Die ordnungswidrigkeitsrechtliche Unternehmensgeldbuße soll künftig durch Verbandsgeldsanktionen ersetzt werden – die geplanten Vorschriften auf dem Prüfstand.
Strafzahlungen in Milliardenhöhe kennen deutsche Unternehmen bislang nur aus dem europäischen Kartellrecht oder aus ausländischen Rechtsordnungen. Die Verhängung existenzbedrohender Strafen kann jedoch zukünftig auch in deutschen Straf- und Sanktionsverfahren Realität werden. Ein DAX-Unternehmen mit einem durchschnittlichen Jahresumsatz von rund EUR 45,0 Mrd. könnte im Falle einer Sanktionierung wegen einer vorsätzlichen Unternehmensstraftat nach dem geplanten Verbandssanktionengesetz zu einer Verbandsgeldsanktion von bis zu EUR 4,5 Mrd. verurteilt werden.
Wenn man dies mit dem bislang geltenden Höchstmaß von EUR 10,0 Mio. aus dem Ordnungswidrigkeitenrecht vergleicht, bringt der Referentenentwurf zum Verbandssanktionengesetz einen fundamentalen Wandel mit sich.
Die neuen Sanktionsregelungen des geplanten Verbandssanktionengesetzes im Überblick
Der Referentenentwurf des Gesetzes zur Bekämpfung der Unternehmenskriminalität und insbesondere die Einführung eines Verbandssanktionengesetzes (VerSanG-E) sorgt für hitzige Diskussionen. Neben der Verwarnung mit Verbandsgeldsanktionsvorbehalt, der öffentlichen Bekanntmachung der Verurteilung des Unternehmens und der ultima-ratio Möglichkeit der Unternehmensauflösung sieht der Referentenentwurf die Möglichkeit der Sanktionierung von Unternehmen durch Verbandsgeldsanktionen vor (§ 9 VerSanG-E).
Auf den ersten Blick scheint sich das Höchstmaß der Verbandsgeldsanktion an das im Ordnungswidrigkeitenrecht geltende Höchstmaß der gegen juristische Personen und Personenvereinigungen verhängbaren Geldbuße zu orientieren: Die Verbandsgeldsanktion soll bei vorsätzlichen Unternehmensstraftaten höchstens EUR 10,0 Mio., bei fahrlässigen Unternehmensstraftaten höchstens EUR 5,0 Mio. betragen (sog. Grundfall).
Auf den zweiten Blick kann die Verbandsgeldsanktion jedoch neuerdings auch, wie bereits aus dem Individualstrafrecht bekannt, an die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Sanktionsadressaten gekoppelt werden: Richtet sich das Strafverfahren nämlich gegen ein Unternehmen, das
- einen auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichteten Zweck verfolgt und
- einen durchschnittlichen Jahresumsatz von mehr als EUR 100,0 Mio. hat (sog. Ausnahmefall),
kann die Verbandsgeldsanktion – bei vorsätzlichen Unternehmensstraftaten – bis zu 10 % des durchschnittlichen Jahresumsatzes, bei Fahrlässigkeit der Unternehmensstraftat bis zu 5 % des durchschnittlichen Jahresumsatzes betragen.
OWiG | VerSanG-E | Unterschied | |
Fahrlässigkeit (Grundfall) |
EUR 2,50 bis
EUR 5.000.000,00 |
EUR 500 bis EUR 5.000.000,00 |
Mindestmaß höher |
Vorsatz (Grundfall) |
EUR 5,00 bis
EUR 10.000.000,00 |
EUR 1.000,00 bis
EUR 10.000.000,00 |
Mindestmaß höher |
Fahrlässigkeit (Ausnahmefall) | EUR 2,50 bis
EUR 5.000.000,00 |
EUR 5.000,00 bis 5% des durchschnittlichen Jahresumsatzes |
Mindest- und Höchstmaß höher |
Vorsatz (Ausnahmefall) |
EUR 5,00 bis
EUR 10.000.000,00 |
EUR 10.000,00 bis 10% des durchschnittlichen Jahresumsatzes |
Mindest- und Höchstmaß höher |
Konzernstrukturen auf dem Prüfstand: Verbandsgeldsanktionen orientieren sich an den Umsätzen einer „wirtschaftlichen Einheit“
Wie bereits aus dem Kartellrecht bekannt, wird der durchschnittliche Jahresumsatz eines Konzernunternehmens am weltweiten Umsatz aller mit diesem als wirtschaftliche Einheit operierenden natürlichen Personen und Verbände der letzten drei Geschäftsjahre bemessen.
Als wirtschaftliche Einheit wird die Zusammenfassung derjenigen Rechtsträger verstanden, die mit dem betroffenen Unternehmen in einem Konzernverbund unter einheitlicher Leitung stehen. Tochtergesellschaften eines Konzerns mit wesentlich geringerem Umsatz als der Konzern selbst könnten so allein aufgrund der bestehenden Konzernstruktur schnell in große finanzielle Schwierigkeiten geraten.
