilung aus fachlicher Notwendigkeit ein Mitspracherecht. Die Durchführung des Projekts kann vielmehr unter Umständen auch von der Zustimmung des Betriebsrats abhängig sein.
Nicht immer halten Auftraggeber zudem selbst ausreichendes Personal vor, um größere IT-Projekte über einen längeren Zeitraum umsetzen zu können. Es ist daher etablierte Praxis, externe Kräfte für solche Projekte hinzuzuziehen. Ob und unter welchen Voraussetzungen ein solcher Projekteinsatz externer Kräfte im Einzelfall möglich ist, ist abhängig von den konkreten Umständen. Dies erfordert eine kompetente Bewertung der rechtlichen Situation, um Stolpersteine wie die unerlaubte Arbeitnehmerüberlassung oder Scheinselbstständigkeit zu vermeiden.
Wird ein IT-Projekt im Konzern umgesetzt und fließen Leistungen zwischen einzelnen Konzernunternehmen (z.B., wenn die US-Muttergesellschaft die Server zur Verfügung stellt, auf denen die IT-Spezialisten einer irischen Tochterfirma die neue Software für den Einsatz bei der deutschen Tochterfirma implementieren) sollte betriebswirtschaftlicher und steuerrechtlicher Sachverstand zurate gezogen werden. Hier drängt sich insbesondere das Thema Verrechnungspreis auf.
Viele technische Weichenstellungen haben auch rechtliche Konsequenzen: Werden in einem System personenbezogene Daten verarbeitet (z.B. bei der Abwicklung der Lohnbuchhaltung oder dem Hosting der HR-Daten des Unternehmens), ist die Entscheidung zwischen einer On-Premise-Lösung und einem Cloud-System nicht nur eine technische Frage. Sobald sich der Verantwortliche zur Datenverarbeitung eines Dritten bedient, sei es durch die Auslagerung der personenbezogenen Daten in die Cloud oder durch die Übernahme des kompletten Prozesses durch einen externen Dienstleister, sind datenschutzrechtliche Vorgaben zu beachten, allen voran die DSGVO. Die Machbarkeit eines solchen Projekts ist dann unter anderem davon abhängig, wo die Datenverarbeitung künftig erfolgen soll, welche technischen und organisatorischen Maßnahmen der Dienstleister zum Schutz personenbezogener Daten implementiert hat oder welche Art von Daten konkret verarbeitet werden.
Bietet das mit dem Projekt zu implementierende System sogenannte „Dienste der Informationsgesellschaft″, können Vorgaben der europäischen Plattformregulierung relevant werden: Anfang 2024 sind erhebliche Neuerungen der Plattformregulierung auf europäischer Ebene wie auch auf Ebene der Mitgliedstaaten in Kraft getreten. Diese können erheblichen Einfluss auf die Gestaltung von Websites, Onlineshops oder sonstigen digitalen Angeboten haben. Die Ausgestaltung eines entsprechenden Projekts und die Wahl des Dienstleisters oder des konkreten Produkts werden auch davon abhängen, ob (und wenn ja, wie) die Compliance des Auftraggebers mit den regulatorischen Anforderungen sichergestellt werden kann.
Insbesondere bei Projekten mit internationalen Bezügen sind zudem unter anderem exportkontrollrechtliche sowie sanktionsrechtliche Fragestellungen ebenso zu berücksichtigen wie die Vorgaben des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes. Darf ein Anbieter seine Software unter Gesichtspunkten der Exportkontrolle in die anvisierten Drittländer liefern? Darf ein Kunde Software oder Dienstleistungen der Region, in der der Anbieter sitzt oder seine Leistungen erbringt, beziehen? Kann der Kunde bei der Beauftragung des Anbieters sicherstellen, dass er seine menschenrechtlichen und umweltbezogenen Sorgfaltspflichten im Sinne des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes einhalten kann? Bei Verstößen gegen entsprechende Vorschriften sehen sich Unternehmen diversen gravierenden Sanktionen ausgesetzt. Im Raum stehen neben empfindlichen Bußgeldern der Ausschluss von der Vergabe öffentlicher Aufträge sowie sogar strafrechtliche Haftung.
Selbstgewählte Abhängigkeiten – Vertragliche Verpflichtungen
Neben den vorgenannten gesetzlichen Aspekten sind auch vertragsrechtliche Punkte zu berücksichtigen. Im Normalfall befindet sich ein Unternehmen in vertraglichen Abhängigkeiten zu diversen Drittunternehmen, die allesamt einen Einfluss auf das geplante Projekt haben können.
Im Verhältnis zu den Zulieferern und Dienstleistern des Unternehmens kommen in erster Linie Exklusivitätsvereinbarungen in Betracht, die den Bezug eines Systems von einem anderen Anbieter vollständig verbieten oder zumindest kommerzielle Belastungen (z.B. Strafzahlungen oder höhere Preise) nach sich ziehen können. Spiegelbildlich dazu sind natürlich auch den Anbieter beschränkende Exklusivitätsvereinbarungen denkbar, die den Anbieter daran hindern, die erforderliche Projektleistung gegenüber dem Auftraggeber des IT-Projekts zu erbringen (etwa, weil er sich verpflichtet hat, diese Leistung nur an einen bestimmten anderen Kunden zu erbringen).
Oft bestehen aber auch vertragliche Abhängigkeiten im Verhältnis zu Kunden des Unternehmens, das das IT-Projekt realisieren möchte. Bestehen Kunden gegenüber beispielsweise Verpflichtungen zum Einsatz einer bestimmten Software zur Leistungserbringung, kann diese nicht ohne Weiteres ausgetauscht werden. Es ist entweder eine Vertragsanpassung erforderlich oder (für die entsprechende Vertragslaufzeit) der Weiterbetrieb der alten Software parallel zum neuen System für diesen Kunden.
Soll ein System nicht nur ergänzt, sondern teilweise oder vollständig gegen ein anderes ersetzt werden, ist rechtzeitig zu analysieren, welche Unterstützung seitens des alten Anbieters erforderlich ist und inwieweit dieser vertraglich dazu verpflichtet ist, diese Unterstützungsleistungen zu erbringen.
Abhängigkeiten adressieren – Klarheit schaffen und Probleme lösen
Die vielfältigen Abhängigkeiten stellen Anbieter und Kunden gleichermaßen vor Herausforderungen. Diese sind zwar in den seltensten Fällen echte „Dealbreaker″, erfordern aber in sämtlichen Fällen kompetente Beratung, um Risiken erkennen, bewerten und gegebenenfalls eindämmen zu können. Voraussetzung für die Bewältigung dieser Herausforderungen ist eine gründliche Planung des IT-Projekts. IT-Projekte stehen nicht isoliert für sich im luftleeren Raum, ihr Erfolg hängt von einer Vielzahl interner und externer Faktoren ab. Vor diesem Hintergrund ist es entscheidend, diese Faktoren im Auge zu behalten, die relevanten Abhängigkeiten zu identifizieren und umfassend und transparent vertraglich zu regeln.
Wir informieren Sie in unserer Blog-Serie zu IT-Projekten fortlaufend mit aktuellen Beiträgen zu diesem Thema. Sie können diese Blog-Serie über den RSS-Feed abonnieren und werden von uns über neue Beiträge informiert. Den Auftakt zur Blogserie hat der Einführungsbeitrag „IT-Projekte – mit Vertragsgestaltung zum Erfolg″ gemacht, gefolgt von dem Beitrag „Vertragstyp bei IT-Projekten – eine bewusste Wahl“ und „Die Bedeutung von Mitwirkungsleistungen in IT-Projektverträgen“.