Hinzu kommt, dass für die Rahmenwahl der Verbandsgeldsanktion auf den Zeitpunkt der Verurteilung und nicht auf den Tatzeitpunkt abzustellen ist. Dies hat zur Folge, dass ein Konzern bei der Übernahme eines Unternehmens mitunter erheblichen finanziellen Risiken ausgesetzt sein könnte. Bei künftigen M&A Transaktionen wird deshalb eine präzise Prüfung strafrechtlicher Risiken im Rahmen der Due Diligence unumgänglich sein.
Die sonstigen wirtschaftlichen Verhältnisse des Unternehmens als Korrektiv
Im Rahmen der Bemessung der Verbandsgeldsanktion sind auch die wirtschaftlichen Verhältnisse des Unternehmens miteinzubeziehen (§ 16 Abs. 3 VerSanG-E). Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, ob die Verbandsgeldsanktion für das Unternehmen zu einer Existenzgefährdung führen kann, Arbeitsplätze konkret gefährdet werden oder ein Insolvenzverfahren eingeleitet werden müsste.
Gerade wenn die Bemessung der Unternehmenssanktionierung im Ausnahmefall (§ 9 Abs. 2 VerSanG-E) nach dem Konzernumsatz erfolgt und das sich hieraus ergebende Sanktionsniveau die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Unternehmens übersteigt, könnte eine mildernde Berücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse das Unternehmen vor existentiellen Schwierigkeiten bewahren.
Existenzbedrohender Sanktionsrahmen vs. Präventivwirkung bei umsatzstarken Unternehmen
Die in § 30 Abs. 2 OWiG normierte starre Bußgeldobergrenze von EUR 10,0 Mio. kann von großen Unternehmen regelmäßig als „hinnehmbares Risiko″ einkalkuliert werden und entfaltet damit bei umsatzstarken Unternehmen mitunter eine gegenüber kleineren Unternehmen erheblich verringerte Präventivwirkung. Demgegenüber hat die Einführung einer sich am durchschnittlichen Jahresumsatz orientierenden Sanktionsobergrenze zur Folge, dass auch umsatzstarke Unternehmen durchaus empfindliche Geldsanktionen treffen können. Abhängig von Unternehmensgröße und Tat ist es bei Verbandsgeldsanktionen nach dem VerSanG-E denkbar, dass Strafzahlungen in Milliardenhöhe verhängt werden.
Es ist derzeit davon auszugehen, dass die Folgen einer solchen Regelung von den Gerichten vollumfänglich getragen werden, um eine erhöhte Präventivwirkung bei umsatzstarken Unternehmen zu erreichen. Im kartellrechtlichen Kontext hat der Bundesgerichtshof hierzu bereits ausgeführt, dass eine am Umsatz orientierte Bußgeldobergrenze eine gegenüber einer starren Bußgeldobergrenze geeignetere Ahndung des Unternehmens darstelle (BGH, Beschluss vom 26. 2. 2013 – KRB 20/12 = NJW 2013, 1972, 1974):
„Die umsatzabhängig zu bestimmende Obergrenze erlaubt deshalb innerhalb eines transparenten Berechnungsrahmens eine auf die Finanzausstattung und wirtschaftliche Potenz des Unternehmens wesentlich besser zugeschnittene Ahndung, als dies die frühere Regelung oder ein starres Bußgeldsystem mit betragsmäßig bestimmten Obergrenzen ermöglichte. Starre Obergrenzen, wenn sie noch eine angemessene Ahndung auch für sehr große Unternehmen gewährleisten sollen, müssten nämlich aus der Sicht kleinerer Unternehmen sehr weite Bußgeldrahmen zur Folge haben. Zudem führte ein solcher notwendigerweise sehr weiter Rahmen dazu, dass für kleinere und mittlere Unternehmen die Vorhersehbarkeit einer möglichen zukünftigen Ahndung deutlich geringer wäre, weil die Obergrenze sich in Bereichen bewegte, die in keinem Zusammenhang mehr mit der eigenen Finanz- und Wirtschaftskraft stünden.″
Das Zusammenspiel mit dem strafrechtlichen Vermögensabschöpfungsrecht
Im Ordnungswidrigkeitenrecht ist die Vermögensabschöpfung neben der Verhängung einer Geldbuße wegen derselben Tat ausgeschlossen. Das Verbot in § 30 Abs. 5 OWiG untersagt die doppelte Abschöpfung wirtschaftlicher Vorteile, da die wirtschaftlichen Vorteile bereits in der Geldbuße nach § 30 Abs. 3 OWiG i.V.m. § 17 Abs. 4 OWiG berücksichtigt werden können.
Wie aus dem Individualstrafrecht bekannt, soll aber nun die Verbandsgeldsanktion nicht zugleich die Abschöpfung des aus der Verbandsstraftat erlangten wirtschaftlichen Vorteils beinhalten. Im Gegensatz zur Verbandsgeldbuße wird somit im VerSanG-E von einem wie in § 30 Abs. 5 OWiG geregelten Ausschluss abgesehen.
Zukünftig können das betroffene Unternehmen bei der Verurteilung zwei Rechtsfolgenaussprüche treffen:
- Die Einziehung des aus der Straftat Erlangten gemäß §§ 73 ff. StGB, welche bezweckt, dass das Unternehmen aus der Straftat nicht wirtschaftlich profitiert, und
- die Verbandsgeldsanktion, die das Unternehmen bestrafen soll.
Anreiz oder Zwang? – Folgen für die Unternehmensführung
Der VerSanG-E normiert ein umfangreiches Anreizsystem für die Durchführung interner Untersuchungen. Kooperiert das von einer Unternehmensstraftat betroffene Unternehmen uneingeschränkt mit den Verfolgungsbehörden nach § 18 VerSanG-E, kann dies für das Unternehmen im Sanktionsverfahren von erheblichem Vorteil sein: Gem. § 19 VerSanG-E wird die vorgesehene Sanktionsobergrenze halbiert und das vorgesehene Mindestmaß entfällt.
Hinzu kommt, dass die Milderung der Verbandssanktion auch die öffentliche Bekanntmachung der Verurteilung des Unternehmens (§ 15 VerSanG-E) ausschließt, welche der Reputation des Unternehmens in der Öffentlichkeit zusetzen kann. Zudem ist das Bemühen des Unternehmens, die Unternehmensstraftat aufzudecken, auch im Rahmen der Bemessung der Verbandsgeldsanktion gem. § 16 Abs. 2 Nr. 7 VerSanG-E zu berücksichtigen.
Insofern lässt sich festhalten, dass die Unternehmensführung durch kooperatives Verhalten finanzielle Vorteile generieren sowie Reputationsschäden vom Unternehmen abwenden könnte. Aufgrund verschiedener gesellschaftsrechtlicher Regelungen (u.a. §§ 76, 93, 91 AktG; § 43 GmbHG) trifft die Unternehmensführung sogar die Pflicht, unternehmensinterne Compliance-Verstöße und Straftaten aufzuklären, um die Gesellschaft vor weitergehenden Schäden zu bewahren. Dies wirft die Frage auf, ob nicht eben diese gesellschaftsrechtlichen Regelungen die Unternehmensorgane auch dazu verpflichten bzw. „zwingen″, die Voraussetzungen des Milderungstatbestandes nach § 18 VerSanG-E zu erfüllen. Sollte dies der Fall sein, so würde eine Verletzung dieser Pflicht gem. § 93 AktG bzw. § 43 GmbHG zu einer Haftung der Unternehmensführung gegenüber der Gesellschaft führen.
Ein solch faktischer Kooperationszwang entspricht jedoch nicht den Grundsätzen der Business Judgement Rule, nach der sich der Pflichtenkreis und die zu treffenden Maßnahmen der Unternehmensführung nach den Umständen des Einzelfalles bestimmen und damit nicht pauschal festgelegt werden können. Gerade die Erfüllung der Voraussetzungen des Milderungstatbestands setzt eine enge, uneingeschränkte Kooperation des Unternehmens mit den Verfolgungsbehörden voraus und kann sich damit als eine einschneidende und für das Unternehmen nachteilhafte Maßnahme erweisen.
Insofern muss es auch weiter im Ermessen der Unternehmensführung bleiben, ob die Erfüllung der Voraussetzungen des Milderungstatbestands im Interesse des Unternehmens ist oder nicht. Die Entscheidungsverantwortung und der Entscheidungsspielraum der Unternehmensführung darf nicht aufgrund der Ungewissheit eigener Haftungsrisiken beschnitten werden.
Fazit: Geplante Verbandsgeldsanktionen bedürfen noch Korrekturen
Die geplante Einführung eines Verbandssanktionengesetzes und die damit einhergehende harte Sanktionierung von Unternehmen dient einer verstärkten Präventivwirkung und würde einen Paradigmenwechsel mit sich bringen.
Es bedarf jedoch der Klarstellung, dass die Entscheidungsmacht über Kooperationen mit den Ermittlungsbehörden trotz des hohen Verbandsgeldsanktionsrahmens bei der Unternehmensführung verbleibt und diese sich nicht automatisch der eigenen Haftung aussetzt. Auch bedarf es einer dringenden Korrektur bei der Berechnung des durchschnittlichen Jahresumsatzes, um Konzernunternehmen nicht allein aufgrund der bestehenden Konzernstruktur an den Rand der eigenen Existenz zu treiben.
Nach dem Auftakt zu unserer Serie zum Referentenentwurf zum Verbandssanktionengesetz folgten Informationen zu Änderungen bei Internal Investigations, zum faktischen Kooperationszwang und der Aushöhlung von Verteidigungsrechten sowie zu den Verbandsgeldsanktionen.